Peter Grimm / 26.08.2017 / 07:55 / Foto: Helodrgt / 25 / Seite ausdrucken

Zensur-Wettbewerb zwischen Maas und de Maizière?

Ich werde linksunten.indymedia vermissen. Diese Seite war wichtig, denn sie informierte, wie keine andere über linksextreme Gewalt und die ideologische Gedankenwelt dahinter. Nach Anschlägen, die in der Presse gern ohne die klare Benennung des linksideologischen Hintergrunds vermeldet wurden, konnte man auf linksunten.indymedia die Bekennerschreiben lesen oder aus der Art freudiger Berichterstattung ersehen, aus welchem Spektrum die Täter kamen. Zuletzt war dies nach den Anschlägen auf Bahnsignalanlagen am vorletzten Augustwochenende der Fall. Während die Medien nur verschwurbelt davon schrieben, dass diese nachhaltige Störung des Bahnverkehrs etwas mit einer Neonazi-Demo in Berlin zu tun haben könnte, las man bei den Genossen Klartext: Eine Aktion habe verhindert, dass Faschisten nach Berlin fahren konnten.

Ohne linksunten.indymedia hätten wir nie erfahren, dass die Leipziger Linksextremisten im vorvergangenen Jahr „Randalemeister“ wurden. Penibel wurden dort alle Brandanschläge, Überfälle und Zerstörungswerke aufgelistet, um zu beweisen, dass die sächsischen Genoss*_innen mehr Angriffe auf’s Schweinesystem verübt haben als die Revolutionäre in der Hauptstadt.

Kämpfer gegen den Mord an Fischen

Auch um die Verbreitung des revolutionären Kampfes für die Fisch-Rechte hat sich die nun verbotene Seite verdient gemacht. Das entsprechende Bekennerschreiben fand man nur hier:

In der Nacht vom 19. auf den 20. April haben wir, die ALF (Animal Liberation Front), die Schlösser der Geschäftsstelle des Vereins Klub Braunschweiger Fischer e.V. und des Geschäftes „das aquarium“ zugeklebt. An die Außenwände, Türen und Fenster der Gebäude haben wir „ALF“ geschrieben, um zu signalisieren, dass unser Handeln tierrechtlich motiviert ist.

Vereine wie der Klub Braunschweiger Fischer e.V. ermöglichen es Menschen aus Lust am Morden unter dem Vorwand des „Sporttreibens“ unzählige Individuen umzubringen. Dabei wird das Interesse der Fische ignoriert, nicht als „leckeres Gericht“ oder menschlichen Zeitvertreib dienen zu wollen.

Wir wollen, dass der Mord an Fischen aufhört! Fische haben, wie Menschen, das Recht auf ein Leben in Freiheit! Wir wollen mit unserer Tat mit den speziesistischen und diskriminierenden Gedanken brechen, dass Menschen das Recht hätten, über Leben, Qual und Tod von anderen Tieren zu verfügen.

Wir hoffen, dass unsere Aktion auch andere zum Handeln motiviert, und solidarisieren uns mit anderen anarchistischen und antikapitalistischen Kämpfen.

Für ein Miteinander in Freiheit ohne Ausbeutungsverhältnisse! Für die Freiheit von Mensch und Tier!“

Gegen die Lohnarbeit

Wer hätte jemals überregional davon erfahren, dass die Antifa Neu-Ulm am letztjährigen Tag der deutschen Einheit mit eingeschlagenen Scheiben am Gebäude der Agentur für Arbeit für die Abschaffung der Lohnarbeit kämpfte und dies auch theoretisch recht eigenwillig begründete:

Die grundlegende Idee hinter diesem System ist, dass davon ausgegangen wird, es ginge den Einzelnen sowie der gesamten Bevölkerung gut, wenn alle (für Lohn) arbeiten würden. Dies ist nicht der Fall, da das System auf Ausbeutung beruht und Lohnarbeit Zwang bedeutet. Ausbeutung findet ganz alltäglich im Beruf statt, da die Firma sonst keinen Profit einbehalten könnte. Der Zwang ist schon im System angelegt: Dadurch, dass es Leute gibt, die nicht genügend Geld haben, um ihr alltägliches Leben zu finanzieren, sind sie gezwungen ihre Arbeitskraft an die zu verkaufen, welche im Besitz der Produktionsmittel sind. Durch dieses Ungleichgewicht ist es den „Arbeitgebern“ möglich die Rahmenbedingungen festzulegen. Dazu gehören die Arbeitszeit, der Lohn und vieles mehr. Auch geht es beim Arbeiten nicht um das Wohl der Bevölkerung oder eines Einzelnen, sondern um das Erwirtschaften von Gewinnen. Weiterhin ist die Behauptung, Vollbeschäftigung sei möglich, unhaltbar. Dies liegt daran, dass die treibende Kraft der Wirtschaft die Konkurrenz ist. Ohne Arbeitslosigkeit fiele zumindest der Wettbewerb im Niedriglohnsektor weg, was einen drastischen Anstieg der Lohnkosten nach sich zöge. Demnach kann in dieser Gesellschaft eine Vollbeschäftigung kein ernstzunehmendes Ziel sein.

Zu einem Brandanschlag auf den Groß-Caterer Sodexo in Berlin erfuhr man nicht nur, dass er gegen ein Unternehmen geht, dass an der Verpflegung von Häftlingen Geld verdient, sondern auch, dass die Täter zwischen den Schuldigen und den Unschuldigen sehr differenziert unterschieden:

Wir hoffen das Schaden an der Gebäudestruktur entstanden ist und möchten betonen, dass uns nicht daran gelegen ist, die Arbeiter_innen zu erschrecken. Als Charaktermasken der kapitalistischen Gesellschaftsformation tragen sie zwar zum Fortbestand desselben bei, jedoch in nur geringem Umfang.“

Aber es geht nun einmal um die Sache:

Unser Angriff gilt für all jene die sich der bestehenden Gesellschaftsordnung, mit ihren Ideologien der Ungleichwertigkeit und ihrem Verwertungszwang in allen Bereichen, nicht anpassen wollen oder können und deshalb in die digitalen Raster und analogen Gitter der Repressionsbehörden und der Knastindustrie gezwängt wurden.“

Verbot mit Kunstgriff

Das alles werden wir vermissen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat es geschafft, eine Webseite zu verbieten – was ihm eigentlich gar nicht möglich ist – indem er die Betreiber zu einem Verein erklärt, den er tatsächlich verbieten kann und mit ihm dann die Seite. Heiko Maas dürfte vor Neid erblassen, dass er nicht auf diesen Kunstgriff gekommen ist. Die Verbotsbegründung hört sich bei de Maizière so an: „Das Verbot des Vereins mit der linksextremistischen Plattform ‚linksunten.indymedia“ setzt ein deutliches Zeichen. Wir gehen konsequent gegen linksextremistische Hetze im Internet vor. Nicht nur im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg wurde auf „linksunten.indymedia“ für gewaltsame Aktionen und Angriffe auf Infrastruktureinrichtungen mobilisiert. Die Ereignisse in Hamburg zeigen die gravierenden Folgen.

Der Aufruf zu Gewalt gegen Polizisten und deren Bezeichnung als „Schweine“ und „Mörder“ soll Gewalthandlungen gegen Polizisten legitimieren. Er ist Ausdruck einer Haltung, die die Menschenwürde mit Füßen tritt. Das ist absolut inakzeptabel und mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.Der Weiterbetrieb der Seite ist ab sofort eine Straftat. Wir werden alles daran setzen, dass die Maßnahmen der Strafverfolgung zeitnah und effektiv greifen. Für radikale, gewaltbereite Extremisten – gleich welcher Ausrichtung – ist kein Platz in unserer Gesellschaft!“

Ja, es gab widerliche Gewaltaufrufe auf dieser Seite. Ja, es gab Hetze. Das war seit Jahren so und dagegen hätte man vorgehen müssen. Gegen jeden strafrechtlich relevanten Artikel, seine Verfasser beziehungsweise – weil diese anonym blieben – gegen die Verantwortlichen der Seite. Gegen wen man hätte ermitteln müssen, war ja offenbar bekannt. Doch nichts ist davon geschehen. Die vorhandenen Rechtsbrüche wurden jahrelang nicht nach dem angezeigten rechtsstaatlichen Verfahren geahndet. Kein Minister hat solche Ermittlungen gefordert. Und nun kommt ein Komplettverbot der Seite in einer Nacht- und Nebelaktion, gedeckt von einer eigenwilligen juristischen Konstruktion, die gezimmert scheint, um ein Verbot per Ministerverfügung zu legitimieren.

Fragen statt Freude

Mag sein, dass dieses Vorgehen trotz allem Geschmäckle, obwohl es nach Taschenspielertrick stinkt, formal legal ist. Eines Rechtsstaats, der die Freiheit der Meinungsäußerung hoch hält, ist sie unwürdig. Seine Mittel hätten ohne Ministerverfügung gereicht, jeden strafbaren Inhalt zu verfolgen und zu löschen. Aber derer hat man sich nie bedient. Warum nicht?

Ist es vielleicht ein Grund, dass genau der eingangs beschriebene Informationsgehalt störend war? Solange sich die Urheber linksextremer Anschläge auf einer gut verbreiteten Seite zu ihren Taten bekennen, können sie nicht verschwiegen oder beschönigt werden. Wird hier nicht gegen die Publikation eines Problems vorgegangen, während man sich zur Bekämpfung des Problems selbst nicht durchringen kann? Warum wird eine linksextreme Seite komplett verboten, also auch ihre mehrheitlich legalen, weil vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckten Äußerungen, während gleichzeitig immer noch staatliche Fördermittel den Weg auch in linksextreme Kreise finden? All diese Fragen sollten jetzt auch jene beschäftigen, die sich darüber freuen, dass dieses Sammelsurium aus ideologischem Irrsinn, verblendetem Hass und Weltbildern, die skurril und mörderisch sein konnten, nun nicht mehr zu erreichen ist.

Gefährlich ist für alle, die eigenständig publizieren, dass hier Publikationsverbote per Ministerverfügung hoffähig werden. Es ist ein Eingriff in Grundrechte. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt nun einmal auch für Linksextremisten, Islamisten und Nazis, solange sie die Grenzen des Strafbaren nicht erreichen. Und festzustellen, ob diese Grenze überschritten ist, das obliegt in einem Rechtsstaat einer unabhängigen Justiz und nicht einem Minister. Dass sich jetzt Maas und de Maizière im Wahlkampf eine Art Zensurwettlauf zu liefern scheinen, ist fatal. Der Schaden, der durch diese Erosion eines freiheitlichen Rechtsstaats entsteht ist ungleich größer, als die Einschränkungen für die Extremisten. Sie suchen sich eine nächste Seite. Wer linksunten.indymedia vermisst, könnte jetzt vielleicht auf de.indymedia.org fündig werden. Immerhin der Unterhaltungswert wird also gewahrt bleiben, wenn die Grundrechte baden gehen.

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Foto: Helodrgt via Wikimedia Commons

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Gabriele Schulze / 26.08.2017

Und nicht zu vergessen: Wahlen stehen vor der Tür, und in typischer GroKo-Hektik wird etwas wenig Durchdachtes veranlaßt, um den Volkszorn zu besänftigen. Danke für Ihre Analyse.

Wilfried Cremer / 26.08.2017

Das Ganze ist nur ein Ausholen nach links, um dann mit Schwung rechts losschaufeln zu können oder anders ausgedrückt ein raffiniertes Rechtfertigungsmanöver.

Paul Siemons / 26.08.2017

Natürlich muss man das Verbot der Seite kritisieren und ablehnen. Schließlich sind wir in der “rechten Ecke” Demokraten, ganz im Gegensatz zu den linksradikalen Betreibern von Indymedia sowie ihren Sympathisanten (ich erinnere nur an Herrn Dawai Dawai). Viel wichtiger als ein Publikationsverbot wäre der Entzug der so großzügig von Schwesig an diese Leute verteilten Staatsknete. Das aber wird wohl nicht zu erwarten sein, schließlich ist laut der jetzigen Ministerpräsidentin der Linksradikalismus ein “aufgebauschtes Problem”.

Michael J. Glück / 26.08.2017

Lieber Herr Grimm, ich teile Ihr Bedauern; denn staatliche Zensur - linker wie rechter Meinungen - ist sozusagen ein Rückschritt ins Jahr 1984 von George Orwell. Gewalverherrlichungen und Beleidigungen ließen sich strafrechtlich verfolgen.

Stine Bading / 26.08.2017

Auch wenn ich die linksextreme, genauso wie die rechtsextreme Gewalt ablehne, ich auch noch nie linksunten.indymedia gelesen habe, so hoffe ich sehr, daß die Betreiber der Internetseite gegen die Sperre durch de Maiziere vorgehen! Ich gehe felsenfest davon aus, das sich der Minister (und die Kanzlerin) bei der deutschen Justiz eine richtig heftige Klatsche abholen wird! Wo leben wir, wenn Politiker definieren was rechtlich zulässig oder unzulässig ist. Wehret den Anfängen!

Karla Kuhn / 26.08.2017

Wer am meisetn löscht bekommt ein “Bienchen.”

Winfried Sautter / 26.08.2017

So einfach ist das: Die linksextremistische Website verbieten, und schon ist der Linksextremismus aus der Welt geschafft.

Geert Aufderhaydn / 26.08.2017

Diese mutigen Kämpfer gegen alles Unrecht sollten sich 10mal hintereinander “Das Leben des Brian” anschauen. Vielleicht dämmerte es ihnen dann allmählich . . .

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