Von Fabian Brunner.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine entzaubert die von der deutschen Politik suggerierte sichere, bezahlbare und souveräne Energieversorgung endgültig als Potemkinsches Dorf.
Die politisch-mediale Bedeutung, die die zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige schwedische Schüler-Aktivistin Greta Thunberg 2019 erlangt hat, wirft ein Schlaglicht auf den Umgang mit dem Thema Klimapolitik. Greta Thunberg hat der Welt gezeigt, wie man medienwirksam für eine strenge Klimapolitik und gegen den zerstörerischen Klimawandel protestiert, ohne dabei Widerspruch zu erfahren. Aber Erderwärmung verhindern zu wollen, ist keine rationale Antwort auf die realen Herausforderungen einer vernünftigen Klimapolitik. Die westliche Welt scheint davor zurückzuscheuen, hierzu eine ideologiefreie Diskussion zu führen. Etwas zu ändern, setzt voraus, Fakten und Zusammenhänge vorurteilsfrei anzusehen und erst dann zu definieren, was gute Klimapolitik eigentlich ausmacht, und auch erst dann ein Urteil über die verschiedenen klimapolitischen Instrumente zu fällen, die zur Wahl stehen.
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die avisierte Umstellung der Energiewirtschaft auf sogenannte erneuerbare Energien sowohl wirtschaftlich als auch technisch mehr als nur eine enorme Herausforderung ist. Im Augenblick dokumentiert sich dieser Weg in steigenden Stromkosten – abnehmende Versorgungssicherheit steht zu befürchten. Obwohl die Menschheit die Risiken der Kernenergie belastbar und sehr effizient abschirmen kann, hat sich eine Industrienation wie Deutschland zum vollständigen Ausstieg aus dieser emissionsarmen und kostengünstigen Technologie zur Stromerzeugung entschieden. Und auch auf den Ausstieg aus den verbleibenden klassischen fossilen Energieträgern zur großindustriellen Energieerzeugung (abgesehen von Holz) hat sich Deutschland bereits verständigt (1).
Obwohl schon längst klar ist, dass die deutsche Idee „Energiewende“ mit der vollständigen Dekarbonisierung als Ziel, technisch und wirtschaftlich extrem herausfordernd, auf jetzigem Stand der Technik sogar unrealistisch ist, werden die energiepolitischen Zielsetzungen immer höher geschraubt. Ganz abgesehen davon, dass die hier investierten finanziellen Mittel der deutschen Volkswirtschaft an anderer Stelle fehlen werden, offenbart das politische Generalziel der Deutschen, Treibhausgasneutralität (2) zu erreichen, eine massive Kapazitätslücke. Und es erhebt sich die ganz praktische Frage, wer beziehungsweise was den Strombedarf der Deutschen künftig, spätestens in der Dunkelflaute voll decken soll?
Weltweit die teuerste Energieversorgung
Weitgehend sicher scheint, dass Solar- und Windenergietechnik keinen vollständigen Ersatz dafür werden bieten können, den von einer modernen Industrienation benötigten Strom zuverlässig und vollumfänglich permanent bereitzustellen. Die größte Gefahr besteht mithin darin, für die vom Netz genommene Kraftwerksleistung nicht rechtzeitig ausreichend adäquaten Ersatz bereitstellen zu können. Kraftwerke sind komplexe Großprojekte, deren Realisierung in der Regel mehr als zehn Jahre in Anspruch nimmt. Doch gegenüber der deutschen Bevölkerung wird das hehre Ziel vorgetragen, mit der „Energiewende“ einen signifikanten Beitrag zur Verringerung der Kohlenstoffdioxidemissionen zu erzielen. Verschwiegen wird dabei, dass die deutsche Energieversorgung weltweit damit auch die teuerste werden wird und möglicherweise nicht leisten kann, was sie sollte.
An dieser Stelle gilt es, dringend zur kühlen Chancen-/Risikoabwägung zurückzufinden und ideologische Scheuklappen bei der fairen Evaluation der bereits vollzogenen Maßnahmen abzulegen. Einfluss auf das globale Phänomen Klima ausüben zu wollen, ist für eine einzelne Nation schlicht utopisch und verstellt den Blick für das national leistbare. Klimapolitisches Engagement muss vielmehr dort ansetzen, wo die sogenannten Grenzvermeidungskosten am geringsten sind, damit die vorhandenen Mittel effizient genutzt werden. Nutzenstiftende Klimaschutzpolitik macht nicht an Landesgrenzen halt. Kompensation für den Fortbestand des tropischen Regenwalds auf nationalem Boden an diejenigen zu leisten, die diesen als Einkommensquelle nutzen (müssen), oder große Waldgebiete in sonst verödeten Landschaften wieder aufzuforsten, sind nur zwei Beispiele dafür.
Die klimapolitische Vorbildfunktion beschränkt sich also nicht darauf, die Verpflichtungen aus getroffenen Klimaabkommen einzuhalten. Nachahmer werden sich überhaupt nur dann finden, wenn die zu treffenden Maßnahmen sinnhaft erscheinen und die Umsetzung kosteneffizient geschehen kann. Es liegt auf der Hand, dass die Strahlkraft der Vorbildwirkung stark von der Höhe der damit einhergehenden nationalen Wohlstandseinbuße verbunden ist. Hohe Strompreise jedenfalls werden kaum zur Nachahmung anreizen. Und es ist aussichtslos zu glauben, dass der Übergang in eine reine dekarbonisierte Wirtschaft ganz ohne unerwünschte und sehr nachteilige ökonomische und/oder gesellschaftliche Nebeneffekte zu haben ist.
Die kumulativen systemischen Mehrkosten für die Energiewende bis 2050 liegen je nach Schätzungen des deutschen Ifo-Instituts in Abhängigkeit von den zugrundegelegten Randbedingungen zwischen 500 Milliarden EUR und mehr als 3.000 Milliarden EUR. Das entspricht also bis 2050 pro Jahr im Durchschnitt 0,4 bis 2,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus dem Jahr 2018 von etwa 3,4 Billionen Euro (3). Letztlich werden die Verbraucher und/oder Steuerzahler diese Kosten tragen müssen. Erstaunlicherweise bleibt unter den Deutschen eine Diskussion über die sozialen Konsequenzen und wirtschaftlichen Folgen der aktuellen Energiepolitik bisher weitgehend aus.
Allein in Deutschland werden jährlich etwa 300.000 (2019: 289.000) Haushalte mit einer Stromsperre belegt (im Jahr 2020 wurde aufgrund der ausgerufenen Corona-Krise auf Stromsperren teilweise verzichtet). Eine Sperrandrohung hatten in 2019 rund 4,75 Millionen Haushalte erhalten (4). Offenkundig sind einige Verbraucher nicht mehr in der Lage, ihre Energiekosten zu bezahlen, was natürlich nicht ausschließlich nur mit der Höhe der Stromkosten zu tun hat. Bedenkt man allerdings außerdem, dass Deutschland erst am Beginn seines Wegs zur Treibhausgasneutralität steht, wird der erhebliche Handlungsbedarf deutlich.
Für die mittel- und langfristige Akzeptanz klimapolitischer Maßnahmen kommt es also entscheidend darauf an, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen, um das erfolgreiche marktwirtschaftliche System im Sinne einer klimaschonenden Energieversorgung zu nutzen. Eingriffe in Form von Vorschriften, Verboten und Subventionen sind langfristig eher kontraproduktiv, da Ressourcen durch Ineffizienz in der Mittelverwendung verschwendet werden und damit ein Wohlstandsverlust für die gesamte Volkswirtschaft die Folge ist. Hierzu gehören im Übrigen auch die Vorschläge zu einem „klimagerechten“ Lebenswandel, die sich auf Fleischverzehr, Flugreisen oder Konsumverhalten beziehen. Politik, die trotzdem an solchen Instrumenten festhält, sollte das nicht im Namen des Klimaschutzes tun, denn letztlich fördert diese Form der Klimapolitik eher den Widerstand gegen das eigentliche Anliegen der Emissionsreduktion.
Klimapolitik, die als volkswirtschaftlich verzerrender Eingriff in Form von Subventionen und Regulierung auf Veränderung setzt, löst damit auch ökonomisch den Anreiz aus, den politischen Prozess für Eigeninteressen zu nutzen. Und so entsteht die Gefahr, dass im Namen der Klimapolitik Entscheidungen getroffen werden, die zu Lasten des Gemeinwohls gehen. Es wäre für die Deutschen zumindest eine gesellschaftliche Debatte wert, ob es tatsächlich eine klimapolitisch angemessene und verhältnismäßige Maßnahme ist, Elektroautos zu subventionieren und Ölheizungen zu verbieten.
Deutschland: Vom Solar-Überflieger zum Solar-Nachzügler
Ebenfalls eine wichtige Frage von gesellschaftlicher Relevanz ist, wer die Früchte der in Deutschland hochsubventionierten Technologien erntet. Beispiel Solarwirtschaft. Angesichts der gigantischen Milliardenbeträge, die Deutschland zur Anschubfinanzierung der Solartechnologie seinen Bürgern abverlangt hat, stellt sich die Frage nach der volkswirtschaftlichen Rendite dieser gesellschaftlichen Investition. Stand heute hat sich Deutschland von einem wichtigen Standort mit hoher Wertschöpfungstiefe der weltweiten Solarindustrie hin zum Absatzmarkt mit geringem Wertschöpfungsanteil entwickelt. Aber ist es wirklich im Interesse eines Landes, die Marktgängigkeit einer Technologie zu subventionieren, während deren Wertschöpfung und vor allem die damit verbundenen Arbeitsplätze dann in einem anderen Land stattfinden?
Je bedeutender die wirtschaftlichen Interessen der im Namen des Klimawandels initiierten Maßnahmen, desto höher die Notwendigkeit der regelmäßigen Kontrolle von Angemessenheit und Wirksamkeit derselben. Die Überzeugung, einem kaum greifbaren Klimawandel schnell und konsequent begegnen zu müssen, wird sich unter den Menschen auf Dauer nur dann verfangen, wenn die getroffenen Maßnahmen auch überzeugend sind. Hinzu kommt die profane Erkenntnis, dass, sobald die eigene Wohlfahrt betroffen ist, sich schnell die Begeisterung verliert. Lackmustest dafür ist die regelmäßig via Stromrechnung präsentierte Kostennote für die klimapolitischen Initiativen.
Umweltaktivisten werfen den Regierungen dieser Welt in Sachen Klimaschutz oftmals Tatenlosigkeit vor, doch angesichts der vielen Milliarden, die auf der ganzen Welt in die Klimapolitik geflossen sind, ist das Prädikat Tatenlosigkeit in Sachen Klimaschutz unzutreffend. Kritikwürdig ist vielmehr, wenn die angesprochene Kontrolle von Angemessenheit und Wirksamkeit der klimapolitischen Entscheidungen den staatlich-hoheitlichen Einflussbereich verlässt. Zumindest aus Sicht des Autors ist es im Sinne gesellschaftlicher Akzeptanz problematisch, wenn die Einhaltung von umweltpolitisch gesetzten Grenzwerten wie die maximal zulässige Rußpartikelbelastung in deutschen Innenstädten von einer privaten Organisation eingeklagt werden muss. Vernünftige Klimapolitik bedeutet deshalb auch, das Wünschenswerte mit dem Machbaren in Überdeckung zu bringen, um extreme Kosten zu vermeiden und die Wirksamkeit der Maßnahmen auch zu gewährleisten.
Eine verantwortungsvolle Klimapolitik hat als Ausgangspunkt zwei grundsätzliche Handlungsalternativen: Entweder sich auf das primäre Ziel wie den Kampf gegen die Erderwärmung zu fokussieren oder aber Maßnahmen zu ergreifen, die der Anpassung an die höheren Temperaturen dienen. Deshalb sind Begrifflichkeiten wie Klimarettung auch irreführend, da es sich eben gerade nicht um eine Alles-oder-nichts-Entscheidung zwischen Untätigkeit und Rettung der Menschheit handelt. Nachhaltige Klimapolitik kann nie allein naturwissenschaftlich, sondern muss stets in der Bewertung verschiedener Alternativen begründet sein. Andernfalls ist jede Entscheidung für eine Vermeidungsmaßnahme immer auch eine Entscheidung gegen eine Anpassungsmaßnahme und umgekehrt. Eine klug gewählte Klimapolitik folgt deshalb immer dem ökonomischen Prinzip, denn für die Einsparung der Treibhausgase gilt es, Ressourcen einzusetzen, die knapp sind und zudem danach für eine alternative Verwendung nicht mehr zur Verfügung stehen.
Deshalb sollte Klimapolitik eigentlich darauf aus sein, die eingesparte Menge an Kohlenstoffdioxid je eingesetzter Ressourceneinheit maximal zu halten oder die Kosten je vermiedener Tonne Kohlenstoffdioxid minimal. Alles andere ist Ressourcenverschwendung und letztlich zum Schaden aller, denn es hätte mit gleichem Einsatz viel mehr erreicht werden können. Tatsächlich gibt es eine ganze Bandbreite an Instrumenten, um klimapolitisch zu reagieren. Jedes gesteckte Temperaturziel bedarf deshalb auch einer eigenen Kombination aus Vermeidung von Kohlenstoffdioxid und Anpassung. Die daraus resultierenden Kostenpositionen müssen wiederum einander gegenübergestellt, abgewogen und das Optimum gefunden werden.
Die bisherigen, teilweise enormen Anstrengungen der Europäer und insbesondere der Deutschen beim Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien haben in den vergangenen Jahren zu keinem erkennbaren Rückgang der eigentlich avisierten Kohlenstoffdioxidemission geführt. Die Fortsetzung der aktuellen Energiepolitik mit mehr vom Gleichen ist vor diesem Hintergrund schlicht unzureichend, um die teilweise sehr ambitionierten energiepolitischen Zielsetzungen der Europäer zu erreichen. Ein auf reinen Zuwachszahlen beruhender Zweckoptimismus führt zu Fehlinvestitionen und ändert nichts an den bestehenden ökonomischen und physikalischen Realitäten. Entsprechend gilt es, vor allem ergebnis- und technologieoffen zu bleiben, aber auch gänzlich andere konsensfähige Alternativen ernsthaft zu erwägen und eine breite gesellschaftliche Debatte darüber zu führen.
Autarkie als grünes Ziel?
Eine disruptive Veränderung in der Debatte um eine angemessene und geeignete Energiepolitik ging Ende Februar dieses Jahres mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine einher. Dieser Krieg markiert zumindest aus Sicht der Deutschen eine Zeitenwende im eigenen energiewirtschaftlichen Selbstverständnis. Der deutsche Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, verkürzt dies beim Sonder-Energieministerrat in Brüssel Ende Februar auf die Formel: „Energiepolitik ist Sicherheitspolitik“. Die deutsche Versorgungssicherheit war damit auch eine Frage von nationaler Sicherheit und Souveränität. Allerdings offenbarte der Krieg und die Reaktion der deutschen Politik darauf aber auch, wie eingeschränkt die energiepolitischen Handlungsoptionen der Deutschen mittlerweile sind. Abgesehen davon, dass sich die deutsche Versorgungssicherheit zumindest kurzfristig nicht über (noch) mehr Tempo bei der Klimawende sichern lässt, zeigt sich angesichts explodierender Energiepreise, wie sehr der deutsche Wohlstand von billiger Energieversorgung abhängig war und ist. Der Vorschlag des ehemaligen Bundespräsidenten der Deutschen, Joachim Gauck, die Energieeinfuhren aus Russland angesichts des Krieges dauerhaft zu stoppen, würde eben nicht nur Frieren für die Freiheit bedeuten, sondern auch mit Deindustrialisierung und damit einem erheblichen Wohlstandsverlust einhergehen.
Die einseitigen Abhängigkeiten perspektivisch insbesondere von Russland zu evaluieren und strukturelle Abhängigkeit zu beenden, ist zweifelsohne ein erstrebenswertes Ziel. Allerdings wird die Politik dann nicht umhinkommen, am eigenen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu rütteln. Der Ausstieg aus der Kernenergie sowie aus der Kohleverstromung lässt sich unter diesen Umständen definitiv nicht mehr realisieren. So wünschenswert es auch sein mag, der Weg zu einer klimaneutralen, bezahlbaren und sicheren Energieversorgung ist über den schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien und/oder die Steigerung der Energieeffizienz unmöglich erreichbar. Erst recht nicht kurzfristig, auch wenn Institutionen wie die Nationale Akademie der Wissenschaften „Leopoldina“ Anfang März in einer Ad-hoc-Stellungnahme Sofortmaßnahmen zum Umbau des Energiesystems beschreibt, genau dies verspricht.
Dr. Fabian Brunner (geb. 1974) ist Ökonom und arbeitet für einen großen deutschen Energiekonzern im Bereich Gaswirtschaft und Energieversorgung. Sein neues Buch Naturgesetz Klimawandel – Das Versprechen der Energiewende und ihr Scheitern in der Praxis kann hier im Achgut-Shop erworben werden. Ein Gespräch mit ihm ist auch hier auf Indubio zu hören.
Literatur
1) Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. FAQ Kohleausstiegsgesetz. Stand: 18. August 2021; (Zugriff: 20.09.2021).
2) Vgl. Die Bundesregierung. Klimaschutzgesetz 2021. Generationenvertrag für das Klima. Stand: August 2021; (Zugriff: 20.09.2021).
3) Vgl. Karen Pittel, Hans-Martin Henning. Was uns die Energiewende wirklich kosten wird. Stand: 12. Juli 2019; (Zugriff: 07.04.2021).
4) Vgl. RND/dpa. Versorger stellten wegen unbezahlter Rechnungen 289.000 Haushalten Strom ab. Stand: 07. Oktober 2020; i.V.m. Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen sowie Bundeskartellamt. Monitoringbericht 2019. Stand: 13. Januar 2020; (Zugriff: 07.04.2021).