Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 24.07.2015 / 10:46 / 0 / Seite ausdrucken

Zeit für die nächste Eurokrise

Die griechischen Banken haben wieder geöffnet, das dritte Rettungspaket wird geschnürt, und Griechenland nähert sich allmählich wieder einer Art von Normalzustand. Damit können wir uns wieder um andere Dinge kümmern: beispielsweise die Eurokrise.

“Halt!” höre ich die Leser rufen, es war doch die Eurokrise, die uns während der letzten Monate auf Trab gehalten hat. Da wäre ich mir aber nicht so sicher.

Griechenland ist ein Sonderfall. Die strukturellen Probleme seiner Volkswirtschaft sind riesig, aber seine wirtschaftliche Bedeutung für Europa, erst recht für den Rest der Welt, ist begrenzt. Das Bruttosozialprodukt von Griechenland ist lediglich ungefähr so groß wie das von Hessen, bei anderthalb mal größerer Bevölkerung.

Wie sich wieder gezeigt hat, waren enorme Anstrengungen nötig, um Griechenland in der Eurozone und seine Banken liquide zu halten. Letztendlich sah sich Europa in der Lage, mit diesen Problemen umzugehen (was etwas anderes bedeutet, als sie zu lösen!) Solange der politische Wille in den anderen 18 Euro-Mitgliedsstaaten vorhanden ist, wird man weiterhin Griechenland über Wasser halten können.

„Too big to be saved“

Eine solche Stützung wird aber nicht stets für alle Mitglieder der Eurozone möglich sein. Einige Länder sind nicht nur „too big to fail“: sie könnten darüber hinaus auch zu groß sein, als dass sie gerettet werden könnten. Wir sollten uns daher Gedanken machen über diejenigen großen Länder in der Eurozone, deren wirtschaftliche Umstände wenig Vertrauen einflößen. Eine Zeitlang hat die Griechenlandkrise als Ablenkung davon gedient, langfristig aber könnten die Geschehnisse in Frankreich, Spanien und Italien mehr Anlass zur Sorge geben als alles, was wir bisher in Athen gesehen haben.

Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist Frankreich ganz sicher nicht mit Griechenland in einen Topf zu werfen. Das Verhältnis der Staatsschulden zum BIP ist zwar mit 96,4 Prozent hoch, aber immer noch weit entfernt von den griechischen ca. 180 Prozent. Sorgen bereitet allerdings das französische Defizit und sein kaum noch wahrnehmbares Wachstum – 0,3 bzw. 0,4 Prozent in den letzten beiden Jahren. Damit einher gingen ein jährliches Defizit von 4,1 bzw. 4,0 Prozent des BIP.

Für dieses Jahr hat die französische Regierung ein Wachstumsziel von 1 Prozent ausgerufen. Im internationalen Vergleich alles andere als ehrgeizig, doch haben die Franzosen zumindest die Chance, es zu erreichen. Die Europäische Kommission ging in ihrer Frühjahrsprognose sogar von einem Wachstum von 1,7 Prozent im nächsten Jahr aus, was für die Franzosen wohl schon in die Nähe eines Booms gerät.

Wachstum im Schneckentempo

Da in Frankreich die Staatsquote bereits mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung ausmacht, ist es unwahrscheinlich, dass seine Volkswirtschaft schneller als diese Vorhersagen wächst. Demnach werden auch die Haushaltsdefizite nicht so bald zurückgehen. Auch wenn man für nächstes Jahr ein optimistisches Wachstum ansetzt, würde Frankreich immer noch mit einem Haushaltsdefizit von 3,5 Prozent.

Für Italien sieht die Situation ähnlich wie für Frankreich aus, jedoch sind die italienischen Zahlen hinsichtlich Wachstum und Verschuldung noch schlechter. Die Volkswirtschaft in Italien schrumpfte 2013 und 2014 (-1,7 bzw. -0,4 Prozent im Jahresvergleich). Seine Haushaltsdefizite sind etwas kleiner als die französischen, aber dafür gibt sein derzeitiger Schuldenstand von 133 Prozent des BIP Anlass genug zur Sorge.

Italien kann seine Schuldenlast nur dann stabilisieren und schrumpfen, wenn es ihm gelingt, seine Volkswirtschaft neu zu beleben. Zwar haben sich die Aussichten aufgehellt, aber es bleibt abzuwarten, ob die jüngst von der italienischen Zentralbank prognostizierten Wachstumsraten von 0,7 Prozent in diesem Jahr und 1,5 Prozent in 2016 dafür ausreichen werden.

Erholung darf nicht über Probleme hinwegtäuschen

Wenn man über potentielle Eurokrisen-Kandidaten spricht, darf Spanien nicht fehlen. Es ist richtig, dass Spanien in den vergangenen Jahren Fortschritte bei der Umsetzung wirtschaftlicher Reformen gemacht hat. Leider zeigen seine Wirtschaftsdaten, dass das Land keineswegs schon aus dem Gröbsten raus ist.

Das spanische Haushaltsdefizit wurde zwar von 6,8 Prozent 2013 auf viereinhalb Prozent in diesem Jahr gesenkt. Positiv ist ferner das Wirtschaftswachstum in Spanien, das in diesem Jahr auf beinahe drei Prozent steigen soll. Ungeachtet dieser erfreulichen Entwicklung nehmen die Staatsschulden weiter zu, aktuell bis auf 100 Prozent des BIP. Die Arbeitslosigkeit geht zwar zurück, liegt aber immer noch bei bestürzend hohen mehr als 22 Prozent.

In diesen drei bedeutenden Eurozonen-Ländern besteht kein Mangel an wirtschaftlichen Problemen. Frankreich, Italien und Spanien befinden sich derzeit zwar nicht in einer Krise, aber man kann sie auch nicht gesund nennen. Im Gegenteil, sie sind nur wenige Schritte davon entfernt, zum Zentrum der nächsten Eurozonen-Krise zu werden. Um dieses Pulverfass zu entzünden, bedarf es nur eines Funkens.

Im Fall von Spanien könnten die bevorstehenden Parlamentswahlen den Funken bilden. Zwar hat die Podemos-Bewegung in neuesten Meinungsumfragen aufgrund der harten Haltung der Eurozone zu den Freunden von Podemos in der Syriza-Partei Griechenlands etwas an Boden verloren. Es ist aber immer noch möglich, dass die Reform- und Austeritätsgegner das politische System Spaniens auf den Kopf stellen werden.

Die von der Europäischen Kommission angestrebte Stabilisierung der Eurozone-Schulden hängt außerdem davon ab, ob das Wachstum europaweit wieder zunimmt. Viel darf also nicht schiefgehen. Jeder von außen einwirkende Schock würde die Bemühungen zur Schuldenstabilisierung zunichtemachen. Schrumpft die Weltwirtschaft, werden Europas Schulden- und Defizitstände wieder stark zunehmen. Da sie bereits jetzt hoch sind, würde es nicht lange dauern, bis Panik einsetzt.

Es könnte sich aber auch alles zum Guten wenden. Dann würden wir eine allgemeine Erholung innerhalb der Eurozone sehen, mit Jahren stärkeren Wachstums im Vergleich zu den Jahren seit 2008. Die Länder der Eurozone hätten dann die Chance zur Konsolidierung. Aber ist dieses Szenario das wahrscheinlichste? Wetten würde ich nicht darauf.

Immerhin können wir uns freuen, dass das immer noch ungelöste griechische Problem uns in den kommenden Monaten nicht mehr so stark beschäftigen wird. Wir hätten also die Gelegenheit, einigen anderen europäischen Volkswirtschaften mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Wenn die nächste Eurokrise beginnt, wird sie wohl nicht mehr Griechenland zum Mittelpunkt haben.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Now for the next euro crisis’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 23. Juli 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).

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