Von Alex Feuerherdt.
Ein wesentliches Merkmal der Nahostberichterstattung ist es, dass Gewalt gegen Palästinenser, die nicht dem jüdischen Staat zugeschrieben werden kann, auf vergleichsweise geringes mediales und politisches Interesse stösst. Das gilt auch und insbesondere für innerpalästinensische Gewaltakte, die oft bloss mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen werden und jedenfalls nicht annähernd so empörte Kommentare hervorbringen wie Massnahmen, die Israel in den palästinensischen Gebieten ergreift.
In dieses Muster fügt sich ein dramatisches Ereignis ein, das nunmehr zehn Jahre zurückliegt: Im Juni 2007 eskalierte im Gazastreifen der schon länger währende Konflikt zwischen der Hamas auf der einen Seite und der Fatah sowie den Sicherheitskräften der Palästinensischen Autonomiebehörde auf der anderen. Es kam zu tagelangen bürgerkriegsähnlichen Gefechten, Mitglieder der Fatah wurden von Häuserdächern geworfen, eingekerkert, gefoltert, vertrieben oder erschossen. Am Ende hatte die Hamas – zwei Jahre nach dem israelischen Abzug aus Gaza und anderthalb Jahre nach den bis heute letzten Wahlen in den palästinensischen Gebieten – im Gazastreifen die alleinige Kontrolle inne.
Erfolgreiche Misswirtschaft
Seit dieser Machtübernahme hat die islamistische Organisation alles getan, um die Lebensbedingungen der von ihr beherrschten Bevölkerung weiter zu verschlechtern. Über 60 Prozent der 20- bis 24-Jährigen sind arbeitslos, bei den 25- bis 29-Jährigen liegt die Quote bei 52 Prozent. Die rund 1,7 Millionen Bewohner verfügen nur an maximal vier Stunden pro Tag über Elektrizität; die Hamas bezahlt die fälligen Rechnungen für den von Israel an die Autonomiebehörde gelieferten Strom nicht.
96 Prozent des Wassers sind ohne weitere Behandlung nicht zum Trinkengeeignet, was entscheidend mit der Versalzung des Grundwassers zusammenhängt. Dazu kam es, weil nach dem israelischen Abzug vielfach private Pumpen installiert wurden, um kostenlos an Trinkwasser zu gelangen; salziges Meerwasser floss nach und liess das Süsswasser ungeniessbar werden. Erhebliche Teile internationaler Hilfsgelder und der Einnahmen aus Steuern werden nicht für die Infrastruktur und zur Versorgung der Bevölkerung verwendet, sondern in Waffen, Munition und den Bau von Tunneln für terroristische Zwecke investiert.
Todesurteile gegen «Kollaborateure»
Die Hamas hat zudem ein rigides, barbarisches Regime etabliert, in dem es keinerlei politische Freiheiten gibt. Frauen werden massiv unterdrückt, und vor allem der «Kollaboration» mit dem «zionistischen Feind» Beschuldigte müssen mit der Todesstrafe rechnen. 28 zum Tode verurteilte Palästinenser wurden seit 2007 von der Hamas hingerichtet, darüber hinaus wurden 14 Exekutionen von deren militärischem Flügel ausgeführt.
Mindestens 31 weitere Palästinenser wurden ohne Gerichtsurteil von der Hamas getötet, darunter alleine 18 vermeintliche «Kollaborateure» an einem einzigen Tag im August 2014, während des jüngsten Gazakrieges. Zuletzt wurden Ende Mai dieses Jahres drei Männer erhängt respektive erschossen, die – angeblich auf Geheiss Israels – einen hochrangigen Hamas-Funktionär ermordet haben sollen. Die Hinrichtungen, die wenige Tage nach dem Todesurteil vollstreckt wurden, waren laut verschiedener Berichte live auf Facebook zu sehen.
Umfragen zufolge, etwa vonseiten der zentralen palästinensischen Statistikbehörde, ist die Unzufriedenheit der Bewohner des Gazastreifens mit ihren Lebensumständen sehr gross – so gross, dass fast die Hälfte der Bevölkerung den Wunsch hat, auszuwandern. Zugleich unterstützt etwa ein Drittel immer noch die Hamas, ein Regimewechsel scheint äusserst unwahrscheinlich. Und das längst nicht nur deshalb, weil politischer Protest – und sei es nur gegen die schlechte Versorgungslage im Allgemeinen oder gegen die Sperrung von Elektrizität im Besonderen – schnell zur Inhaftierung führen kann. Die Hamas bezieht weiterhin viel Popularität aus ihrer radikalen Feindschaft gegen Israel, drei von ihr angezettelte und verlorene Kriege gegen den jüdischen Staat in den vergangenen zehn Jahren – von Dezember 2008 bis Januar 2009, im November 2012 und von Juli bis August 2014 – haben daran nichts zu ändern vermocht.
Kinder werden indoktriniert und instrumentalisiert
Dabei hat sie nicht einmal Skrupel, Kinder für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, das heisst: sie zu indoktrinieren, als Kanonenfutter zu missbrauchen, in den Tod zu schicken, zu Mördern zu machen. Vollkommen üblich ist es beispielsweise, sie als «menschliche Schutzschilde» zu beanspruchen, wenn Israel einen Militärschlag gegen eine Stellung der Hamas ankündigt – schliesslich steigen so die Chancen, exakt die Bilder zu bekommen, die sich anschliessend für eine flammende Anklage gegen Israel verwenden lassen. Dass sie von europäischen Medien und Politikern für diese Form der Kindesmisshandlung verurteilt wird, muss die Hamas nicht fürchten. Auch zum Bau der Tunnel, die die Hamas für den Transport von Kriegsgerät und Terroristen verwendet, werden oftmals Kinder herangezogen – was in der Vergangenheit für einige von ihnen tödliche Folgen hatte.
«Al-Aqsa TV», ein Fernsehsender der Hamas, ruft derweil im Kinderprogramm regelmässig zum Mord an Juden auf und verbreitet immer wieder antisemitische Legenden. Die Hamas hält sich zudem eine regelrechte Kinderarmee, erzieht sie zum Dschihad und unterweist sie im Gebrauch von Waffen. Sie veranstaltet im Sommer militärische Trainingslager, an denen Zehntausende von minderjährigen Palästinensern teilnehmen. Dort wird ihnen, wie der palästinensische Journalist Khaled Abu Toameh berichtet, «beigebracht, dass Selbstmordbomber der Hamas und Terroristen, die für den Tod Hunderter Israelis in den vergangenen Jahrzehnten verantwortlich sind, Vorbilder seien, denen es nachzueifern gelte».
Ausserdem wird ihnen gezeigt, wie man einen Angriff auf einen israelischen Militärstützpunkt durchführt und israelische Soldaten tötet und gefangen nimmt. «Diese Lager», sagt der Hamas-Offizier Khalil al-Hayah, «dienen dazu, eine Generation vorzubereiten, die den Koran und das Gewehr trägt». Hier geht es weiter.