Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Selbstverständnis auch nicht gerecht, ein verlässliches Medium zu sein, das objektiv und neutral informiert, beglücken seine Vertreter den Gebührenzahler immerhin mit einer ordentlichen Portion Unterhaltung – womit das verprasste Geld nicht völlig für die Katz ist. Und auch die Gag-Dichte kann sich sehen lassen:
Kurz nachdem die Haltungsjournalistin Anja Reschke allen Ernstes verkündete, die Panorama-Reporter auf der Sea-Watch 3 hätten mit Betreten des Bootes doch nicht wissen können, dass tatsächlich ein Notruf eingehen wird, teilte ein scheinbarer Rechtsexperte im Namen von „ZDF heute“ der interessierten Facebook-Gemeinde Folgendes mit:
„Wenn Sie gesperrt werden, haben Sie vorher bereits Verwarnungen erhalten. Überdies können Sie sich auch über die Zuschauerredaktion mit uns in Verbindung setzen, sollten Sie eine Sperrung als nicht gerechtfertigt ansehen. Das hat nichts mit der Beschränkung der Meinungsfreiheit zu tun. Diese endet übrigens nach den § 186 und § 187 StGb und § 5.2 BGB an dem Punkt, an dem bewusst unwahre Tatsachen behauptet werden und dadurch einem anderen Menschen oder der Gesellschaft Schaden zugefügt wird.“
Diese sonderbare Belehrung veranlasste einen Anwalt dankenswerterweise zu dem Hinweis, dass es im heutigen Recht der BRD letzteren Paragraphen genauso wenig gibt – gemeint war wohl Art. 5 Abs. 2 GG – wie den Tatbestand, „der Gesellschaft“ durch die Behauptung „bewusst unwahrer Tatsachen“ zu schaden. Mit dem Bauchgefühl des Social-Media-Redakteurs korrelieren allerdings durchaus historische und aktuelle Vorbilder.
Zum Schutze des Kollektivs
Im sowjetischen Recht, gab es einen dem Gehalt nach ähnlichen Straftatbestand. Artikel 70 – „Antisowjetische Agitation und Propaganda“ – des Strafgesetzbuches der RSFSR legte fest:
Mit „Freiheitsentziehung von sechs Monaten bis zu sieben Jahren oder mit Verbannung von zwei bis zu fünf Jahren“ wird die „Verbreitung verleumderischer Unwahrheiten, welche die sowjetische staatliche und gesellschaftliche Ordnung in üblen Ruf bringen“, bestraft.
Auch die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ kennt gesellschaftsschädigende Unwahrheitsäußerungen. Dort heißt es in Artikel 12a:
„Nicht erlaubt ist die Verbreitung von Unwahrheit und die Veröffentlichung dessen, was der Verbreitung der Schamlosigkeit oder Schwächung der Umma dient: ‚Wenn die Heuchler und diejenigen, die in der Stadt Unruhe stiften, nicht aufhören, werden wir dich bestimmt veranlassen, gegen sie vorzugehen, und sie werden dann nur (noch) kurze Zeit in ihr deine Nachbarn sein. Ein Fluch wird auf ihnen liegen. Wo immer man sie zu fassen bekommt, wird man sie greifen und rücksichtslos umbringen‘ (Koran 33, 60-61).“
Außerdem lohnt der Blick in die deutsche Vergangenheit: Der Nationalsozialismus schaffte das in der Weimarer Reichsverfassung geltende Recht auf freie Meinungsäußerung mit der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ ab. In § 9 (1) heißt es beispielsweise: „Periodische Druckschriften können verboten werden, wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden.“
Es dominiert das „gesunde Volksempfinden“
Das westliche Recht sanktioniert keine vermeintlichen oder tatsächlichen Unwahrheiten, die von Einzelpersonen verbreitet „der Gesellschaft“ schaden würden. Im Grundgesetz steht in Artikel 5: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (...) Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Auch wenn autoritäre Persönlichkeiten, etwa die Fans des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, nach dem die „Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung“ zu deren Entfernung führen solle, es gern anders hätten: Die Verbreitung von Lügen ist im westlichen Recht keine Straftat. Und was der Gesellschaft schadet, ist eine politische und keine juristische Frage.
Sollte der aktuelle Kampf um die Meinungsfreiheit verloren werden und sich das „chaotische, aber freiheitliche und kosmopolitische Nach-Wende-Deutschland“, wie es Maxim Biller befürchtete, schlussendlich in einen „halbtotalitären Misthaufen“ verwandeln – dieser Misthaufen würde ausreichend autoritäres Personal beim Öffentlich-Rechtlichen finden: Wo man davon lebt, sich im Gemeinschaftauftrag gegen mündige Bürger durchzusetzen, liegen Blamagen wie diese in der Natur der Sache. Das Rechtsverständnis, das den Zensurmaßnahmen offenbar zugrunde liegt, zeigt vor allem eines: Der völkische Ungeist, den der GEZ-Rundfunk vor allem bei AfD-Wählern feststellt, weht bisweilen durch die eigenen Redaktionsstuben. Was kommentiert werden darf und was nicht, darüber entscheidet im Zweifel das „gesunde Volksempfinden“ eines Social-Media-Redakteurs.