Felix Perrefort / 17.07.2019 / 14:00 / Foto: achgut.com / 28 / Seite ausdrucken

ZDF heute: Zensur nach „Volksempfinden“

Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Selbstverständnis auch nicht gerecht, ein verlässliches Medium zu sein, das objektiv und neutral informiert, beglücken seine Vertreter den Gebührenzahler immerhin mit einer ordentlichen Portion Unterhaltung – womit das verprasste Geld nicht völlig für die Katz ist. Und auch die Gag-Dichte kann sich sehen lassen:

Kurz nachdem die Haltungsjournalistin Anja Reschke allen Ernstes verkündete, die Panorama-Reporter auf der Sea-Watch 3 hätten mit Betreten des Bootes doch nicht wissen können, dass tatsächlich ein Notruf eingehen wird, teilte ein scheinbarer Rechtsexperte im Namen von „ZDF heute“ der interessierten Facebook-Gemeinde Folgendes mit:

„Wenn Sie gesperrt werden, haben Sie vorher bereits Verwarnungen erhalten. Überdies können Sie sich auch über die Zuschauerredaktion mit uns in Verbindung setzen, sollten Sie eine Sperrung als nicht gerechtfertigt ansehen. Das hat nichts mit der Beschränkung der Meinungsfreiheit zu tun. Diese endet übrigens nach den § 186 und § 187 StGb und § 5.2 BGB an dem Punkt, an dem bewusst unwahre Tatsachen behauptet werden und dadurch einem anderen Menschen oder der Gesellschaft Schaden zugefügt wird.“

Diese sonderbare Belehrung veranlasste einen Anwalt dankenswerterweise zu dem Hinweis, dass es im heutigen Recht der BRD letzteren Paragraphen genauso wenig gibt – gemeint war wohl Art. 5 Abs. 2 GG – wie den Tatbestand, „der Gesellschaft“ durch die Behauptung „bewusst unwahrer Tatsachen“ zu schaden. Mit dem Bauchgefühl des Social-Media-Redakteurs korrelieren allerdings durchaus historische und aktuelle Vorbilder.

Zum Schutze des Kollektivs

Im sowjetischen Recht, gab es einen dem Gehalt nach ähnlichen Straftatbestand. Artikel 70 – „Antisowjetische Agitation und Propaganda“ – des Strafgesetzbuches der RSFSR legte fest:

Mit „Freiheitsentziehung von sechs Monaten bis zu sieben Jahren oder mit Verbannung von zwei bis zu fünf Jahren“ wird die „Verbreitung verleumderischer Unwahrheiten, welche die sowjetische staatliche und gesellschaftliche Ordnung in üblen Ruf bringen“, bestraft.

Auch die „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ kennt gesellschaftsschädigende Unwahrheitsäußerungen. Dort heißt es in Artikel 12a:

„Nicht erlaubt ist die Verbreitung von Unwahrheit und die Veröffentlichung dessen, was der Verbreitung der Schamlosigkeit oder Schwächung der Umma dient: ‚Wenn die Heuchler und diejenigen, die in der Stadt Unruhe stiften, nicht aufhören, werden wir dich bestimmt veranlassen, gegen sie vorzugehen, und sie werden dann nur (noch) kurze Zeit in ihr deine Nachbarn sein. Ein Fluch wird auf ihnen liegen. Wo immer man sie zu fassen bekommt, wird man sie greifen und rücksichtslos umbringen‘ (Koran 33, 60-61).“

Außerdem lohnt der Blick in die deutsche Vergangenheit: Der Nationalsozialismus schaffte das in der Weimarer Reichsverfassung geltende Recht auf freie Meinungsäußerung mit der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ ab. In § 9 (1) heißt es beispielsweise: „Periodische Druckschriften können verboten werden, wenn in ihnen offensichtlich unrichtige Nachrichten enthalten sind, deren Verbreitung geeignet ist, lebenswichtige Interessen des Staates zu gefährden.“

Es dominiert das „gesunde Volksempfinden“

Das westliche Recht sanktioniert keine vermeintlichen oder tatsächlichen Unwahrheiten, die von Einzelpersonen verbreitet „der Gesellschaft“ schaden würden. Im Grundgesetz steht in Artikel 5: „(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. (...) Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Auch wenn autoritäre Persönlichkeiten, etwa die Fans des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, nach dem die „Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung“ zu deren Entfernung führen solle, es gern anders hätten: Die Verbreitung von Lügen ist im westlichen Recht keine Straftat. Und was der Gesellschaft schadet, ist eine politische und keine juristische Frage.

Sollte der aktuelle Kampf um die Meinungsfreiheit verloren werden und sich das „chaotische, aber freiheitliche und kosmopolitische Nach-Wende-Deutschland“, wie es Maxim Biller befürchtete, schlussendlich in einen „halbtotalitären Misthaufen“ verwandeln – dieser Misthaufen würde ausreichend autoritäres Personal beim Öffentlich-Rechtlichen finden: Wo man davon lebt, sich im Gemeinschaftauftrag gegen mündige Bürger durchzusetzen, liegen Blamagen wie diese in der Natur der Sache. Das Rechtsverständnis, das den Zensurmaßnahmen offenbar zugrunde liegt, zeigt vor allem eines: Der völkische Ungeist, den der GEZ-Rundfunk vor allem bei AfD-Wählern feststellt, weht bisweilen durch die eigenen Redaktionsstuben. Was kommentiert werden darf und was nicht, darüber entscheidet im Zweifel das „gesunde Volksempfinden“ eines Social-Media-Redakteurs.

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Max Wedell / 17.07.2019

Leider hat “ZDF heute” nicht auch den Paragraphen angegeben, der zur Lüge verpflichtet, wenn die Wahrheit der Gesellschaft schadet. In vielen ÖR-Programmen ist erkennbar, daß es ihn irgendwo geben muß, aber ich konnte ihn bisher noch nicht finden.

Marc Blenk / 17.07.2019

Lieber Herr Perrefort, die Fake news - Produzenten und Feinde der Meinungsfreiheit in den Redaktionsstuben der ÖR haben längst ihre Wahl getroffen, wo sie stehen. Und das ist nun wirklich nicht die Seite der Demokratie, die diese Agit Prop - Leute bevölkern… Die Demokratie in Deutschland wird nicht von außen oder von Seiten einer Fata Morgana - Rechten bedroht, sondern von innen. Danke auch, dass Sie vor einigen Tagen als Fundstück über einen antisemitischen Beitrag berichtet haben. Was in den ÖR zur Zeit abgeht, das haben sich damals nicht einmal die DDR Medien geleistet. Jedenfalls nicht das DDR Fernsehen. In den ÖR heute gibt es o gut wie keinen Journalismus mehr. Ich bin mir immer noch nicht darüber umfänglich schlüssig, wie es dazu kommen konnte.

Roland Müller / 17.07.2019

Wenn lügen eine Straftat wäre, müsste man Politiker in Deutschland mit der Lupe suchen.

Enrique Mechau / 17.07.2019

Die Demokratie und Meinungsfreiheit endete in diesem Land an dem Tag an dem Adenauer befahl dass Bonn Bundeshauptstadt wird! Das die verbreitung von Lügen nicht unter Strafe steht sehe ich jeden Tag in der Zeitung und im Fernsehen. Es wimmelt nur so von könnte, hötte, würde etc. Keine der Behauptungen wird bewiesen, immer nur Hinweise auf irgendwelche Forscher, Spezialisten oder sogenannten “Experten” für Alles und Nichts von denen jeder Sender eigene hat. Meinungsfreiheit in diesem Land ist und war immer nur was der “gesunde Menschenverstand” (meist schon todkrank) und die “Obrigkeit” (meist schon faschistisch verseucht) darunter versteht/verstand. Diese Politbagage in Berlin, Brüssel und Anderswo braucht nicht über vergangene Regime herzuziehen; diese haben auch vor jeder Sauerei ein “GESETZ” gemacht und meinten das sei dann alles legal; mag sein aber Legitim war es nicht!

Heiko Engel / 17.07.2019

Hatte vor Wochen bereits vorgeschlagen, die effektiven Nutzer und Freunde der Achse zu einem kollektiven GEZ - Boykott anzuregen, um dort einmal generelles Aufwachen zu ermöglichen. Dürfte ich um zeitnahe Prüfung bitten. Sind uns, zumindest wenn es um dieses leidige Thema geht, grundsätzlich doch einig, oder ??? Möchte nicht in 15 oder 20 Jahren erleben, nach dem der Wagen in der Wand versenkt wurde, mit der Frage konfrontiert zu werden: „ Warum habt Ihr nichts gegen diesen linken Faschistenmob unternommen ?“  „Durftet Ihr nicht oder habt Ihr Euch nicht getraut ?“

Andreas Rühl / 17.07.2019

Wenn Lügen strafbar wäre, wären alle Politiker im knast. Einige ohne Chance, jemals wieder auf Bewährung rauszukommen.

Hans Walter Müller / 17.07.2019

Ich denke, überall wird gefordert, dass die dahinterstehende Person eindeutig identifizierbar sein muss. Warum können solche Aussagen, wie sie das ZDF-heute macht, fast völlig anonym abgegeben werden. Das schreibt doch nicht das “ZDF”, sondern irgendeine Person gibt dazu den Auftrag. Und um die belangen zu können ist ein eindeutig zuordenbarer Name erforderlich. Ich bin sicher, dass mancher “Blödsinn” bzw. manche unwahre Behauptung nicht “herausgehauen” würde, wenn jemand mit seinem Namen dafür stehen muss (gilt nicht für Politiker, die z.T. Narrenfreiheit beim Twittern etc. haben und sich trotz persönlichem Account oft dahinter verstecken, dass ihr “Team” den Tweet oder die Nachricht abgesetzt hat). Wenn jemand z.B. bei ZDF eindeutig dafür identifizierbar wäre, müssten bei nachweisbaren Falschbehauptungen der verantwortliche Mitarbeiter oder auch sein Vorgesetzter die “Verantwortung” übernehmen - mit allen Konsequenzen (von einfacher “Bitte um Entschuldigung” bis hin zu straf- und zivilrechtlich). Den Tweet oder die Nachricht einfach zu löschen darf nicht gelten - man muss schon persönlich dazu stehen was man sagt, schreibt oder tut. Ich bin überzeugt, wenn jemand damit rechnen muss, dass seine Ergüsse auch noch nach Jahren existent sind, kehrt mehr sorgfalt ein (Ironie on: gilt wiederum nicht für Politiker - s. Zitat, das K. Adenauer zugeschrieben wird: “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern”).

Georg Dobler / 17.07.2019

Ich bin sprachlos. Wieso erheben sich keine Stimmen? Warum werden nur die Bürger der ehemaligen DDR hellhörig? Es kann doch nicht sein dass eine Mehrheit der “Wessis” einfach schweigend zuschaut. Wo wird das enden?

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