Youtube-Zensur für Reitschuster: Moskau holt ihn ein

Der Youtube-Kanal des auch aus der Bundespressekonferenz bekannten Journalisten Boris Reitschuster wurde für eine Woche gesperrt, nachdem er von der Corona-Demo in Stuttgart berichtet hat und dort verschiedene Interviews führte. Diese unverhohlene Zensur erinnert ihn an seine Zeit in Moskau und ist eine Schande für unsere Demokratie. So etwas kann früher oder später jeden von uns treffen – es ist nur eine Frage der Zeit. Deshalb stellen wir Boris Reitschuster hier diesen Platz zur Verfügung. Andere Medien üben sich derweil schadenfroh im „Silent Treatment“. Kollegiale Solidarität? Weitgehend Fehlanzeige. Hier sein Bericht:

Mir ist nicht mehr geheuer, was in diesem Land passiert. Ich habe 16 Jahre in Russland gelebt und gearbeitet, in einem autoritären System. Ich habe dort Schlimmes erlebt. Aber ich habe mich dort nie einer Zensur unterworfen gesehen wie heute hier im selbsternannten „besten Deutschland aller Zeiten“. Selbst im russischen Staatsfernsehen konnte ich das System Putin als korrupt kritisieren. Ich wurde dabei überschrien, es war höchst unfair, aber ich konnte sagen, was ich wollte, und es wurde nicht zensiert. Könnte ich heute in ARD oder ZDF Merkel kritisieren?

Anders als in Putins gesteuerter Demokratie und Medienwelt, in der ich als Ausländer natürlich auch privilegiert war, muss ich mir heute in Deutschland jedes Wort dreimal überlegen, wenn ich etwa meine Videos für Youtube mache. Schlimmer noch: Jedes Wort eines Interview-Partners kann zu schwerwiegenden Folgen für mich führen. Vorgestern tat ich das, was für einen Journalisten selbstverständlich ist: Ich übertrug live von der Corona-Maßnahmen-Gegner-Demonstration in Stuttgart. Presse-Alltag. Wenige Stunden später war das Video gelöscht und mein Kanal mit 218.000 Abonnenten gesperrt. Für eine Woche. Mit einem Interview mit Fußball-Weltmeister Thomas Berthold, das ich am Rande der Demonstration aufzeichnete, ging ich auf einen zweiten Kanal. Kein einziger Zuschauer konnte das Video zu Ende ansehen: Es wurde mitten in der Premiere gelöscht.

Die Pressefreiheit in Deutschland wird im Stundentakt erdrosselt. Nicht einmal einen halben Tag nach den beiden Zensur-Fällen wurden beide Beschwerden von mir dagegen zurückgewiesen. Die Tragweite der Entscheidung ist erheblich: Damit kann ich etwa meinen Abonnenten diese Woche nicht von der Bundespressekonferenz berichten. Es ist ganz egal, wie man zu den Corona-Maßnahmen steht, ob man rechts oder links, konservativ oder liberal ist, ob man meine Arbeit mag oder nicht: Jeder aufrichtige Demokrat müsste angesichts solcher Zensur seine Stimme erheben, aufstehen und protestieren. Was geschieht stattdessen? Im besten Fall Wegducken, im schlimmsten Schadenfreude über und Applaus für die Youtube-Zensur auf Twitter. Nichts könnte besser verdeutlichen, wie weit unsere Gesellschaft von den Idealen einer freiheitlichen Demokratie abgedriftet ist in Richtung Meinungs-Totalitarismus.

„Ich garantiere völlige Freiheit beim Reden, allerdings nicht danach.“

Neben Bösartigkeit sind Dummheit und Naivität dabei wichtige Wegbegleiter der neuen Zensoren: Youtube habe doch ein „Hausrecht“, ist immer wieder zu hören. Und man könne doch anderswo seine Meinung sagen. Das ist absurd: Zum einen ist Youtube als Quasi-Monopolist laut deutscher Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden – also auch an das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Zum anderen ist der Verweis auf andere Wege so absurd, als wenn ein Diktator Verlegern sagt, sie dürften zwar ihre Zeitung nicht mehr in den Druckereien drucken lassen, weil die das alle ablehnen als Privatunternehmer, aber sie könnten sie schließlich auf Papier schreiben. Oder Radiosender einen Lautsprecher statt Radiofrequenzen nutzen. Viele in Deutschland scheinen nicht den feinen Unterschied in Sachen Meinungsfreiheit zu erkennen, den der Diktator Idi Amin einst so definiert haben soll: „Ich garantiere völlige Freiheit beim Reden, allerdings nicht danach.“

Ebenso erschreckend wie die Zensur selbst ist, wie viele Menschen sie nicht einmal verstehen. Und der Nebelgranate auf den Leim gehen, es seien doch Privatfirmen, die da agieren. Sind es. Aber kann eine Telefongesellschaft die Inhalte von Telefonaten zensieren? Der Staat hat die sozialen Netzwerke unter Druck gesetzt, zu zensieren. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde sogar in der russischen Duma als Vorbild angeführt. Unser Staat hat bei der Einführung von autoritären, demokratiefeindlichen Schritten das Outsourcing eingeführt. Kritische Meinungen? Darf man haben! Aber wenn man sie verbreitet, droht eine Sperre, faktisches Reklame-Verbot (siehe dazu auch hier) und dergleichen. Einschränkungen für Nicht-Geimpfe? Würde der Staat nie machen! Aber wenn es die Firmen tun ... Restaurant-Verbote, Rausschmisse aus Banken für Andersdenkende? Nicht der Staat macht das bei uns, sondern formell private Firmen. Und der Staat schafft die Atmosphäre, in der diese privaten Firmen das tun, ja beinahe tun müssen.

Unfreiheit und autoritäre Mechanismen schleichen sich immer durch die Hintertür ein. Während die deutsche Gesellschaft auf die Gewaltherrschaft des Dritten Reiches fixiert ist mit ihren Schrecken, ist sie völlig blind geworden für die Untergrabung der Demokratie durch die Hintertür. Nicht á la Orwell mit offener Unterdrückung, sondern so, wie es Huxley vorhersagte: Dass die neuen Diktaturen nicht auf Gewalt bauen werden, sondern darauf, das Denken der Menschen zu manipulieren. Nur daraus lässt sich die fast schon panische Angst vor anderen Meinungen erklären, das Abschalten von Videofilmen noch während der Premiere, das Abschmettern von Beschwerden binnen Stunden. In freiheitlichen Demokratien wäre das undenkbar. Sie hätten es vor allem gar nicht nötig. Wie viel muss ein Staat zu verbergen haben, wenn er sich genötigt sieht, so eine Atmosphäre der Angst und der Zensur zu schaffen?

Die Geschichte zeigt: Die, die zensierten, hatten eher selten recht. Und gingen noch seltener als die "Guten" in die Geschichte ein. Da, wo zensiert wurde, war der Zusamenbruch der jeweiligen Systeme immer eine Frage der Zeit. Doch leider ist das keine gute Nachricht: Denn egal wie abgewirtschaftet ein System sein mag – ein Zusammenbruch ist nie erbaulich. Und wie die Geschichte der Sowjetunion zeigt, kann es zudem auch Jahrzehnte dauern, mit einer ewigen Phase des Dahinsiechens. Damals haben Leute ihr Leben und ihre Freiheit riskiert für den Kampf gegen die Unfreiheit. Heute müsste man eigentlich gar nicht so viel riskieren. Es wäre die Sache wert.

 

Nachtrag: Boris Reitschuster ist derzeit noch auf einem Ersatzkanal auf Youtube zu erreichen, seine Webseite finden Sie unter Reitschuster.de

Foto: B.Reitschuster

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Leserpost

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Sigrid Leonhard / 05.04.2021

“Die Geschichte zeigt: Die, die zensierten, hatten eher selten recht” Erstens das. Und zweitens verstehe ich nicht, dass das nicht jeder versteht. Und drittens verstehe ich nicht, wie es sein kann, dass so viele dabei mitmachen. Nicht-Dagegen-Sein ist auch Mitmachen.

G.Lindner / 05.04.2021

Auch Soziale Netzwerke machen gerade ihre Transformation zu asozialen Netzwerken durch, Dank ihrer Manager mit rasender Geschwindigkeit . Und eins ist Fakt,  je größer der Haufen, um so asozialer mit steigender Geldgier auch mancher Teilnehmer. Leider merken das viele Teilnehmer nicht weil sie sich für besonders intelligent halten , wie weit sie abgesunken werden. Da kann keiner mit Mitleid rechnen , man ist ja noch Bestandteil dieser Netzwerke. Jeder hat es selbst in der Hand als asozialer betrachtet zu werden.

Matthias Kaufmann / 05.04.2021

“... Zensur FÜR Reitschuster”? Zensur GEGEN ihn! Und gegen den mündigen Bürger und Leser! China wird von der Staatsmacht und den Aktivisten in den Medien (ehemals Journalisten) immer als abschreckendes Beispiel genannt. In Wahrheit ist es ihr großes Vorbild, mit “privaten” Handlangern in Unternehmen und Antifa für die Drecksarbeit.

S.Schleizer / 05.04.2021

Danke an die Herren Broder und Maxeiner für diesen wichtigen Akt der kollegialen Solidarität. Alle anderen Medien sollen sich schämen! Sie sind die Nächsten.

Marion Sönnichsen / 05.04.2021

Das Problem ist, die Mehrheit der Bevölkerung kriegt solche Zensuren nicht mit. Würden sie es mitbekommen, wäre das Wahlverhalten ein anderes. Die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz signalisierten der Bundesregierung, den Länderregierungen und den regierungstreuen und nicht mehr unabhängigen Medien: Weiter so!  Und das machen diese natürlich dann auch. Wie erreicht man große Teile der Bevölkerung? Über Mund-zu-Mund Information beispielsweise. Ob das Kommentare im Netz sind oder das Sprechen beim Bäcker, im Lebensmittelladen, im Freundes- und Bekanntenkreis ist egal. Mein Hinweis: Auf Politiker wie Helmut Schmidt oder Klaus von Dohnanyi verweisen, die sich immer für die Unabhängigkeit von öffentlich-rechtlichen Medien eingesetzt haben. Die Politik von einst, das kennen die Leute noch. Hier ein Beispiel: „Ungarn in den Medien 2010 – 2014, Kritische Reflexionen über die Presseberichterstattung, Klaus von Dohnanyi, Gelenscér, Ágnes et. al. (Seite der deutsch-ungarischen Gesellschaft). Das regt Menschen zum Denken an. Wir haben keine andere Wahl, zu überlegen, wie man „Lieschen Müller“, die kein Boris Reitschuster liest, sondern die Bild-Zeitung, erreicht und zwar in einer Sprache, die „Lieschen Müller“ auch versteht. David muss sich etwas einfallen lassen, um gegen Goliath zu gewinnen.

beat schaller / 05.04.2021

Ein Trauerspiel bei dem man klar sieht, dass Monopolisten keine Vielfalt dulden. Staats-TV und die Bundesregierung sind die besten Beispiele neben YouTube Twitter Fakebook und Co. Dass eine solche Berichterstattung wie sie hier gemacht wird, den Weg nicht zum Verbraucher führen kann, das ist beschämend. Wenn das so ist, dann haben wir das Recht, dagegen zu demonstrieren , dagegen aufzustehen und uns zu wehren. Die Regierung solle endlich echt Angst bekommen, was sie sich selber einbrockt mit ihrem undemokratischen Verhalten. Es wäre bestimmt besser, vernünftige Einsichten zu bekommen, bevor ihnen alles um die Ohren fliegt. Auch der Bundestag selbst ist keine Festung und hat Ein- und Ausgänge. Ich hoffe immer noch, dass es möglich ist, ein einigermassen friedliches “Kippen” zu erreichen. Wir sollten aber unbedingt daran denken, dass mittlerweile viele Leute schon viel zu viel verloren haben. Genau das könnte am Ende der Zunder sein, der zu Flächenbränden führen könnte. b.schaller

Heiko Stadler / 05.04.2021

Bereits gestern habe ich, Herr Reitschuster, Ihr Video gesehen, in dem Sie diesen Youtube-Skandal beschreiben. Ihr Viedeo stand in meinem Browser ganz oben an erster Stelle. Es dürfte ein kleiner Trost für Sie sein, dass es hohe Aufmerksamkeit erregt, wenn sich die zwielichtige Schmuddelfirma Alphabet/Google/Youtube wieder einmal einem totalitären Regime andient und Artikel 5 des Grundgesetzes mit Füßen tritt. Keine Angst, Herr Reitschuster, Ihre Zuschauer bleiben Ihnen treu - jetzt erst recht - und es werden immer mehr. Machen Sie weiter, Herr Reitschuster, Sie leisten großartige Arbeit! . . .  Zum Thema “Hausrecht” von Youtube: Youtube ist eine technische Plattform und sonst nichts, vergleichbar mit einem E-Mail-Provider. Man stelle sich einen E-Mail-Provider vor, der die Mails seiner Kunden liest und dann Einige weiterleitet, Andere löscht. Oder einen Briefträger, der alle Briefe öffnet und nur die Briefe zustellt, die ihm gefallen.

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