Joachim Nikolaus Steinhöfel / 11.07.2021 / 16:45 / 36 / Seite ausdrucken

YouTube muss 100.000 Euro wegen Löschung zahlen

Die Löschung eines Beitrags zu Covid-19 hielt das Oberlandesgericht Dresden nicht für rechtmäßig und ordnete die Rücknahme an. Weil YouTube dem nicht sofort nachkam, wurde ein Ordnungsgeld verhängt.

Auf den ersten Blick mutet es sicher merkwürdig an, wenn jemand behauptet, totalitäre Regime hätten Einfluss auf die Ausübung von Grundrechten in Deutschland, insbesondere auf die Meinungsfreiheit. Blicken wir auf Fakten:

„YouTube hat angekündigt, zahlreiche vermeintlich medizinische Inhalte zum Coronavirus zu löschen. Dabei geht es um Fehlinformationen über die Verbreitung und Behandlung von Covid-19, die den offiziellen Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) widersprechen,“ berichteten zahlreiche Medien im April 2020. Die YouTube-Chefin Susan Wojcicki erklärt dies damals in einem Interview mit CNN. Das kategorische Verbot, eine medizinische These zu vertreten, die nicht von der WHO gebilligt wurde, ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Wissenschaftsfreiheit, gegen die Meinungsfreiheit und gegen die Pressefreiheit.

Die WHO ist eine Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen sind ein wichtiges Organ, ihre Mitglieder sind aber zu einem großen Teil keine Demokratien. Nach dem „Demokratie-Index“ der britischen Zeitschrift „Economist“ sind mehr als ein Drittel der Mitglieder der UN autoritäre Regime, mit Hybridregimen bezieht sich der Anteil an den UN-Mitgliedern auf deutlich über 50 Prozent, vollständige Demokratien sind in der Minderheit. Die (wissenschaftlichen) Positionen einer Koordinationsbehörde der Vereinten Nationen, deren Mitgliedermehrheit nicht demokratisch legitimiert ist, kann nicht der Maßstab für die Reichweite der Grundrechte in einem demokratischen Rechtsstaat sein. Dies würde nicht mehr und nicht weniger bedeuten, als dass autoritäre Regime jedenfalls mittelbar ein wesentliches Mitspracherecht bezüglich dessen haben, was in Deutschland erlaubt ist und was nicht. Soweit die „Richtlinien“ von YouTube maßgeblich wären.

Fraglos hat die Aluhutdichte in den sozialen Medien mit Beginn der Pandemie drastisch zugenommen. Strafbare und falsche Inhalte dürfen dann gelöscht werden, es gibt kein Grundrecht dafür, Falschbehauptungen zu verbreiten. Aber die unverrückbare Grenze setzt die Meinungsfreiheit.

Spürbare Konsequenzen

Den Lösch-Tsunami bei YouTube in Zusammenhang mit Covid haben viele mittelbar oder unmittelbar miterlebt. Es genügte oft, dass Covid erwähnt wurde oder der Name eines Wissenschaftlers, dessen Thesen hier und da unpopulär waren und schon war die Verwarnung da, dann die zweite und dann war der Kanal weg. Ebenso wäre es auch einem Kanalbetreiber aus der Nähe von Chemnitz ergangen, der eine aufwendig produzierte Reportage über eine Demonstration gegen die „Corona-Maßnahmen“ aus dem Kanton Schwyz veröffentlichte. Journalisten berichten über Ereignisse und machen sich den Gegenstand der Berichterstattung nicht zu eigen. Wenn „Spiegel-TV“ die Reichsbürger interviewt, macht sich der Reporter die Thesen des Interviewpartners nicht zu eigen. Dass man so etwas überhaupt erwähnen muss, liegt daran, dass YouTube das 25-minütige Video wegen einer 5-sekündigen Äußerung eines interviewten Demonstranten löschte („Die WHO hat doch gesagt, Covid sei wie die Grippe, oder?“). Zu zeigen, wie Menschen denken und argumentieren, ist originäre Aufgabe des Journalismus.

Das Landgericht Chemnitz allerdings bewertete die Löschung gerechtfertigt, das Oberlandesgericht Dresden verbot sie mit einstweiliger Verfügung. Das war am 20. April 2021 und es dauerte bis zum 14. Mai 2021, bis das Video bei YouTube wieder online war.

Das hatte jetzt spürbare Konsequenzen. Wird ein gerichtliches Verbot, hier die einstweilige Verfügung, verletzt, kann ein Ordnungsmittelantrag gestellt werden. Das Ordnungsgeld kann bis zu € 250.000,00 betragen, auch Ordnungshaft bis zu sechs Monaten ist möglich. In der Praxis sind die Ordnungsgelder häufig niedrig, Beträge im sechsstelligen Bereich Ausnahmen.

Dass gerichtliche Verbote ohne Wenn und Aber einzuhalten sind, leuchtet jedermann ein, der die Grundregeln eines demokratischen Rechtsstaats akzeptiert. YouTube allerdings wähnt sich offenbar über dem Gesetz. Und teilte dies dem Oberlandesgericht in dem Ordnungsmittelverfahren dann auch noch mit:

„Die Schuldnerin [YouTube] hatte daher die jeweiligen Konsequenzen der Entscheidung des OLG Dresden und ihre Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen, bevor sie das Videomaterial für den Abruf durch Dritte wieder bei YouTube einstellte.“

Richtungsweisendes Ordnungsgeld

Wir haben darauf erwidert:

„Die Schuldnerin unterstreicht damit erneut ihre Einschätzung, dass sie sich über die unbedingte Beachtung eines gerichtlichen Verbots erhaben wähnt und dies ihrem eigenen Ermessen unterordnet. Der Senat wird diese Haltung zu bewerten haben.“

Und das hat der Senat dann auch getan und ein in dieser Höhe für Löschungen oder Sperrungen auf sozialen Netzwerken noch nie verhängtes – und damit historisches und richtungsweisendes – Ordnungsgeld verhängt. In dem Beschluss des 4. Zivilsenats heißt es:

„Vor dem Hintergrund ist in der Zuwiderhandlung ein vorsätzlicher und – aufgrund der Zeitdauer – auch schwerer Verstoß seitens der Verfügungsbeklagten gegen die Unterlassungsverfügung zu sehen, der – auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Verfügungsbeklagten – die Verhängung eines deutlich höheren Ordnungsgeldes als vom Landgericht angenommen rechtfertigt. Nachdem es sich jedoch auf der anderen Seite um den Erstverstoß seitens der Verfügungsbeklagten handelt, hat der Senat davon abgesehen, das Ordnungsgeld auf den Höchstbetrag festzusetzen, sondern hält im Ergebnis der Gesamtabwägung die Verhängung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 100.000,00 € (noch) für ausreichend.

Sollte das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden können, tritt an dessen Stelle Ordnungshaft.“

Das Verfahren war für den Kanalbetreiber überhaupt nur möglich, weil dieser einen Sponsor hatte, der nicht genannt wird, der die Kosten übernahm, die von YouTube nur nach Gebührenordnung (und damit nicht in der für diese Verfahren erforderlichen Höhe) zu erstatten sind. Ohne diesen Sponsor wäre das Video nicht nur gelöscht geblieben, sondern der Kanal vermutlich mittlerweile auch. Dies gehört zur Wahrheit dazu.

Es sind weitere Ordnungsmittelverfahren gegen Facebook und YouTube anhängig. Die „Welt“ hat online berichtet, der „Spiegel“ ebenfalls. In der Print-Ausgabe der „WAMS“, die ausführlich über diesen Fall berichtet, wird ein an der TU Dortmund tätiger Professor für Medienrecht wie folgt zitiert:

„Grundrechte kann man gegenüber Unternehmen grundsätzlich nicht geltend machen.“

Ich ärgere mich, wenn Personen sich zu diesem Thema äußern, denen es insoweit an der nötigen Sachkunde mangelt. In einer Facebook betreffenden Entscheidung – nur ein Beispiel – hat der Bundesgerichtshof schon im Juni 2020 erkannt (Beschl. v. 23.6.2020 – KVR 69/19):

„Je nach den Umständen, insbesondere wenn private Unternehmen – wie hier – in eine dominante Position rücken und die Bereitstellung schon der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation selbst übernehmen, kann die Grundrechtsbindung Privater einer Grundrechtsbindung des Staats im Ergebnis vielmehr nahe- oder auch gleichkommen.“

Übrigens: Das Ordnungsgeld ist nicht steuerlich abzugsfähig.

Der Beitrag erschien zuerst hier auf steinhoefel.com

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Gabriele Klein / 11.07.2021

Finde es schade, dass wer bei YouTube Anzeige erstattet nicht ins Rampenlicht tritt. Als die Rechtsprechung noch nicht outgesourced wurde, und jemand Anzeige erstattete weil ihn d. Nachbarn Nase störte, wurde der Name des Anzeigenden von den Behörden in der Regel sogar unaufgefordert an den Angezeigten übermittelt bis auf ganz wenige Ausnahmefälle. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen warum wir nicht wissen dürfen wer genau z.B. bei Correctiv Anzeige erstattet auf dass Correctiv wiederum Anzeige bei YouTube erstatte.  Sowas was wir hier haben kenne ich nur von Hochkulturen der Denunziation wie z.B. dem Dritte Reich oder der DDR deren Grauen wesentlich durch d. Anonymität der jeweils “Federführenden ” ermöglicht wurde, daher auch die vielen geschredderten Akten der Stasi die man einfach nicht schafft zusammenzufügen. Also wer immer sich hinter den vielen Aktionen von “Correctiv”  oder den you tube Zensuren verbirgt muss schon ein sehr lichtscheues Geschöpf sein das nichts mehr fürchtet als das Rampenlicht. Warum eigentlich?

Heinrich Hein / 11.07.2021

Herzlichen Glückwunsch, Herr Steinhöfel. Und zugleich noch dem Herrn Professor an der TU gezeigt, dass er nur Theoretiker ist. Toll.

Gerald Glanert / 11.07.2021

Gut , daß es so ein Urteil gibt !  Die Höhe der Geldbuße dürfte aber erst ab 100Millionen anfangen zu jucken ?

Gabriele Klein / 11.07.2021

Was für eine Blamage für dieses Land mit seinen 80 Millionen Einwohnern u. vor allem seine Regierung, dass die freiheitliche Grundordnung und dazu gehört auch die von der Verfassung gewährte Meinungsfreiheit so gut wie nur noch durch Betreiben einem einzigen Anwalt teils zustandekommt   Was wenn dieser eine Anwalt jetzt nicht wäre?Wo sind die andern?

Bernd Michalski / 11.07.2021

“es gibt kein Grundrecht dafür, Falschbehauptungen zu verbreiten” … keine Ahnung, wie das genau gemeint ist, aber es ist doch schon eine etwas schräge Feststellung. In jeder Debatte über etwas, das nicht endgültig geklärt ist, muss es zwangsläufig – vereinfacht und idealtypisch gesagt – eine Seite geben, die richtig liegt, und die andere falsch. Wenn die letztere kein Recht hat, an der Debatte teilzunehmen, gibt es auch keine Debatte, oder? Wer entscheidet, ab wann eine Frage “endgültig” geklärt ist, und dann dogmatisch außerhalb jeder Diskussion gestellt wird? Sorry, aber Meinungsfreiheit muss auch bedeuten, dass man kompletten Blödsinn von sich geben kann. Und genau so funktioniert ja auch die politische Debatte der MSM: das meiste ist m.E. kompletter Blödsinn. Aber ich würde es gleichwohl nicht verbieten wollen. Ich weiß auch nicht wirklich, was der polemische Seitenhieb gegen die “Aluhüte” soll. Die Beklopptendichte in den offiziellen Medien ist m.E. mindestens so hoch. Auf den diversen Plattformen findet sich deutlich mehr common sense, gerade deswegen: weil er auf den etablierten Kanälen keine Chance mehr hat. Selbst ein Alex Jones sagt mehr und häufiger die Wahrheit als CNN oder MSNBC, um das amerikanische Beispiel zu bemühen.

Wolf Hagen / 11.07.2021

Schöner Erfolg, Herr Steinhöfel, aber leider tun 100.000 Euro YouTube, bzw. dem Mutterkonzern Google, nicht weh. Das zahlen die aus der Portokasse. 100 Millionen Euro würde YouTube/Google schon eher bemerken.

Martin von Hermanni / 11.07.2021

Youtube und Twitter setzen mit der Zensur nur die über Gesetzgebung (NetzDG in der EU und in den USA wird es sicher ähnliches geben) und vermutlich informell sehr deutlichen Forderungen der Regierungen um. Dass die Wünsche von Regierungen gegen (noch) geltendes Recht verstossen, ist nicht ungewöhnlich. Aber das ist doch nur eine Frage der Zeit, bis die Widersprüche entweder ausgeräumt, oder noch der letzte Richter verstanden hat, was erwartet wird (siehe etwa DDR).

j. heini / 11.07.2021

Die Äußerung von youtube nach dem Urteil schießt den Vogel ab.

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