In Bremen hat die konservative Wählervereinigung „Bürger in Wut“ gute Chancen, in Fraktionsstärke in die nächste Bremische Bürgerschaft einzuziehen. Aktuelle Wahlumfragen von ARD und ZDF sehen sie jeweils bei 9 Prozent. Klar, dass das nicht jedem Bremer Linken schmeckt.
Am 14. Mai 2023 finden im Land Bremen Wahlen zum dortigen Parlament, der Bremischen Bürgerschaft, statt. Für konservative Bremerinnen und Bremer eine schwierige Wahlentscheidung, suchen sie die Bremer AfD doch vergeblich auf dem Stimmzettel. Das Warum wirft ein Schlaglicht auf Bremens selbsternannte Alternative: Schafften es nämlich zwei sich über ihre Legitimität streitende Landesvorstände allen Ernstes, zwei konkurrierende Kandidatenlisten beim Wahlleiter einzureichen. Logisch, dass dies nicht wahlrechtskonform ist und so auch inzwischen der letzte AfD-Eilantrag zur nachträglichen Zulassung zur Wahl vor Gericht zwangsläufig scheitern musste.
Da sich die Bremer AfD also selbst ein Bein gestellt hat, stehen Bremens Konservative nun vor der Frage, wen sie jetzt eigentlich wählen sollen. Eine Option könnte die Wählervereinigung „Bürger in Wut“ sein, die seit 2007 zunächst erfolgreich Politik in der zum Land Bremen gehörenden Exklave Bremerhaven machte und mittlerweile im ganzen Bundesland als konservative Kraft wirkt. So ihr langjährige Einzelabgeordnete Jan Timke, der dafür schon bis vor den Bremer Staatsgerichtshof zog und im Kampf um eine Stärkung der Rechte der Bürgerschaftsabgeordneten einen Sieg gegen den damaligen rot-grünen Senat errang.
Konservative „Bürger in Wut“ bei 9 Prozent
Der Polizeivollzugsbeamte Timke, der bereits viermal über den Wahlbereich Bremerhaven in die Bürgerschaft gewählt worden ist, präsentiert sich heute wieder als Spitzenkandidat in der selbsterklärten Seestadt. Als Frontmann für die Stadt Bremen konnte die Wählervereinigung den ehemaligen AfD-Bundesschatzmeister Piet Leidreiter gewinnen, der dereinst den für die AfD lukrativen Gold-Shop erfand, und schon von 2015 bis 2019 in der Bürgerschaft saß. Zunächst für Luckes AfD und dessen Nachfolgepartei ALFA/LKR, später als Teil einer dreiköpfigen BIW-Gruppe. Verstärkt wird das Kandidatenteam zudem prominent vom Bremer BILD-Reporter Holger Fricke, was sodann die Springer-kritischen Übermedien in Aufruhr versetzen sollte.
Im Wahlkampf plakatiert die Wählervereinigung Themen, die Konservativen in der Heimat der vier tierischen Stadtmusikanten unter den Nägeln brennen. Sei es die rot-grün-dunkelrote Politik gegen das Auto, bei der sich der Senat im Jahr 2030 gar in einer autofreien Innenstadt wähnt. Sei es die grassierende Jugendkriminalität, bei der Raubüberfälle, sogenannte Antanzdelikte oder auch Einbrüche im Wesentlichen auf das Konto mehrerer Gruppen von minderjährigen Ausländern gehen. Oder seien es die Sprachverbote, die sich immer wieder im Canceln von Veranstaltungen manifestieren. Achgut.com-Autorin Birgit Kelle kann hiervon ein Lied singen, wurde doch im August 2022 ihr Vortrag in der Hansestadt abgesagt, nachdem ein Bremer Blog sie zuvor denunziert hatte.
Nicht nur personell und inhaltlich schöpft die Wählervereinigung aus dem Vollen. Das unlängst neuentstandene „Bündnis Deutschland“, eine Kleinpartei, gegründet von ehemaligen AfD- und CDU-Politikern sowie verschiedenen konservativen Gruppen, will künftig mit den „Bürger in Wut“ kooperieren und unterstützt deren Wahlkampf mit 300.000 Euro. Was mit dem Budget der Bremer Grünen vergleichbar ist, so der Weser-Kurier. Mit diesem finanziellen Background hat die bislang überwiegend in Bremerhaven reüssierende Wählervereinigung nun sogar im Bremer Stadtgebiet eine reelle Chance, die 5-Prozent-Hürde zu überspringen und damit in Fraktionsstärke in die Bremische Bürgerschaft einzuziehen. Aktuelle Wahlumfragen von ARD und ZDF sehen sie bremenweit jeweils bei 9 Prozent. Von solchen Werten konnte die Bremer AfD bis dato nur träumen. Lag ihr bestes Umfrageergebnis vor dem Wahlausschluss doch bei 7 Prozent.
Mit Linksjugend und Hitlerbart gegen Rechts
Und was noch ein Indikator für einen Wahlerfolg von Timkes und Leidreiters Wählervereinigung ist: Selbst Bremens Linke haben nahezu vollständig ihr Interesse an der AfD verloren und machen mittlerweile keine Stimmung mehr gegen diese, sondern konzentrieren sich nunmehr auf die „Bürger in Wut“. Die linke Szene hat einen guten Riecher, wer im konservativen Milieu eine reale Gefahr für ihre Bestrebungen darstellt. Die Bremer AfD ist es definitiv nicht.
Ohne Konsequenzen ist dieser linke Wechsel des politischen Antagonisten jedoch ebenso wenig. Denn aktuell wird der Wahlkampf der Wählervereinigung immer wieder aktiv sabotiert. Beispielsweise am 1. April 2023, als eines ihrer Plakatier-Teams in Bremen angegriffen worden sei. Dokumentierten die „Bürger in Wut“ doch bei Facebook eine Reihe von Bildern, die zeigen, dass die Frontscheibe eines Auto eines Mitglieds des Wahlkampfteams, an dessen Fahrzeug BIW-Wahlplakate sichtbar angelehnt waren, durch einen großen Stein beschädigt wurde.
Neuerdings wird nicht einmal davor zurückgeschreckt, im Kampf gegen die „Bürger in Wut“ Hitler-Vergleiche zu bemühen. Wurden nämlich etliche Wahlplakate in Bremerhaven, die Spitzenmann Jan Timke abbilden, mit Zeichnungen und Texten versehen, die Timke als Adolf Hitler darstellen. So zum Beispiel mit dem Hitlerbart und den Slogans „Er kämpft für Rechts“ beziehungsweise „Er ist wieder da“ − ein Verweis auf den Roman gleichen Namens, in dem Hitler wiederaufersteht. Pikant für Bremens Linkspartei: Einen ebenfalls angebrachten Aufkleber ziert das Logo ihrer eigenen Jugendorganisation „Linksjugend solid“.
Bremerhavener Grüne verstehen keinen Spaß
Welche absurden Züge der „Kampf gegen Rechts“ im Bremerhavener Stammland der „Bürger in Wut“ annehmen kann, zeigt eine Provinzposse vom 21. April 2023. Ausgangspunkt war ein gemeinsames Selfie dreier lokaler Wahlkämpfer von BIW, CDU und Grünen, die sich seit Kindheitstagen kennen sollen. Das Foto wurde dann in sozialen Medien hochgeladen, mit dem Text: „Parteiübergreifender Wahlkampf in Wulsdorf. Wer fehlt? Die Arroganten von der SPD, die ruhen sich auf den Umfrageergebnissen aus“.
Dass die Bremerhavener SPD hierüber not amused war, versteht sich von selbst, weshalb sie angesichts des aktuellen Wahlkampfs dann mit deutlichen Worten reagierte. Oder besser: reagieren musste. „Die Bremerhavener Grünen und die CDU müssen eine Seite wählen – entweder man kämpft gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften gegen rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien und ihre menschenfeindliche Hetze, oder man macht sie hoffähig, wie es hier geschieht“, erklärte ihr Vorsitzender und ehemaliger Bremer Justizsenator Martin Günthner.
Übliches Wahlkampfgeplänkel eben: Wer einstecken muss, darf auch austeilen. So weit, so unspektakulär also. Doch den Vogel schossen die Bremerhavener Grünen ab. Sie veröffentlichten nach publik werden des Selfies ein Statement, in dem sich der grüne Wahlkämpfer (und Bürgerschaftskandidat!) von diesem gemeinsamen Foto „ausdrücklich distanzier[t]e“ und für den Eindruck, er „würde mit Rechtspopulist*innen gemeinsame Sache machen“, sogar explizit „entschuldig[t]e“. Die Sprecherin des Kreisvorstandes ergänzte dann noch, dass man „keinerlei Werte und Inhalte mit Rechten und Demokratiefeinden [teile]. Niemals werden wir uns mit einer Partei zusammenschließen, die von rechten Strukturen, Hass und Hetze geprägt ist und so unsere Demokratie immer wieder schädigt.“
All dies, und hier wird es endgültig brisant für die Bremerhavener Grünen, garniert mit einem Banner, in dem es heißt „Weltoffenheit. Toleranz. Vielfalt. Kein Platz für Nazis.“ Von einem gemeinsamen Spaß-Selfie dreier Lokalpolitiker eine Linie zum Nationalsozialismus zu ziehen, muss man auch erst einmal schaffen.
Dr. Dr. Marcus Ermler ist Mathematiker sowie Informatiker und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Logik, Graph Rewriting und Topologie. Darüber hinaus publiziert er über Antisemitismus und Antiamerikanismus jeder politischen Färbung.