Kein Tag vergeht, ohne dass nicht irgendwo in der deutschen Medienlandschaft eine der vielen Tausend Studien Wellen schlägt, die weltweit jährlich zu diversen Gesundheits-Risiken einer mal mehr, mal weniger überraschten Öffentlichkeit als wissenschaftliche Erkenntnisse angedient und von unseren mehrheitlich öko-hörigen Medien dann auch bereitwillig verbreitet werden. Radfahren macht impotent, Herzinfarkt durch Mittagsschlaf (man wollte herausgefunden haben, dass eine Stunde regelmäßigen Mittagschlafs das Herzinfarktrisiko für Männer um 50 Prozent erhöht), Vegetarier leben länger, Schokolade macht dünn, dicke Kinder sind doof, Kaffee beeinflusst Fruchtbarkeit (Frauen, die mehr als fünf Tassen Kaffee täglich trinken, sollen 11 Prozent länger brauchen, um schwanger zu werden), mediterrane Kost senkt das Diabetes-Risiko, und so weiter und so fort.
Auf der gesellschaftlichen Makroebene ist derzeit die Kohle der Lieblingsfeind der Panikindustrie. Nachdem durch eine beispiellose Desinformationskampagne die Kernkrft als Energiequelle in Deutschland ausgeschaltet worden ist, wird jetzt mit den gleichen Methoden die Kohle attackiert. Im Juli etwa sorgte ein Bericht mehrerer Umweltorganisationen für Furore. „22.900 vorzeitige Todesfälle durch Kohle in Europa“ titelte etwa ein grünes Energieportal im Internet. Am stärksten gefährdet seien die Polen, die durch ihre Kohlekraftwerke jährlich 5800 Mitmenschen vorzeitig verlören, gefolgt von Deutschland mit 4300 vorzeitigen Todesfällen. Und zwar sollen Kraftwerksemissionen insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle erzeugen. Auch die durch ihre energiepolitischen Falschmeldungen bekannte Tagesschau („20.000 Fukushima-Tote“) sowie das führende deutsche Panikmagazin, die Süddeutsche Zeitung, schlugen in die gleiche Kerbe ein.
In Wahrheit weiß natürlich niemand, wer oder was den Tod der 153.301 deutschen Männer und 201.184 deutschen Frauen, die etwa im Jahr 2013 an Herzkreislauf-Krankheiten verstorben sind, wirklich verschuldet hat. Oft war es das Rauchen, das fette Essen, der Alkohol oder der Mangel an Bewegung. Aber in den allermeisten Fällen war es wohl das Alter. Denn an irgendeiner Krankheit werden wir alle einmal sterben, da können die Umweltorganisationen protestieren wie sie wollen.
Man hat etwas gefunden, aber es ist nichts da
Besonderer Aufmerksamkeit dürfen sich jene Studien sicher sein, die einer immer wieder erschrockenen Öffentlichkeit ein erhöhtes Risiko für Krebs verkünden. Bekannte Übeltäter der jüngeren Vergangenheit sind etwa Atomkraftwerke, Herbizide in der Landwirtschaft und rotes Fleisch. Die weltweit wohl renommierteste wissenschaftliche Fachzeitschrift Science hat einmal eine lange Liste solcher Krebs-Alarme einer gründlichen Analyse unterzogen. Diese betrafen neben den bekannten Verdächtigen auch Dinge wie elektromagnetische Felder (35 Prozent höheres Brustkrebsrisiko bei Frauen), alkoholhaltige Mundspülung (um 50 Prozent erhöhtes Mundkrebsrisiko), Höhensonne (um 30 Prozent höheres Hautkrebsrisiko) oder den regelmäßigen Verzehr von Joghurt, der angeblich das Risiko von Eierstockkrebs bei Frauen verdoppeln soll.
In keinem einzigen dieser Fälle konnte das Studienergebnis durch unabhängige Nachfolgestudien bestätigt werden, es war jedes Mal ein Fehlalarm. In aller Regel hatte man eine wichtige weitere erklärende Variable vergessen, etwa die Info, ob die an Krebs erkrankte Person auch raucht. Und so ist auch eine Vielzahl anderer Studien zu angeblichen Gesundheitsrisiken wissenschaftlich nicht viel mehr als Schrott. Um das zu sehen, sollte man zunächst einmal derartige Studien nach ihrer Machart unterteilen. Da sind einmal kontrollierte Experimente: Eine Gruppe von Patienten erhält ein neues Medikament, eine Kontrollgruppe nicht. Idealerweise ist die Kontrollgruppe der behandelten Gruppe bezüglich Alter, Geschlecht und sonstiger soziodemografischer Merkmale maximal ähnlich; weder die behandelten noch die unbehandelten Patienten noch die Ärzte wissen, zu welcher Gruppe wer gehört.
Das ist der Goldstandard: ein Doppelblindversuch. Was dabei herauskommt, ist in aller Regel verlässlich. Allein durch Zufall kann es vorkommen, dass auch ohne jeden Effekt die untersuchte Behandlung als überlegen aus dem Experiment herausgeht. Das heißt in der Statistik auch „Fehler 1. Art“: Man hat vermeintlich etwas gefunden, aber in Wahrheit ist nichts da. (Einen tatsächlich vorhandenen Effekt zu übersehen ist dagegen ein Fehler 2. Art).
Die mit Rheuma trinken öfter Kaffee. Ergo: Kaffee ist der Grund für Rheuma
Dieser Fehler 1. Art ist in kontrollierten Experimenten aber beherrschbar und kein Problem. Probleme, und zwar riesige Probleme, treten mit wachsender Schärfe auf, je weiter man sich von diesem Goldstandard des Doppelblindversuchs entfernt. Und leider sind die allermeisten Studien, die in den Medien regelmäßig zu Panikattacken führen, sehr weit von Doppelblindversuchen weg. Der Standard sind sogenannte Beobachtungsstudien wie etwa die oben zitierte zur Gefahr durch Kohle, oder eine, die zu der Schlagzeile: „Kaffee verursacht Gelenkrheumatismus“ führte. Solche Beobachtungsstudien funktionieren wie folgt: Man hat zwei Gruppen von Menschen: die mit und die ohne Gelenkrheumatismus. Dann wird gefragt: Wie unterscheiden sich diese Menschen sonst noch? Antwort: Die mit Rheuma trinken öfter Kaffee. Ergo: Kaffee ist der Grund für Rheuma.
Es ist nur allzu klar, was hier für Trugschlüsse möglich sind. Vielleicht ist es ja gerade umgekehrt: Menschen mit Rheuma sind öfter in der Kälte und trinken deshalb öfter Kaffee. Oder anders ausgedrückt: Man unterscheidet nicht immer korrekt zwischen Korrelation und Kausalität. Das ist der mit Abstand häufigste Fehler in medizinischen und sonstigen Studien aller Art.
Korrelation bedeutet: Zwei Variablen bewegen sich systematisch in die gleiche Richtung. Ein Beispiel bei Menschen ist die Körpergröße und das Gewicht: Je größer, desto schwerer. Nicht in jedem Einzelfall, aber im Großen und Ganzen schon. Das ist positive Korrelation. Oder bei gebrauchten PKW das Alter und der Preis: Je älter, desto billiger. Das ist negative Korrelation. Und hier ist sogar ein Rückschluss auf die Kausalität erlaubt: Das Alter ist die Ursache für den Preis.
Aber viele Korrelationen entstehen auch ohne jede Kausalität. So existiert z. B. bei Männern eine hohe negative Korrelation zwischen dem Einkommen und der Anzahl der Haare auf dem Kopf: je weniger Haare, desto mehr Geld. Es nützt aber nichts, sich eine Glatze zu scheren, die Korrelation kommt deshalb zustande, weil bei vielen Männern mit wachsendem Lebensalter das Einkommen wächst und die Haare ausfallen.
In der Wissenschaftszeitschrift Nature war einmal ein auf ähnliche Argumente gründender Beweis zu lesen, dass zumindest in Deutschland doch der Klapperstorch die Kinder bringt: Die Korrelation von Storchenbrutpaaren und Geburten erreichte in dem betrachteten Zeitraum in Deutschland fast das Maximum von 1. Und das reicht vielen Studien schon als Argument. Natürlich lieferte Nature den wahren Grund der Korrelation gleich mit: Ein in beiden Zeitreihen vorhandener gleichläufiger Trend. Wann immer zwei Datenreihen beide steigen oder beide fallen, sind sie automatisch hoch positiv korreliert.
Raucher werden häufiger als Nichtraucher vom Bus überfahren
So beobachtet man die Deutschland auch eine hohe Korrelation zwischen den Belegungszahlen unserer Trinkerheilanstalten und den Apfelsinenimporten aus Portugal. Also machen Apfelsinen uns zu Säufern? Nein, beide Datenreihen sind seit dem Zweiten Weltkrieg angestiegen. Die Apfelsinenimporte, weil die Transporte immer billiger werden und wir uns immer mehr Apfelsinen leisten können, und die Kunden der Trinkerheilanstalten, weil es immer mehr Trinkerheilanstalten gibt und wohl auch immer mehr Bundesbürger deren Dienste nötig haben. Also sind weder die Apfelsinen der Grund für das Saufen noch ist das Saufen der Grund für die gestiegenen Importe an Apfelsinen.
Genauso wurden auch bei der Killerkohlen-Panik die Kraftwerksemissionen und die Todesfälle vergleichsweise geist- und gedankenlos gegenübergestellt. Und vielleicht sind auch tatsächlich erhöhte Kraftwerksemissionen für den einen oder anderen frühzeitigen Todesfall verantwortlich. Mangels erschöpfender Berücksichtigung weiterer Erklärungen (Blutdruck, Körpergewicht, unterschiedliche Ess- und Trinkgewohnheiten etwa) ist das aus den üblichen Umweltstudien aber nicht herauszulesen.
Dieses Übersehen von Alternativerklärungen gilt selbst für eine der wenigen unbestrittenen Erfolgsgeschichten der modernen Medizinstatistik, die Entdeckung, dass Rauchen Lungenkrebs erzeugt. Aber wer weiß denn schon, dass Raucher auch weitaus häufiger als Nichtraucher ermordet oder vom Bus überfahren werden? Und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem sie rauchen: weil sie risikofreudigere Menschen sind. Es gibt in der Psychologie die sogenannte „Raucherpersönlichkeit“. Die würde auch dann ein bis zwei Jahre früher sterben als ein Nichtraucher, wenn sie nie im Leben auch nur eine Zigarette raucht. Mit anderen Worten, die acht bis zehn Jahre kürzere Lebenserwartung starker Raucher kann man nicht komplett dem Rauchen in die Schuhe schieben.
Aber das sind Nebensächlichkeiten. Worauf es ankommt: Wenn Sie am Montag in der Zeitung lesen „Schachspielen fördert Schlaganfall“ oder „Alzheimer durch Kaffeesahne“, keine Panik. Fragen Sie erst mal nach, wie dieses Resultat gefunden worden ist. In aller Regel ist das nur ein zufälliges Artefakt einer schlampig ausgewerteten Statistik.