Von Christian Eckl.
Die schwarz-grüne Landesregierung in NRW gab den Vorreiter mit dem Beschluss, aus der Braunkohleverstromung schon 2030 auszusteigen. Doch das ist technisch und wirtschaftlich gar nicht möglich.
Hendrik Wüst ist ein großer Mann. 1,91 Meter misst er und bewegt sich damit in luftigen Höhen. Dass er auch hochfliegende Pläne hat, weiß man spätestens seit seiner Wahl ins Amt des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. So weit oben lässt es sich manchmal gar nicht vermeiden, dass man Luftschlösser baut. Sogar mit Windrädern rundum. Leider war das auch bei den Plänen zum vorgezogenen Kohleausstieg 2030 in NRW der Fall. Denn das wird wohl nichts.
Jetzt steht er im Raum, der Elefant. Keiner will das Problem ansprechen, doch jeder weiß es. Die Fertigstellung der Gaskraftwerke, die den Kohlestrom ersetzen sollen, hinkt heute schon weit hinter dem angepeilten Zeitplan her.
Gut so, dass die sichere heimische Energieversorgung dann wohl noch etwas länger laufen muss, mag der eine oder andere denken. Aber leider auch sehr teuer. Denn der Energiekonzern RWE hat geschickt mit Schwarz-Grün verhandelt. Der Bund muss zusätzlich anfallende Kosten für Kohlebereitstellung und die Reservevorhaltung von Kraftwerken über 2030 hinaus erstatten. Und der Bund sind wir alle. Es ist wieder einmal der Steuerzahler, der die Stromrechnung bekommt.
Auch das ursprünglich angepeilte Ausstiegsdatum 2030 passte dem Energie-Riesen RWE sehr gut ins Konzept. Denn ab dann wären die nötigen CO2-Zertifikate zur Braunkohleverstromung noch einmal deutlich teurer geworden. Aber diese Kosten trägt ja laut der neuen Vereinbarung jetzt der Staat, wie sich mittelbar aus der Vereinbarung ergibt. Wie praktisch.
Schöne Landschaft allein hilft nicht
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, verglichen mit den Defiziten, die aus den Versäumnissen und Fehlentscheidungen der schwarz-grünen Koalition in Düsseldorf resultieren. Denn in der Region bewegt sich nicht viel. Die 20 Anrainerkommunen des Tagebaus im Rheinischen Revier beklagen fehlende Perspektiven.
Zwar hat der Bund 40 Milliarden Euro zur Gestaltung des Strukturwandels bereitgestellt. Doch 70 Prozent dieser Geldmittel sind bereits vorgebunden und sollen überwiegend für Forschung und Wissenschaft ausgegeben werden. Gewiss keine schlechte Investition. Doch die Anrainerkommunen monieren zu Recht die mangelnde Förderung für investive Maßnahmen. Arbeitsplätze entstünden auf diesem Wege mit wenigen Ausnahmen kaum.
Immerhin sind direkt und indirekt insgesamt über 30.000 Arbeitsplätze in der Region von der Braunkohle abhängig. Rechnet man deren Familien hinzu, verdreifacht sich die Zahl der betroffenen Menschen locker. Dafür einen Ersatz zu schaffen, ist eine Mammutaufgabe, die bisher nicht einmal ansatzweise in Angriff genommen zu sein scheint. Allein im Kernrevier lebt eine runde Million Menschen, die über diese Untätigkeit mehr als nur ein bisschen beunruhigt ist.
Da nützt es auch nichts, dass man für spätere Jahrzehnte großangelegte Badeseen und Freizeitanlagen plant. Eine schöne Landschaft gilt gewiss als willkommener weicher Standortfaktor. Nur hilft das herzlich wenig, wenn die Vorzüge der harten Standortfaktoren schlichtweg nicht vorhanden sind.
Steigen dazu dann noch die Stromkosten (siehe oben), sind ganz schnell weitere 50.000 Arbeitsplätze in der Region gefährdet. Denn so viele Menschen arbeiten in den sogenannten energieintensiven Unternehmen allein im Rheinischen Revier. Und deren Arbeitgeber wandern ganz schnell ab, wenn ihre Produktion durch immer höhere Energiepreise nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
Danach gibt es dann keine Zeche mehr
Die wenigen Mittel aus dem Strukturförderungsfonds des Bundes, die noch frei sind, werden zudem nicht selten zweckentfremdet. Heißt: Fördergelder werden in sowieso geplante Maßnahmen und staatliche Aufgaben in der Region investiert, die in gar keinem unmittelbaren Zusammenhang zum Strukturwandel stehen. Zum Beispiel in die Westspange Köln der Bundesbahn oder auch in ein Zentrum für Elektronenmikroskopie als Spitzenforschungsprojekt des Bundes. Die Relevanz für eine Kompensation von Arbeitsplätzen im Rheinischen Revier ist hier gleich null.
Ohne eine vollständige Kehrtwende in der Förderungspolitik, so die Anrainerkommunen, würden alle zentralen Versprechen gebrochen, die die Bundes- und Landespolitik den Menschen im Revier gemacht haben. Sollte die Kurskorrektur ausbleiben, würde sich der Niedergang der Region bei dem sich jetzt abzeichnenden späteren Kohleausstieg höchstens noch quälend in die Länge ziehen.
Dabei hatten sich CDU und Grüne nach der Landtagswahl in NRW im Jahr 2022 überraschend schnell auf den vorzeitigen Kohleausstieg 2030 mit all seinen desaströsen Implikationen geeinigt. Man kann sich nur schwer des Eindrucks erwehren, dass der eine Landespolitiker oder die andere Parlamentarierin gar nicht schnell genug seine oder ihre Positionen abstecken konnte. Für eine sorgfältige Arbeit im Sinne der Bürger war da offensichtlich keine Zeit mehr.
Dem grünen Wirtschaftsminister passte das Tempo im Bund seinerzeit ebenfalls gut ins Konzept. Denn kurz danach stand im Oktober 2022 der Bundesparteitag der Grünen an. Die Erfolgsmeldung vom vorgezogenen Kohleausstieg in NRW war für Habeck zu diesem Zeitpunkt äußerst wertvoll und festigte seine innerparteiliche Position nachhaltig (gerade bei den Grünen ein schönes Wort).
Das konnte man sich schon einmal einen zweistelligen Milliardenbetrag sowie den Niedergang einer ganzen Region kosten lassen. Vor allem, wenn die Zeche der Steuerzahler begleicht. Danach gibt es dann keine Zeche mehr.
Auslassung lästiger Einzelheiten
Ein ordentliches demokratisches Verfahren hätte da nur gestört. An den Verhandlungen mit RWE zum vorgezogenen Ausstieg waren im Wesentlichen die grüne NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst beteiligt.
Das Kabinett sowie die Abgeordneten des NRW-Landtags wurden seinerzeit in die Gespräche mit dem Energiekonzern nicht eingebunden und erst danach über die Ergebnisse informiert. Und das auch nur oberflächlich unter Auslassung zahlreicher konkreter Einzelheiten. Vollendete Tatsachen waren längst geschaffen.
Hendrik Wüst ist eben nicht nur ein großer Mann, er ist auch noch äußerst rücksichtsvoll. Vermutlich wollte er die Volksvertreter im Landtag sowie seine Wähler einfach nicht mit den Untiefen demokratischer Verfahren zu einer vernünftigen Entscheidungsfindung belasten. Demokratie kann manchmal anstrengend sein. Weshalb der Ministerpräsident keinesfalls das Risiko eingehen wollte, Demokratieverdrossenheit hervorzurufen. Ob ihm das wohl mit dieser Methode gelungen ist?
Christian Eckl, geboren 1963 in Essen, ist Inhaber eines mittelständischen Zeitschriftenverlags, freier Autor und Chefredakteur der Zeitung PflegeManagement, des auflagenstärksten deutschen Fachmediums für Pflegeeinrichtungen. Neu erschienen von ihm ist Morgen war ein schöner Tag, NOVA 2024, 350 S., hier bestellbar.