Manfred Haferburg / 23.09.2018 / 06:28 / Foto: ND 22.11.1976 / 83 / Seite ausdrucken

„Würde, Verantwortung, Demokratie“

Über 300 prominente Kulturschaffende der Bunten Republik Deutschland kritisieren in einem offenen Brief das Verhalten des Innenministers Horst Seehofer als "provozierend, rückwärtsgewandt und würdelos". Jan Böttcher, Autor und Mitinitiator des Aufrufs, sagte der Süddeutschen Zeitung:

"Es ist nicht einzusehen und auch nicht mehr hinzunehmen, dass Bundesinnenpolitik keinerlei Einsatz zeigt für die offene Gesellschaft, in der wir leben und leben wollen."

Was ist das eigentlich, ein „Kulturschaffender“? Müsste es nicht grammatikalisch korrekt heißen „kulturell Schaffender“? 

Wikipedia weiß:

Der Begriff „Kulturschaffender“ tauchte zuerst in den 1920er-Jahren in der Kulturwissenschaft auf, später im Nationalsozialismus, und unmittelbar nach dessen Ende auch in der Sowjetischen Besatzungszone sowie in der DDR und wird auch heutzutage verwendet… In allen totalitären Systemen war die Verwendung des Begriffs verbunden mit der Festlegung politisch gesellschaftlicher Aufgaben der „Kulturschaffenden“ (zugunsten des jeweiligen Systems). So hieß es in der Begründung des Gesetzes über die Einrichtung der Reichskulturkammer im September 1937: „Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb der Kultur schädliche Kräfte zu bekämpfen und wertvolle zu fördern, und zwar nach dem Maßstab des Verantwortungsbewusstseins für die nationale Gemeinschaft. In diesem Sinne bleibt das Kulturschaffen frei… In der Sowjetischen Besatzungszone sah die im April 1949 verkündete „Verordnung über die Erhaltung und die Entwicklung der deutschen [sic!] Wissenschaft und Kultur…“ u. a. die Bereitstellung von zwei Erholungsheimen „für Wissenschaftler, Künstler und Kulturschaffende“ vor und legte zugleich deren Gegenleistung für solche „Obhut“ fest.“ 

Eine der exotischsten Blüten, die der Fall Maaßen jüngst trieb, ist ein offener Brief von über dreihundert Kulturschaffenden unter dem Titel „Würde, Verantwortung, Demokratie“, in welchem sie den sofortigen Rücktritt des Bundesinnenministers Seehofer fordern.

„Als Künstlerinnen und Künstler, Kulturschaffende, Kulturvermittlerinnen und -vermittler sind wir entsetzt darüber, dass der Bundesinnenminister fortwährend die Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung sabotiert… dass er die Migrationsfrage zur „Mutter aller politischen Probleme" erklärt… Seehofer verschweigt die zahlreichen Aktivitäten eines rechtsradikalen Mobs – und lässt sich in seiner fatalen Fehleinschätzung überdies flankieren von dem ihm unterstellten Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, der von Amts wegen die Verfassung schützen und nicht politisch agieren sollte… dass Seehofer nun diesen Verfassungsschutzpräsidenten zum Staatssekretär in seinem Bundesinnenministerium befördert, dabei den Koalitionsfrieden als Druckmittel benutzt und als Bundesminister die politischen Kräfte stärkt, die sich nicht eindeutig von den Chemnitzer Ereignissen abgrenzen“.

Die Biermann-Ausbürgerung 1976

Mitunterzeichner sind Lichtgestalten wie „Schauspieler“ Hugo Egon Balder und der „Enthüllungsjournalist“ Günter Wallraff. Veröffentlicht wurde der offene Brief der Kulturschaffenden von den Zentralorganen der Großen Koalition, zum Beispiel hierhier und hier

Warum nur habe ich beim Lesen des Kulturgeschaffenen der Dreihundert ein Déjà-vu? 

Ach ja, die Biermann-Ausbürgerung 1976 in der DDR. 23 Jahre hatte der aus Hamburg stammende Liedermacher dort gelebt und sich mit den SED-Mächtigen mächtig angelegt. Zehn Jahre hatte er Berufsverbot – nicht dichten, nicht, singen, nicht auftreten, nicht reisen. 1976 stellten Ihm die DDR-Machthaber mit einer Konzertreise in den Westen eine Falle, um ihn loszuwerden. 

Doch der Schuss ging nach hinten los. Die Ausbürgerung Biermanns läutete den Anfang vom Ende des SED-Regimes ein. Es gab einen Proteststurm, nur mühsam von der Stasi unterdrückt. 13 bekannte DDR-Künstler und Schriftsteller wie Stephan Hermlin, Christa Wolf, Stefan Heym oder Heiner Müller wagten sich aus der Deckung und schrieben einen offenen Brief ans Zentralkomitee. Dazu gehörte in der DDR viel Mut, immerhin stand die Existenz auf dem Spiel. Über 100 weitere prominente Personen unterschrieben den Aufruf in den folgenden Tagen.

Das Regime reagierte mit Härte. Zahlreiche Kulturschaffende wurden unter Druck gesetzt, eingesperrt und oder selbst zur Ausreise gezwungen. Viele namhafte Künstler und Schriftsteller verließen bis 1981 die DDR. Unter ihnen waren Namen wie Manfred Krug, Eva-Maria und Nina Hagen, Armin Müller-Stahl oder Erich Loest. Weltbekannte Schriftsteller wie Christa Wolf oder Stefan Heym wurden gemaßregelt. 

Dutzende SED-konforme Stellungnahmen

Gegenpropaganda musste her. Das „Neue Deutschland, Zentralorgan der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ veröffentlichte dutzende SED-konforme Stellungnahmen: „Tausende Künstler und Kulturschaffende sowie Tausende Arbeitskollektive und zahlreiche Werktätige äußern in Stellungnahmen und Briefen ihre entschiedene Zurückweisung der Hetze aus der BRD in Zusammenhang mit der Aberkennung der Staatsbürgerschaft Biermanns“.

Und natürlich fanden sich genügend botmäßige Künstler, die ihren hochgeachteten Namen für die SED-Propaganda missbrauchen ließen, unter ihnen Anna Seghers, Wolfgang Heinz, Ludwig Renn, Eric Neutsch, Fritz Cremer, Herbert Sandberg und viele andere mehr. Ihre Botschaft war stark vereinfacht: „Bitte ruiniert nicht meine Existenz und lasst mir meine Privilegien“. Wie werden sie einige Jahre später bereut haben, ihre künstlerische Seele dem Teufel zu verkaufen.

Zu dem jüngsten offenen Brief der buntdeutschen C-Promis fällt mir nur der Biermann-Reim ein: 

Wo pinkelt sich der Kunstverein
selbstkritisch an das linke Bein
muss dabei Hosianna! schrein

(aus: In China, hinter der Mauer)

Foto: ND 22.11.1976

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Leserpost

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Werner Baumschlager / 23.09.2018

Wenn die “Kulturschaffenden” irgendwas wollen, kannst du davon ausgehen, dass es gegen das Volk ist. Wir haben da leider wieder eine neue Aristokratie entstehen lassen, mit Priesterschaft, Hofnarren und allem was dazugehört.

Anders Dairie / 23.09.2018

ALLE Staatsbeauftragten sind korrupte Speckjäger.  Leni RIEFENSTAHL war wenigstens ein echter Fan*in.  Sogar noch unter Wasser.  Die Wortschöpfungen wie “...schaffende”  sind typisches GOEBBELS-Deutsch.  Das ist die Technisierung einer Kultursprache,  gemacht für prägende Medienauftritte.  Dagegen ist die Verwendung von Autobahn durch Frau HERMAN nur eine Normalität.  H. setzte nicht das Attribut   “des Führers…”  davor.  Das taten andere im Geiste selbst. Meine Schwiegermutter,  stramm beim BdM, verwendete noch “Reichsstraßen”,  die bei Ulbricht “Fernverkehrs-Straßen” hießen….zu den Autobahnen ist Pankow dann auch nichts Neues mehr eingefallen.

Anders Dairie / 23.09.2018

DIESE Sentenz zeigt, dass die “Kulturschaffenden” vom Staat gesponserte Naivlingen und gefühlte VIP’s sind…. die sich nicht leisten können, mal “Nee” zu sagen. Die platzen vor Selbstzfriedenheit, wenn der Kanzler-Garten zum “Presseball” einlädt.  Das Schöne daran ist, dass der US-Geheimdienst am Brandenburger Tor diese Listen mitliest.  So mancher wird auf ein US-Visum vergeblich warten.  Der Hass auf TRUMP mag auch daher kommen, DONALD ist eine echte Bedrohung.

Justin Theim / 23.09.2018

Leute wie Hugo Egon Balder und Günter Wallraff als “Kulturschaffende” zu titulieren, ist ein Schlag ins Gesciht derer, die diesen Titel wirklich verdienen. Wer ist gleich noch mal Balder? War das nicht der mit Titti-Frutti? Also A&T-Shows? Und Günter Wallraff? War das nicht der, gegen den wegen Beihilfe zum Sozialbetrug ermittelt wurde? Von den anderen intellektuellen Tieffliegern und viele anderen No-Names, die bestenfalls in der Szene bekannt sind und sich zum “moralischen Gewissen” in Deutschland aufschwingen wollen, damit ihre Gage weiterhin üppig fließen oder ihr Posten von der GEZ weiterhin gut alimentiert werden möge, mal ganz abgesehen. Er war “Kultur"schaffender und auch sonst von mäßigem Verstande, könnte man sagen. Diese Nichtskönner, die weder richtig arbeiten noch die Menschheit durch außergewöhnliche Leistung weiter nach vorne gebracht haben, die nichts als ihre wohlfeile Hypermoral vorweisen können, spielen sich als Weltretter und Weltverbesserer auf! Dabei könnten die ihren Lebensunterhalt mit richtiger Arbeit gar nicht verdienen. Das sollen doch bitte andere für sie erledigen. Am liebsten lässt man sich an den Staatstitten säugen. Die Asozialen blasen zum letzten Gefecht…

Silas Loy / 23.09.2018

Wo sich “Kulturschaffende” “zusammenrotten” um eine Botschaft zu verkünden, wird das schnell absurdes Theater.  Q.e.d.

Andreas Mertens / 23.09.2018

Wir leben in einem Land, in dem zwar 75%  der Wahlberechtigten aus dem Stehgreif alle Gewinner des Dschungelcamps aufsagen können, aber Namen wie Prof. Dr. Thomas Südhof oder Prof. Dr. Harald zur Hausen nur verständnisloses Kopfschütteln erzeugen. Als Meinungsbildend gelten endlose Talkrunden in denen Falten Uschi, Tingeltangel Campino, Terror Ströbele und Stasi Gregor über das bevorstehende Ende der Welt diskutieren. Wir leben in einer Mediokratie. Nein, damit ist mitnichten die Herrschaft der Medien gemeint sondern die der Mittelmäßigkeit. Wobei, das muss ich revidieren. Es gibt keine Möglichkeit mehr Medien von Mittelmäßigkeit zu unterscheiden. Das selbe Spiel setzt sich in der Politik fort. Parlamentarier ohne Berufsausbildung, angeblichen Studienabschlüssen, gefälschten oder geschönten Lebensläufen, getürkten Doktortiteln und Minister die in ihrem ganzen Leben nicht einen einzigen Tag ehrlicher Arbeit nachgingen. Apparatschiks reinsten Wassers und an allen Orten, die sich unentwegt der Ball zuwerfen, währende der linientreue Staatsfunk dem Bürger bei jeder Sendung den moralinsauren Zeigefinger von Hinten ins Gemüt schiebt. Doch zurück zu “unseren” Künstlern. Nicht umsonst ächtete man in härteren Zeiten als Heute Spielleute als unehrenhaften Beruf. Solches Gelichter durfte im Gasthof nur an gesonderten Tischen sitzen. Zusammen mit dem Henker und seinen Huren (Erstgenannter war auch für die Abdeckerei zuständig und betrieb oft auch das Badehaus) Das Land ist einfach auf den faulen 68er Hund gekommen. Bildung & Leistung zählt nichts mehr. Mediale Beachtung, fadenscheiniger Glamour auf dem roten Teppich ist was zählt. Dann kann man jede Art von Unflat unters Volk bringen, ohne dafür geknebelt in den nächstbesten Fluss geworfen zu werden. Waren das noch Zeiten als Mark Twain Berlin besuchte und voll Achtung zu berichten wusste wie er dort Geistesgrößen wie Mommsen und Virchow begegnete.

Ch.Frank / 23.09.2018

Ich komme mir inzwischen vor, als wenn es das Jahr 1989 nicht gegeben hätte. Ein Jubelmeldung folgt der anderen.  Angela Merkel ist die beliebtestes Politikerin, die Mehrheit der Deutschen ist stolz auf sie und mit ihrer Arbeit sehr zufrieden. Die Migrationspolitik der Kanzlerin wird überwiegend positiv bewertet. Richtig und wir gucken alle wieder um 20.00 Uhr Aktuelle Kamera. Unser Kinder bekommen Halstuch und Bluse, damit sie schön am Straßenrand winken können und zu besonderen Anlässen melden, dass es in der Klasse keine Kritik mehr an den Entscheidungen der Oberen gibt. Nur noch bunte Suppe und die Überzeugung uns nimmt niemand etwas weg, sondern jeder der kommt ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Kritiker = Menschenfeind = vogelfrei. Ich hoffe die letzten drei SPD-Wähler merken nun entlich was hier gespielt wird, dass unwürdige Schmierentheater um den Präsidenten der Bundesamtes für Verfassungschutz sollte den Deutschen die Augen öffnen. Maasen muss weg, damit sie in alle Ruhe das neue Bundesamt für Staatsicherheit einrichten können und das Schild und Schwert im Kampf gegen Meinungsfreiheit der eigenen Bürger implimentieren können. Ein willfähiger Knecht wird sich schnell finden. Wie wäre es mit IM Victoria?

Michael Guhlmann / 23.09.2018

Wenn ich mich richtig besinne, wurde die erste dieser hündischen Ergebenheitsadressen von Dieter Noll (“Die Abenteuer des Werner Holt”) verfaßt.  Daran sollte man sich, wenn die Rede auf ihn kommt, stets erinnern.

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