Übers Osterwochenende findet in Las Vegas WrestleMania statt, ein mediales Großereignis. Das Showcatchen hat mehr mit chinesischer Oper und Politik zu tun, als viele wissen – und das ganz besonders bei Donald Trump.
Seit gestern findet in Las Vegas die WrestleMania 41 statt, das große Event des Wrestling – also des „Showcatchens“, wie man in Deutschland ganz früher sagte. Die letzte WrestleMania, an die ich mich erinnern kann, ist WrestleMania 3. Das muss 1987 gewesen sein. Habe ich so lange geschlafen? Nein, nur seither nicht mehr Sky Channel eingeschaltet. Gibt es den Sender eigentlich noch?
Wie dem auch sei, genügend andere Leute interessiert es: WrestleMania 41 ist ein mediales Großereignis. In Deutschland berichtet die Bild darüber so intensiv wie sonst nur über Oliver Pocher. Ausgerichtet wird das Spektakel vom Wrestling-Verband World Wrestling Entertainment (WWE), der früher, als man noch so tat, als handle es sich um Sport (u.a aus steuerlichen Gründen behauptet man das inzwischen nicht mehr), World Wrestling Federation (WWF) hieß. 60.000 Zuschauer werden in der Halle sein, Millionen an den Bildschirmen zuschauen.
Das Wrestling hat sich seit den 1980ern nicht wesentlich verändert. Es ist eine tradierte Kunstform mit festen Regeln und Erwartungen, ähnlich der Chinesischen Oper. Entstanden ist es – wenn wir die Wurzeln des echten Ringens außer Acht lassen, die in der Antike liegen – im 19. Jahrhundert in den USA als Veranstaltung am Rande von Zirkus und Jahrmarkt. Da gab es Ringer, und das Publikum wurde aufgefordert, es mit diesen aufzunehmen. So ähnlich wie bei Pippi Langstrumpf und dem Gewichtheber. Weil der größte Teil der Bevölkerung nicht die Voraussetzungen mitbringt, Ringer im Ringen zu besiegen (den Durchschnittsmann aufzufordern, einen Ringer beim Kopfrechnen oder dem Nacherzählen von „Vom Winde verweht“ zu besiegen, wäre fairer), wurde dem zahlenden Zuschauer ein anderer Ringer zur Seite gestellt, der ihm dann zum Erfolg verhalf.
In den USA spricht man offiziell auch vom „Pro-Wrestling“, wobei die Vorsilbe für „professionell“ steht. Wikipedia weiß:
„Professionelles Wrestling (oft auch Pro-Wrestling oder einfach Wrestling genannt) ist eine Form des athletischen Theaters, bei der es um simulierte Kämpfe geht und der auf der Annahme basiert, dass es sich bei den Kämpfern um Wettkampfkämpfer handelt. Professionelles Wrestling unterscheidet sich vom Amateur-Wrestling durch die festgelegten Ergebnisse und den Schwerpunkt auf Unterhaltung und Geschichtenerzählen statt auf echtem Wettkampf. Der inszenierte Charakter der Kämpfe ist ein offenes Geheimnis: Durch eine als Kayfabe bekannte Praxis erhalten sowohl Wrestler als auch Zuschauer – sowie Kommentatoren – den Anschein bei, es handle sich um echte Wettkämpfe. Dies ist vergleichbar mit der Aussetzung des Unglaubens bei der Auseinandersetzung mit Fiktion.“
Der letzte Satz soll heißen: Wenn man einen Spielfilm guckt oder einen Roman liest, dann tut man – für den Moment – so, als wäre die Handlung echt. Man gibt sich der Täuschung hin. Auch Übernatürliches darf benutzt werden, wenn die Gattung das zulässt. Liest man etwa ein Märchen, dann akzeptiert man die Prämisse, dass dort gezaubert werden darf und Tiere sprechen können. Ein Bruch der Fiktion wäre es hingegen, wenn der gute Zauberer von der Polizei verhaftet wird, etwa wegen Verleumdung einer im politischen Leben stehenden Person, und er dann seinen Anwalt anruft, statt seine Zauberkräfte einzusetzen. Da wäre der Leser enttäuscht.
Würde man Märchen oder Romane kritisieren, weil die dort erzählte Handlung nicht der Wirklichkeit entnommen ist, wäre man ähnlich dem Arzt von Don Quixote, der dessen sämtliche Ritterbücher aus dem Regal holt und im Hof auf einem Scheiterhaufen verbrennt. Wir wissen, dass die Geschichten erfunden sind; gerade deshalb lesen wir sie. Raymond Chandler ist unterhaltsamer als echte Polizeiberichte.
Wrestling und Politik
Die Parallelen des Wrestling zum Politikbetrieb sind augenfällig. „Der inszenierte Charakter der Kämpfe ist ein offenes Geheimnis“, heißt es auf Wikipedia. Wer denkt da nicht an den Bundestagswahlkampf? Der Wrestling-Begriff „Keyfabe“ – was man so ausspricht, dass es sich auf „Hey, Babe“ reimt – meint, nicht aus der Rolle zu fallen, nichts tun, was die Illusion zerstört. Wikipedia: „Abmachung, dass die Wrestler und Offiziellen vor der Kamera (und zum Teil auch in der Öffentlichkeit) so tun, als würde alles im Wrestling echt sein.“
Kayfabe, schrieb die Kolumnistin Josephine Riesman 2023 in einem Essay für die New York Times, habe von den Ursprüngen auf den Jahrmärkten im 19. Jahrhundert an die „zentrale Vorstellung des Pro-Wrestlings“ beschrieben:
„Alles, was das Publikum sieht, sei real. Als Adjektiv beschrieb es schlicht etwas Falsches – wenn beispielsweise zwei nicht verwandte Männer als Brüder dargestellt wurden, waren sie Kayfabe-Brüder. Als Imperativ bedeutete es, in der Rolle zu bleiben: Wer als edler amerikanischer Ureinwohner kämpfte, durfte der Presse nicht verraten, dass er in Wirklichkeit ein Frauen verführender Schwede war, und so weiter. Als Substantiv bezeichnete es das gesamte System der Manipulation, das die Branche aufrechterhielt.“
Das lässt sich auf die Politik übertragen, wo nur diejenigen dauerhaft Erfolg haben, die verstehen, ihre Rolle zu spielen, welche auch immer das ist. Eine Meisterin des Keyfabe ist Sahra Wagenknecht, die seit 35 Jahren die Rolle der belesenen, aber weltfremden Gouvernante spielt. Ein gänzlich talentloser Schauspieler ist Friedrich Merz. Darum mag ihn niemand sehen. „Links ist vorbei“, sagte Merz nach der Bundestagswahl in einer seiner peinlichsten Reden. So stellt er sich wohl vor, dass Konservative reden. O weh. Zumindest für die Linken war Merz’ inszenierte Vorstellung die ganze Zeit über ein offenes Geheimnis: Bernd Ulrich vom Blog Zeit online diagnostizierte gleich nach der Wahl korrekt, Merz’ Wahl zum Bundeskanzler sei ein „verdeckter Linksruck“ und sagte voraus, Merz werde „sehr bald mit den Omas gegen Rechts Kuchen essen“. Im Wrestling gäbe es für Merz vielleicht eine Rolle: die des verschlagenen, skrupellosen Managers, der vor aller Augen betrügt und darum vom Publikum gehasst und ausgebuht wird.
Robert Habeck, Annalena Baerbock, Ricarda Lang und Agnes Strack-Zimmermann kann man sich gut im Wrestling vorstellen: Bei jedem Einmarsch in die Arena drohen sie den Zuschauern über Lautsprecher, sie zu verklagen. Sich mit dem Publikum anzulegen, ist typisch für Wrestling-Schurken, vor allem für die mittelmäßigen.
Gegen die Regeln des Keyfabe verstoßen hat Christian Lindner. Als Baerbock ihn im Februar im Fernsehen siezte, um so zu tun, als könnten sie einander nicht ab, war Lindner erstaunt und wies darauf hin, dass sie sich doch seit Jahren duzten. Er fiel da aus der Rolle, zerstörte die von Baerbock beabsichtigte Illusion.
Ein weiterer Begriff aus der Sprache des Wrestling ist Selling. Er beschreibt einen wichtigen Aspekt der Zusammenarbeit der vermeintlichen Gegner, ohne die das Pro-Wrestling nicht funktioniert:
„Reaktion eines Wrestlers auf eine Aktion des Kontrahenten und somit einer der wichtigsten Bestandteile des Wrestlings. Ein Kontrahent hat die Aufgabe, die Aktionen realistisch, aber nicht zu übertrieben zu verkaufen.“
Das Selling der deutschen Parteien trägt häufig Züge des Over-Selling. Over-Selling bedeutet:
„Ein Wrestler zeigt eine übertrieben starke Reaktion auf einen Angriff seines Gegners und lässt diesen somit unglaubwürdig erscheinen.“
Das Heulen und Zähneklappern angesichts der Kleinen Anfrage von CDU/CSU über die staatliche Finanzierung des „NGO“-Komplexes war ein solches Over-Selling.
Donald Trumps Ursprung im Wrestling
Anlässlich der kommenden WrestleMania hat die amerikanische Tageszeitung Politico einen Beitrag gebracht, in dem sich ihr stellvertretender Chefredakteur Zach Montellaro damit beschäftigt, was Donald Trump vom Wrestling gelernt hat. Die seit Jahrzehnten bestehende Verbundenheit des US-Präsidenten mit dem Wrestling ist in den USA wohlbekannt. Das erklärt, warum Hulk Hogan als Gast beim letztjährigen Parteitag der Republikaner auftauchte. Damals, vor acht Monaten, war die Wahl im Grunde gelaufen. Glaubte jemand ernsthaft, dass Joe Biden oder Kamala Harris eine Chance hätten gegen Hulk Hogan?
Montellaro resümiert:
„Trump ist Mitglied der WWE Hall of Fame. Ende der 1980er-Jahre moderierte er zwei frühe WrestleManias. 2009 gab er vor, Monday Night Raw, das Flaggschiff-Programm der WWE, ‚gekauft‘ zu haben. Und auch Trump und Vince McMahon – Trumps Freund im wirklichen Leben, der die Wrestling-Szene mit eiserner Faust beherrschte, bis ihn ein Skandal schließlich aus dem Geschäft trieb – lieferten sich bei WrestleMania 23 ihren ‚Battle of the Billionaires’.“
Die Fiktion war, dass Trump und McMahon beide jeweils einen Ringer auswählten, die dann gegeneinander kämpfen. Als Trumps ausgewählter Konkurrent den von McMahon besiegte, durfte Trump, wie vorher als Wetteinsatz vereinbart, McMahon im Ring eine Glatze rasieren.
McMahon und seine Frau Linda hätten Trumps politische Karriere maßgeblich finanziell unterstützt, erklärt Montellaro. Linda McMahon war Trumps erste Small-Business-Managerin. Heute ist sie US-Bildungsministerin und schlägt sich mit dem mächtigen Harvard-Imperium – ein Kampf, bei dem der Sieger noch nicht feststeht, bei dem ein großer Teil der Bevölkerung aber auf McMahons Seite stehen dürfte.
Als Trump 2016 kandidierte, habe man sofort gemerkt, „dass viel professionelles Wrestling im Spiel war“, zitiert Montellaro Dave Meltzer, einen führenden amerikanischen Wrestling-Journalisten. „Und dieses Mal (2024) noch mehr. “Trumps Herangehensweise an die Politik sei „geprägt von der Showmanship des Pro-Wrestlings“, so Montellaro. Man müsse nicht lange suchen, um die Ähnlichkeiten zwischen Vince McMahons Leinwandpersönlichkeit – dem großspurigen, prahlerischen, überlebensgroßen „Mr. McMahon“ – und dem Auftreten des Präsidenten zu erkennen.
Mehr noch: Das Wesen des Politikbetriebs werde von Trump als Kampf zwischen den Guten – im Wrestling-Jargon „Faces“ genannt – und den Bösen, den „Heels“, verstanden. „Und obwohl modernes Wrestling meist nicht mehr so eindeutig ist, verfolgt Trump dieselbe Denkweise und ordnet seine Bemühungen, Verbündeten und Feinde diesem Muster zu.“ Ein Beispiel: In einem der Hauptevents der diesjährigen WrestleMania tritt der „knallharte, durch und durch amerikanische Cody Rhodes“ gegen John Cena an, der jahrzehntelang der Held der WWE war, sich aber im Herbst seiner Karriere gegen die Fans wandte. Diese Storyline orientiere sich „so stark am Gut-gegen-Böse-Archetyp von einst“, dass es genau die Art von Booking (im Wrestling-Jargon für die Entscheidung, wer gewinnt und verliert) sei, „die Trump machen würde“, sagt Wrestling-Journalist Meltzer. „Es geht darum, Feinde zu schaffen, die wahrscheinlich nicht einmal deine Feinde sind, und diese zu nutzen, um die Leute hinter dir zu vereinen. Der Grund, warum du nicht da bist, wo du hinwillst, sind diese Feinde, und ich werde diese Feinde für dich bekämpfen.’“
Hulking up
Obwohl Donald Trump und Arnold Schwarzenegger einander nicht ausstehen können (oder ist das womöglich nur Keyfabe?), gibt es eine Ähnlichkeit: Ihr politischer Aufstieg als die Außenseiter, die beide aus dem Showgeschäft kamen und dramatisch ankündigten, für die Bürger das Böse zu bekämpfen. Beide hatten das Glück, es mit höchst unpopulären Gegenkandidaten zu tun zu haben. Bei Trump war es Hillary Clinton, das eiskalte Böse in Person, die weibliche Version von Darth Vader. Popcorn!
Von all den Wrestling-Begriffen der für die Beschreibung Trumps wichtigste ist vielleicht der des Hulking up. Eine kurze Phase in einem Match, in der sich laut Wikipedia ein unterlegener Face-Wrestler (also einer der „Guten“) plötzlich innerhalb kürzester Zeit von den Aktionen seines Gegners erholt und selbst eine Offensive einleitet.
„Dabei no-sellt er die Moves des Gegners, die den oft mit starkem Gestikulieren unterstützten Hulk-up unterbrechen sollen. Der Ausdruck wurde von Hulk Hogan abgeleitet, da es in sehr vielen seiner Matches zu einer solchen Aktion kommt.“
Mit anderen Worten: Ein vielleicht 240 Kilo schwerer Wrestler (so viel wog der 1993 verstorbene André the Giant) schlägt auf Hulk Hogan scheinbar mit einer Kraft ein, die ihn nach menschlichem Ermessen töten müsste – doch das kann Hulk Hogan nichts anhaben. Er reißt die Augen weit auf und zeigt mit dem Zeigefinger auf den Gegner, ist plötzlich stärker als zuvor und siegt. Solche Momente hatte Trump schon oft: Im Oktober 2016 nach dem kurz vor der Präsidentschaftswahl im Besitz von Hillary Clinton aufgetauchten Grab-em-by-the-pussy-Video, bei seinem lange andauernden Ärger mit der Justiz und vor allem am 13. Juli 2024 nach dem gescheiterten Mordanschlag auf ihn, als er blutend und von Personenschützern umringt der Menge zurief: „Fight! Fight! Fight!“ Man vergleiche das mit Friedrich Merz, der dem Volk verspricht, es ärmer zu machen („Wir wollen dafür sorgen, dass es teurer wird!“). Der eine hat den Ehrgeiz, Leidenschaft zu wecken und Wahlen zu gewinnen, der andere will nichts anderes, als den Wählern bei jeder Gelegenheit den Stinkefinger zu zeigen.
Donald Trump inszeniert sich mit großem Pathos als der Gute, der gegen das Böse kämpft; Merz geht den umgekehrten Weg. Eine interessante Tatsache: Der erste Megastar im Wrestling – zu einer Zeit, als die Kämpfe noch nicht abgesprochen waren – war Frank Gotch (1878–1917). In dem Buch „100 Greatest Sports Heroes“ schreibt der Autor Mac Davis, Frank Gotch sei „das Idol von Millionen in den Vereinigten Staaten, Kanada und Mexiko“ gewesen und habe „das Wrestling seiner Zeit zu einer großen Sportart gemacht“. Der damalige amerikanische Präsident Theodore Roosevelt lud Gotch zweimal ins Weiße Haus ein. Teddy Roosevelt – der den Panamakanal Wirklichkeit werden ließ, den Panamahut populär machte, dem Teddybären seinen Namen gab und den amerikanischen Imperialismus erfand – hatte einfach ein Gespür dafür, was in Zukunft für Amerika wichtig werden würde.
Als Trump 2013 in die WWE Hall of Fame aufgenommen wurde, sagte er, dass dies eine größere Ehre sei als die höchsten Einschaltquoten im Fernsehen, ein Bestsellerautor zu sein oder einen Platz auf dem Hollywood Walk of Fame zu bekommen. „Ich liebe euch wirklich“, sagte er dem Publikum. „Auch diejenigen, die mich nicht so sehr mögen.“
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise (2009); Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos (2012).