Erich Wiedemann / 12.12.2019 / 16:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 19 / Seite ausdrucken

Wozu braucht Olaf Scholz den ganzen Schotter?

Entschuldigung: Diesem Artikel liegt ein Missverständnis der Rede Lothar Bindings vom SPD-Parteitag zugrunde. Das Ein-Prozent-Vermögenssteuer-Modell sieht auch Freibeträge vor. Einem Ehepaar mit einem Vermögen von 4,2 Millionen Euro stünde ein Freibetrag von 4 Millionen Euro zu. Demzufolge stimmt Lothar Bindings Rechnung und er hat sich nicht geirrt. Hier finden Sie seine komplette Rede. Wir lassen diesen Beitrag aus Transparenzgründen online.

Deutschlands Millionäre hätten wieder ruhiger schlafen können, wenn die Rede von Lothar Binding aus Heidelberg, dem finanzpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, so gemeint gewesen wäre, wie sie auf dem Parteitag in Berlin rüberkam. Vermögenssteuer? Halb so schlimm. Nur, sie war nicht so gemeint.

Binding erklärte, warum seine Partei über eine Wiederbelebung der Vermögenssteuer begüterte Bürger künftig stärker abkassieren will. Der Regelsatz solle ein Prozent von dem Teil des Gesamtnettovermögens betragen, der über den Freibetrag von einer Million Euro (bei Ehegatten zwei Millionen) hinausgeht. 

Lothar Binding stellte an einem Beispiel sein Ein-Prozent-Modell vor. Er sagte, für ein verheiratetes Paar mit einem Vermögen von 4,2 Millionen Euro werde eine Steuer von 2.000 Euro im Jahr oder 166 Euro im Monat fällig. Ein Prozent, das ist ja, wenn das stimmen würde, nicht viel mehr als gar nichts. Die Linkspartei fordert sogar fünf Prozent.

Wie jeder Sechsklässler weiß, sind ein Prozent von 2,1 Millionen Euro aber nicht 2.000 sondern etwas mehr als 20.000 Euro. Binding hatte Prozent und Promille verwechselt. Das fiel niemandem auf, den 600 Delegierten nicht und den anwesenden Medien nicht. Konrad Adenauer hätte sich bestätigt gefühlt. Er wusste schon 1950: „Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist, dass sie es von anderen haben wollen.“

Dreimal täglich Kaviar satt

Binding ist linker Flügelmann seiner Fraktion. Er wies noch mal darauf hin, dass die Vermögen in Deutschland ungerecht verteilt seien. Dass einer ohne eigenes Zutun reich werde, das dürfe nicht sein. Jeder der 45 reichsten Haushalte der Republik, so behauptete er, habe so viel Geld zur Verfügung wie 440.000 andere zusammen. Das würde bedeuten, dass es Familien gibt, die ebenso viel besitzen wie – grob gerechnet – die Millionenbevölkerung von ganz Köln. 

Jeder der Top-45 soll so viel Bimbes haben wie alle Bürger der viertgrößten deutschen Stadt zusammen? Kann das denn sein? So einer könnte sich wie weiland Guru Baghwan eine ganze Flotte Rolls-Royce-Limousinen leisten und dreimal täglich Kaviar satt, und sein Geld würde trotzdem nie alle. Wie rechnet man das überhaupt? Aber wenn man die Basiswerte solange verbiegt, bis sie zu dem vorgefassten Ergebnis passen, dann geht es vielleicht.

Ein bisschen peinlich war der falsche Prozentsatz schon. Binding ist nämlich von Hause aus Diplom-Mathematiker und dürfte eigentlich kein Problem mit den Nullstellen haben. Aber, herrjeh, Deutschland hatte ja auch mal einen Wirtschaftsminister namens Bangemann, der in einem Interview trotz mehrfachen Versuchs nicht sagen konnte, wie viele Nullen eine Milliarde hat. Der Wirtschaftsminister!

Die Genossen in Berlin haben Bindings Rechnung nicht nachgerechnet. Sie waren beseelt von dem Gedanken, dass es den Reichen endlich an den Kragen gehen sollte. Hauptsache umverteilen, jawoll. Das ist es, was sie am besten können. 

Eine verbiesterte Neidpartei wie die SPD

Prozente hin, Promille her, der Präsident des Münchener Ifo-Insititutes, Clemens Fuest, warnte aus gegebenem Anlass die SPD davor, die steuerliche Belastung weiter anzuheben, auf maximal 72,5 Prozent, wie er errechnet hatte. Das wäre europäischer Rekord und könnte leicht zu einem deutschen Gelbjacken-Aufstand führen.

Die Vermögenssteuer ist sowieso ein Anachronismus, ein „Mottenfifi“, wie er im Ruhrpottdeutsch heißt. Sie wurde 1997 außer Kraft gesetzt, weil ihre Wirkung verfassungswidrig war. Weil sie außerdem Gift für die Exportwirtschaft ist, erheben sie innerhalb der Europäischen Union nur noch Frankreich und in abgespeckter Form Ungarn und Griechenland. Die übrigen 25 EU-Staaten haben sie total abgeschafft oder nie angeschafft, einfach weil sie sie unvernünftig finden.

Aber eine verbiesterte Neidpartei wie die SPD kann man natürlich nicht mit Vernunft zur Raison bringen. Die Anti-Reichen-Steuer ist für die Roten (und auch für die Grün-Alternativen und die ganz Roten) eine Herzensangelegenheit. Schon Karl Marx lehnte es ab, darüber nachzudenken, ob Klassenkampf Sinn macht. 

Theoretisch hätte der Fehler natürlich auch bei den Medien liegen können. Doch führende Intelligenzblätter traten alle in dasselbe Fettnäpfchen. Sie stopften den Fake wortgleich in ihre Online-Ausgaben. Das konnte kein Zufall sein. Die Affäre zeigt auch mal wieder, dass man nicht alles glauben soll, was in der Zeitung steht. Doch das ist eine Plattitüde von vorgestern.

Natürlich wird die SPD ihre rabiaten Steuerpläne gegen die CDU nicht durchsetzen. Aber die falschen Zahlen sind jetzt erst mal der Wissensstand von Millionen Zeitungslesern. 

Onkel Dagobert, der alte Raffzahn

Dass keiner der Journalisten den Irrtum erkannte, überrascht auch nicht. Denn Kopfrechnen ist bekanntlich nicht deren stärkste Seite. Viele prahlen sogar damit, dass sie im Abitur in Mathe bloß eine Vier hatten. 

Die wichtigste Frage ist von den Sozialdemokraten noch gar nicht gründlich erörtert worden: Wozu braucht Finanzminister Olaf Scholz den ganzen Schotter überhaupt? Für das laufende Jahr werden trotz schwächelnder Konjunktur vier Milliarden Euro mehr an Einnahmen erwartet, als geplant war. Nach der amtlichen Schätzung werden Bund, Länder, Gemeinden und EU bis 2024 von knapp einer Dreiviertelbillion auf fast eine ganze Billion Einnahmen im Jahr kommen. Onkel Dagobert, der alte Raffzahn, würde sich über solche Zahlen ein Loch ins Wams freuen.

Dazu kommt: Die Tresore im Finanzministerium an der Berliner Wilhelmstraße müssen in diesem Jahr 15 Milliarden bunkern, weil sie nicht abgerufen werden. 

Die Ursachen für diese Bullshit-Ökonomie muss man wohl in den bürokratischen Untiefen der deutschen Leistungsgesellschaft suchen. Scholz selbst sagt, investieren sei zu kompliziert in Deutschland. Wenn es so ist, dann ist es sicher nicht nur die Schuld von durchgeknallten Wirtschaftskapitänen, sondern auch die von früheren Regierungen, die Spaß am Regulieren hatten. Warum macht die GroKo die Regeln nicht einfacher? Sie hat noch fast zwei Jahre Zeit. Dann wird sich zeigen, dass Geldausgeben gar nicht so schwer ist.

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Leserpost

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Winfried Schmitt / 12.12.2019

Vielleicht hat auch einfach er Autor dieses Artikels keine Ahnung von Steuern. Wenn man als Ehepaar 4,2 Millionen Euro Vermögen hat, sind 4 Millionen Euro davon auf Grund des Freibetrages steuerfrei. Zu versteuern sind dann nur 200.000 Euro und davon sind korrekterweise 2000 Euro (1 Prozent) im Jahr Vermögensteuer zu zahlen, also 167 Euro im Monat. Und mit der Mathematik scheint es der Autor auch nicht so zu haben. Laut einer Studie des DIW haben die 45 reichsten Haushalte in Deutschland so viel Privatvermögen wir die Hälfte der Bevölkerung. Es gibt in D. 41,3 Mio Haushalte. Davon die Hälfte sind 20,65 Mio, durch 45 geteilt macht 458T Haushalte. Über 18T Haushalte will man hier ja jetzt sicher nicht streiten, die Größenordnung stimmt aber.

Rolf Mainz / 12.12.2019

Scholz rettet die “schwarze Null” und finanziert die “Grundrente” damit. Und jene Grundrente wird man auch brauchen, angesichts der tollen Konzepte von “Mini- und Midijob” - und nicht zu vergessen: die “Schutzsuchenden” werden ja auch älter… Und dies alles auf Kosten derjenigen, die dumm genug sind, in Deutschland für ihr Einkommen ehrlich arbeiten zu gehen - ganz einfach, und so geht eben “sozial”.

Helmut Lambert / 12.12.2019

Ich hatte mich über eine ähnliche Berechnung von Kevin Kühnert bei Anne Will auch gewundert. Ich wurde informiert, dass ein Freibetrag von 2Mio pro Person, bei Ehepaar 4Mio zu berücksichtigen sei. Bei 4,2 Mio kommt das Ehepaar also auf 1% von 200.000 gleich 2.000. Harmlos. Anders sieht die Sache zB. bei 6 Mio aus. Dann sind es (6-4 Freibetrag und 1%) 20.000 pro Jahr. Den übrigen Aussagen: immer nur verteilen, keine Vorstellung von Geld…stimme ich zu.

Christof Beilharz / 12.12.2019

Es könnte wohl auch sein, dass er in der Ausbildung zum Elektriker mal was abbekam.

Michael Stoll / 12.12.2019

Da die Triebfeder der Linken der Neid ist, denken sie, sie könnten die Armut verringern, indem sie Reichtum bekämpfen. Und da sie permanent Reichtum mit Leistungsfähigkeit verwechseln, bekämpfen sie in Wirklichkeit die Leistungsfähigkeit bzw. die Leistungsfähigen und -bereiten. Der richtige Weg wäre, die Leistungsschwachen zu motivieren und zu befähigen, an der Wertschöpfung teilzuhaben. Das verstehen die Linken aber nicht. Am Ende verlieren links regierte Länder ihre Leistungsfähigkeit und diese Länder versinken in Armut und Chaos oder Unfreiheit. Die nächste Generation der Sozialisten/Marxisten/Maoisten/Stalinisten(CDU/SPD/Grüne/Linke) behauptet dann einfach, das war kein “richtiger” Sozialismus und das Spiel beginnt (nur 30 Jahr nach dem Ende der DDR) von vorn. Da das Wort “Sozialismus” bei vielen Älteren immer noch einen schalen Beigeschmack hervorruft, nennen sie das planwirtschaftliche Projekt nun “ökologischer klimaneutraler Umbau der Gesellschaft”. Geld ist im Überfluss vorhanden, zur Not wird neues gedruckt. Wir haben Glück, wir dürfen dabei mitmachen, zumindestens zuschauen und beide Daumen drücken. Diesmal klappt’s bestimmt.

Rolf Lindner / 12.12.2019

Der Herr Bindig hatte eben keinen Berater mit Vertrag, der ihm vorher ausgerechnet hat, wie viel 1 % von 2 Millionen ist. Anfang der 1990iger Jahre ist mir schon aufgefallen, dass Addieren und Subtrahieren beim Spiegel nicht jedermanns Sache ist. Eine Kommilitonin, die ihr Studium wegen ihrer Probleme mit Mathematik nach einem Jahr abbrechen musste, wurde Finanzministerin eine Bundeslandes. Eine CDU-Landtagsabgeordnete erklärte einer Verwandten angesichts der Milliarden, mit denen Merkels Dauergäste finanziert werden, dass niemandem etwas weggenommen würde. Wie man bei der Auswertung der Wahlergebnisse zuletzt in Thüringen und Sachsen erleben konnte und derzeitig beim Klimagipfel von Madrid erlebt, scheint Dyskalkulie bei Politikern und linksgrünen Journalisten schon fast Voraussetzung zur Ausübung des Berufes zu sein.

Georg Dobler / 12.12.2019

Das mit dem Kopfrechnen können Sie vergessen, da ist Hopfen und Malz verloren. Weil man heute nur noch von Milliarden redet, fragte ich mal einen Mann beim zufälligen Gespräch, wie viel eine Milliarde sei. Er sagte: 100 Millionen. Neulich in einem Lokal mit Verwandten, wo der TV lief und etwas von 46 Milliarden erzählt wurde. Ich fragte in die Runde wieviel denn 46 Milliarden in Millionen seien. Es wurde das Smartphone angeklickt und erst danach erhielt ich aus einem erstaunten Mund die Antwort: 1 Milliarde sind 1000 Millionen.  Wissen, Denken, genau hinsehen und hinhören, das war gestern. Das wusste Herr Binding.  Er wusste dass die Mehrheit zu blöd ist und die paar die es merken…was solls?

Gerhard Rachor / 12.12.2019

Ich frage mich gerade, was ein SPD Wähler in München, der mit Familie ein Reihenhaus bewohnt, über die Freigrenze von 1 Mio Euro denkt. Bei diesem SPD Funktionär im Artikel fällt mir der Spruch von Alfred Tetzlaff ein: Der Sozi an sich ist nicht dumm. Er hat nur sehr viel Pech beim Denken.

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