Thomas Rietzschel / 26.10.2018 / 14:00 / 8 / Seite ausdrucken

Wovon Joe Kaesers Arbeitsplatz abhängt

Das gute Gewissen gibt es nicht zum Nulltarif. „Unsere Werte“, gern beschworen, verlieren ihren Wert, wenn sie uns nichts mehr wert sind, nicht einmal den Verzicht auf das eine oder andere Geschäft. Wer nichts dabei findet, mit Henkern und Folterknechten zu handeln, solange die Kasse stimmt, pfeift selbst auf die Moral.

Der ökonomische Pragmatismus rechtfertigt jegliche Kumpanei. Nachdem er sich endlich dazu durchgerungen hatte, der diesjährigen Investoren-Konferenz in Riad fernzubleiben, beeilte sich der Siemens-Chef Joe Kaeser, den Saudis zu versichern, dass dies „keine Entscheidung gegen das Königreich“ sei: Siemens bleibe „ein verlässlicher Partner“.

Höflichst bat der Boss die Majestäten um Verständnis. Nach dem Wirbel um den Fall Khashoggi sei die Absage unumgänglich gewesen. „Hunderte, wenn nicht Tausende“ Mails hätten ihm dazu geraten. Der Manager sah sich zu einer Entscheidung genötigt, die er selbst für die „einfachste“, nicht für die „mutigste“ hält. Denn: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“

Kopf ab zum Gebet

Kurzum, ist erst einmal Gras über die Sache gewachsen, das journalistische Interesse an der barbarischen Exekution des saudischen Journalisten erlahmt, wird Joe Kaeser den Scheichs wieder seine Aufwartung machen. Es muss ja nicht gerade an einem Freitag sein, wenn auf dem Al-Safah-Platz in Riad für gewöhnlich die öffentlichen Enthauptungen mit dem Krummsäbel stattfinden, auf der linken Seite die der Frauen, rechts die der Männer. Wenigstens 48 waren es laut Human Rights Watch in der ersten Hälfte dieses Jahres. Auch gelegentliche Auspeitschungen sorgen weiterhin für die Unterhaltung der Moslems nach dem Freitagsgebet.

Sie dabei mit geschäftlichen Belangen zu belästigen, wäre eine Geschmacklosigkeit. Sie würde das Verhandlungsklima stören. Unverzeihlich! Geht es doch immerhin um den friedlichen Welthandel, gerade derzeit um ein Abkommen, von dem Joe Kaeser sagt, dass es seinem Unternehmen bis 2030 rund dreißig Milliarden eintragen und „Tausende von Arbeitsplätzen“ sichern werde, nicht zuletzt in Saudi-Arabien. Welche Verantwortung auf den Schultern des Managers lastet, kann man sich gut vorstellen.

Und es ist ja nicht bloß Siemens, dem Jamal Khashoggi damit, dass er sich hat „versehentlich erwürgen“ lassen, einen Strich durch die Rechnung zu machen droht. Auch die deutsche Rüstungsindustrie muss plötzlich um ihre staatlich genehmigten Waffenexporte bangen, zumal die Bundeskanzlerin angekündigt hat, „in diesem Zustand“ keine weiteren Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu gestatten. Vorsorglich offen ließ sie dabei, ob die Abwicklung der bereits geschlossenen Verträge ebenfalls gestoppt werden soll. Auch sie will sich nicht wegen eines tragischen Einzelfalls Hals über Kopf aus der Verantwortung für die Auslastung der deutschen Wirtschaft stehlen.

Kleinvieh macht auch Mist

Auf 416 Millionen Euro soll sich der Gesamtwert der deutschen Waffenlieferungen in das arabische Königreich 2018 belaufen. Peanuts, verglichen mit dem, was uns Joe Kaeser für die Lieferung technischer Ausrüstungen bis 2030 in Aussicht stellt. Allein, selbst dies wäre, wenn das Geschäft ausfiele, für die deutsche Volkswirtschaft weniger ruinös, als die Zahl glauben machen soll.  

Aber nehmen wir einmal an, alles liefe entgegen aller Erfahrung wie geplant, dann würden die 30 Milliarden, auf zwölf Jahre verteilt, per anno lediglich einen Umsatz von 2,5 Milliarden ergeben. Das sind keine drei Prozent von den rund 88 Milliarden, die Siemens 2018 global umsetzt. Doch Kleinvieh macht eben auch Mist.

Dass sie nicht ökonomisch verantwortungsvoll taktieren würden, kann man weder unseren regierenden Politikern noch Joe Kaeser oder sonst jemandem vorwerfen, der sich auf einen Deal mit den Saudis einlässt. Alle haben sie wohl ihren Brecht gelesen, dessen Mackie Messer in der „Dreigroschenoper“ singt: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

Ob sie den alten Zyniker auch verstanden haben, steht auf einem anderen Blatt.

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Leserpost

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Martin Schau / 26.10.2018

Der Herr Kaeser kann aber auch zu allem entschlossen auftreten und ganz klar Stellung beziehen. Also nicht nur bei hausinternen Kündigungen, sondern verbal gegenüber der jüngsten Bundestagspartei. Die kennt er bestens vom Hörensagen. Da nimmt er kein Blatt vor den Mund, da ist jegliche Zurückhaltung verschwunden…

Caroline Neufert / 26.10.2018

Ich bedaure es, dass Kaeser nicht flog -  es ist nicht gut für Deutschland: a) für die Demokratie - der Mainstream entscheidet, was gut und schlecht ist und b) für unsere Wirtschaft. Die hier laut brüllen, sollten sich überlegen, wenn wir nicht Export-, sondern Importweltmeister ala “Afrika” wären - wahrscheinlich hätten sie dann keine Zeit dummes Zeug zu schreiben, da sie in der Schlange nach Nahrungsmitteln anstehen ... Natürlich wäre moralisches Handeln besser, aber das war wirtschaftliches Handeln nie (vielleicht kaum). Um mal WKII zu bemühen - die Alliierten hätten viel schneller den Krieg beenden können ... Btw Kashoggi: Als ich das erste Mal von Jamal hörte, fiel mir sofort Adnan, Brigitte und Marbella ein ... Heute mal Kashoggi gegoogelt und tatsächlich Jamal ist der Neffe von Adnan ... es sollte keine Sippenhaft geben, aber der Apfel fällt nicht weit vom Stamm - die Bedeutung der türkischen Löffler ;-)

Dr. Roland Mock / 26.10.2018

Ich wünsche Kaeser, daß er Siemens so richtig gegen die Wand fährt. Mit oder ohne Aufträge von den Saudis. Dieser Mann ist die personifizierte Doppelmoral und ein Heuchler vor dem Herrn. Nicht weil er mit Ganoven Geschäfte macht. Das tun andere deutsche Unternehmen auch. Sondern weil er sich zum Herrscher über die Moral aufspielt. Widerlich sein Gekeife gegen die AfD, während er gleichzeitig der Hauptverantwortlichen für Kultur- und Identitätsverlust eines ganzen Landes in den A… kriecht. Hochmut kommt vor dem Fall, und letzterer im Fall des Hohepriesters Joachim („ Joe“- lachhaft) Kaeser hoffentlich sehr bald.

armin wacker / 26.10.2018

Ich kann mit dem Namen und Mann Kashogi nichts anfangen. Aber dass Siemens sein eigenes Netzwerk unterhaelt ist mir auch so klar. Schliesslich gehoeren die Manager zu den global playern, der uebelsten Sorte.

Albert Pflüger / 26.10.2018

Möglicherweise ist die Einführung von öffentlichen Auspeitschungen auch bei uns bald alternativlos, weil die Delinquenten nicht mehr in die Gefängnisse passen und Serien-Diebstähle und Übergriffe nicht ungesühnt bleiben dürfen. Wenn ein Dieb nicht mal erkennt, daß es nicht richtig ist, was er tut, sondern allenfalls findet, daß es nicht richtig ist, daß er bestraft wird, dann hat die Gesellschaft ein Korrekturproblem, weil keine (Re-?)Sozialisierung zu erwarten ist. Prügel gehen schnell, sind billig und werden auch vom Dümmsten verstanden. Wenn kein gemeinsamer Wertekanon mehr da ist, hilft nur noch Angst vor Strafe. Und die muß schnell und für alle sichtbar vollzogen werden, um zu wirken. Das entspricht den Erwartungen der Klientel. Grundsätzlich finde ich Gesellschaften , die so etwas nötig haben, verachtenswert. Die unsere war schon lange darüber erhaben. Nun hat sie sich verändert. Wenn man mir vor 10 Jahren gesagt hätte, daß ich solche Sätze mal schreiben würde, wäre ich wirklich beleidigt gewesen, als eher sanftmütiger Humanist…..

B.Klebelsberg / 26.10.2018

Ist auch richtig so: erst dass Fressen und dann die Moral. Heißt, Wirtschaft kommt vor Moralgesülze, das ist wenigstens ehrlich. Dieses Prinzip verhindert Mord und Totschlag erfolgreicher als jede Ideologie. Seit Jahren schon finde ich die deutsche Moralsäure, die jedem ins Gesicht gekippt wird der in seinem gesellschaftlichen System anderen Werten als den deutschen folgt, total daneben. Interessanterweise schweigt man aber im Inland wenn asoziale Einwanderer mit Messern und ähnlichem agieren. Sicherlich hat man in Saudi-Arabien wenig Verständnis für ein Land dessen Bewohner die sich als Hypermoralisten aufspielen, vor einigen Jahrzehnten rassistische Schlachthöfe betrieben haben und heute nicht einmal fähig sind im eigenen Land die eigenen Bürger und Einwanderer vor Übergriffen zu schützen. Ja die Aktion von Herrn Kaeser war verlogen und hoffentlich entsteht seiner Firma deshalb kein Schaden. Denn dann können sich die lieben Deutschen auch bald keine Moral mehr leisten, weil bekanntlich das Fressen zuerst kommt.

Karla Kuhn / 26.10.2018

“Höflichst bat der Boss die Majestäten um Verständnis. Nach dem Wirbel um den Fall Khashoggi sei die Absage unumgänglich gewesen. „Hunderte, wenn nicht Tausende“ Mails hätten ihm dazu geraten. Der Manager sah sich zu einer Entscheidung genötigt, die er selbst für die „einfachste“, nicht für die „mutigste“ hält. Denn: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“  Mein Gott, wie ERBÄRMLICH !!  „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“  WELCHE MORAL ?? Dieser Artikel gibt ja auch Aufschluß darüber,  über die EXPORTE generell, mit denen Deutschland “Exportweltmeister”  geworden ist.  WO würde Deutschland OHNE die WAFFENLIEFERUNGEN stehen ??

peter keller / 26.10.2018

Muss man sich eigentliche in innerislamische Streitigkeiten einmischen? Immerhin war Kashoggi ein Anhänger der Muslimbruderschaft, die schon 1979 mittels versuchtem Putsch in Mekka probierte in Saudi-Arabien ein Sharia-Staat zu etablieren, als dort die Frauen noch im Minirock herumliefen. Insofern geht mindestens mir die Sache ziemlich neben durch.

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