„Es ist keine Lüge, wenn man selbst dran glaubt“ – das war das Lebensmotto George Costanzas aus der Sitcom Seinfeld. Er war ein Meister des Selbstbetrugs. Dieses Motto dürften sich auch längst der Großteil der hiesigen Journalisten zu eigen gemacht haben. Denn sie leben in einer Scheinwelt, in der es eben keine Anerkennung für schonungslose Berichte über die Realität und differenzierte Darstellungen gibt, sondern dafür, „Haltung“ zu zeigen. Jene Ersatz-Realität, in der diese Berufsgruppe längst zu Hause ist, äußert sich unter anderem auch darin, dass Personen wie Dunja Hayali Preise für Zivilcourage erhalten. In diesem Moment dürften alle Beteiligten tatsächlich ganz fest geglaubt haben, dass das, was Frau Hayali macht, viel Mut erfordere.
Ein wesentlicher Bestandteil dieser „Haltung“ besteht seit 2016 darin, jeden Tag dutzende Texte zu veröffentlichen, die Donald Trump als einen Bösewicht, ein unberechenbares und unzurechnungsfähiges Monster, einen hasserfüllten Menschen, einen Narr… (beliebig fortsetzbar) darstellen. Im Grunde ist es eine Art Rückkopplung: Je mehr Negatives sie über Trump schreiben, desto stärker wird ihre Abneigung gegen ihn – und desto mehr Negatives schreiben sie über Trump. Und „Trump“ in einer Headline generiert Klicks, weshalb sich dieses Geschäftsmodell überhaupt halten kann.
Mit dieser Geisteshaltung ausgestattet, also der Überzeugung, im Kampf für das Gute ein basaler Bestandteil zu sein, ist es dann eben auch kein allzu großer Schritt, der Leserschaft auf sämtliche journalistische Tugenden pfeifend (man streicht einfach das „journalistische“ und begnügt sich nur noch mit den Tugenden, frei nach Georg Büchner: Tugend, das ist, wenn man tugendhaft ist) vollkommen verdrehte Tatsachen zu servieren. Dass auch die altehrwürdige und einst stolze und bürgerliche FAZ diesem Niveau nahezu vollständig anheimgefallen ist, verdient dann doch noch gelegentlich eine Bemerkung.
Ein für diese Beobachtung exemplarischer Sachverhalt betrifft eine Debatte in Amerika über die Möglichkeit, seine Stimme per Brief abzugeben, die seit Corona und in Anbetracht des näher rückenden Novembers in den USA verstärkt geführt wird. Vereinfacht gesagt, wollen die Demokraten eine möglichst große Ausweitung dieser Möglichkeit (denn gegen Rassismus zu demonstrieren oder einen Supermarkt zu besuchen, ist bekanntlich viel ungefährlicher, als ein Wahllokal zu betreten), während Trump und große Teile der Republikaner Briefwahlen teilweise stärker regulieren wollen. Hochgekocht ist das Thema zum ersten Mal, als Twitter vor einigen Wochen einen Tweet Trumps, in dem er die Gefahr eines Wahlbetrugs mit einer flächendeckenden Briefwahl in Verbindung brachte, mit einem Hinweis versehen hatte, dass dieser Inhalt nicht auf Fakten beruhe.
Inhaltlich mit der Biden-Kampagne gemein gemacht
Die FAZ stellte am 14.08. einen Artikel mit der Headline „Trump beantragt Briefwahlunterlagen in Florida“ online und schrieb in der Nebenüberschrift sowie im einleitenden Text auf Facebook dazu: „Immer wieder wurde die Briefwahl von Trump in den vergangenen Wochen als betrugsanfällig kritisiert. Das hält ihn offenbar nicht davon ab, für die Vorwahlen in Palm Beach selbst Briefwahlunterlagen zu beantragen.“
Man stellt Trumps Vorgehen hier also als widersprüchlich dar. Er sage A, mache aber B. Trumps Bedenken hinsichtlich der Briefwahl seien quasi lediglich ein Ablenkungsmanöver und substanzlos, möchte uns die FAZ damit mitteilen. Um diese Message zu verstehen, brauchte man noch nicht einmal auf den Artikel zu klicken. Ruft man diesen Artikel dennoch auf, stellt man zunächst einmal fest, dass er sich direkt auf einen Tweet Joe Bidens, Trumps Gegner bei der anstehenden Präsidentschaftswahl, bezieht, quasi eins zu eins dessen Aussage wiedergibt. FAZ hat sich hier also inhaltlich mit der Biden-Kampagne gemein gemacht und das ganz unverblümt.
Als ob das noch nicht genug ist, zitiert man im nächsten Absatz Obama zu diesem Thema, der wenig überraschend in dieselbe Kerbe schlägt. Nun folgt im Prinzip noch einmal eine etwas umfangreichere Wiederholung der zuvor zitierten Nebenüberschrift:
„Trump hat auch in der Vergangenheit bereits mehrmals über Briefwahl abgestimmt. Gleichzeitig warnt der Präsident seit Wochen immer wieder davor, dass die wegen der Corona-Pandemie absehbare starke Zunahme der Briefwahl bei der Präsidentenwahl am 3. November zu großem Wahlbetrug führen könnte. Trump hat für seine Befürchtung bislang keine stichhaltigen Belege angeführt.“
Warum ist dieser Absatz so manipulativ? Die FAZ lässt hier gänzlich außer Acht, dass es in den USA verschiedene Arten von Briefwahlen gibt, schließlich wird das grundsätzlich auf Ebene der einzelnen Bundesstaaten geregelt. Trump hat immer betont, dass er kein Problem mit dem sogenannten Absentee Voting hat. Das bezeichnet einen Sachverhalt, im Rahmen dessen ein Wähler aufgrund von Abwesenheit eine Briefwahl beantragt. Etwa am 26.05.2020, im Rahmen einer Pressekonferenz im Weißen Haus, sagte Trump:
„Briefwahl, weil jemand abwesend ist oder weil jemand gesundheitlich beeinträchtigt ist, geht durch einen Prozess, das ist okay, das ist etwa anderes“.
Ähnlich äußerte er sich auf einer Pressekonferenz am 15. Juli. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, und man kann sie nachlesen auf whitehouse.gov. Auch Journalisten von der FAZ hätten das tun können.
Mitnichten ein Widerspruch Trumps
Es muss an dieser Stelle also kurz etwas technisch werden. Man muss nämlich differenzieren zwischen Absentee Vote und Mail-in ballot. Die Tatsache, dass diese Begriffe nicht immer einheitlich verwendet werden, macht es in der Tat etwas undurchsichtiger, aber im Kern geht es um Folgendes: Im Gegensatz zur Briefwahl auf Antrag gibt es in einigen Bundesstaaten das Verfahren, dass an jede Person im Wahlregister entsprechende Wahlunterlagen versendet werden. Und gegen dieses Verfahren wendet sich Trumps Kritik im Wesentlichen. Trump argumentiert in diesem Zusammenhang, dass diese Wählerregister teilweise nicht akkurat gepflegt seien und Wahlunterlagen somit nicht korrekt versendet würden. Außerdem äußerte Trump die Befürchtung, dass Wahlzettel aus den Briefkästen gestohlen oder illegalerweise vervielfältigt werden könnten.
Es ist schon erstaunlich, dass ein Medium wie die FAZ nicht in der Lage oder willens ist, ihren Lesern zumindest den Unterschied zwischen Briefwahl auf Antrag und dem flächendeckenden Versenden von Wahlunterlagen durch die Behörden darzulegen. Trumps Antrag für eine Briefwahl steht jedenfalls mitnichten im Widerspruch zu seinen Bemerkungen hinsichtlich möglicher Wahlmanipulationen, wie die FAZ es zu suggerieren versucht, sondern ist vollkommen konsistent mit diesen.
Auch der letzte Satz des oben zitierten Absatzes ist durchaus interessant. „Keine stichhaltigen Beweise“ – so ähnlich lautete auch schon Twitters Vorwurf, als man einen Tweet Trumps zum ersten Mal mit einem Warnhinweis kennzeichnete. Trumps damaliger Tweet beinhaltete eine Befürchtung die Zukunft betreffend. Wie die selbsternannten Faktenchecker diese Befürchtung im Voraus als falsch betiteln konnten, war schon damals nur schwer verständlich. Nun also bemängelt die FAZ, Trump habe keine stichhaltigen Beweise für seine Kritik an der Briefwahl.
Es lohnt sich, über diese Aussage einmal genauer nachzudenken. Zunächst einmal waren stichhaltige Beweise für FAZ & Gleichgesinnte, als es um die angebliche Russland-Verschwörung zu Gunsten Trumps ging, die sich ja mittlerweile als gegenstandslos erwiesen hat, von bestenfalls nachrangiger Bedeutung. Auch ohne stichhaltige Beweise wurde über zwei Jahre gefühlt kaum über etwas anderes geschrieben. Zum anderen ist es natürlich auch der völlig falsche Ansatz, hier auf stichhaltige Beweise abzuzielen. Es geht viel eher darum, ob Trumps Befürchtungen einen wahren Kern enthalten oder nicht. Denn am Ende steht die Legitimation der Wahl und damit die amerikanische Demokratie auf dem Spiel, und da ist Vorsicht besser als Nachsicht. Und es verwundert daher doch ziemlich, zumindest wenn man sich über die eingangs beschriebene Geisteshaltung der Journalisten nicht im Klaren ist, dass auf Trumps Vorbehalte in keiner Weise inhaltlich eingegangen wird.
„Warum die verpfuschte Vorwahl zum Albtraum wurde“
Es soll in diesem Text nicht erörtert werden, ob Trumps Befürchtungen gerechtfertigt sind oder nicht, aber dass es sich zumindest lohnt, auf die Rolle der Briefwahl einmal genauer zu schauen, zeigt das Beispiel der Vorwahlen für den Kongress in New York am 23. Juni 2020. Anfang August veröffentlichte die New York Times einen Artikel, dessen Überschrift man wie folgt übersetzen kann: „Warum die verpfuschte Vorwahl in New York zum November-Albtraum wurde“. Der Grund für diese „verpfuschte Wahl“ ließe sich demnach primär auf eine deutlich ausgeweitete Briefwahl zurückführen. Im Artikel wird über eine überforderte Post berichtet, die tausende Stimmzettel nicht mit Briefmarken versehen und somit disqualifiziert haben könnte, zu spät versendete Wahlunterlagen und davon, dass auch nach sechs Wochen einige Wahlergebnisse noch immer nicht feststanden. Ein Richter ordnete kurz nach Erscheinen jenes Artikels zudem an, 1.200 zuvor disqualifizierte Stimmzettel, die per Post abgegeben wurden, doch noch auszuzählen. Kurzum, es war ein einziges Chaos.
Diese Einzelheiten erspart uns die FAZ aber, man möchte uns damit besser nicht behelligen. Dass die ehemals renommierte FAZ mittlerweile zum deutschen Pressesprecher des demokratischen Präsidentschaftskandidaten geworden ist und sich inhaltlich damit begnügt, dessen Tweets zu rezitieren oder, wenn es hochkommt, einige einfach gestrickte Anti-Trump-Stories aus Amerika von CNN zu übernehmen, ist im Grunde ziemlich traurig. Wer sich also ein halbwegs sachgerechtes Bild der amerikanischen Politik machen möchte, der kommt nicht umhin, sich zumindest ab und zu selbst mit Original-Quellen zu beschäftigen.