Nico Hoppe, Gastautor / 30.03.2020 / 16:00 / Foto: Pixabay / 11 / Seite ausdrucken

„Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“

Der von Sigmund Freud geprägten Psychoanalyse haftet heute zumeist der Ruf an, veraltet, unwissenschaftlich und empirisch nicht haltbar zu sein. In „Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“ zeigt Sama Maani jedoch, dass ihre Theorien und Methoden den Schlüssel dafür liefern, die Gegenwart und ihre Ideologien zu verstehen.

Sei es anhand der Frage, ob Geschichte sich wiederholt, der gern geglaubten Allerweltsweisheit, unsere Gesellschaft sei fundamental materialistisch-hedonistisch geprägt, oder des Problems von Fiktion und Realität in der Literatur: Der österreichische Psychoanalytiker und Autor befreit die Psychoanalyse von dem ihr oft zugeschriebenen fachspezifischen Charakter und zeigt stattdessen ihre Universalität auf. Die Erörterung unbewusster Triebregungen hinter vermeintlich rational getätigten Äußerungen oder Handlungen dient ihm zur präzisen Gesellschaftskritik.

Dabei ist die Psychoanalyse nicht irgendein Werkzeug, um die Geschehnisse plausibel und verständlich erscheinen zu lassen. Sie ist der adäquate Umgang mit einer Wirklichkeit, die selbst durchdrungen ist vom Unbewussten, Verdrängten und nicht selten in verwandelter Form Wiederkehrenden. Maani hält sich methodisch an eine Aussage Theodor W. Adornos, der einst schrieb, dass Freuds Leistung darin bestehe, „in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches“ gestoßen zu sein. Die Stärke von Maanis Texten besteht darin, salopp hingenommene Binsenweisheiten als abwegige Lügen, alltägliche Glaubenssätze als kommode Täuschungen und politisch korrekte Ideen als ideologische, sich in ihr Gegenteil verkehrende Leerformeln zu entlarven.

Gegen das identitäre Denken

Schon in seinem ersten Essayband „Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht“ war die psychoanalytische Herangehensweise Maanis Essays inhärent. Besonders intensiv setzte er sich mit der linken und liberalen Scheu vor der Islamkritik auseinander. Eine klare Absage erteilte er dabei dem jede Kritik unterbindenden Islamophobie-Begriff sowie dem Kulturalismus: der Ideologie der „vollen Identifikation“ eines Individuums mit seiner vermeintlichen Kultur. Letzteren sah er sowohl unter Linken, als auch unter Rechten am Werk, wenn eine Person nur noch als Surrogat „seiner“ Religion oder Kultur wahrgenommen wird. Antirassismus und Rassismus bauen mittels dieser Form des Denkens in Kollektiven letztlich auf einem gemeinsamen Fundament auf.

Seine Analyse setzte Maani in „Warum wir Linke über den Islam nicht reden können“ fort und bewies sich als scharfsinniger Beobachter von Debatten, die bereits von Anfang an fatale Fehler beeinhalteten: So sei die Scheidung zwischen Islam und Islamismus nicht nur ideologisch, sondern auch historisch falsch, weil es den Islamismus erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts gäbe, obwohl die ihm zugeschriebenen Elemente – patriarchale Strukturen beispielsweise – bereits weit länger innerhalb des Islam existierten. Dass Maani solcherlei Trivialitäten immer wieder akzentuieren muss, liegt nicht am Wiederholungszwang des Autors, sondern am Ausbleiben ihrer Wirkmächtigkeit in allen hörbaren Debatten: Es gehört zu den größten Hürden, gegen die auch Maani anschreiben muss, dass elementare Banalitäten heute zu Tabus regredieren, auf die fast überall mit Schweigen oder Ächtung reagiert wird.

Fähigkeit zur akkuraten Beurteilung

Jener Widerstand, jene Abwehr kritischer Intervention seitens des gesellschaftlichen Mainstreams ist offensichtlichster Indikator für den aufklärerischen Geist, der den meisten Zeitdiagnosen im Gegensatz zu Maanis Essays abgängig ist.

Zwar ist „Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“ in sich wesentlich zerfaserter als die vorigen Essaybände und behält den sonderlich vereinnahmenden Pluralis Majestatis („Wir“) bei; die Fähigkeit zur akkuraten Beurteilung und Widerlegung allgegenwärtiger Ressentiments anhand anekdotischer Exkurse stellt Maani hingegen erneut unter Beweis: Der Behauptung, der Antisemitismus sei eine Folge des Nahostkonflikts, stellt er detailreich entgegen, dass dieser sich vielmehr bis heute als eine wesentliche Ursache der Auseinandersetzung erweist, um zugleich aufzuzeigen, dass Judenhass kein einfaches „Vorurteil gegen Juden“ sei, dafür aber „eine umfassende Weltanschauung, in der sich verschiedene Aspekte des Unbehagens am modernen Kapitalismus bündeln.“ Mit dieser kurzen Einschätzung ist er bereits näher an der Wahrheit als jeder Plattitüden-breitwalzende Antisemitismusbeauftragte der Bundesrepublik.

Dass Maani seinen Gegenstand ernst nimmt, dürfte der Grund dafür sein, dass nicht die Stoßrichtung, aber die Schwere seiner Feststellungen von vielen Seiten zurückgewiesen wird. Wenn er zum Beispiel über den Iran schreibt, dass es sich bei dem Antisemitismus des Regimes um „das Gründungsprinzip der Islamischen Republik, das in westlichen Medien oft als Marotte des ehemaligen iranischen Präsidenten Ahmadinejad kleingeredet wurde“, handelt, zeigt sich abermals: Der Nachdruck, mit der die Erkenntnis betont wird, mutet nur deswegen so übertrieben an, weil allen zivilgesellschaftlichen und regierungsamtlichen Verlautbarungen zum Thema die realitätsgerechte Deutlichkeit fehlt, welche Maani selbstverständlich ist.

Kritik soll heute für gewöhnlich pragmatisch, konstruktiv und solidarisch auftreten, wenn ihr nicht der Vorwurf gemacht werden soll, unfair und nörglerisch zu sein. „Worüber man als Jude nicht schreiben sollte“ stellt sich diesem Programm nicht proklamatorisch entgegen. Dass hier allerdings keiner selbstzweckhaft sanften und verständnisvollen Pseudo-Kritik das Wort geredet werden soll, tritt in jedem der elf Texte eklatant hervor. Was nicht heißt, dass Maani nicht die Fähigkeit zur Differenzierung besitzt: So versteht er sich darauf, sowohl die Vorteile der Iran-Politik Donald Trumps aufzuzeigen als auch zu kritisieren, dass mit ihm kein Regime-Change zu erwarten ist. Die Angelegenheit selbst erfordert in diesem Fall Ambivalenz. Heuchelei wäre jedoch eine sich nicht der vollen Aufklärung verpflichtende Kritik, die zur Anbiederung absinkt.

Sama Maani: Worüber man als Jude nicht schreiben sollte. Psychoanalytische und andere Provokationen. Drava, Klagenfurt 2020, 102 Seiten, 14,95 Euro, hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 30.03.2020

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