Vera Lengsfeld / 06.08.2007 / 14:33 / 0 / Seite ausdrucken

Worpswede, Fischerhude und was man in Künstlerdörfern über die Diktaturen lernen kann

Worpswede und Fischerhude liegen keine vierzig Kilometer von Nartum entfernt. So nah war ich Worpswede, das zu DDR-Zeiten zu den unerreichbaren Orten meiner Träume gehörte, noch nie gekommen. Also fuhr ich kurz entschlossen hin. Der Sommer hatte gerade eine Pause gemacht und die meisten Touristen in andere Gegenden geführt, so dass ich am Vormittag das Dorf nur mit den Einheimischen teilen musste. Zufällig parkte ich direkt gegenüber dem Modersohn-Haus und konnte meine Tour mit einer der Ausstellungen beginnen, die anlässlich des hundertsten Todestages von Paula Modersohn-Becker hier und in Bremen stattfinden. Vom ursprünglichen Haus ist mehr zu erahnen, als wirklich zu sehen. Aber der Leuchter mit dem Engel ist noch da, den Otto Modersohn schmückte, als Paula nach langem Wochenbett erstmals wieder aufstehen durfte und unter dem sie mit Blumen im Haar und den Worten „Wie schade“ zusammenbrach und starb. Unter den ausgestellten Bildern fiel mir eines von Modersohn besonders auf : eine Landschaft von 1943 mit dem Namen „Stiller Friede“ Ein schockierender Titel für ein Werk, dass in Europa entstand, als es am unfriedlichsten war Wenn Modersohn der Aufforderung seines Freundes Heinrich Vogeler gefolgt wäre, sich mit ihm in der Sowjetunion anzusiedeln, hätte er in diesem Jahr bestenfalls zwangsevakuiert in Kasachstan gesessen, statt im idyllischen Fischerhude, wo die Künstlergemeinschaft jedoch keineswegs unbehelligt blieb. Seit mehreren Monaten befanden sich sein Künstlerkollege , der Keramiker Jan Bontjes van Beek und dessen Tochter Cato in Gestapohaft. 
Auf dem Weg zum Barkenhoff, dem legendären Heim Heinrich Vogelers, mache ich Station in der „Käseglocke“, dem runden Haus eines Exzentrikers, der sein Geld benutzte, um sich von den angesagten Künstlern und Architekten seiner Zeit die Wohnstatt verschönern zu lassen. Im Flur hängt eine goldene Maske der Tänzerin Olga Breling, Mutter von Cato Bontjes van Beek, die am 05. August 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde, wie fünfzehn andere Frauen, eine nach der anderen, im Abstand von wenigen Minuten.
Eine unwirkliche Assoziation in einer so hochkultivierten Umgebung.
Im Gästebuch der Käseglocke steht als letztes der Eintrag einer Hallenser Familie. Für sie wäre ein Traum in Erfüllung gegangen! Es gibt sie also wirklich,  Ostdeutsche, die die Vereinigung zu schätzen wissen.
Fünf Minuten durch den Wald, dann bin ich am Barkenhoff, den Vogeler Ende der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts von seinem Erbe gekauft hat. Ein halbes Jahrzehnt war er Treffpunkt für die Worpsweder „Künstlerfamilie“, zu der zeitweise auch der Dichter Rainer-Maria Rilke gehörte. Sonntags versammelte man sich hier im „Weißen Saal“, um über Kunst zu diskutieren, sich vorzulesen oder gemeinsam zu musizieren. Heinrich Vogeler und seine schöne Frau Martha, die vielen seinen Jugendstil-Feen Gesicht und Gestalt gab, waren der Mittelpunkt des Kreises . Das Gebäude ist nach der Entfernung mehrer entstellender Umbauten heute wieder in etwa dem Zustand, in dem es sich befunden hat, als es das Künstlerzentrum des berühmtesten Moordorfes Deutschlands war.
Vogeler hatte seinen ganzen Besitz 1925 der KPD vermacht und seinen Hof der „Roten Hilfe“ geschenkt. Unter dem damaligen Rote-Hilfe-Chef Wilhelm Pieck wurde der Barkenhoff sehr bald zum kommunistischen Schulungsheim. Vogeler trat der KPD 1925 bei, wurde aber 1928 schon wieder ausgeschlossen. Das hinderte ihn keineswegs, der kommunistischen Sache treu zu bleiben Er wird zum Parteiarbeiter. Es zieht ihn mit aller Macht in Stalins Sowjetunion, wo er sich seit 1931 nieder lässt. Obwohl er im Radio Moskau linientreue Aufrufe an die deutschen Künstler verliest, mit der Aufforderung, in das Land zu kommen, das allein die Freiheit der Kunst garantiere, galt er Stalins Schergen sehr bald als unsicherer Kantonist. Nach dem Überfall der Nazis auf die SU wurde Vogeler wie fast alle anderen Deutschen aus Moskau zwangsevakuiert. Er starb 1942 an Hunger und Entkräftung in Kasachstan, bis zum Schluss der kommunistischen Sache ergeben. Unter den Büchern, die man gewöhnlich in einem Künstler-Museumsshop findet, gibt es auch eine von der Barkenhoff-Stiftung herausgegebene Schrift“ Opfer wofür?“ über das Schicksal deutscher Emigranten in Moskau. Sie enthält brisante Zahlen, die bis heute wenig bekannt sind. Die größte und tödlichste Kommunistenverfolgung fand, das sei allen Verabscheuern von McCarthy ins Stammbuch geschrieben, unter den Kommunisten selbst statt.  Von den 43 Mitgliedern und Kandidaten des Politbüros der KPD der Weimarer Zeit sind fünf unter Hitler und sieben unter Stalin ermordet worden. Etwa 60% der in die SU geflüchteten KPD-Funktionäre wurden Opfer des Stalinistischen Terrors. Vereinzelt wurden Kommunisten schon vor 1939 an Hitlerdeutschland ausgeliefert, vermehrt nach dem Hitler-Stalin-Pakt. Noch nach dem Mauerfall gab es Versuche, die Nennung dieser Zahlen gerichtlich verbieten zu lassen.
Vogeler ist ein Beispiel, wie tragisch sich die Verstrickung eines Künstlers mit Ideologie auswirken kann: im Keller des Modersohn-Hauses ist eine kleine Ausstellung mit seinem Skizzen und Gemälden der sowjetischen Zeit zu sehen, die mehrheitlich nicht an die Meisterschaft seiner Jugendstil-Schaffensperiode heran reichen.
Zum Schluss wieder Modersohn in Fischerhude. Hierher hatte sich der Maler zurückgezogen, nachdem ihm in seinem Worpsweder Haus zwei Ehefrauen verstorben waren. Ehefrau Nummer drei ist verwandt mit dem Fischerhuder Maler Heinrich Breling, Großvater von Cato Bontjes van Beek, an die in ihrem Heimatdorf Fischerhude nur ein Sandweg hinter der Kirche erinnert, der nach ihr benannt wurde. Deutschland hat für seine Widerstandskämpfer nicht wirklich viel übrig. Bevor ich mich auf den Rückweg mache, trinke ich einem Tee im Cafe im Rilkehaus, in dem der Dichter mit Clara Westhoff und seiner Tochter Ruth lebte. Als gebürtige Thüringerin war ich bis dahin überzeugt, dass es außerhalb meines Heimatlandes keinen guten Mohnkuchen geben kann. Aber der Stachelbeer-Mohnkuchen im Rilkecafe von Fischerhude ist das köstlichste Stück Mohngebäck gewesen, das ich je in meinem Leben gegessen habe.

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