Claudio Casula / 04.05.2024 / 06:15 / Foto: Ekvidi / 111 / Seite ausdrucken

Wollt Ihr den totalen Stuss?

Jüngst brillierte SPD-Chefin Saskia Esken in einer unter deutschen Politikern beliebten Disziplin: dem Nazi-Vergleich, ohne zu begreifen, wie geschichtsvergessen und verleumderisch dieser ist.

„Wer heutzutage in einer politischen Debatte den Begriff ,Nazi’ gegen wen auch immer ins Feld führt“, schrieb Michael Klonovsky einmal, „ist aus ethischer Sicht ein Lump, aus historischer Sicht ein Verharmloser und aus intellektueller Sicht eine Null.“ Das hindert viele Akteure des Politikbetriebes und deren Unterstützer allerdings nicht daran, es immer wieder zu tun. So bezeichnete Willy Brandt 1985 den damaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler vor laufender Kamera als „den schlimmsten Hetzer seit Goebbels in diesem Land“. In einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Newsweek sagte Kanzler Helmut Kohl im folgenden Jahr über den sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow: „Er ist ein moderner kommunistischer Führer, der sich auf Public Relations versteht. Goebbels, einer von jenen, die für die Verbrechen der Hitler-Ära verantwortlich waren, war auch ein Experte in PR.“

Ganz ähnlich hatte sich Altbundeskanzler Helmut Schmidt schon 2008 über den damaligen Chef der Linkspartei, Oskar Lafontaine geäußert; dieser habe Charisma, aber Charisma allein mache noch keinen guten Politiker aus: „Auch ,Adolf Nazi' war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist es auch.

Pegida-Gründer Lutz Bachmann schmähte Heiko Maas als „schlimmsten geistigen Brandstifter“ seit Goebbels und Karl-Eduard von Schnitzler, das Satiremagazin Titanic fantasierte von einer Zeitreise in Österreich, auf der man Sebastian Kurz als „Baby-Hitler“ töten könne. Und der als Satiriker firmierende ZDF-Moderator Jan Böhmermann titulierte die CDU als „Nazis mit Substanz“. Die Empörung darüber wiegelte der Intendant des Senders mit der Behauptung ab, es habe sich um eine private Äußerung Böhmermanns gehandelt. Der ZDF-Intendant heißt übrigens Norbert Himmler, was der Angelegenheit nochmal eine zusätzliche pikante Note verleiht.

Wer träumt nochmal vom Parteiverbot?

Auf irgendeinen knackigen Nazi-Vergleich mag so mancher, der den Gegner schmähen will, nicht verzichten. Zu groß ist die Versuchung, der zugespitzten Dämonisierung wegen auf eine reductio ad Hitlerum zurückzugreifen. Diesmal machte sich Saskia Esken, seit 2019 eine der beiden Bundesvorsitzenden der SPD und sich der Antifa zugehörig fühlend, öffentlich zum Obst. Im Gespräch mit dem ORF-Nachrichtenmoderator Armin Wolf (in Gänze hier anzusehen) antwortete sie auf Nachfrage, ob sie die AfD mit Goebbels vergleiche: „Ja. Das ist eine Nazi-Partei“. Es gebe Bestrebungen der AfD, „die Demokratie zu untergraben“, außerdem „menschenfeindliche Haltungen gegenüber allen möglichen Gruppen in unserer Gesellschaft“. Die AfD ziele darauf ab, „unsere Demokratie zu zerstören“. Eine Behauptung, für die sie offenbar keinen Beleg beizubringen vermag, denn sonst hätte sie es ja in den elf Jahren des Bestehens der AfD wenigstens einmal getan.

Hier nochmal zur Erinnerung, was die Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) war: eine durch und durch antidemokratische, radikal antisemitische Partei, die mit SA und SS nach dem Vorbild der italienischen Faschisten schon einige Jahre vor der Machtübernahme brutale Gewalt gegen politische Gegner ausübte, dem Führerprinzip huldigte, Hunderttausende in Folterkellern und Konzentrationslagern quälte, schließlich einen Krieg vom Zaun brach, der 50 Millionen Menschen das Leben kosten sollte, Angehörige anderer Rassen, die sie als „minderwertig“ einstufte, zu Millionen ermordete oder versklavte und so weiter. 

Wer Saskia Esken reden hört und sich mit der Geschichte ebenso wenig auseinandergesetzt hat wie die SPD-Chefin, wird also in dem Glauben gelassen, die AfD sei als „Nazi-Partei“ wie die NSDAP. Was sie, siehe oben, nicht ist. Übrig bliebe allein die Unterstellung, die AfD verfolge ebenfalls die Absicht, die Demokratie abzuschaffen, aber während Hitler – der sich wie Goebbels als Revolutionär verstand – das ganze System und die Gesellschaft radikal umkrempeln wollte und das auch offen sagte sowie gleich in die Tat umsetzte, kann bei der AfD überhaupt keine Rede davon sein. Sie hat weder die Abschaffung der Demokratie gefordert noch das Verbot anderer Parteien – solche Absichten hegen ganz andere.

Mit dem Charme der Direktorin einer Gefängniswäscherei

Auch Saskia Esken selbst, die schon physiognomisch den Eindruck macht, dass sie, wäre ihr nicht die Gnade der späten Geburt zuteilgeworden, durchaus eine Kollegin von Irma Grese… (doch halt, nein! Wir sagten doch: Keine Nazivergleiche!), also, nun ja: den Charme der Direktorin einer Gefängniswäscherei versprüht. Sie stellte sich einst für ein SPD-Projekt so vor: „Mit 20 spielte ich als Straßenmusikerin auf Marktplätzen und schlief in meinem Auto. Dass ich eines Tages mal Parteivorsitzende der SPD sein würde, war unvorstellbar.“ Das ist es allerdings heute noch. „Neugierig war ich schon immer, Menschen und ihre Geschichten faszinieren mich bis heute. Aber auch meine eigene Geschichte ist geprägt von Abenteuerlust und Furchtlosigkeit.“ Nur von Zeitgeschichte hat sie offensichtlich keine Ahnung.

Offensichtlich ist sich die Frau, die „Paketbotin, Kellnerin und Softwareentwicklerin (war), bevor ich in den Bundestag gewählt wurde“, nicht darüber im Klaren, was sie mit ihrem unsäglichen Nazi-Vergleich anrichtet, dem prinzipiell eine unverantwortliche Verharmlosung des Nationalsozialismus innewohnt. Ein unbedarfter Schüler könnte jetzt meinen, dass die NSDAP eine Partei war, die sich gegen das Verteilen von Milliarden ins Ausland, unkontrollierte Einwanderung und Aufgabe nationaler Souveränität in Europa wandte, was ja alles völlig legitime Anliegen wären. Wollte die NSDAP etwa nur vollziehbar Ausreisepflichtige loswerden? Sprach sie sich gegen die Deindustrialierung aus? War sie gegen das Gendern oder gar die Zuwanderung islamischer Antisemiten?

Nein, Nazi-Vergleiche sind nicht nur rhetorische Rohrkrepierer. Sie können auch unermesslichen Schaden anrichten. In der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) wurde das einmal so auf den Punkt gebracht:

Gemeinsam ist allen Nazi-Vergleichen eines: Mit jeder Äußerung wird der Nationalsozialismus banalisiert. Jede Gleichsetzung ist eine Verhöhnung der Opfer. Wenn sich schon die Schweizer FDP mit Nazis gleichsetzen lassen muss, haben sich die Grenzen des Sagbaren nicht nur verschoben, sie sind bereits gefallen. Zwölf Jahre Diktatur, Verfolgung, Rassenwahn und Völkermord drohen zu einer Randnotiz der Geschichte zu werden.“

Esken ist als Vorsitzende der SPD, einer einst von den Nazis verbotenen Partei, deren Mitglieder in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden, völlig fehl am Platze. Und wie sie in diese Position gelangen konnte, ist ein Rätsel. Andererseits passt sie wiederum in diese Zeit, in der so manchem in einer gehobenen Position sämtliche Maßstäbe längst verrutscht sind. 

 

Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.

Foto: Ekvidi, CC BY-SA 4.0, Link

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Leserpost

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Andreas Bitz / 04.05.2024

Um mit Danisch zu fragen: wer wählt sowas? Welche Delegierten, welches Wahlvolk? Zum Glück gibt es die Alternative zu Scharia, Burka und einer Schweigepflicht…

Gudrun Meyer / 04.05.2024

“Nazi” ist doch längst zum gängigen N- Wort je nachdem für autochthone Deutsche oder für politische Gegner (die in dem Fall auch gerne einen Migrationshintergrund haben dürfen) verkommen. Geringfügig umfangreichere Sprüche (“Die AfD ist die Nachfolgepartei der NSDAP!” - “Joschka” Fischer schon 2016 zum SPIEGEL, der natürlich keine Belege verlangte, “Bunt statt braun”, “Soundso macht dasselbe wie Goebbels!” oder ‘“Die AfD will Millionen deutsche Bürger vertreiben!”) variieren das N-Wort minimal, eine andere Aufgabe haben sie nicht. Diese Trivialisierung und Verharmlosung des NS kommt von beiden Seiten, aber weit öfter und weit erfolgreicher von links als von rechts. Esken fällt nicht weiter auf: es gehört zum “Argumentations"niveau besonders der linken Parteien, jede Kritik an ihrem Vorgehen zu nazifizieren. Sogar die Kritik äußerst mäßiger Konservativer und unzureichend gleichgeschalteter Linker hält man mit der Nazikeule nieder. Und dass die herrschende Minderheit harmloseste Begriffe und Sätze zu “antisemitischen Chiffren” ernennt, hat nichts damit zu tun, dass sie tatsächlich antisemitischen Einstellungen in den Weg träte und dabei versehentlich die Falschen beschuldigte. Gemeint ist vielmehr, als Anti-Antisemit dürfe man sich ja wohl noch die bösartige Hetze gegen Juden und Israel (aktuell: Völkermordvorwürfe, nachdem Israel die zivilen Bewohner des Gazastreifens vor Bombardements gewarnt und die Hamas die Flucht dieser Menschen in nicht beschossenen Nachbargebiete verhindert hat) und die gleichgültige “Toleranz”  gegenüber muslimischen “JUDEN INS GAS!”-‘Forderern erlauben. Aus linker Sicht bedeutet das: Nur politische Gegner verharmlosen und instrumentalisieren den NS, übrigens auch dann, wenn sie es nicht tun. Man ist gegen Rächz, gegen die AfD, gegen H.-G. Maaßen, gegen alles Deutsche, da hat man etwas gut. Der “Kampf gegen Rächz” legitimiert die wirtschaftszerstörerische, antidemokratische und anti-rechtsstaatliche “Politik” der “demokratischen Parteien”.

Herwig Mankovsky / 04.05.2024

Sie gibt dem Zustand Deutschlands das passende Gesicht.

Josef Katz / 04.05.2024

da kann ich froh sein, diese Partei schon vor einigen Jahren verlassen zu haben. als ich eingetreten war, da gab es noch einen Herbert Wehner und einen Willy Brandt. Was für ein Unterschied zu heute und die beiden waren, wie viele andere auch Verfolgte der Nationalsozialisten.

Ilona Grimm / 04.05.2024

@Sabine Heinrich/ Claudius Pappe: Frau Flack-Trümmermann ist für mich Frau Strazi. Das reimt sich schön auf Nazi.

D.Schiling / 04.05.2024

Diese Dame (m/w/d ?) ist nur ein weiterer Beweis dafür,daß  man es mit der Inklusion auch übertreiben kann.

Ilona Grimm / 04.05.2024

@Thomas Szabó: Sammelklagen in Deutschland sind immer noch Wunschdenken. Wikipedia schreibt dazu: »In Deutschland gibt es seit Oktober 2023 die Möglichkeit, Abhilfeklagen von Verbänden einzureichen, die damit z. B. Ansprüche für mehrere Verbraucher durchsetzt, ohne dass einzeln geklagt werden muss.« Ob auf diese Weise für die Interessen von AfD-Wählern geklagt werden kann, muss bezweifelt werden. Schließlich sind „wir“ keine Verbraucher eines von der AfD hergestellten fehlerhaften Produktes. Hierzulande muss jeder selber klagen und dabei den Nachweis bringen, dass er/sie durch Eskens Beschimpfungen der AfD beleidigt worden ist. Kostet Geld und macht viel Mühe. Bei uns wird Unrecht in Gesetze gegossen und vollstreckt. Aber wehe, einer von uns würde Esken & Co. als „Nazi“ beschimpfen. Obwohl die Bezeichnung doch absolut zutreffend wäre ... abgesehen von „national“ natürlich.

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