Von Ralf Ostner.
Die Bundesregierung hat untersuchen lassen, was die Deutschen unter „Gut Leben“ verstehen. Ausgewählte Bürger haben für diesen „Bericht zur Lebensqualität“ Einblicke in ihren Gemütszustand gegeben. Zum „Guten Leben“ gehört für die Befragten vor allem die Abwesenheit von Krieg und eine anständige Bezahlung. Wer hätte das nur gedacht? So postmateriell, wie oft behauptet, scheinen die Vorstellungen vom „Guten Leben“ also gar nicht zu sein. Das Ganze erinnert an eine Debatte, die nunmehr seit Jahrzehnten geführt wird: Ist das Bruttosozialprodukt die richtige Größe für das Wohlergehen eines Landes und seiner Bevölkerung? (zur Definition von Bruttosozialprodukt und Bruttoinlandsprodukt siehe hier).
So auch kürzlich im Bayrischen Fernsehen, wo jeden Sonntag der Lansinger Stammtisch unter der Moderation des früheren FOCUS-Chefredakteurs Helmut Markwort tagt. Geladen war eine illustre Runde, unter anderem die Schauspielerin Cordula Trantow, eine bekennende Grüne. Die Runde kam auf Fluchtursachen und Wirtschaft zu sprechen, worauf Frau Trantow plötzlich bemerkte, man solle sich das neue Wirtschaftssystem Bhutans zum Vorbild nehmen. Das habe als Verfassungsziel das Bruttonationalglück der Bevölkerung. Betretene Gesichter, keiner wußte so recht, wovon die Dame sprach.
Bhutan hat sich vom bisherigen Bruttosozialproduktbegriff der Volkswirtschaft verabschiedet und diesen durch den wesentlichen breiteren Begriff des Bruttonationalglücks ersetzt. Die Kritik am Bruttosozialprodukt als wesentlichem Wirtschaftsindikator ist schon so alt wie es Wirtschaftswissenschaften gibt. Vor allem wird kritisiert, dass das BSP keine qualitativen Aspekte berücksichtigt, also mehr eine Tonnenideologie ist, die Zerstörung wie auch Aufbau gleichermaßen unter Wirtschaftswachstum subsumiert. Verteidiger des Bruttosozialproduktes weisen darauf hin, dass dies zwar stimme, aber das BSP dennoch ein wichtiger Indikator für Wirtschaftstätigkeit sei – und auch holistisch mit anderen Wirtschaftsindikatoren in eine Gesamtbetrachtung einbezogen werde.
Anhängern des Bruttonationalglücks reicht das nicht. Das Bruttonationalglück beinhalte ein ausgeglichenes Wachstum unter Berücksichtigung der Ökologie, der psychischen und physischen Gesundheit der Bevölkerung sowie dem Erhalt von Tradition, Religion und Brauchtum, der Volkskultur. Dazu gehört unter anderem auch das in Bhutan verhängte Rauchverbot, das für alle Untertanen gilt, außer für den König, der als Kettenraucher weiter gut leben darf.
Aber es stellen sich auch andere grundsätzliche Fragen:
- Wie misst man denn die psychische Gesundheit der Bevölkerung und deren Glück?
- Handelt es sich hierbei nur um psychiatrisch klar definierte Krankheiten?
- Oder wird hier Glücklichsein und Happiness einem sich als glücklich empfindend sollendem Volk zwangsverordnet?
- Soll man das Bruttonationalglück etwa durch dem Volk verordnetes positives Denken, ewiges asiatisches Lächeln, Vermeidung von konfliktträchtigen Diskursen, staatlich zertifizierten Zwangsoptimismus, allgemeine Heiterkeit und vermeintliche Harmonie steigern?
- Welche staatliche Behörde soll die psychische Gesundheit des Volkes mittels welcher Kriterien messen? Ein Glücksministerium?
- Was ist mit jenen Leuten, die sich nicht glücklich fühlen – sind sie dann Störfaktoren und Saboteure des verordneten Bruttonationalglücks?
- Müssen Sie mittels staatlicher Maßnahmen beglückt werden?
Solch ein Volksbeglückungstotalitarismus besteht ja beispielsweise in Nordkorea, wo jeder so tut als wäre er oder sie der glücklichste Einwohner im glücklichsten Staat der Welt. Es liegt die Gefahr einer staatlichen Zwangsbeglückung und Zwangspsychatrisierung auf der Hand. Die Grünen müssten eigentlich die ersten sein, die dagegen protestieren (wobei sie oft staatliche Bevormundung befürworten und teilweise auch politisch durchsetzen). Würde man die von der Volkskrankheit Depression Betroffenen aus der Statistik tilgen? Damit das Bruttonationalglück wieder stimmt und wächst?
In Indien beispielsweise werden ja von der hindu-nationalistischen Modi-Regierung schon Welt-Yogatage und Welt-Lach-Yogatage staatlicherseits gefördert, um das Menschheitsglück perfekt zu machen. Das Bruttonationalglück in Bhutan schreibt auch den Erhalt der Volkskultur vor. Bemerkenswert, dass sich Grüne dafür ins Zeug legen, denn was für den kleinen buddhistischen Staat im Himalaya positiv gesehen wird, ist nichts anderes als die verfassungsrechtliche Verpflichtung auf eine verbindliche Leitkultur, welche die Grünen in Deutschland als CSU-Gottseibeiuns ablehnen.
Interessant auch, dass sich der Dalai Lama gegen eine Vermischung westlicher Kulturen mit anderen Kulturen ausspricht. Die grünen Multikulti-Leute sehen das nicht als völkisch an, da es ja auf dem Stamm des allseits vergötterten Buddhismus gewachsen ist. Der Dalai Lama und das Bruttonationalglück Bhutans stehen in Sachen Leitkultur der CSU jedenfalls ziemlich nahe.
Mal sehen, wie sich die Diskussion um das Bruttonationalglück weiterentwickelt. Unlängst wurde eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu diesem Thema eingesetzt. Vielleicht kommt die Bundeskanzlerin ja auf die Idee, ein Bruttonationalglück mittels eines Glücksministeriums zu befördern. Im Rahmen des Projekts „Gut Leben“ will die Bundesregierung jedenfalls schon mal ein „Indikatoren-System“ entwickeln, an dem man erkennen kann, wie hoch die Lebensqualität in Deutschland ist. „Das lässt nichts Gutes ahnen“, warnt die FAZ in einem Kommentar.
Ralf Ostner, 51, ist Diplompolitologe und Open-Source-Analyst, er arbeitet als Übersetzer für Englisch und Chinesisch. Mehr vom Autor finden Sie hier