Walter Krämer / 11.11.2022 / 17:45 / Foto: Sven Teschke / 20 / Seite ausdrucken

Wolf Schneider: Ein Nachruf

Ein ganz Großer ist gestorben. Wer in Deutschland berufsmäßig zu schreiben hat, kam und kommt um Wolf Schneider nicht herum. Und wer das so tut, dass andere diese Texte mit Gewinn und Freude lesen, hat das wahrscheinlicher als andersherum zu einem guten Teil von Wolf Schneider gelernt.

Seine Stilfibeln, etwa „Deutsch für Profis“ oder „Deutsch für Kenner“, sind einsame Klassiker dieses Genres und ersetzen in dieser Hinsicht ein komplettes Germanistikstudium.

Ohnehin hielt Schneider die Bedeutung einer akademischen Ausbildung im Journalismus für weit überschätzt; selbst ohne einschlägige Ausbildung zum berufsmäßigen Schreiben gekommen, stellte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit die vorrangige Bedeutung von Sachkenntnis und Weltverständnis für gute Schreiber in den Mittelpunkt. Der Studiengang Journalistik an der TU Dortmund etwa, in dessen Rahmen der Schreiber dieser Zeilen lange Zeit die Vorlesung „Statistik für Journalisten“ angeboten hatte, war für ihn eher Zeitverschwendung auf dem Weg in die SPIEGEL-Redaktion. Für viele schneller ging es tatsächlich über die lange Jahre von Schneider geleitete Henri-Nannen-Schule in Hamburg (am Anfang „Hamburger Journalistenschule“), wo der große Meister den Kursteilnehmern die heiße Luft aus ihren Texten blies.

Kuschelorgien gab es bei ihm nicht

Ich selbst habe vier Jahre lang, von Februar 2006 bis Januar 2010, zusammen mit Josef Kraus, Kornelius Sommer und Wolf Schneider jeden ersten Sonntag im Monat für dpa eine Pressemitteilung im Rahmen unserer „Aktion lebendiges Deutsch“ verfasst und meine eigenen Beiträge stets erheblich kürzer und besser lesbar von Wolf Schneider zurückbekommen. Mit dieser Aktion hatten wir uns vorgenommen, die nach dem Krieg wie selbstverständlich in Deutschland geübte Praxis wiederzubeleben, neue Wörter aus dem Englischen wie cold war (Kalter Krieg), air lift (Luftbrücke) oder self service (Selbstbedienung) ohne viel Federlesens einzudeutschen. Die Sieger unserer Publikumsbefragungen gingen dann an dpa. Unser Aufruf zur Eindeutschung von „brainstorming“ etwa generierte über 10.000 Vorschläge, davon 3.800 verschieden, von Hirnhatz über Denkgewitter und Synapsentango bis zu Lösungsansatzsammlungsgenerierung; in „Deutsch lebt! Ein Appell zum Aufwachen" (Paderborn 2010) ist die Ernte dieser Jahre zusammengetragen.

Mit dieser Aktion, wie auch durch seine Kritik an der Rechtschreibreform („überflüssig wie ein bayrischer Kropf“), durch seine aktive Mitgliedschaft im Verein Deutsche Sprache und seine vielfach öffentlich geäußerte Antipathie gegen die Auswüchse der Gendersprache („Wichtigtuerei von Leuten, die von Sprache keine Ahnung haben“), positionierte sich Wolf Schneider deutlich da, wo viele Intellektuelle unseres Landes nicht gesehen werden wollen: in der prekären Verteidigerfront deutscher kultureller Interessen. In seinem SPIEGEL-Bestseller Speak German („Ein starkes Buch gegen die Anglomanie“ – Welt am Sonntag), einem der letzten seiner insgesamt 28 Sachbücher, hält er seinen Landsleuten einen mehr als hässlich machenden Spiegel vor: „Auf einfache Weise“ – so ein Rezensent bei Amazon – „wird dem Leser offenbart, wie grenzdebil so manche Slogans in der Werbung sind und dass Globalisierung, um mit der Herde mitschwimmen zu wollen, noch lange nicht der richtige Weg ist.“ Völlig fremd, als langjähriger Moderator der NDR Talk Show, war ihm daher auch das heute übliche Anschleimen an Politiker rot-grüner Couleur, die vornehmlich in diesen Formaten eingeladen werden. Schneider redete Tacheles, Kuschelorgien gab es bei ihm nicht.

Einen wie ihn wird es so bald nicht wieder geben

Begonnen hatte diese beispiellose Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Tätigkeit als Übersetzer, später als Redakteur, für die „Neue Zeitung“ der amerikanischen Militärregierung in München. Geboren im Mai 1925 in Erfurt, aufgewachsen in Berlin, hatte Wolf Schneider nach dem Abitur bei der Luftwaffe gedient und danach bei den Besatzern zunächst als Dolmetscher gearbeitet. Dann wechselte er als Korrespondent zur Nachrichtenagentur AP, von dort zur Süddeutschen Zeitung, und von dort zum Stern. Hier war er zunächst Chef vom Dienst und ab 1969 Verlagsleiter. Es folgten Stationen als Chefredakteur der Welt und als „Mann für besondere Aufgaben“ des Springer-Verlags, bis er 1979 die Leitung der neu gegründeten Henri-Nannen-Schule übernahm. Diese wurde schnell zum Mekka des deutschen Journalismus, Schneider blieb Leiter bis 1995.

Parallel und auch später noch pflegte Wolf Schneider eine ausgeprägte Vortrags- und Dozententätigkeit, schrieb regelmäßige Kolumnen in zahlreichen Zeitschriften, etwa in dem Monatsmagazin NZZ Folio der Neuen Zürcher Zeitung, aber auch in den Sprachnachrichten des Vereins deutsche Sprache, und unternahm auch Ausflüge in die aktive Politik: Zusammen mit seiner zweiten Frau Elisabeth-Charlotte kandidierte er – wenn auch erfolglos – im Jahr 2006 für die FDP für den Stadtrat seines Wohnortes Starnberg. Er wurde 97 Jahre alt.

Einen wie ihn wird es so bald nicht wieder geben. Wolf Schneider: Wir vermissen dich!

Professor Dr. Walter Krämer, geboren 1948, war von 1988 bis 2017 Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund. Autor von über 40 Büchern und 200 Aufsätzen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Krämers „Lexikon der populären“ Irrtümer wurde weltweit in 20 Sprachen übersetzt und über eine Million Mal verkauft. Er ist Vorstandsvorsitzender beim Verein Deutscher Sprache (VDS).

Foto: Sven Teschke CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Sandra Müller / 12.11.2022

Ich werde alle seine Bücher auch meiner Tochter nahelegen, die viel und gerne schreibt. R.I.P., Wolf Schneider.

Dieter Kief / 11.11.2022

Sharp - sharpen your senses! = Schärfe Deine Sense! - Aus: Speak German! - Juutet Buch! - Sehr juutet Buch! - Der energische Mann schlammere sunft!

Dieter Kief / 11.11.2022

Oh - requiescat in pace!

Ulrich Viebahn / 11.11.2022

In seinen frühen Werken hat er gezeigt, daß er ein Meister ist: Das Buch vom Soldaten, Glück, Große Verlierer. Es ist wirklich sehr traurig.

Hans-Peter Dollhopf / 11.11.2022

Herr Professor Krämer, in meiner kleinkarierten Welt spielte Schneider bis jetzt nie eine direkt in das Bewusstsein reichende, geistbesamende Rolle. Mag daran liegen, dass seine Qualitäten zu unserer gemeinsamen Zeit für viele schon immer Normalmaß darstellten, wo wir @Unterbemittelte selbst überzufliegen gedachten - entschieden autonom. Aber jetzt, da Sie seine Bestseller hier benennen, fühle ich mich geschwächt, mich darin nachzuschulen. Rentiert sich es bei einem fable für Mutter Philologie?

Sabine Heinrich / 11.11.2022

Nur zur Kenntnis: Etwas ganz Jämmerliches zum Tod von Wolf Schneider hat sich ein Blogger aus Schleswig-Holstein geleistet - ich nenne weder Namen noch Ort, um ihm nicht die Aufmerksamkeit zu geben, nach der er ständig strebt -  der einen Nachruf auf den von mir hoch geschätzten Herrn Schneider geschrieben hat - der aber offensichtlich nur dazu dient, sich selbst als großes Licht darzustellen. Peinlich! - Aber solche Menschen habe ich im Laufe meines Lebens hin und wieder einmal kennengelernt - kleine Lichte, die sich aber gern im Schatten von Einflussreichen, Reichen, “Größen” - und sei es nur auf lokaler Ebene - bewegen und mit diesen Bekannten angeben. Wer von Ihnen kennt solche Leute nicht? Es sind wahrlich nicht die angenehmsten Zeitgenossen! - Wolf Schneider - ruhen Sie in Frieden! Und Ihnen, sehr geschätzter Herr Dr. Krämer, herzlichen Dank für Ihren würdigen Nachruf!

Thomas Szabó / 11.11.2022

Ich finde es verwunderlich, dass Ausländer wie ich die deutsche Kultursprache verteidigen müssen, da die Deutschen & Österreicher schlicht zu blöd sind, um ihre eigene Kultur zu würdigen… das war wohl etwas unfein formuliert… dass sie sich ihrer eigenen Kultur zunehmend als unwürdig erweisen. Ob mir eine höfliche Formulierung für “ins Gehirn geschissene Schwachköpfe” einfällt? Eine fürnehmere Formulierung, fürnehm mit “ü” - alterthümlich mit “th”...

Silas Loy / 11.11.2022

Wenigstens Schneiders “Deutsch für Kenner” habe ich tatsächlich im Regal. Ich wusste doch, da war was :-). Und das bleibt auch. “Brainstorming” kann man übrigens einfach übersetzen mit “Gedankenaustausch”. Jedenfalls solange man seine Brötchen nicht als Copywriter im Loft eines Startups verdienen muss, darf, will. Die Anglomanie ist eigentlich Ausdruck eines kulturellen Versagens, sie ist eine oft billige Aneignung in Ermangelung eigener Attraktivität und Ideen. Ähnliches gilt für’s alte “Leutnantsfranzösisch”, also “peu a peu”, statt “Stück für Stück”, oder “degoutant” statt “geschmacklos”. Und wer will schon “Nudeln” haben, wenn er “Pasta” bekommen kann? Linguistische Ranschmeisse, “Statement” statt “Stellungsnahme”, woanders kämpft man verzweifelt für seine fast tote Sprache (z.B. Irland).

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