Von Rainer Mohr.
Gegen Ende des Jahres wird deutlich, welch große Lücken Covid in unsere Kultur geschlagen hat. Musikträger (als Erinnerung an bereichernde Veranstaltungen im laufenden Jahr) oder zu Weihnachten Konzertkarten für das nächste Jahr, das wird problematisch werden. Und damit stellt sich die Frage, ob es Versuche gibt oder geben könnte, diese Lücken zu schließen.
Angesichts der gewaltigen Beträge, die der Staat für systemrelevante Firmen in die Hand nimmt, wären kreative Hilfen für kleinere kulturelle Projekte gut vorstellbar.
Wenn ein junger Nachwuchskünstler leider nur 100 Fans findet, dann könnte man ihm doch in Coronazeiten eine Halle mit 300 Plätzen für den Preis der alten – kleineren – Halle anbieten, wobei dann 200 Plätze leerbleiben. Diese Hallen sind doch regelmäßig kommunal, also irgendwie staatlich. Das Ziel dabei wäre, Arbeitsplätze und Kreativität zu erhalten und gleichzeitig Subventionen an Leistung zu knüpfen.
Der Bundestag ist ja auch nur für 598 Abgeordnete gedacht, aber wird für jetzt 709 Parteigänger verwendet, von denen nur noch ein Viertel anwesend sein muss, also 178, um beschlussfähig zu sein; dies entspricht 30 Prozent der gesetzlichen Anzahl. Wird ja auch voll bezahlt.
Warum keine Schulthemen im Fernsehen?
Wo ist denn die Corona-Bekämpfung im GEZ-Rundfunk zu erkennen? Sonntags am Vormittag Sport, abends Krimi, oftmals Wiederholungen. Tatort, Traumschiff, Talkshow. OMG.
Wieso gibt es keine neuen Formate, in denen bislang unbekannte Kleinkünstler auftreten? Mal ein paar No-Names im WDR, NDR oder BR. Wahrscheinlich ist diese Bühne eine Nummer zu groß für sie, vielleicht sogar zwei Nummern. Na und? Lieber ein paar bezahlte Kleinkünstler mit einer eher überschaubaren Performance im TV, die zumindest angemessen entlohnt werden, als wieder mal Didi aus der Konserve.
Wieso werden am Vormittag Sendungen mit Anwälten, Hotels, Singles oder anderem Getier gezeigt, während Schulklassen geschlossen sind oder in Zukunft von einem Lockdown bedroht sind? Es muss doch nach mehreren Monaten Corona möglich sein, dass ARD/ ZDF neuartige Sendungen mit Schulthemen produzieren – mit ansonsten arbeitslosen Schauspielern. Wenn die Leute ihre Kinder schon vor die Glotze setzen: warum dann nicht mit Bildung? Beispiel:
Montags um 8 Uhr beginnen 30 Minuten Geschichtsunterricht für die 8. und 9. Klasse. Danach 30 Minuten Unterweisung für die 6. und 7. Klasse in irgendwas ab halb neun. Ab 9 Uhr 45 Minuten Musik für die 10. Klasse. Sonntags Unterricht für Abiturienten als Vorbereitung auf die Studienzeit (oh ja, studieren kennt keine regelmäßigen Arbeitszeiten).
Wofür wurden die unzähligen Millionen Euro verwendet, die 2020 nicht für Übertragungsrechte im Sport ausgegeben werden mussten, obwohl sie eingeplant waren, Stichwort „Olympia“? In der medialen Bildung stecken sie nicht, in der Unterstützung der Kulturschaffenden auch nicht.
Allein Goethe bietet Stoff für eine ganze Sendereihe
Was die Fernseh- und genauso auch Radiosender für Unterrichtsmaterialien an sieben (!) Tagen der Woche während zwölf Stunden an Bildung senden könnten, kann man bei YouTube seit Jahren abgucken.
Bienensterben, Römisches Reich, Winkelfunktionen, dort ist jede alte und neue Thematik verfügbar, aber eben leider nicht so standardisiert (und vereinfacht) und auf die Lehrpläne abgestimmt, wie Unterricht nunmal sein muss. Machte man solche Unterweisungen als Produktion der Öffentlichen, dann müsste der Lehrer nur angeben, welche Sendung gehört oder gesehen werden muss und entsprechende Rückmeldungen anfordern. Würde bei den Lehrern klappen, aber der Staatsfunk funzt nicht.
Dabei gibt es Themen genug, nehmen wir nur mal den guten alten Goethe
- in Deutsch mit Werther und Faust,
- in Staatskunde als Politiker und Jurist im Kontext seiner Zeit,
- in Erdkunde als Italienreisender (incognito) oder als Sammler und Analytiker tausender geologischer Objekte im eigenen Haushalt,
- in der Farbenlehre als Kontrapunkt zu Isaac Newton,
- in Biologie als Entdecker des Zwischenkieferknochens und damit Wegbereiter Darwins oder
- als zeitgeschichtliche Figur dargestellt anhand seiner Freundschaft zu Schiller und Humboldt.
Mit diesem Mann allein könnte man im Unterricht ein Dutzend Stunden mit Themen füllen, notfalls zusätzlich unter Berücksichtigung von Gretchen und / oder Christiane Vulpius. Übergreifend für mehrere Fächer, sodass sich Zusammenhänge offenbaren, die in den einzelnen Fächern in der Schule so nicht erkennbar sind. Funzt aber nicht im ÖR: auch im Zweiten sieht man nicht das, was im Ersten schon fehlte. „Traurig, traurig, traurig“, würde Theo Lingen sagen. Denn der ist anscheinend der Maßstab beim Senden: Konserve, vor Jahrzehnten bereits endgültig und günstig bezahlt, und damit verbleiben die aktuellen laufenden Einnahmen ungeschmälert im Stab anstatt in der Produktion.
„Lokdown“ und „Quarantini“
Als Gegenbeispiel möchte ich auf die TED-Veranstaltungen hinweisen, die im Netz verfügbar sind. Bei „TED“ oder „TEDx“ finden Sie Vorträge von unter 30 Minuten Dauer, in denen (üblicherweise) eine Person live vor einem Auditorium schildert, was sie*ihn so bewegt. Es gibt Astronauten, die ihr Training schildern, Klimaforscher, die sowohl pro als auch contra FfF auftreten oder Monica Lewinsky (persönlich), die eindrucksvoll erklärt, wie sie die Zeit nach ihrem „Job“ im Weißen Haus erlebt hat – sehenswert. Gibt es kostenlos bei YouTube, bedauerlicherweise aber nicht als adäquates bildendes Format beim Acht-Milliarden-Gebühren-Unternehmen mit dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag.
Dabei gibt es bereits Beispiele für Engagement außerhalb der etablierten Strukturen. Beispiele, wie man schon als „kleiner Mann“ die Coronaproblematik entschärfen kann durch Eigeninitiative statt Wiederholung von Worthülsen in unseren Talkshows.
Ich erinnere an Captain Tom, der in Großbritannien für die Behandlung von Corona-Opfern sehr viel Geld gesammelt hatte. Dafür wurde er mit 100 Lebensjahren ehrenhalber zum Colonel befördert, von der Queen geadelt und er wurde Ehrenmitglied der Nationalmannschaft im Crocket. Compliments.
Es gibt eine Initiative in den Niederlanden (Taalbank), in denen Wortschöpfungen gesucht werden, die sich mit Corona auseinandersetzen. „Lokdown“ für die langen Locken infolge des Verbots, einen Friseur aufzusuchen. „Quarantini“ oder „Locktail“ für die alkoholischen Getränke, um sich den einsamen Abend schön zu saufen. Ähnliche Initiativen gab es in England oder durch die österreichische Zeitung „Kurier“. Funny.
Dank an die hiesigen Landwirte, die infolge des Verbots des Laternenlaufens einen „Trecker-Trek“ organisierten und mit blinkend geschmückten „Bulldogs“ (wie der Franke so sagt) einen Laternenkorso durch die Wohngebiete durchführten: glänzende Kinderaugen, glänzende Idee.
Philosophie für Dummies sozusagen, abseits von Precht
Vor dem Hintergrund dieser kleinen, aber derzeit wichtigen Initiativen zur Erbauung der Mitmenschen möchte ich ebenfalls eine Anregung geben. Wenn Sie mir einen Vorschlag erlauben, triste Coronaabende und den drögen Jahreswechsel zu überstehen, dann versuchen Sie es mit – Country Music.
Diese Musikrichtung muss Ihnen nicht unbedingt gefallen. Aber abseits der Musik: beachten Sie insbesondere die Texte. In vielen Texten werden in berührender Weise allgemeine Lebensweisheiten geschildert. Es geht da nicht nur um Pferde, Frauen und den Drink am Lagerfeuer. Was ja schon ausreichen würde. Es geht häufig auch um humanistische Prinzipien, Philosophie für Dummies sozusagen, abseits von Precht.
Selbstverständlich gibt es auch gute deutsche Musik und Texte. Spontan empfehle ich mal Ina Müller, den Deerns das Lied „Teenager“ und den Mannslüü „Das erste halbe Mal“. Genial. Lindenbergs „Einer muss den Job ja machen“, Jürgens´ „Atlantis“. Ambros, Kunze oder Hofmann, der „51er Kapitän“ von Mey (plus hundert weitere Meisterwerke). Man kommt in's Überlegen und wird gepackt bei diesen Liedern.
Dennoch ist Country anders. Daher vertrauen Sie sich doch ruhig mal dem Jammern der Steelguitar an. Sie verstehen die Texte nicht? Ihr Nachwuchs hat Englisch in der Schule, und es gilt „learning by doing“.
Toller Text, tolle Musik
Lauschen Sie Alan Jackson. Bei „Where were you“ verstand ich: wenn es irgendein Datum gibt, bei dem wir uns sofort und unvorbereitet nachträglich erinnern, wo wir waren und was wir taten, dann war es der 11. September, ein Einschnitt ohnegleichen, bei dem man nicht mal mehr die Jahreszahl kennen muss. Wenn Ihnen jetzt spontan einfällt, wo Sie an jenem Tag waren, dann hat AJ recht: dieser Tag ist einmalig. Im Song verbunden mit dem Dank an die Feuerwehrleute und Mitleid mit den Angehörigen, die über das Schicksal ihrer Angehörigen bangten. Toller Text, tolle Musik. Oder „The little man“: der kleine Mann, der mit seiner Arbeit den Laden am Laufen hält, während seine Welt durch die Aktivitäten der Global Players zusammenbricht.
Ähnlich der begnadete Garth Brooks mit „Friends in low places“. Im Freundeskreis nennen wir das „Obergefreitendienstweg“. Oder sein Lied zum Muttertag „Mom“. Gott schickt ein Baby in die schwierige Welt, weil es tatsächlich einen Menschen auf der Welt gibt, der das Kind mehr lieben wird als Er im Paradies: dessen Mutter. Wow!
Kommen wir zum Virtuosen auf der Gitarre, Brad Paisley. Den Titel „Waiting on a woman“ muss man als Duett im Official Video gesehen haben. Frauen leben länger als Männer – sie kommen einfach überall zu spät. Genauso spektakulär seine musikalische Danksagung an Stiefväter, die das fremde Kind annehmen wie das eigene, „He didn´t have to be“, bevorzugt als Official Video, denn das ist selbsterklärend. Diese Lieder / Videos kann man selbst am Heiligen Abend gut ansehen, denn weder der Kleine Lord oder irgendein Santa-Claus-Film erreichen dieses Niveau an Mitgefühl.
(Vergleichen Sie ruhig Country, beispielsweise „Santa looked a lot like daddy“, mit dem beliebtesten Lied im Königreich während der Weihnachtszeit: die Pogues mit „Fairytale of New York“. Das englische Pendant versteht man erst mit einem Wörterbuch der englischen four-letter-words, also Gossensprache). „Back to Country“:
Ausweg aus der Corona-Senke
„Welcome to the future“ zeigt, wie positiv sich unsere Welt in den letzten Jahren entwickelt hat. Und hören sie Lieder über Trennung (mit Videobotschaften von Paaren, die sich aktuell trennen), Zuversicht („Bucked off“) oder „das Ei, das im Bier fehlt“. Und das kommt so:
Brad Paisley stellte in Coronazeiten ein neues Lied online und schaltete sich während der Performance mit seinen Fans zusammen. Das Lied heißt „No I in Beer“, was bedeuten soll, dass es beim beer = Bier = Geselligkeit kein „Ich“ gibt: es gilt, zusammenzustehen und gute Laune zu leben, trotz Corona und Lockdown. Er singt, seine Fans singen im Netz mit oder spielen zeitgleich Gitarre/ Schlagzeug/ Karaoke. Oder trinken online ein Bier, gemeinsam gegen die Vereinsamung. So tickt God´s own country. Machen. Selbst. Jeder. Eine gespaltene Nation, the red-white-and-blue? Oder ein jeder ein legitimer Teil einer multi-kulturellen Nation, in der auch Landleben matters?
Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit diesem Text eine Anregung erhalten haben, Neues auszuprobieren und das beste draus zu machen. Anhören, zuhören, als Ausweg aus der Corona-Senke. Vielleicht empfinden Sie Country (zukünftig) als Bereicherung, vielleicht lehnen Sie Countrymusic (weiterhin) ab. So what. Hauptsache, dieser Text hat Sie inspiriert und eine Alternative in Zeiten aufgezeigt, in denen öffentlich-rechtliche Kultur aus der tausendsten Wiederholung des Bergdoktor oder den ewigen Helden der Volksmusik besteht, die mittlerweile mehr Schluckbeschwerden erzeugen als Corona.
Und wenn Sie ein Weihnachtsgeschenk suchen: Country hat auch überwältigende Liebeserklärungen („My Miracle“, „Shameless“; Tipp für Männer: und sei es nur, um diese Texte auf der Weihnachtskarte für die Liebste abzupausen), sie hat Musik und Texte über das Bierchen, das man mit dem besten Kumpel teilt („… you don´t have to drink alone“, Teil aus „No ´I´ in beer“), Themen zu Trennung und Losern („Walkaway Joe“), und irgendwo werden Sie bei Bedarf auch eine Romanze finden, die sich mit Pferden beschäftigt. Black Beauty, Rih und / oder Jolly Jumper werden es danken. Und wer wissen möchte, wer Trump wirklich besiegt hat: „Vote them out“ (Willie). Country kann's.
Eine Inspiration, um diese Zeiten abzuwettern, bietet Lee Ann Womack noch immer mit: „I hope you dance.“ And I hope you do so yourself, dear reader und listener. Bleiben Sie gesund – und starten Sie Ihre eigene kleine Initiative. Privat oder öffentlich-rechtlich. Howdy, „Country Nation“.
Rainer Mohr, geb. 1957, Diplom-Verwaltungswirt, arbeitete 30 Jahre lang in der niedersächsischen Kommunalverwaltung, unter anderem als stellvertretender Behördenleiter. Aktuell ist er als selbstständige Aushilfskraft im Öffentlichen Dienst tätig.