"Alle sieben Minuten verliebt sich eine Journalistin in Robert Habeck“, gilt als gesichertes Medienphänomen. Das "Bündnis Robert Habeck", wie die Grünen schon genannt werden, haben sich in eine ideologische Zwangslage manövriert.
Den Wahlschlappen folgen die Rücktritte und Austritte. Bei den Grünen steht Selbstfindung und Profilbildung an. Leicht wird es für sie nicht werden, aus der Krise herauszufinden. Immer mehr Menschen merken, dass hier ein aus viel Selbstgefälligkeit und wenig Substanz bestehendes Gebilde ziemlich morsch geworden ist. Die Grünen haben heute das Problem, dass der Zeitgeist in der gesellschaftlichen Mitte, also den meinungsbildenden Schichten, in den Medien, den Schulen, den Hochschulen, der Verwaltung, der Kulturindustrie und auch im Management vieler Unternehmen zwar noch grün ist, dass aber vom Rest der Gesellschaft die Grünen zunehmend als Problem gesehen werden, da sie nachvollziehbarerweise am meisten mit diesem mittlerweile parteiübergreifenden Zeitgeist identifiziert werden.
Stellenabbau und Verlagerung von Industriebetrieben ins Ausland werfen kein gutes Licht auf den Mann, um den sich die Partei nun sammeln soll. Angesichts der massiven Probleme der deutschen Wirtschaft wirkt die Selbstinszenierung von Habeck als Held der großen Transformation (mit Scholz) zunehmend peinlich. Das Märchen vom grünen Wirtschaftswunder konnte nicht auf ewig unhinterfragt bleiben. Es wird uns mittlerweile ein wenig zu lang erzählt, „in Wirklichkeit“ sei der grüne Strom viel billiger, weil Wind und Sonne bekanntlich keine Rechnung schicken. Und wenn wir erst einmal den Kohlestrom los seien, der immer so lästig „die Netze verstopft“, werde schon alles gut. Und wenn nicht, dann komme eben die aus Deutsch-Südwestafrika gespeiste grüne Wasserstoffrevolution.
Hinzu kommen Probleme mit Teilen der bisherigen Wählerschaft. Als Umweltpartei haben sie sich teilweise selbst demontiert, indem sie den Naturschutz zugunsten von Klimaschutz verraten haben. Der Atomausstieg wird nur noch von ein paar altgrünen Trittinisten goutiert. Die Mehrheit der Bevölkerung und ein guter Teil der (ehemaligen) Grünenwähler erkennt ihn allmählich als das, was er ist: nicht nur eine industriepolitische Katastrophe durch die Zerstörung wertvoller Infrastruktur, sondern auch ein klimapolitischer Schuss ins Knie. Klimaschutz ist das Einzige, was den Grünen geblieben ist, er ist aber längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr.
In der Rolle der linken Multikulti-Apologeten fällt es ihnen immer schwerer, dem Gegenwind aus allen Ecken des Landes standzuhalten. Mit Willkommenskultur ist kaum mehr zu punkten. Entsprechend ist man hier leise murrend eingeschwenkt, weshalb sich gemeinsam mit der Parteijugend auch ein Teil der Wähler in Richtung Linkspartei verabschieden dürfte. Aber dieser linken Jugend weine man keine Träne nach, ist vielfach aus der Partei zu hören. Als Lifestyle-Partei können sie sich nicht mehr vom Rest absetzen. Das Leitbild der LOHAS, des Lifestyle of Health and Sustainability, hat sich in der Professional Managerial Class (PMC), also den besserverdienenden Angestellten in Wirtschaft, Politik und Verwaltung, längst breit durchgesetzt. Heute braucht niemand mehr grün zu wählen, nur weil er für Biolebensmittel, Klimaschutz, Gendervielfalt und Cancel Culture ist. Das haben längst auch die anderen Parteien (des „demokratischen Spektrums“) im Angebot.
Elitismus als Markenkern
Der Abgang von Ricarda Lang mit ihrem Arbeiterklassen- und Omid Nouripour mit seinem Migrationshintergrund symbolisieren auch den Wandel der Partei, die die Integration in die globale Kaste der PMC nun weitgehend vollzogen hat. Weder in der Arbeiterschaft noch bei Immigranten dürften die Grünen heute noch auf große Wahlerfolge hoffen. Die Verbliebenen im grünen Machtzentrum, Habeck und Baerbock, stehen für das Versagen in der Wirtschaftspolitik und den „Verrat“ an der Friedenspolitik. Bei der anstehenden „Profilschärfung“ scheint ihnen wenig zu bleiben, als sich als moralische Premium-Marke inhaltlich flexibel und universell kompatibel im Dienste des Machterhalts zu positionieren. Hinzu kommt die Herausforderung, persönlich irgendwie durch die Krise zu kommen, ohne wirklich Federn lassen zu müssen. Baerbock war schlau genug, rechtzeitig auf die drohende Kanzlerkandidatur zu verzichten und wird ihr Heil wohl nach der nächsten Wahl irgendwo im supranationalen Raum der globalen Machtelite suchen.
Nun konzentriert sich alles auf Habeck, dessen Stärke schon vor Jahren durch das Bonmot „Alle sieben Minuten verliebt sich ein:e Journalist:in in Robert Habeck“ treffend charakterisiert wurde. Er steht vor der Aufgabe, die verbliebene innerparteiliche Diversity zu überwinden und die Getreuen um sich zu scharen. Mit Habecks Staatssekretärin Franziska Brantner und dem Bundestagsabgeordneten Felix Banaszak, die sich jetzt um den Vorsitz bewerben, ist man, sowohl in Hinblick auf Body-Mass-Index als auch auf sozialen Habitus, karrieretechnisch optimal aufgestellt für die anstehende Neuausrichtung der Partei. Auch Sven Giegold, der den Job als Bundesgeschäftsführer anstrebt, passt gut. Wie Brantner ist er Staatssekretär bei Robert Habeck und ein erfahrener EU-Technokrat. Seit 2009 setzte er sich von Brüssel aus für die grüne Transformation der Wirtschaft ein, wo zeitweise Banaszak sein Mitarbeiter war, bis er Ende 2021 ins Wirtschaftsministerium wechselte.
Doch wie soll die Neuausrichtung aussehen? Bei Welt TV wird sie mit den Worten „weg von der Wohlstands- und Verbotspartei, hin zur Kanzlerpartei“ beschrieben. Laut Banaszak will man „wieder Zukunfts- und Hoffnungsort“ werden. Gleichzeitig soll er die Parteilinke bei Laune halten. Auch Franziska Brantner setzt auf die, die grünen Optimismus verbreiten wollen, sie möchte„als Grüne der Ort sein, an dem sich jene Menschen versammeln, die an unser Land glauben und bereit sind, auch zuversichtlich in die Zukunft zu schauen“. Andere formulieren etwas weniger blumig, es gehe darum „die Grünen vom Hassobjekt wieder zu einer attraktiven Option zu machen.“
Habeck auf Kanzlerkurs?
Sympathisches Auftreten, angenehme Erscheinung und Medienkompatibilität sind das eine, doch das wird kaum reichen, um im nächsten Jahr als „Mann für alle Fälle“ aufs Spiegel-Cover gedruckt zu werden. Habeck wäre gut beraten, im November beim Parteitag in der Kanzlerfrage die Notbremse zu ziehen, und sich mit der Bezeichnung Spitzenkandidat zu begnügen. Doch es gibt auch Stimmen, die den Glauben an den alten Toyota-Werbeslogan nicht verloren haben. Peter Carstens schreibt in seinem Leitartikel für die F.A.Z. am 27. September in Hinblick auf die grünen Kanzleramtsambitionen: „Wirkt das verrückt? Ja, ungefähr so verrückt wie im Frühjahr 2021 der Versuch von Olaf Scholz und der 14-Prozent-SPD, das Kanzleramt zu erringen.“ Und da sich Scholz bekanntlich fest entschlossen zeigt, die gleiche Nummer noch einmal durchzuziehen, warum dann nicht auch noch Habeck. Es ist ohnehin schon alles gleichgültig. Und wie Scholz setzt auch Habeck dabei auf die Strategie, in die Fußstapfen der rotgrünen Kanzlerin zu treten. Robin Alexander jedenfalls berichtet: „Robert Habeck zieht durch Berlin und erzählt jedem, er ist der eigentliche Merkel-Erbe.“
Vielleicht ist der Kanzlerkurs aber auch nur eine Flucht nach vorn, um den Abgang nicht primär in der Rolle des Wirtschaftsministers erleben zu müssen. Darauf dürfte Habeck keinen großen Bock haben. Denn es spricht sich herum, dass die deutsche Wirtschaft nicht auf gutem Kurs ist. Habecks Überleben hängt auch davon ab, ob die Herde der deutschen Wirtschaftslenker weiter brav mit viel Nachhaltigkeitsbohei dem Minister hinterherdackelt in der Hoffnung, noch ein paar Subventionen abzubekommen, oder vielleicht einen Preis fürs Haltungzeigen. Darauf wird er sich allerdings nicht verlassen können. Das Narrativ bröckelt. Dissidenz dürfte in den nächsten Monaten immer attraktiver werden.
Spätestens seit dem Heizungsgesetz-Debakel konzentrieren sich seine Profilierungsversuche daher auf staatsmännische Video-Botschaften zu anderen Themen. Man sieht, als Kanzlerdarsteller fühlt er sich wohler. Die Versuchung ist daher groß, sich in eine Kanzlerkandidatur zu retten. Als krasser Außenseiter hat man im Grunde nichts zu verlieren. Nach der Bundestagswahl bleibt dann die Wahl zwischen einer Neuauflage der Vizekanzlerschaft (diesmal im Außenamt) unter Friedrich Merz oder einem „Tschüss, Ihr undankbaren Leute, ich habe lang genug für die Weltrettung geackert.“
Und wo bleibt die Partei?
Ob es in Deutschland eine Normalisierung dergestalt gibt, dass die Grünen wieder zur unbedeutenden Kleinpartei werden, wie im Rest der Welt, bleibt abzuwarten. Fürs Erste bleibt ihnen als Wählerbasis eine Gruppe von Boomern, die ihre politische Prägung in den grünen 1980er Jahren im Kampf gegen Atomkraft, Gentechnik, Bildschirmtext und Startbahn West erhalten haben, später dann Angela Merkel eigentlich auch ganz gut fanden und inzwischen ziemlich versiert darin geworden sind, die kognitive Dissonanz zwischen ihren moralischen Forderungen nach Planetenrettung und dem eigenen Lebensstil als ältere Ehepaare im Eigenheim mit zwei Autos und jährlichen Fernreisen zu bedrohten Biotopen in aller Welt mit Hilfe einer ukrainischen Putzfrau, etwas Biogemüse und einem wohlgenährten Feindbild routiniert auszusitzen.
Doch selbst von denen ist offenbar so mancher auf dem Absprung, weil die pragmatisch technokratische Energiewendepartei, auf die die Grünen nun zusammenschrumpfen, sich zu weit vom Ökosozialismus der alten Tage entfernt. „Schon länger war die Partei auf dem Weg zu einer ‚FDP mit Dosenpfand‘, wie böse Zungen es immer wieder einmal formuliert haben. Das dürfte jetzt forciert weitergehen“, schreibt ein enttäuschter Grünenwähler der älteren Generation. „Man könnte weinen. Aber vielleicht muss man dieser Partei auch keine Träne hinterherweinen.
Die sozialökologische Transformation lässt sich nicht verdrängen, sie bleibt auf der Agenda und wird, wenn nötig, dann eben von anderen politischen Kräften umgesetzt.“ Womit wir bei der Linken wären. Für diese Partei, die dank BSW nun am Tiefpunkt ist und die abtrünnige Grüne Jugend gewiss mit offenen Armen empfangen wird, könnte eine Wiedergeburt in Gestalt einer Grüner-als-die-Grünen Partei eine interessante Option und vielleicht die einzige Chance sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo Argumente.
Thilo Spahl ist Diplom-Psychologe und lebt in Berlin. Er ist freier Wissenschaftsautor, Mitgründer des Freiblickinstituts und Redakteur bei „Novo“. Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente. Mehr von Thilo Spahl lesen Sie im Buch „Schluss mit der Klimakrise: Problemlösung statt Katastrophenbeschwörung“.
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