Es hieß immer, dass diese Präsidentenwahl ein ganz knappes Rennen werden würde, stattdessen ist es ein klarer Sieg für Trump. Wie konnte er das schaffen?
Ein Erdrutschsieg der Republikaner scheint wahrscheinlich: Trump als Präsident, Kontrolle von Senat und Repräsentantenhaus. Zusammen mit der konservativen Mehrheit im Obersten Gerichtshof dominieren die Republikaner die amerikanische Bundesregierung für zwei Jahre. Trump sicherte sich nicht nur die Mehrheit der Wahlmänner, sondern auch die der abgegebenen Stimmen und gewann in sechs, vielleicht allen sieben der umkämpften Bundesstaaten. Ein Triumph.
Warum? Zufälle spielen eine Rolle. Noch am Wochenende hielten Prognostiker und Märkte den Ausgang für ungewiss. In Wisconsin war das Wetter schlecht, und Regen allein könnte durch seine Abschreckungswirkung auf Wähler vor Wahllokalen, deren Warteschlangen bis nach draußen reichen, ein knappes Ergebnis in einem Bundesstaat herumreißen.
Doch es gibt grundlegende Tendenzen, die den Ausgang teilweise erklären.
Harris hätte nichts anders gemacht
Erstens: Amerika wollte Veränderung, wenn auch nicht unbedingt Trump. In Umfragen meinten doppelt so viele Amerikaner, das Land bewege sich in die falsche Richtung, als dass es sich in die richtige bewege. Diese Unzufriedenheit bedeutete nicht automatisch Zustimmung zu Trump, sondern ebenso gut Entsetzen über die Dobbs-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs oder Sorgen über Klimawandel oder Ärger über die Unterstützung Israels bei den Linken wie Sorgen über illegale Einwanderung oder die Einschränkung der Meinungsfreiheit oder Ärger über hohe Spritpreise bei Trump-Unterstützern.
In dieser Stimmung erklärte Kamala Harris kürzlich im Fernsehen, sie hätte nichts anders gemacht als die Biden-Regierung. Ein uneingeschränktes „weiter so“ bedient keine Wechselstimmung.
Ungewählt und unbestimmt
Zweitens: Trump bemühte sich um Wählerstimmen, während Harris entweder ihre Position als sicher ansah oder fürchtete, sich durch Wahlkampf zu schaden. Ihr Versuch, 2020 Präsidentschaftskandidatin zu werden, scheiterte früh. Dieses Jahr kam sie nur durch intransparente Entscheidungen nach Bidens Debattendebakel gegen Trump ins Rennen. Anders als andere Kandidaten musste sie sich nicht in einem parteiinternen Wahlkampf beweisen.
Statt sich um Wähler zu bemühen, führte Harris einen zurückhaltenden Wahlkampf. Sie hielt weniger Veranstaltungen ab als Trump, las dabei vom Teleprompter ab, vermied Interviews und gab als Kandidatin keine einzige formale Pressekonferenz. Inhaltlich legte sie sich kaum fest, verteidigte weder unpopuläre Aspekte der Biden-Regierung noch bot sie Alternativen an. Sie wollte die Grenze besser schützen, ohne konkrete Pläne zu nennen, betonte, sie sei Waffenbesitzerin, ohne von Forderungen nach Waffenkonfiskation abzurücken, und vermied Stellungnahmen zu Fracking oder Krankenversicherung. Dieser Ansatz weckte weder Enthusiasmus bei linken Anhängern, noch beruhigte er moderate Wechselwähler.
Zwar führte Biden 2020 einen ähnlichen Wahlkampf „aus seinem Keller“ und gewann knapp, doch damals herrschten besondere Bedingungen: Covid-19 und die Ermüdung an Trumps nächtlichen Tweets und seinem Personalkarussell halfen Biden. Diese Vorteile hatte Harris nicht.
„Young man, are you listening to me?“
Trump hingegen bemühte sich um Wählerstimmen. In Milwaukee erlebte ich ihn letzten Freitag live: Er sprach anderthalb Stunden, improvisierte bei einem Tonausfall und tanzte am Ende zu YMCA von den Village People. Faktenchecker mögen ihn kritisieren, doch eines muss man ihm glauben: Er will die Wählerstimmen – „eure schöne Stimme“, „eure verdammte Stimme“, „wählt, wählt, wählt! “
Politik als Unterhaltung mag fragwürdig sein, doch sie funktioniert. Politisch Informierte haben ihre Entscheidung meist getroffen, hatten zu diesem Zeitpunkt sogar oft schon ihre Stimme abgegeben. Erreichbar sind die weniger Motivierten, und bei ihnen wirken Unterhaltung und Versprechen. Wichtig ist, dass man sich um sie bemüht. Obama nannte sie Zurückgebliebene, die sich „an Waffen oder an Religion klammern“, Clinton „Korb der Verächtlichen“, Biden „Müll“. Diese Verachtung spiegelt die Sicht der selbsternannten Eliten auf das „flyover country“ wider. Trump hingegen kam, hielt Veranstaltungen ab, erklärte, er „liebe“ den Staat und die Stadt und die Nachbarstadt, und bemühte sich da um die „schönen Stimme[n]“ der erschienenen Wähler.
Harris' Verachtung zeigte sich in der Beschimpfung Donald Trumps als „Faschist“, vermutlich ohne in der Lage zu sein, diesem Wort irgendeine spezifische Bedeutung zu geben, ganz sicher jedenfalls, ohne in der Lage zu sein, die Entstehung der Fasci Italiani di Combattimento geistes- oder politikgeschichtlich zu erklären. Diese Beleidigung trifft auch die Hälfte des Landes, die Trump unterstützt. Sie ist keine politische Be-, sondern eine soziale Verurteilung. Diese Verachtung erhielt nun auf dem Wahlzettel ihre Quittung.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.