Von Rüdiger Stobbe.
Eine schöne Geschichte aus der Fibel der Hoffnung lautet: Effiziente Stromspeicher sind die Lösung, wenn es darum geht, Wind- und Sonnenstrom zu verstetigen, so dass er vollkommen problemlos, das heißt schwankungsfrei, in das Stromnetz eingespeist werden kann. Darüber hinaus kann überschüssiger Wind- und Sonnenstrom, der schon heute in gewaltigen Mengen anfällt und deshalb exportiert werden muss, in Strom-Großspeichern „gelagert“ werden. Er steht damit in schwachen Wind- und Sonnenzeiten als Ausgleich zur Verfügung. Sobald genügend Speicher vorhanden, sobald die Erneuerbaren auf 100% ausgebaut sind, ist die Energiewende „Strom“ vollendet. Soweit die Legende. Mit der wahren Geschichte beginne ich im Anschluss an unsere Tagesanalysen:
Es war eine Durchschnittswoche mit ruhigem Wetter. Das Chart – generiert aus dieser Tabelle – weist keine Spitzen-, aber auch keine besonders schwachen Stromerzeugungswerte durch Wind- und Sonnenkraftwerke aus. Biomasse und Wasserkraft als grundlastfähige Erneuerbare liegen mit knapp 0,2 TWh pro Tag ohnehin im Normalbereich.
Sonntag, 17.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 38,41 Prozent
Das Wetter war schön, der wenige Windstrom am Tag wurde mit Sonnenstrom aufgepimpt. Gegen Abend frischte der Wind dann auf. So kam eine gute halbe Terawattstunde (TWh) Strom durch Erneuerbare zusammen. Der Gesamtstrombedarf lag bei 1,17 TWh. Exportiert wurden 0,21 TWh.
Montag, 18.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 36,94 Prozent
Das Wetter wurde ähnlich wie gestern (vorhergesagt). Die Stromerzeuger fuhren die Reserve zwecks "Netzausregelung" (siehe unten) herunter. Trotz etwas mehr Wind als am Sonntag und natürlich wegen des Mehrbedarfs als an einem Sonntag wurde fast eine TWh konventioneller Strom erzeugt. Es wurden wegen der geringer angesetzten Netzausregelungsreserve lediglich 0,11 TWh exportiert. Gegen Abend wird der Wind stärker. Es deutet sich der windreichste Tag der Woche an.
Dienstag, 19.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 47,43 Prozent
Tatsächlich wird am Dienstag mit 0,66 TWh der meiste Wind- und Sonnenstrom dieser Woche erzeugt. Allerdings ist es auch der bedarfsstärkste Tag. Deshalb sind immerhin noch 0,92 TWh konventionelle Stromerzeugung notwendig. Wovon 0,17 TWh exportiert werden können. Mehr Wind bedeutet aber auch weniger Sonne, wie man hier sehr schön erkennen kann. Die genauen Werte finden Sie in der Tabelle.
Mittwoch, 20.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 38,41 Prozent
Wind- und Sonnenstromerzeugung fällt wieder ab. Auf gesamt 0,46 TWh (Vortag 0,66 TWh). Über eine Terawattstunde konventioneller Strom werden zur Deckung des Bedarfs und der Netzausregelungsreserve benötigt. Unter dem Strich können 0,1 TWh exportiert werden. Den Verlauf der Stromerzeugung finden Sie hier. Achten Sie mal auf die dunkelblaue Linie unten: Das ist der Strom, der mittels Windkraftanlagen auf dem Meer erzeugt wird. Wenn in Politik und Medien von diesem Offshore-Strom die Rede ist, hat man immer den Eindruck, es handele sich um gewaltige Mengen. Faktisch trägt Offshore-Strom kaum zur Stromversorgung Deutschlands bei. 2018 waren es 3,5%.
Donnerstag, 21.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 39,64 Prozent
Ein ruhiger Tag. Ähnlich wie gestern. Wind und Sonne bringen 0,5 TWh Strom auf die Waage. Biomasse und Wasserkraft 0,17 TWh. Konventionelle Energieträger erzeugen 1,02 TWh. 0,15 TWh werden exportiert.
Freitag, 22.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 30,26 Prozent
An diesem Tag reichte für einen relativ kurzen Zeitraum – von 16:00 Uhr bis etwa 18:45 Uhr – die selbst erzeugte Regelenergie, die Netzausregelungsreserve, nicht aus, so dass Strom importiert werden musste. Aus Tschechien und Frankreich. Grund war, dass nicht vorhergesehen wurde, dass mit unerwartet weniger werdender Sonneneinstrahlung – zum Beispiel weil mit Beginn des Sonnenuntergangs zusätzlich Wolken aufkamen – ein weniger starkes Ansteigen der Windtätigkeit einherging. Dass unter dem Strich dennoch 0,06 TWh exportiert wurden, sind der Zeit und dem Ort geschuldet. Bedenken Sie, dass Stromversorgung ein Gleichzeitigkeitsgeschäft ist: Wird der Strom abgefordert, wird er erzeugt. In der Zeit, in der die Reserve nicht benötigt wird, wird sie sofort exportiert. Immerhin an 21 1/4 Stunden an diesem Tag.
Samstag, 23.2.2019: Anteil Erneuerbare an der Gesamtstromerzeugung 37,76 Prozent
Auch heute haben Wind- und Sonnenstromerzeugung am späten Nachmittag einen leichten Knick, sprich Tiefpunkt, der diesmal aber problemlos „ausgeregelt“ werden kann. Tagsüber schien die Sonne stark auf die Solarpaneele, so dass unter dem Strich wieder 0,11 TWh exportiert wurden. Der heutige Tag ähnelt dem Sonntag, 17.2.2019, zu Wochenbeginn frappierend. Schauen Sie sich mal die Werte in der Tabelle an.
Batteriespeicher für die Energiewende?
In Aachen wurde im September 2016 ein gewaltiges Projekt in Sachen Speicher in Betrieb genommen: Mit M5bat ist ein einzigartiger hybrider Batteriespeicher entstanden. Etliche Partner, staatliche Förderung und nicht zuletzt das Know-how der RWTH Aachen machten es möglich. Es sei ein wichtiger Schritt in Richtung Energiewende, wird der Presse verhalten-euphorisch mitgeteilt.
Beim M5bat handelt es sich in erster Linie um ein Forschungsprojekt. Auf der Webpage des Projektes heißt es:
Grundsätzlich kommen verschiedene Batterie-Technologien für die Speicherung in Frage. Zur Nutzung von Synergie-Effekten können verschiedene Batterie-Technologien kombiniert werden, um deren unterschiedliche Vorteile miteinander zu verbinden. So ist z.B. die gleichzeitige Nutzung von günstigen Hoch-Energie-Batterien und teureren Hoch-Leistungs-Batterien denkbar, um eine bessere Wirtschaftlichkeit bei gleicher Leistungsfähigkeit zu erreichen. Im Projekt M5BAT werden fünf verschiedene Batterie-Technologien eingesetzt, um sowohl deren jeweilige Performance unabhängig voneinander als auch kombiniert im Hybrid-Betrieb testen und bewerten zu können.
Die Leistung des Forschungsspeichers in Aachen beträgt 5 Megawatt (MW).
Die STEAG in Essen nutzt Großspeicher im industriellen Rahmen. An 6 Standorten sind jeweils 5 Batterieblöcke à 2 Container mit jeweils 3 MW pro Batterieblock = gesamt 90 MW Kapazität installiert. Ab 2017 stehen insgesamt 120 MW zur Verfügung. Die Großspeicher werden in erster Linie genutzt, um Stromschwankungen „auszuregeln“. Das Stromnetz – der Strom aus der Steckdose – muss immer exakt eine Frequenz von 50 Hertz ausweisen. STEAG schreibt:
Beträgt die Schwankung im Stromnetz zehn Millihertz oder mehr, muss sie umgehend ausgeglichen werden, damit das Netz in einem stabilen Zustand bleibt – „Netzausregelung“ ist der Fachbegriff hierfür. Ein instabiles Netz könnte zu Störungen bei elektrischen Anlagen führen – etwa bei Maschinen von Industrieunternehmen oder auch bei technischen Einrichtungen im Stromnetz. In der weiteren Folge könnte es zum gefürchteten Blackout kommen, also zum Totalausfall des Stromnetzes. Konkret werden Schwankungen im Stromnetz so ausgeglichen: Die Betreiber des deutschlandweiten Übertragungsnetzes [...] haben die Aufgabe, das Leistungsgleichgewicht zwischen Stromerzeugung und -abnahme ständig aufrechtzuerhalten und dadurch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Hierzu nutzen sie die wöchentlich ausgeschriebene und von den Anbietern entsprechend vorgehaltene sogenannte Regelenergie. Ist das Netz unterspeist, fällt die Netzfrequenz unter 50 Hertz, und es muss Energie eingespeist werden (positive Regelleistung); ist das Netz überspeist, steigt die Netzfrequenz über 50 Hertz, und es muss Energie aus dem Netz genommen werden (negative Regelleistung). Dabei wird zwischen Primär- und Sekundärregelleistung sowie Minutenreserve unterschieden. Primärregelleistung muss innerhalb von 30 Sekunden, Sekundärregelleistung innerhalb von 5 Minuten, Minutenreserve innerhalb von 15 Minuten im erforderlichen Umfang bereitgestellt werden.
Genau da liegt der Grund, weswegen immer mehr Strom – ich nenne es oben in den Tagesanalysen „Netzausregelungsreserve“ – erzeugt werden muss, als tatsächlich zur Deckung des Bedarfes gebraucht wird. Wird dieser Reservestrom, die Regelenergie, die Netzausregelungsreserve nicht gebraucht, wird er/sie ins Ausland verkauft. Es ist eben durchaus nicht so, dass heute vorhandene Batteriespeicher ausreichten, um die Schwankungsreserve zu stellen.
Was leisten Großspeicher heute?
Um eine Vorstellung von der Menge Strom zu bekommen, die in Deutschland verbraucht wird, nehme ich das Segment Haushalte in Deutschland und ermittle den dortigen Stromverbrauch. 2017 gab es 40.303.000 Haushalte in Deutschland. Diese verbrauchten 129.000.000.000.000 Wattstunden Strom (Wh) 2017, kurz 129 Terawattstunden (TWh) von etwa 540 TWh Gesamtbedarf. Das sind im Durchschnitt pro Haushalt 3,2 Megawattstunden beziehungsweise 3.200 Kilowattstunden pro Jahr = 365 Watt in der Stunde (Wh). Mit diesen 365 Wh rechne ich im Folgenden.
Schauen Sie sich die Tabelle des Bundesamtes für Statistik mal genauer an. Sie werden sehen, dass der Bereich "Strom" nur einen kleinen Teil des Energieverbrauchs eines Haushalts ausmacht. Ohne z.B. die fossilen Brennstoffe Gas und Mineralöl läuft in deutschen Haushalten nichts. Allein die Energie, die für Raumwärme verwendet wird, ist und bleibt mit 479 TWh 2017 gewaltig. Auch wenn alle Gebäude, in denen Haushalte vorhanden sind, gedämmt wären, würde nur etwa ein Drittel fossiler Energie eingespart.
Die fünf Megawatt des Aachener Forschungsspeichers M5bat würden für knapp 13.700 Haushalte (5.000.000MW/365Wh) ausreichen. Eine Stunde lang. Um die etwa 275.000 Haushalte der Städteregion Aachen mit gut 550.000 Einwohnern eine Stunde mit Strom zu versorgen, wären 20 dieser Batteriespeicher nötig. Für 24 Stunden wären es bereits 480 Anlagen, jeweils so groß wie ein Block mit 5 Reihenhäusern. Klar ist, dass im Notfall der Stromverbrauch eingeschränkt würde. Bei einem Verbrauch von lediglich 180 Watt/Stunde wären die Zahlen zwar nur halb so groß, aber immer noch gigantisch.
Die Großspeicher der STEAG könnten mit den 120 MW ab 2017 (30 MW wurden noch zugebaut) der STEAG-Großspeicheranlage, die auf 6 Standorte verteilt ist, gut 328.000 Haushalte eine Stunde lang mit Strom versorgen. Die STEAG selber benennt 300.000 Haushalte. Sie rechnet mit einem Durchschnittsbedarf von gut 3.500 Kilowattstunden (KWh) pro Jahr pro Haushalt. Schauen Sie sich die Erläuterungen der STEAG, aus denen oben zitiert wurde, an. Sie sind sehr gut aufbereitet und verständlich. Weitere Information über Batteriespeicher und vieles andere finden sich auf der Seite Next Kraftwerke.
Blackout-Absicherung mit Speichern ist unmöglich
Ziel der STEAG ist es, den zur Netzstabilisierung erforderlichen Reservestrom, der zur Zeit noch von konventionellen Kraftwerken erzeugt wird, in Großspeichern zu bevorraten. Das hätte den Vorteil, dass dieser Strom nicht regelmäßig zusätzlich produziert und bei Nichtgebrauch billig verkauft werden müsste. Großspeicher als Stromreserve zur Behebung eines flächendeckenden Blackouts zu verwenden, ist nicht angedacht, weil praktisch unmöglich. Das belegen die Zahlen oben eindrucksvoll. Allein um die über 40 Millionen Haushalte mit Strom über einige Tage mit Strom zu versorgen, bräuchte es: 41.303.000 x 365 Watt Stundenbedarf = 15 Gigawatt Speicher wären für eine Stunde nötig. Umgerechnet in STEAG-Großspeicher wären das 125 solcher Anlagen. Nochmal: Für eine Stunde Strom für die Haushalte in Deutschland, deren Anteil am Gesamtstrombedarf Deutschlands 24 Prozent beträgt. 76 Prozent des ebenfalls benötigten Stroms sind hier gar nicht erfasst.
Heute habe ich von Dimensionen der Stromspeicherung am Beispielsegment "Haushalte" berichtet. Dimensionen, die gewaltig sind. Dimensionen, die es mehr als zweifelhaft erscheinen lassen, ein Industrieland wie Deutschland insgesamt zu dekarbonisieren. Ohne erhebliche Wohlstandsverluste, ohne die immer größer werdende Wahrscheinlichkeit eines flächendeckenden Blackouts ist das unmöglich.
Zu Kosten hier nur so viel: Der STEAG-Großspeicher erforderte Investitionen bis Anfang 2017 in Höhe von 100 Millionen Euro. In der nächsten Woche berichte ich über andere Stromspeichermöglichkeiten. Können diese Batteriespeicher so ergänzen, dass das Ziel der Dekarbonisierung Deutschlands realistischer wird?
Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de. Seit knapp einem Jahr beobachtet er dort die Stromerzeugung in Deutschland.