Die 32. Woche wartet mit einem massivem Anstieg der Windstromerzeugung ausgerechnet zum Wochenende auf. Bereits am Donnerstag kam es zu einem starken Anstieg. Da war der Strombedarf wohl auch in unseren Nachbarländern so hoch, dass der Überschuss wenigstens noch mit 28,37 € pro Megawattstunde (MWh) verkauft werden konnte. Am Samstag allerdings musste reichlich Geld mitgegeben werden. In der Spitze fast 50,- € / MWh. Genaueres in den Tagesanalysen.
Die seit April bereits übliche Stromunterdeckung war auch diese Woche über etliche Zeiträume zu beobachten. Für manches Kohlekraftwerk lohnt es wirtschaftlich nicht (mehr), die Stromerzeugung hochzufahren. Klimaretter jubeln bereits. Dass die bundesdeutsche Gasstromproduktion die fehlende Kohlestromerzeugung durchaus nicht ausgleicht, belegt dieser Chart ab April/Mai 2019. Die Deckung der Stromerzeugungslücken erfolgt durch den Import von Strom, vor allem aus schweizerischer und französischer (Atomstrom-)Produktion. Wenn der CO2-Ausstoß Deutschlands auf dem Papier sinkt, dann vor allem deswegen, nicht, weil die Energiewende wirkt.
Detaillierte Zahlen zur Stromerzeugung in der 32. Woche liefert diese Tabelle und der daraus generierte Chart.
Sonntag, 4.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 44,66 Prozent
Kaum Wind, viel Sonne: Ein schöner Sommertag. Entsprechend war die Stromerzeugung der Wind- und Sonnenkraftwerke. Klar, es muss am Morgen und am Abend Strom importiert werden. Das aber ist ja „gut“ für die CO2-Bilanz Deutschlands. Zumindest auf dem Papier.
Montag, 5.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 35,77 Prozent
Heute weht der Wind ein wenig mehr, die Sonne scheint etwas weniger als gestern. Den ganzen Tag musste Strom importiert werden.
Dienstag, 6.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 38,35 Prozent
Tagsüber auffrischender Wind führt mit der Sonnenstromerzeugung von 10:00 bis etwa 17:00 Uhr zu einem Stromüberschuss, der exportiert wird. Ansonsten Import des zur Bedarfsdeckung fehlenden Stroms.
Mittwoch, 7.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 36,64 Prozent
Heute muss den ganzen Tag Strom importiert werden. Recht wenig Sonnenstromerzeugung macht dies notwendig. Da hilft auch der recht kräftige Wind nichts.
Donnerstag, 8.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 57,43 Prozent
Nach der 8:00-Uhr-Delle frischt der Wind kräftig auf. Auch die Sonnenstromerzeugung ist ordentlich, so dass ab 9:00 bis 18:00 Uhr der Stromüberschuss exportiert (z.B. 14:00 Uhr für 28,37 €/MWh) wird. Zur Nacht flaut der Wind ab. Strom fehlt, wird importiert (z.B. 21.00 Uhr für 43,63/MWh).
Freitag, 9.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 43,71 Prozent & Samstag, 10.8.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 72,58 Prozent
Ab 10:00 Uhr kommt es zu einem stetigen Anstieg der Windstromerzeugung. Die Sonne scheint recht kräftig. Ab 22:00 Uhr reicht der Wind aus, um genügend Strom zur Bedarfsdeckung zu erzeugen. Was wohl nicht prognostiziert wurde, was zumindest nicht für möglich gehalten wurde: Zum und am Samstag steigt die Windstromerzeugung gnadenlos an. Weil Wochenende ist, sinkt gleichzeitig der Bedarf. Es kommt zu einer erheblichen Strom-Überproduktion. Strom, der mit Bonus abgegeben werden muss: Allein um 14:00 Uhr betrug dieser Bonus gut 524.000 € (10,572 GWh x 1.000 = 10.572 MWh x 49,62 €/MWh = 524.583 €). Am Samstag muss kein Strom netto – nur die Netzausregelungsreserve muss ergänzt und direkt wieder exportiert werden – importiert werden. Bezahlt werden muss trotzdem. Kein gutes Geschäft. Vor allem nicht für den Stromkunden in Deutschland. Der bezahlt nicht nur die halbe Million Bonus für die eine Beispiel-Stunde. Der bezahlt den Windmüllern auch noch die garantierte Vergütung des nicht benötigten Stroms aus Windkraftwerken.
Eine Million Haushalte ohne Strom
Am 9. August war es soweit. Einige Teile Englands waren von einem Stromausfall betroffen. Das Schweizer Online-Magazin 20 Minuten berichtet einen Tag später:
In London und weiteren Teilen Großbritanniens ist am Freitagabend großflächig der Strom ausgefallen. Betroffen davon waren Züge, Flughäfen, Tausende Haushalte und sogar ein Spital. Grund für die Panne waren nach Angaben des Netzbetreibers National Grid zwei fehlerhafte Stromgeneratoren. Die Stromversorgung konnte zwar relativ schnell wiederhergestellt werden - doch die Auswirkungen dürften noch bis in den heutigen Samstag hinein spürbar sein. Noch am späten Freitagabend steckten der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge hunderte Reisende am Bahnhof Kings Cross in London fest. Eine Rückkehr zum Normalbetrieb sei nicht absehbar, hieß es weiter.
Insgesamt seien mehr als eine Million Haushalte betroffen gewesen sowie teilweise der ÖPNV und natürlich etliche Betriebe. Die Ursache war schnell ausgemacht. Das Industriemagazin:
Der großräumige Stromausfall in Großbritannien ist nach Angaben des Netzbetreibers National Grid nicht auf "böse Absicht" zurückzuführen. Nach den ersten Untersuchungen sehe es nicht so aus, als wenn etwa eine Cyberattacke die Störungen vom Vortag hervorgerufen habe, sagte der zuständige Abteilungsleiter, Duncan Bart, der Rundfunkgesellschaft BBC. Vielmehr führte National Grid die Panne darauf zurück, dass nacheinander zwei Generatoren ausgefallen seien, was "unerwartet und ungewöhnlich" sei. Von dem Blackout waren mehr als 900.000 Menschen betroffen, vielerorts wurde der Verkehr lahmgelegt.
War das alles? Zwei Generatoren, die sich gleichzeitig wegen eines Defekts (?) verabschieden. Was doch recht merkwürdig, weil unwahrscheinlich ist.
www.theguardian.com/business/2019/aug/12/what-are-the-questions-are-raised-by-the-uks-recent-blackout
Ein Gaskraftwerk und ein Windpark
Der Guardian berichtete, zwei Generatoren (a pair of major generator outages generator = Englisch für Stromerzeuger) seien die Ursache des Teil-Stromausfalls gewesen. Generator – der Begriff wird in fast allen Meldungen benutzt – das liest, das hört sich für den Bürger wie der Defekt zweier großer Maschinen oder Apparate an. Es sind gleichwohl ein Gaskraftwerk und ein Windpark gemeint.
Sciencefiles.org: Die Ursache des Stromausfalls war schnell gefunden und mit Little Barford und Hornsea Offshore Windpark benannt. Little Barford ist eine von RWE betriebene Anlage, die vornehmlich Methan zur Stromerzeugung nutzt. Hornsea Offshore Windpark ist wie der Name schon sagt, eine der alternativen Möglichkeiten, Energie zu erzeugen. Hornsea kommt in drei Phasen, die bis 2025 erstellt sein sollen. Seit Beginn 2019 trägt Phase 1 zum „National Grid“, dem Stromnetz des Vereinigten Königreichs bei. Um 16:58 Uhr am gestrigen Tag [9.8.2019] ist Little Barford ausgefallen. Rund 700 Megawatt Strom fehlten dadurch im National Grid, genug für rund eine Million Haushalte. Zwei Minuten später haben Teile von Hornsea Offshore Windpark die Stromlieferungen eingestellt, wodurch ungefähr dieselbe Größenordnung an Strom verloren gegangen ist. Als Ergebnis des Ausfalls von zwei Stromgeneratoren ist die Frequenz im Netz, die um die 50hz betragen muss, unter 48,9 Hz gefallen. Diese „Netzschwankung“ ist zu groß, um alle Endabnehmer zu versorgen. Folglich wurden Teile des Netzes abgeschaltet. Der Stromausfall in Teilen Britanniens war also weniger ein Ausfall als ein Abschalten.
Zum Glück, kann man da nur sagen. Der Stromausfall war am Ende ein kontrolliertes Abschalten von Stromnutzern in großer Zahl durch den britischen Netzbetreiber. So wie in Deutschland schon mal aus Gründen der Versorgungssicherheit stromintensive Industrieanlagen – nach Absprache – vom Netz (Lastmanagement) genommen werden. Für die Zukunft ist geplant, auch im Bereich des privaten Stromverbrauchs Lastmanagement zu betreiben. Smart-Meter sollen das Steuerungsinstrument werden.
Noch einmal Sciencefiles.org: In den letzten Tagen war es auf der Insel so windig, dass die Menge an Strom aus alternativen Quellen sehr hoch war. Als Konsequenz daraus sind Stromgeneratoren, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, vom Netz genommen worden, was wiederum die Trägheit erhöht hat. Die Trägheit ist insofern von Bedeutung als sie letztlich ein Maß dafür ist, wie gut der Ausfall eines oder mehrerer Stromgeneratoren verkraftet werden kann. Was bei der Stromerzeugung aus Gas oder Kohle leicht moderiert werden kann, in dem man die Output-Menge erhöht, ist mit alternativen Energien nicht machbar. Sie produzieren oder sie produzieren nicht. Man kann sie nicht auf halber Kraft fahren lassen, um eine Notreserve zurückzuhalten, falls ein anderer Stromgenerator ausfällt.Seit gestern wissen wir in Britannien, dass der Ausfall von einem Stromerzeuger, wie dem mit Erdgas betriebenen Kraftwerk in Little Barford das National Grid an die Grenze der Belastbarkeit führt, und seit gestern wissen wir, dass es keine gute Idee ist, ausgerechnet auf erneuerbare Energien als verlässlichen Strombeiträger zu vertrauen. Der Ausfall von Little Barford wäre noch zu verkraften gewesen. Die Solidaritätsbekundung von Teilen des Hornsea Windparks mit Little Barford dagegen nicht. Zu Trägheit und Strom: Hier klicken
Ich kann und will auf die physikalischen Abläufe nicht detailliert eingehen. Es ist aber offensichtlich so, dass es massive Steuerungs- und Koordinationsprobleme beim Erzeugen und Verteilen des Stroms durch Kraftwerks- und Netzbetreiber gegeben hat. Selbstverständlich kann ein Windpark durch Abregeln einzelner Windräder weniger Strom erzeugen. Der Artikel zur 31. Woche beschäftigt sich mit diesem Thema recht ausführlich.
Je mehr Erneuerbare, desto geringer wird die Versorgungssicherheit
Eines belegt der Vorfall in England eindrucksvoll: Die Komplexität der Stromversorgung eines Industriestaates ist gewaltig. Je mehr unkalkulierbarer Wind- und Sonnenstrom – auch noch mit Vorrang – in die Netze eingespeist werden muss, desto größer ist die Fehleranfälligkeit auch und gerade menschlichen Handelns. Aus zu viel Strom kann, wie in England geschehen, sehr schnell zu wenig Strom werden. Der Netzbetreiber hat die sich daraus ergebenden Konsequenzen noch erfolgreich (Notbremse = gewollte Teilabschaltungen) gehändelt. Kommt es allerdings wetterbedingt zu massiven Einbrüchen der Stromerzeugung durch Wind- und Sonne, reicht die Netzausregelungsreserve nicht aus und sind dann auch noch die immer notwendigen fossilen Backup-Stromerzeuger nicht rechtzeitig in der Lage, Strom zu liefern, dann kommt es zu einem unkontrollierten Stromausfall, der die bereits mehrfach beschriebenen Folgen nach sich zieht. Zur Erinnerung hier ein kurzes Video.
Noch Fragen? Ergänzungen? Fehler entdeckt? Bitte Leserpost schreiben! Oder direkt an mich persönlich: stromwoher@mediagnose.de. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit über 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de.