Erinnern Sie sich? Im Verlauf des Tages Samstag, den 6.7.2019, kam es zu einer Vervierfachung des Stroms, erzeugt durch Windkraftwerke. Die recht starke Ausbeute von Windstrom hielt den Sonntag über an, um am 8.7.2019 im Lauf des Tages wieder abzunehmen, und ab 11.7.2019 eine veritable Dunkel-/Sonnenflaute einzuläuten.
Es wundert den erfahrenen "Woher-kommt-der-Strom-Leser" nicht, dass es am Sonntag zu erheblichen Stromexporten kam, die diesmal allerdings nicht mit Bonuszahlungen an die Abnehmer "versüßt" werden mussten. Wie zum Beispiel am 8.6.2019. Als knapp 10 Millionen Euro zu zahlen waren. Vom Stromkunden in Deutschland an die Länder, die den Strom abnahmen. An nur einem Tag!
In dieser Tabelle sind Details der Stromerzeugung der 28. Woche und die Länder aufgeführt, welche Strom im- oder exportierten. Der aus der Tabelle generierte Chart veranschaulicht die Salden.
Die Tagesanalysen
Sonntag, 7.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 64,66 Prozent
Zumindest tagsüber zeigt sich heute das Bild, welches wir bis Mitte Mai gewohnt waren. Deutschland produziert so viel Strom, dass Netzausregelungsreserve in genügendem Umfang vorhanden ist. Das ist die Stromerzeugung, die knapp über der Bedarfslinie liegt und bei Nichtverwendung sofort exportiert wird. Sie dient dazu, Schwankungen im Netz auszuregeln. Ab 20:00 Uhr sinkt die Windproduktion, und als die Sonne komplett untergegangen ist, herrscht Stromunterdeckung. Folge: Sehen Sie selbst.
Weshalb exportiert Deutschland neben dem Import Strom? Das ist zunächst die importierte Netzausregelungsreserve, die, weil nicht benötigt, sofort wieder exportiert wird. Um 20:00 Uhr halten sich Im- und Export nahezu die Waage. Grund: Es ist noch genügend Strom aus Deutschland vorhanden, um den Bedarf zu decken. Nur die Netzausregelungsreserve muss importiert beziehungsweise exportiert werden.
Montag, 8.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 48,84 Prozent
Bis fast 9:00 Uhr an diesem Montagmorgen hält die gestern begonnene Stromunterdeckung an. Mit der untergehenden Sonne stellt sie sich ab etwa 17:00 Uhr wieder ein. Schauen Sie sich die Im-/Exportzahlen an.
Dienstag, 9.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 46,67 Prozent
Fast das gleiche Bild wie gestern. Auch die Im-/Exportzahlen sind ähnlich. Allerdings zeichnet sich zum Abend eine leichte Verringerung der Windstromerzeugung ab, die sich fortsetzen wird.
Mittwoch, 10.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 41,01 Prozent
Heute kommt ab 4:00 Uhr die Offshore Windstromerzeugung für 6 Stunden nahezu vollständig zum Erliegen. Onshore lässt der Wind ebenfalls nach. Zwar steigt die Windstromerzeugung gegen Abend dank der nunmehr etwas anziehenden Offshore-Stromerzeugung noch mal an, doch insgesamt läutet ruhiges Sommerwetter zunächst eine Wind-, später auch eine Sonnenflaute ein.
Donnerstag, 11.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 30,23 %
Freitag, 12.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 33,08 %
Samstag, 13.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 48,65%
Donnerstag, Freitag und Samstag, die letzten 3 Tage der 28. Woche, fasse ich in der Analyse hier zusammen, um das schöne Beispiel einer kombinierten Dunkel- und Sonnenflaute im Zusammenhang darzustellen. Zu einer Windstromerzeugung, die kaum der Rede wert ist, gesellt sich am Donnerstag noch teilweise bedeckter Himmel, der die Sonnenstromerzeugung schwächeln lässt. Das führt bis Samstagmorgen etwa 9:00 Uhr zu einer fast kompletten Stromunterdeckung.
Damit der Bedarf befriedigt werden kann, muss Strom importiert werden. Erst ab Samstag 9:00 Uhr ist es nur noch die Netzausregelungsreserve, die exportiert werden muss. Dann steigen Wind- und Sonnenstromerzeugung so an, dass der Bedarf wenigstens bis 18:00 Uhr gedeckt werden kann. In der Nacht zum Sonntag konsolidiert sich die Stromerzeugung. Hauptgrund: Es ist Wochenende, es herrscht also wenig Bedarf. Aber keine Sorge: Im Sommer ist nach der Windflaute vor der Windflaute. Wie nächste Woche zu beobachten sein wird.
Sind 100 Prozent Ökostrom möglich?
Immer wieder wird von Lesern dieser Kolumne die Frage gestellt, wie und ob es überhaupt möglich sein kann, dass Stadtwerke oder andere Strom-Handelsunternehmen 100 Prozent Ökostrom an den Endkunden verkaufen. Zeichnen doch die Zahlen, die hier wöchentlich aufbereitet werden, ein Bild, dass genau diese 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern faktisch unmöglich sind. Wie es doch geht, wird heute erklärt.
Bisher wurde der Begriff "Stromnetz" oder "Netz" bereits häufig verwendet. Heute erhalten Sie genauere Erläuterungen, die zeigen, dass es sich auch hier um ein höchst komplexes System – wie beim Phänomen "Strom" überhaupt – handelt: Das System zum Transport von Strom.
Also 100 Prozent Ökostrom-Lieferungen an den Endkunden sind möglich? Ja, aber nur indirekt!
Eine verständliche Erklärung liefern die Stadtwerke Oranienburg:
Nicht aller Grünstrom, der aus der Steckdose fließt, ist tatsächlich ökologisch erzeugter Strom. Es ist nämlich weder technisch noch organisatorisch möglich z. B. Strom aus norwegischer Wasserkraft in jeden einzelnen Ort in Deutschland zu bringen. Deshalb ist es so: Die vom Verbraucher bestellte Menge Ökostrom wird vom Anbieter ins große Netz eingespeist. Der konkrete Verbraucher erhält dann unter Umständen konventionelle Energie aus dem nächstgelegenen Kraftwerk. Aber der von ihm bestellte Anteil Ökostrom kursiert im Netz und wird an anderer Stelle verbraucht. Über so genannte Strom-Bilanzkreise sorgen die beteiligten Energieunternehmen für den Ausgleich der Energieflüsse. Je mehr Ökostrom bestellt wird, je stärker ersetzt er in der Gesamtmenge konventionelle Energie. Das nutzt der Umwelt und führt zu nachhaltigerer Energiewirtschaft. Eine weiterführende Ergänzung liefert dieses Video des Umweltbundesamtes.
Alle Stromkunden bekommen faktisch den gleichen Strom ins Haus oder in den Betrieb geliefert. Ökostromkunden bezahlen ihre Stromrechnung an Unternehmen, die nachweislich an Stromerzeugung beteiligt sind, die an – bezogen auf die Ökostromkundennachfrage – ausreichender Stromgewinnung aus erneuerbaren Energieträgern, vor allem Windparks und riesigen Photovoltaikanlagen, aber auch Biogasanlagen und Laufwasserkraftwerken beteiligt sind.
Das Stromnetz – Eine fantastische Ingenieursleistung
In diesem Zusammenhang möchte ich meine Ausführung zum Stromsee-Modell ergänzen, die in diesem Artikel erschienen sind. "Stromsee" suggeriert ein mehr oder weniger großes Behältnis, in dem Strom vorhanden ist, der bei Bedarf vom Stromverbraucher abgezapft und gleichzeitig von Stromerzeugern wieder mit Strom aufgefüllt wird. Das ist nicht richtig. Deshalb möchte ich mich vom Stromsee-Modell verabschieden und den Begriff "Stromnetz" allein und endgültig verwenden. Das Stromnetz wird in Deutschland von vier Netzbetreibern bereitgestellt, die alle Stromnetzinfrastruktur zur Verfügung stellen. Ebenfalls vier Ebenen hat die Netzstruktur Strom. Hier eine verständliche Erklärung von Dr. Hermann-Friedrich Wagner aus der Welt der Physik:
Unser Stromnetz weist vier Spannungsebenen auf, die mit Wechselstrom betrieben werden und durch Transformatoren miteinander verbunden sind.
Die Höchstspannungsebene arbeitet mit 220. 000 Volt und 380. 000 Volt und hatte nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums im Jahr 2016 in Deutschland eine Länge von circa 35. 000 Kilometern. Sie bildet den Anschluss an die europäischen Netze und dient zur Verbindung der Ballungsräume über große Entfernungen mit großen Fernleitungen sowie zur Versorgung sehr großer Industriebetriebe. Ihre Leitungen sind die Autobahnen des deutschen Stromnetzes.
An diese Ebene sind die Großkraftwerke angeschlossen. Die Energie wird durch Umspannwerke an die Hochspannungsebene übergeben, welche mit Spannungen von 60. 000 bis 220. 000 Volt operiert und eine Länge von etwa 77 .000 Kilometern aufweist. Sie dient der überregionalen Verteilung des Stroms und beliefert lokale Stromversorger sowie große Industrieanlagen, größere Gewerbebetriebe und die Eisenbahnen.
Die nächste Ebene, die Mittelspannungsebene, arbeitet bei 6.000 bis 60. 000 Volt, hat eine Länge von etwa 479. 000 Kilometern und beliefert unter anderem regionale Verteilernetze sowie kleinere und mittlere Betriebe in der Industrie und im Gewerbe wie zum Beispiel Krankenhäuser.
Die Niederspannungsebene liefert schließlich den Strom mit der bekannten Spannung von 230 Volt oder 400 Volt an die Endverbraucher wie zum Beispiel die Haushalte, kleinere Gewerbeunternehmen und landwirtschaftliche Betriebe. Die Länge dieses Netzes betrug 1,23 Millionen Kilometer.
Das gesamte Stromnetz hatte 2016 eine Länge von etwa 1,8 Millionen Kilometern und benötigt zur Versorgung der unterschiedlichen Spannungsebenen 550. 000 Transformatoren. Etwa 1,45 Millionen Kilometer dieses Netzes oder fast 81 Prozent waren 2015 Erdkabel. Da sich der Strom praktisch nicht speichern lässt, muss in dieses Netz in jeder Sekunde so viel Energie eingespeist werden wie benötigt wird, was einen enormen Aufwand an Regelungskapazität bedeutet, um das Netz stabil zu halten. Besonders kritisch ist hierbei die Netzfrequenz von 50 Hertz, die sehr empfindlich auf Schwankungen im Netz reagiert, was wiederum weitgehende negative Auswirkungen hat. Deshalb dient die Netzfrequenz auch als Indikator für die Steuerung der Stabilität des Stromnetzes. Dies gilt nicht nur für das deutsche Netz, sondern wegen der Verknüpfung mit den anderen Staaten für das gesamte europäische Verbundnetz. Eine Grafik veranschaulicht das.
Der Strom liegt nirgendwo auf Vorrat
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Verbesserung zu früheren Ausführungen vornehmen: Vergessen Sie bitte die Sache mit dem Stromsee. Reden Sie nur noch vom Stromnetz. Mit diesem Stromnetz wird Strom übertragen. Genau dann, wenn er gebraucht wird. Er liegt da nicht auf Vorrat. Wird ein Stromverbraucher, nein, nicht der Kunde, ein Gerät oder anderes, an das Netz – auch, aber nicht nur die berühmte Steckdose – angeschlossen, fließt Strom. Und weil Strom immer nur fließt, heißt er auch Strom. Hört sich banal an, ist aber sehr wichtig, weil damit ausgeschlossen ist, dass der Strom irgendwo, auch nicht im Stromnetz (rum-) liegt, um abgerufen zu werden. Das Netz ist kein Speicher. Ist kein Stromverbraucher, Stromnutzer an eine Steckdose angeschlossen, liegt in dieser Steckdose auch kein Strom.
Erst beim Anschluss eines Verbrauchers – es kann ein simpler Spannungsprüfer sein/mehr zum Thema Spannung hier klicken – fließt die elektrische Energie, fließt Strom. Auch aus normalen zum Beispiel AAA-Batterien, bis hin zu großen Batteriespeichern (Beispiele: LEAG oder STEAG), fließt erst dann Strom, wenn ein Verbraucher angeschlossen wird. Genau in diesem Moment entsteht aus chemisch gespeicherter Energie der Strom.
Lithium-Ionen-Akkus können Strom chemisch-elektrisch speichern und wieder abgeben. Sogar gleichzeitig. Sie sind mehrfach verwendbar, lassen aber im Lauf der Jahre mit der Anzahl der Lade-, Entladezyklen nach. Ladezeiten werden länger, der Strom wird weniger kräftig. Großer Vorteil: Etwa 90 Prozent der gespeicherten Energie, kann wieder als Strom abgerufen werden. Wird hingegen aus Strom zunächst Wasserstoff gewonnen, stehen lediglich 20 bis 25 Prozent des ursprünglich erzeugten Stroms zur Verfügung. Dabei ist es egal, ob der Strom aus erneuerbaren Energieträgern oder Kernkraftwerken gewonnen wurde.
Der geringe Wirkungsgrad liegt in den mehrfachen Energie-Umwandlungsprozessen begründet, die notwendig sind, um den ursprünglich erzeugten Strom über die Wasserstoffherstellung mittels Elektrolyse und den so gewonnenen Wasserstoff über eine Brennstoffzelle wieder in Strom zu verwandeln. Dieser Strom wird dann oft noch in einer Batterie etwa im Auto gespeichert, damit die vielfältigen Lastwechsel beim Fahren für die Brennstoffzelle abgefedert werden. Es spielen neben dem hohen Strombedarf, der wirtschaftlichen Frage, für die Wasserstofftechnologie auch noch andere Faktoren eine Rolle, weshalb sich diese auf den ersten Blick bestechende Technologie bisher nicht durchgesetzt hat. Obwohl Daimler schon seit Jahrzehnten daran arbeitet.
Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr. Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom?mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de.