Es war eine schöne Sommerwoche. Mit reichlich Sonne und etwas Wind. Etwas Wind? Nein, ausreichend Wind, um den Windstrom für Sommerzeiten reichlich sprudeln zu lassen. Was über den Tag eben dank Wind- plus Sonnenstrom wieder zu erheblichen Strom-Exporten führte. Am Abend, zur Nacht und morgens musste hingegen regelmäßig Strom importiert werden. Selbstverständlich wurde dafür immer mehr bezahlt, als für den Export erzielt werden konnte, wie der Chart oben belegt. Im Saldo. Apropos Saldo. Der war erstmalig seit langem wieder jeden Tag der Woche negativ, d.h. unter dem Strich wurde mehr Strom exportiert denn importiert. Fehlende Regelenergie wurde wohl so bevorratet, dass Zwischenfälle, wie ganz unten beschrieben, nicht mehr so schnell auftreten können. Wird diese Regelenergie, von mir Netzausregelungsreserve genannt, in einem Moment nicht benötigt, wird sie wieder exportiert. Genau in diesem Moment.
Die Tabelle und der daraus generierte Chart zeigen detailliert auf, wie Stromerzeugung sowie Im- und Export Strom in der 27. Woche ausgesehen haben. Wie es im 1. Halbjahr 2019 insgesamt mit der Stromerzeugung in Deutschland aussah, lesen Sie in der Rückschau nach den
Tagesanalysen
Sonntag, 30.6.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 65,32 Prozent
Heute, am Sonntag, war viel Strom im Angebot. Bei wenig Nachfrage. Wie das sonntags nun mal ist. Von 10:00 bis 16:00 Uhr wurde ausschließlich Strom exportiert. Konnten um 12:00 Uhr noch 0,06 € pro Megawattstunde (MWh) erzielt werden, mussten um 13:00 Uhr bereits fast 30 € draufgelegt werden. Knapp 40 € betrug der Bonus für die abnehmenden Länder um 14:00 Uhr. Um 15:00 Uhr waren es 12,51 € pro MWh. Erst ab 16:00 Uhr konnten wieder 0,02 € pro MWh erzielt werden. Von 13.00 bis 15:00 Uhr kostete der Strom-Export zusätzlich zu den Vergütungen für die Erzeuger gut 1,2 Millionen €.
Montag, 1.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 56,03 Prozent
Morgens und abends musste Strom zugekauft werden. Wobei sich der Import zum Abend in Grenzen hielt. Grund: Auffrischender Wind.
Dienstag, 2.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 57,24 Prozent
Ein recht ausgeglichener Sommertag. Auch in der Stromerzeugung. Morgens und abends musste – wie fast immer seit Mitte Mai – Strom zugekauft werden. Zwar wurde unter dem Strich etwas mehr exportiert denn importiert. Dafür wurde für den Import etwas mehr bezahlt, als für den Exportstrom eingenommen werden konnte.
Mittwoch, 3.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 52,17 Prozent
Ein ähnliches Bild wie gestern. Auch was dem Im- und Export angeht. Vielleicht etwas mehr Import. Aber nicht viel.
Donnerstag, 4.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 55,71 Prozent
Das Wetter und die Stromerzeugung sind stabil. Ebenso das Im-/Exportbild.
Freitag, 5.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 52,59 Prozent
Auch, wenn ich mich wiederhole: Schönes Sommerwetter bringt stabile Stromerzeugung. Die bereits üblichen Unterdeckungen müssen recht teuer gefüllt werden. Abends teurer als morgens. Exportstrom im Saldo allerdings wird immer billig abgegeben.
Samstag, 6.7.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 61,16 Prozent
Endlich Wochenende. Dank abnehmendem Verbrauch und über Tag auffrischendem Wind entsteht erstmalig diese Woche zum Abend hin keine Unterdeckung in der bundesdeutschen Stromerzeugung. Der Import hält sich deshalb in Grenzen. Zumindest am Abend. Und weil nicht viel Strom zugekauft werden muss, hält sich auch der Preis in Grenzen.
Rückschau auf das erste Halbjahr 2019
Der Strombedarf pro Tag lag in Deutschland im 1. Halbjahr 2019 (Stichtag 29.6.2019) mit durchschnittlich 1,47 TWh annähernd gleich hoch wie 2018 mit 1,49 TWh. Fast die Hälfte dieses Bedarfs lieferten die erneuerbaren Energieträger (Biomasse/Wasserkraft/Wind/Sonne) mit 47,57 Prozenz gesamt. Davon entfielen auf Wasserkraft/Biomasse 13,07 Prozent, auf Wind und Sonne 34,5 Prozent. Die Unterscheidung ist wichtig, weil ein weiterer, relevanter Ausbau der Stromerzeugung durch Biomasse/Wasserkraft in Deutschland praktisch nicht mehr möglich ist. Soll mehr regenerativer Strom gewonnen werden, ist dies nahezu ausschließlich durch zusätzliche installierte Leistung Windkraftwerke on- und offshore sowie Sonnenkraftwerke möglich. Ein solcher Ausbau müsste im Bereich Wind das 4-fache, im Bereich Wind sogar fast das 10-fache des Stroms ausmachen, der im Durchschnitt real erzeugt werden soll. Das belegt diese Tabelle, die neben der Betrachtung der Stromerzeugung der einzelnen Energieträger einen Vergleich des Nutzungsgrades dieser Energieträger mit 2018 möglich macht. Zu diesem Zweck wurden die Prozent-Werte 2019 mit 2 multipliziert. Zwecks Infos zur politischen und ökologischen Durchsetzbarkeit vor allem des Windkraftausbaus, klicken Sie hier, hier, hier, hier sowie hier zur Energiewende in allen Sektoren (Strom, Verkehr, Wärme).
Den Chart zur Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2019 finden Sie hier. Es ist der Originalchart auf der Webseite agora-energiewende.de. Hier können Sie die einzelnen Energieträger zu- und abschalten. Klicken Sie unten den „CO2-Emmissionsfaktor des Strom-Mix“ weg, dann wird der Chart erheblich übersichtlicher. Fahren Sie mit der Maus über den Chart und sehen Sie die Zahlen zu Verbrauch, Stromerzeugung und vielem mehr. Die Stromerzeugungsdaten der einzelnen Energieträger wurden mit diesem Chart der energy-charts.de des Fraunhofer ISE ermittelt. Die, wenn man mit der Maus über den Chart fährt, aufploppenden Tagesdaten werden in eine Excel-Tabelle übertragen. So können unter Verwendung weiterer Charts, zum Beispiel der Installierten Leistung, vielfältige Analysen erstellt werden.
Auffällig ist, dass etwa ab Mitte Mai 2019 im Vergleich zu 2018 eine regelmäßige Unterdeckung von bundesdeutscher Stromerzeugung im Verhältnis zum Strombedarf auftut. Ein Kraftwerk-Insider dazu:
Meine Vermutung bezüglich der Erzeugungsunterdeckung ist daher die, dass bei stark schwankenden Preisen im Grenzbereich zwischen „lohnt“ und „lohnt nicht“ einfach viele Anlagen gleich außer Betrieb bleiben. Man sieht ja im Preischart schön, dass die solare Mittagsspitze regelmäßig die Preise einbrechen lässt. Es gibt von 06:00 bis 10:00 und am Nachmittag/Abend von 18:00 bis 22:00 Uhr noch etwas zu verdienen, der Rest des Tages sieht mau aus. Da können viele Blöcke einfach nicht durchgängig betrieben werden, und nur für wenige Stunden (oder gar mehrfach) starten sollte man solche Anlagen auch nicht. Das heißt also (für mich), dass in Deutschland seit Mai – mit dem steigendem Photovoltaik-Anteil – einfach nicht mehr genug Anlagen durchgängig und kostendeckend in Betrieb gehalten werden können, um bei Lastschwankungen ohne Importe auszukommen.
Ein weiterer Ausbau der Erneuerbaren wird das Problem verschärfen.
Ob Stromimporte für den Stromkunden günstiger sind, darf mit dieser Detailanalyse bezweifelt werden. Einen positiven Effekt haben die aus wirtschaftlichen Gründen stillliegenden Kohlekraftwerke in jedem Fall. Der CO2-Ausstoß Deutschlands sinkt. Egal welcher Strom importiert wird. Und sei es ausschließlich Braunkohlestrom aus der Lausitz/Polen. Was natürlich nicht der Fall ist. Hier der Chart, aus dem Sie die Länder ersehen können, die Deutschland mit Strom versorgen beziehungsweise überschüssigen Strom abnehmen.
Die saldierten Im- und Exportzahlen des ersten Halbjahres finden Sie für das gesamte erste Halbjahr und ab dem 24.4.2019 separat hier. Dass der Export im Saldo auch ab dem 24.4. höher als der Import liegt, ist in der zu bevorratenden Netzausregelungsreserve begründet, die bei Unterdeckung zusätzlich zum Strom zwecks Deckung des Bedarfs importiert und bei Nichtverwendung praktisch sofort wieder exportiert werden muss. Und selbstverständlich an den zum Teil erheblichen Überschüssen über Tag, wenn die kräftig scheinende Sonne Solarstrom powert und die noch in der Stromerzeugung verbliebenen konventionellen Kraftwerke nicht schnell genug herunter- und dann wieder heraufgefahren werden können.
Wenn dann noch unerwartet und zusätzlich der Wind erheblich auffrischt, kommt es zu so gewaltigen Überschüssen, dass diese nicht nur verschenkt, sondern wie am 8.6.2019 mit einem Abnahmebonus von knapp 10 Millionen Euro versehen werden mussten. Dass selbstverständlich die garantierten Vergütungen für die Wind- und Sonnenkraftwerksbetreiber hinzukommen, sei nur am Rande erwähnt. Dass der Stromkunde, Sie und ich, alles zahlt: Klar!
Im diesem Beitrag von Mitte Februar 2019 hatte ich bereits das Energy-Brainpool/Greenpeace-Modell vorgestellt. Hier die Auswertung für das erste Halbjahr 2019: An 46 von 180 Tagen hätte die Verdoppelung ausgereicht, um Deutschland (außer Industrie) mit Strom zu versorgen. 57,98 TWh Gasstrom hätten zusätzlich erzeugt werden müssen. Fällt allerdings die Flaute (24.1.2019) auf richtig bedarfsstarke Tage mit über 1,80 TWh Bedarf (Beispiel), würde die Verdoppelung der installierten Leistung Gas nicht ausreichen. Unter dem Strich gilt, dass zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ein Kraftwerkspark Gas abzgl. der installierten Leistung der grundlastfähigen erneuerbaren Energieträger Biomasse/Wasserkraft plus Reserveleistung bereitgehalten werden muss, der die installierte Leistung aufweist, um Deutschland komplett mit Strom zu versorgen. Und wenn es auch nur für ein paar Stunden wäre.
Womit wir beim Klafka-Modell wären, welches auf dem Fridays-for-Future-Workshop in Aachen vorgestellt wurde: Die bisherige installierte Leistung Wind/Sonne wird mit Faktor 5 ausgebaut. Konkret: 53 GW installierte Leistung Windkraft x 5 auf 265 GW, 47 GW installierte Leistung Sonnenkraft x 5 auf 235 GW. Macht zusammen 500 GW. Damit könnten insgesamt, wenn immer ausreichend Wind weht und immer die Sonne scheinen würde, 500 GW x 8.760 Jahresstunden = 4.830 TWh Strom erzeugt werden. Was bei einem aktuellen Bedarf von 550 TWh netto in Deutschland etwas überdimensioniert erscheint. Und tatsächlich, das Ungleichgewicht zwischen konventioneller Gasstromerzeugung – auch im Klafka-Modell muss ein Kraftwerkspark Gas abzüglich installierter Leistung grundlastfähiger Energieträger Biomasse/Wasserkraft plus Reserveleistung vorhanden sein, der Deutschland komplett mit Strom versorgen kann – wird noch größer als beim Energy-Brainpool/Greenpeace Modell. Zwar ist lediglich an 11 von 180 Tagen, bezogen auf den Tag, zusätzlicher Gasstrom nötig. Für die auf diese 11 Tage verteilten 4,76 TWh ist dennoch oben beschriebener Gas-Kraftwerkspark nötig. Am bereits erwähnten 24.1.2019 wären es trotz Verfünffachung der installierten Leistung Wind- und Sonnenkraft 1,1 TWh Strom gewesen, die zusätzlich hätten erzeugt werden müssen. Dafür allein wären knapp 46 GW installierte Leistung nötig gewesen. Ich erwähne das vor allem deshalb, weil man ja meinen könnte, der recht gering erscheinende fehlende Strom von 1,1 TWh könnte doch importiert werden. 46 GW installierte Leistung halten unsere Nachbarn niemals deshalb auf Vorrat, um Deutschland aus der selbst verursachten Energiewendepatsche zu helfen.
Schauen Sie sich diesen Ausschnitt aus meiner Berechnungstabelle an. Allein an den 15 Tagen vom 19.1 bis 2.2.2019 reichte das Klafka-Modell 7 x nicht aus, um den Strombedarf Deutschlands zu decken. Was eine recht lange Zeit mit sehr wenig Wind und Sonne ist. Beachten Sie bitte, dass ich nur den Tagesdurchschnitt berechnen konnte. Der Bedarf in einer Stunde/Minute kann wesentlich höher sein, als der 24-Stundendurchschnitt. Aber auch der muss gedeckt werden. Was kurzfristig unter Umständen wesentlich mehr Strom bedeutet, als mit 46 GW installierter Leistung möglich sind. Ein weiterer Aspekt des Klafka-Modells ist die erhebliche Stromüberproduktion durch verfünffachte Wind- und Sonnenkraft. Mit 230 TWh allein im ersten Halbjahr 2019 ist sie fast so groß wie der Bedarf (263 TWh). Es ist Strom, der faktisch nicht gebraucht wird.
Würde er gebraucht, sähe die Rechnung insgesamt vollkommen anders aus. Mehr konventioneller Strom müsste hergestellt werden. Oder Wind- und Sonnenkraft müssten adäquat weiter ausgebaut werden. Selbstverständlich mit der Anpassung, dem weiteren Ausbau des kaum benötigten kompletten Kraftwerkspark Gas. Nach oben. Der zu viel erzeugte, nicht benötigte Strom müsste exportiert werden. Oder zum Beispiel Turbinen blind antreiben. Turbinen in Gaskraftwerken, die im Bedarfsfall Strom erzeugen sollen, verbrauchen den zu viel erzeugten Wind- und Sonnenstrom. Klar, darauf warten Sie, der Leser vielleicht schon, könnte man den „überflüssigen“ Strom auch speichern oder in Wasserstoff umwandeln. Doch genau dann ist dieser Strom kein überflüssiger Strom mehr. Dann wird er nachhaltig gebraucht. Auch Brennstoffzellenautos brauchen immer neuen Wasserstoff. Deshalb:
Alle Berechnungen und Analysen beziehen sich auf den aktuellen öffentlichen Strombedarf von ca. 550 TWh pro Jahr. Sie werden Makulatur, wenn der Bedarf wesentlich steigt, zum Beispiel wegen des Ausbaus von Akku-Mobilität oder Zuwachs von Brennstoffzellenfahrzeugen in den nächsten Jahren.
Zum Schluss noch eine Aufstellung der besonderen Ereignisse in Sachen Strom und Stromnetz im ersten Halbjahr 2019:
Fünf dokumentierte Zwischenfälle in einem halben Jahr. Und keine Bange. Je mehr die Erneuerbaren Energieträger Wind- und Sonnenkraft mit dem obligatorischen Einspeisevorrang ausgebaut werden, desto größer werden die Schwierigkeiten bei der Stromversorgung Deutschlands. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wie sagte schon der Kraftwerk-Insider: Die Einschläge häufen sich!
Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr.
Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom?mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de.