Von Rüdiger Stobbe.
Vorletzte Woche habe ich von der beginnenden Abschaltung des Kernkraftwerkes Philippsburg 2 berichtet. Das war eine Fehlinformation. Das Kraftwerk wird bis Ende 2019 normal laufen und dann abgeschaltet. So die EnBW, der Betreiber des KKW Philipsburg 2. Der Rückgang der Stromerzeugung durch Kernkraft zum 13.4.2019 ist durch einen Störfall des KKW Brokdorf im konventionellen Teil der Anlage zu erklären. Ab 22.4. 2019 ist das KKW Brokdorf wieder komplett am Netz.
Am 21.4.2019 gehen 2 KKW vom Netz. Das Kernkraftwerk Grohnde und Block C des KKW Grundremmingen. Grund: Wartungsarbeiten und Brennstabwechsel. Keine Aufregung nötig. Oder etwa doch?
Durch die Arbeiten an den beiden Kraftwerken erklärt sich, dass am 21.4.2019 nur 0,13 TWh durch Kernkraft erzeugt wurden. Für die lediglich 0,1 TWh Stromerzeugung durch Kernkraft am 22.4.2019 habe ich keine Erklärung gefunden. Denn Brokdorf war wieder am Netz. Ab dem 23.4 hat sich die Stromerzeugung auf 0,15/0,16 TWh – statt der bis zum 13.4. üblichen 0,22 TWh – eingependelt. Mit erheblichen Folgen für die Stromversorgung. Der nunmehr fehlende Strom aus Kernkraft wird ja nicht einfach mal zusätzlich durch Wind und Sonne geliefert. Deshalb ist die Wartungszeit zweier Stromerzeuger aus Kernkraft ein Menetekel für die Zeit nach dem Abschalten weiterer/aller Kernkraftwerke. Die Auswirkungen sind massiv.
Ab dem 24.4.2019 gibt es keinen Tag, an dem die Stromerzeugung zur Bedarfsdeckung in Deutschland ausreichen würde. Von einer Netzausregelungsreserve, die über dem Bedarf liegt, ganz zu schweigen. Der Stromimport nimmt naturgemäß zu. Exporte sind räumlichen Gegebenheiten geschuldet. Der Strom kann zum Teil eben nicht dorthin verbracht werden, wo er gebraucht wird. Als Lösung werden die geplanten Nord-Südtrassen erhofft. Doch das ist nur teure Augenwischerei.
Herbeigesehnte grün-rote Spinnereien
Die künftigen Trassen stehen, was Landschaftszerstörung- und zerschneidung sowie die Kosten anbelangt, meines Erachtens in keinem Verhältnis zum Nutzen. Dass Deutschland irgendwann mal so viel Strom aus Erneuerbaren herstellt, dass damit der heutige Bedarf, auch der Bedarf im Süden des Landes nachhaltig, das heißt tagelang oder wochenlang komplett gedeckt werden könnte, das sind ideologisch genährte, herbeigesehnte grün-rote Spinnereien. Von Zusatzbedarf zum Beispiel wegen der E-Mobilität will ich gar nicht erst reden.
Strom sollte – wie früher üblich – genau da und genau dann erzeugt werden, wo und wann er gebraucht wird, und eben nicht mit erheblichem Aufwand und massiven Verlusten über weite Strecken transportiert werden. Und das auch nur ab und zu. Denn: Weht kaum Wind, scheint wenig Sonne, müssen ohnehin konventionelle Kraftwerke den benötigten Strom erzeugen. In Deutschland oder im Ausland. Irgendwoher muss der Strom kommen, wenn die erneuerbaren Energieträger Wind und Sonne ruhen. Fakt ist, was sich ab dem 24.4.2019 in Sachen Stromerzeugung abspielte:
Weil 0,06 TWh Strom aus Kernkraft fehlen, ist die deutsche Stromerzeugung über weite Strecken nicht in der Lage, den Bedarf aus eigener Kraft zu decken. Aus ganz Europa muss Strom importiert werden, damit es nicht zu einem Zusammenbruch des Netzes kommt. Denn als die erneuerbare Wind- und Sonnenstromerzeugung ab dem 24.4.2019 mehr und mehr schwächelt – das Wetter ist schön –, genau dann kommt es zu den massiven Stromunterdeckungen. Diese halten bis zum 1. Mai an. Für die Zeit danach mehr in der nächsten Woche.
Die Tagesanalysen
Die Tabelle zur 17. Woche und der daraus generierte Chart weisen auf den ersten Blick keine Besonderheit auf. Bis auf die Tatsache, dass die Erneuerbaren jeden Tag mehr Strom erzeugen, als konventionell hinzuerzeugt werden muss. Wenn man sich allerdings diesen Wochenverlauf anschaut, wird das Problem überdeutlich: Deutschland fehlt Strom in erheblichem Ausmaß. Der weiße Bereich zwischen der lila Bedarfslinie und dem erzeugtem Strom ist der Strom, der fehlt.
Sonntag, 21.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 60,19 Prozent
Mit einem Bedarf von netto unter einer Terawattstunde Strom war der Ostersonntag der verbrauchsärmste Tag des Jahres. Die Erneuerbaren brachten 0,62 TWh. Insgesamt. Fallender Wind und steigender Verbrauch zum Morgen und kaum fallender Verbrauch zum Abend erfordern Stromimporte aus der Schweiz und Frankreich.
Montag, 22.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 76,56 Prozent
Heute reicht die Stromversorgung aus. Ein normaler Tag. Bis auf die Preise am Strommarkt. Deutschland muss bei notwendigen Export draufzahlen. Von 9:30 bis 18:00 Uhr. Mehr dazu unten.
Dienstag, 23.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 75,80 Prozent
Ruhe vor dem Sturm. Wind und Sonne liefern gleichmäßig Strom. Beim Export muss wieder draufgezahlt werden. Unsere Nachbarn nehmen den Strom auch heute zeitweise nur noch mit einem Bonus ab. Grund: Auch deren Bedarf ist gering. Womöglich muss eigene Stromerzeugung zeitweise reduziert werden, um Deutschland zu helfen.
Mittwoch, 24.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 67,12 Prozent
In Deutschland erzeugter Strom fehlt über weite Teile des Tages und muss teuer zugekauft werden. Doch das ist erst der Anfang:
Donnerstag, 25.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 59,56 Prozent
Der Zeitraum der Stromunterdeckung ist heute noch größer als am gestrigen Tage. Auch heute wieder Stromimporte aus diversen Nachbarländern, die diese sich teuer bezahlen lassen.
Freitag, 26.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 50,39 Prozent
Das habe ich in der Zeit, in der ich die Stromerzeugung in Deutschland beobachte, noch nicht erlebt. Den ganzen Tag waren Deutschlands Stromerzeuger nicht willens oder in der Lage, den Strom bereitzustellen, der den Bedarf befriedigt. 100 Gigawattstunden wurden importiert. Und natürlich teuer bezahlt. Es wird fast kein Strom exportiert (0,03 TWh in die Niederlande und Polen).
Samstag, 27.4.2019: Anteil Erneuerbare an Gesamtstromerzeugung 56,03 Prozent
Die Unterdeckung setzt sich fort. Tagsüber reicht der selbst erzeugte Strom so gerade, in den Morgen- und Abendstunden jedoch sind wieder Stromimporte – vor allem aus Frankreich – nötig.
Die deutsche Stromversorgung am Fliegenfänger
Bemerkenswert ist, dass die Woche insgesamt eine recht befriedigende Stromerzeugung durch Erneuerbare aufweisen konnte. Wenn allerdings konventionelle Kraftwerke aus welchen Gründen auch immer den für die Bedarfsdeckung fehlenden Strom nicht hinzuerzeugen (können), hängt die deutsche Stromversorgung insgesamt am Fliegenfänger. Nun war die Nachosterwoche insgesamt bedarfsschwach. Die Lage verschärft sich in dem Umfang, wie weitere Stromverbraucher – zum Beispiel E-Mobilität – in nennenswertem Umfang hinzukommen. Der zusätzliche Bedarf kann und wird nicht mit Erneuerbaren aufgefangen werden. Nicht mal der jetzige Bedarf wird durch diese auch nur annähernd sicher abgedeckt.
Die 17. Woche mit ihren besonderen Ereignissen und den daraus resultierenden Versorgungslücken sollte den verantwortlichen Politikern und Behörden zu denken geben. Zu spüren ist davon allerdings nichts. Mein Anruf bei der Bundesnetzagentur ergab, dass alles ganz easy sei, dass das europäische Verbundsystem funktioniere. Ich hatte den Eindruck, dass die Pressestelle überhaupt nicht wusste, wovon ich redete, als ich von massiven Stromimporten und -unterdeckungen sprach. Die Damen und Herren merken wahrscheinlich erst, dass der Strom ausgefallen ist, wenn das Licht im Büro ausgeht, der Bildschirm schwarz wird und der Drucker nicht mehr druckt.
Wesentlich kenntnisreicher war die Pressesprecherin von EnBW. Sie teilte mir mit, dass Baden-Württemberg praktisch ständig Strom importieren müsse, und dies auch in Zukunft der Fall sein werde. Die Kernkraftwerke, die ENBW betreibe, liefen zuverlässig und im geplanten Rahmen. Bei dieser Gelegenheit sprach ich Philippsburg 2 an und bekam die Auskunft, dass das Kraftwerk zum Ende des Jahres abgeschaltet würde. Aktuell liefe es mit Volllast.
Werfen wir nochmal einen Blick auf die Preise für den Strom, der im-, beziehungsweise exportiert wird. Generell gilt: Immer dann, wenn Deutschland Strom exportieren muss, sinken die Preise. Muss hingegen importiert werden, steigt der Strompreis. Das belegt sehr eindrucksvoll dieser Chart der 17. Woche. Beachten Sie die Negativpreise zu Beginn der Woche. Da musste noch Geld mitgegeben werden, damit der Strom abgenommen wird. Strom, der später wieder teuer eingekauft werden muss.
Zwei Millionen Euro in vier Tagen für die Schweizer
Ein Beispiel in Überschlagsrechnung: Am 22. und 23.4. 2019 nimmt die Schweiz jeweils 0,02 TWh mit Bonus à 10 Euro je MWh = 400.000 Euro ab und speichert diese 0,04 TWh Strom in Pumpspeicherkraftwerken. Am 25. und 26.4.2019 verkauft die Schweiz insgesamt 0,04 TWh an Deutschland und bekommt dafür um die 40 Euro pro MWh. Macht 1,6 Millionen Euro plus Bonus aus Ankauf 400.000 Euro = 2 Millionen Euro für die Schweizer Energieversorger. Innerhalb von vier Tagen. Ein paar Schalter umgelegt. Ein gutes Geschäft, oder? Leider nur für die Schweiz. Der deutsche Stromverbraucher schüttelt sich. Er zahlt den Spaß.
2017 betrugen die Kosten für die Netzstabilisierungsmaßnahmen – dazu gehört auch der Im-, bzw. Export von Strom – 1,4 Milliarden Euro.
In diesem Zusammenhang seien die Begriffe "Dispatch" und "Re-Dispatch" erwähnt. Jeden Tag wird von den Stromerzeugern die Kraftwerksleistung kalkuliert, die am Folgetag voraussichtlich wo und zu welcher Zeit anfallen wird. Hier die Erklärungen dazu, wie sie auf der Seite „Next-Kraftwerke.de" (und noch etliche Zusatzinformationen zu Dispatch und Redispatch) zu finden sind
Das Ergebnis des Dispatchs ist die Allokation der verfügbaren Kraftwerksleistung in räumlicher (Welches Kraftwerk wird eingesetzt?), zeitlicher (Ab wann und für wie lange wird das Kraftwerk eingesetzt?) und gradueller Hinsicht (Soll das Kraftwerk in Teillast oder Volllast fahren?) die in einem sogenannten Fahrplan festgehalten wird.
Alle Kraftwerksbetreiber sind verpflichtet, diesen Fahrplan mit den von ihnen am Folgetag zu produzierenden Strommengen beim jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), der für die Netzstabilität in Deutschland verantwortlich ist, anzumelden. Dazu übermitteln sie bis 14.30 Uhr des Vortages den Fahrplan aller eigenen Kraftwerke an den ÜNB, in dessen Regelzone sich die jeweiligen Kraftwerke befinden. Aus der Summe aller Fahrpläne in allen vier Regelzonen ergibt sich der bundesdeutsche Dispatch für den Folgetag – anders gesagt der geplante Einsatz aller deutschen Kraftwerke.
Auch im Bereich der Erneuerbaren Energien findet der Begriff Dispatch seine Berechtigung. Während sich bei fluktuierenden Erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft der Fahrplan für den Folgetag durch die Auswertung von Wetterprognosen und Anlagenverfügbarkeiten ergibt, sind regelbare Erneuerbare Energien wie Biomasse und teilweise Wasserkraft in der Lage, den Einsatz der eigenen Kraftwerke für die Zukunft zu planen. Bei Biogasanlagen wird ein Dispatch zum Beispiel im Bereich der bedarfsgerechten Einspeisung vorgenommen, indem zu erwartende Hochpreisphasen („Peaks“) an der Strombörse als Grundlage für die Einsatzplanung des Folgetags dienen.
Da Wetterprognosen nur recht ungenau in Kraftwerksleistung von Wind und Sonne umgerechnet werden können, ergibt sich, um Netzengpässe zu vermeiden, die Notwendigkeit des Redispatches:
Um den Begriff „Redispatch“ besser zu verstehen, ist es hilfreich, erneut auf die Übermittlung der Fahrpläne aller Kraftwerke an die Übertragungsnetzbetreiber zurückzukehren. Sobald letztere alle Fahrpläne erhalten haben, erstellen sie für den Folgetag eine Übersicht der voraussichtlichen gesamtdeutschen Ein- und Ausspeisung auf Netzebene, indem sie eine Lastflussberechnung (oder: Netzbelastungsberechnung) durchführen. Sie schauen sich also an, welche Teile des Stromnetzes durch den gemeldeten Dispatch wie stark beansprucht würden. Um nun am Folgetag die Anzahl der kurzfristigen Eingriffe in die Fahrweise von konventionellen und regenerativen Kraftwerken zur Sicherung der Netzstabilität (Stichwort Einspeisemanagement nach EnWG §13 bzw. EEG §6, §11 und §12) möglichst gering zu halten, wird bereits am Vortag das Ergebnis der Lastflussberechnung von den Übertragungsnetzbetreibern genutzt, um die Kraftwerksbetreiber zur Verschiebung der geplanten Stromproduktion anzuweisen. Dadurch können vorausschauend und gezielt Netzengpässe vermieden werden. Diese Anweisung zur Verschiebung der Stromproduktion wird mit dem Begriff Redispatch bezeichnet.
Der Wegfall sicher kalkulierbarer Stromerzeugung ist ein Irrweg
Das klingt nicht nur kompliziert. Das ist kompliziert und höchst anspruchsvoll. Je mehr beliebig – beliebig im Sinn von Zeitpunkt und Menge – erzeugter Wind- und Sonnenstrom mit Einspeisevorrang in das Netz eingespeist wird, desto größer werden die Unsicherheiten der Stromversorgung. Der beschlossene Wegfall sicher kalkulierbarer Stromerzeugung durch Kernkraft und Kohle ist ein Irrweg, der Deutschland schwer schaden wird.
Ökonomisch sowieso, aber auch durch die erhebliche Schwächung des Industriestandortes mit der permanenten Gefahr des "Blackout" genannten worst case. Die Abhängigkeit von Energiezufuhr aus anderen Ländern steigt nun auch beim Strom. Bei Gas und Öl ist Deutschland diese Abhängigkeit schon lange gewohnt. Dass nun aber Strom – in erster Linie konventioneller Strom – mehr und mehr importiert werden wird, damit die Versorgung einigermaßen sicher bleibt, ist ein Treppenwitz der Energieerzeugungsgeschichte Deutschlands. Lesen Sie auch den Bericht, der aktuell auf WELT-online erschien:
Die Energiewende fordert das Stromnetz zunehmend heraus. Die Netzagentur hält eine Verdopplung der Reserve-Kraftwerke auf zehn Gigawatt für nötig. Das entspricht der Leistung von zehn Atomkraftwerken. Der Kohleausstieg ist da noch gar nicht eingepreist. [...] Woher die nötigen Reservekraftwerke im Winter 2022 kommen sollen, ist einstweilen noch unklar. Der Bedarf von mehr als zehn Gigawatt übersteigt bei Weitem das, was an inländischen Kraftwerken zu diesem Zeitpunkt der Netzreserve zur Verfügung stehen wird. Womöglich müssen dann erneut ausländische Kraftwerke zur Sicherung des deutschen Stromnetzes angemietet werden.
Schöne Aussichten. Und sage am Ende niemand, das hätte man aber nicht gewusst. Alle Berechnungen und Schätzungen durch Rüdiger Stobbe nach bestem Wissen und Gewissen, aber ohne Gewähr.
Die bisherigen Artikel der Kolumne Woher kommt der Strom? mit jeweils einer kurzen Inhaltserläuterung finden Sie hier.
Rüdiger Stobbe betreibt seit 3 Jahren den Politikblog www.mediagnose.de. Seit über einem Jahr beobachtet er dort die Stromerzeugung in Deutschland.