Markus C. Kerber, Gastautor / 29.01.2022 / 12:00 / Foto: Remi Jouan / 68 / Seite ausdrucken

Woher kommt der Hass auf Macron?

Die Unbeliebtheit des französischen Präsidenten schwächt die Legitimität der französischen Demokratie.

Als die Gelbwestenbewegung ihren Unmut lostrat, konnte selbst das ferne Ausland unschwer erkennen, wie es um den politischen Konsens in Frankreich bestellt ist. Was als ein Protest gegen die steuerlich veranlasste Erhöhung der Spritpreise begonnen hatte, weitete sich schnell zu einer umfassenden Vertrauenskrise des politischen Systems aus. Einher mit dieser Krise zwischen Franzosen mit beschränktem Einkommen und der politischen Führung des Landes nahm die politisch motivierte Gewalt bürgerkriegsähnliche Züge an. Macron erschien darauf im Fernsehen, machte einen Kotau vor den Protestierenden, gelobte mehr Bescheidenheit und verordnete einige soziale Wohltaten, die das Defizit der öffentlichen Finanzen und den Bruttoschuldenstand sprunghaft ansteigen ließen. 

Mittlerweile ist das Unverhältnis zwischen dem französischen Wahlmonarchen Macron und der Mehrheit der französischen Bevölkerung auch intellektuell thematisiert worden. In der Gazette Esprit thematisierte Joël Roman die Gründe der zunehmenden Ablehnung von Macron durch weite Teile der französischen Bevölkerung. Die beiden Journalisten Domenach und Szafran schreiben gar ein Buch mit dem Titel „Macron: Warum so viel Hass?“ 

Macron ließ daraufhin erklären, dass er sich aus dem Hass seiner Gegner nichts mache und unbeirrt sein Programm fortsetze. Faktum ist, dass nicht einmal Giscard d’Estaing, der mit immerhin 47 Jahren in das Präsidentenamt einzog, derartig schäumende Abneigung auf sich gezogen hatte. Die Franzosen mochten ihn aufgrund seines Snobismus, seines großbürgerlichen Lebensstils sowie seiner kaum zu kaschierenden Hochnäsigkeit gegenüber einfachen Leuten nicht besonders. Dies erklärte teilweise, dass man ihm ein zweites Mandat 1981 verweigerte. Bürgerkriegsszenen hatte Giscard nie provoziert.

Macron, der mit nur 39 Jahren ein Amt betrat, das über Machtbefugnisse verfügt, die in der westlichen Welt einzigartig sind, tat dies unter dem großen Beifall jener politischen Kräfte, die das Land anderenfalls unter der Chefin der Nationalen Front, Marie Le Pen, am Abgrund und als Paria der internationalen Gemeinschaft gesehen hätten. Doch schnell stellte sich heraus, dass die Nähe Macrons zu internationalen Technokraten sowie zu den Repräsentanten des Börsenkapitalismus und dem Fernsehsender BFM Teil eines geschickt angelegten Werbefeldzugs war, mit dem sich der blutjunge Kandidat als nach allen Seiten offener Modernisierer des Landes geriert hatte, indes das junge Gesicht des alten Pariser Elitenkartells wurde. 

Tiefgreifende Reformen sind seit 2017 – das bestreiten auch seine Freunde nicht – ausgeblieben. Gewiss, eine kleine Reform („réformette“) des anachronistischen Statuts der französischen Eisenbahner, der SCNF, ist ihm gelungen. Auch hat er – mehr kosmetisch als strukturell – Arbeitsmarktreformen angeschoben. Die große Reform der unübersichtlichen Alterssicherungssysteme in Frankreich mit Dutzenden von Sonder-Regimen, die sich nur aufgrund von steuerlichen Zuschüssen über Wasser halten können, wurde von Macron – zu seiner eigenen Erleichterung – abgebrochen, als die Covid-Krise ausbrach. Seitdem regiert Macron zunehmend autokratisch und reagiert auf Kritik an den zum Teil zentralistisch-repressiven Covid-Maßnahmen mit Publikumsbeschimpfungen.

„Je vais les emmerder“ („Ich werde Ihnen das Leben schwer machen“) hat er gegenüber den Impfgegnern gesagt und damit jede Form des Dialogs mit Kritikern der bislang in Frankreich nicht besonders erfolgreichen Corona-Politik beendet. Die Franzosen reagieren auf diese Form von Publikumsbeschimpfung zum einen mit Erstaunen, weil sie unflätige Ausdrucksweisen für unvereinbar mit dem Amt des Staatspräsidenten halten, zum anderen mit gewalttätigen Straßenaktionen. So hatten die Impfgegner und prinzipiellen Kritiker der Corona-Politik endlich ihr Fressen gefunden. Sie reagierten, indem sie öffentlich gegen den Präsidenten skandierten „On va l’emmerder“ („Wir werden ihm das Leben sauer machen“). 

Straßendemos gehören zu Frankreich wie Käse und Wein. Dies hängt auch mit der Neigung der Franzosen zusammen, ihren Unmut lauthals kundzutun. Wären Gegner Macrons nicht so zerstritten, wäre es ein Leichtes, diesen jungen, unpopulären Autokraten gegen sein eigenes Volk auszuspielen. Hinzu kommt, dass sich Macron auch in anderem Zusammenhang Äußerungen erlaubt hat, die an seiner diplomatischen Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen.

Dazu gehört der Ausspruch, dass die NATO klinisch tot sei. Selbst forcierte Interpretationsbemühungen seiner engsten Freunde vermochten den kommunikativen Flurschaden nicht zu verhindern. Es blieb ein Nachgeschmack. Wie kann der Staats-Chef einer Atommacht über das eigene Militärbündnis derartige Unmutsäußerungen tätigen? Macron ist angezählt, und die französische Demokratie hat mehr denn je ein Legitimitätsproblem: Die Pariser Oligarchie – dazu gehört Macron – hat das Volk längst verloren.

Dr. jur. Markus Kerber ist Professor für Finanzwirtschaft an der TU Berlin, Gründer von www.europolis-online.org. Der Autor absolvierte 1984/85 die Ecole Nationale d’Administration (Promotion Denis Diderot) 

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Jürgen Knittel / 29.01.2022

Woher der Hass gegen Macron kommt, kann ich mir auch nicht erklären. Hat er doch mit kluger Hand und Staatskunst seit einigen Jahren jegliche Unzufriedenheit und Hetze aufgrund seiner weisen, sozialen, ausgleichenden Maßnahmen von der Straße prügeln lassen. Das mit einer Truppe, die Nordkorea oder die von Belarus alle Ehre machen würde. Nach der 1. Lauterkrach These ( Spritzgesetz, und alle lassen sich freiwillig spritzen) ist erwiesen, kein Protest auf der Straße, alle sind zufrieden. Dafür ist er der beliebteste Politiker seit der großen Vorsitzenden. Schreibt die Jubelpresse, die in Frankreich eben auch eine Jubelpresse ist. “Ich brauche Informationen. Eine Meinung bilde ich mir selbst.” Charles Dickens Wie ich aber gelesen habe werden jetzt verschiedene Klassiker in englischen Bibliotheken mit Warnhinweisen versehen. Die Werke von Shakespeare sind auch dabei. Diese Info ist verbürgte Fressefreiheit denn es stand nicht in der Jubelpresse. Das soll keine Satire sein!

Ilona Grimm / 29.01.2022

@Ludwig Luhmann: Koprophilie in Verbindung mit Injektomanie. Das kommt dabei raus, wenn man seine Mama heiratet. PS: Natürlich weiß ich, dass Billyboy auch bei Quantum Dots seine gierigen Finger drin hat, lieber Herr Luhmann. Ich kann ja lesen.

Peter Petronius / 29.01.2022

Sein Spitzname lautet nicht umsonst “Macroleon” und wer, wie Macron im Jahr 2021, den Menschen-/Deutschenschlächter und Wiedereinführer der Sklaverei (1802) Napoleon zu seinem 200. Todestag mit einem Staatsakt ehrt, den kann man nur hassen, scheiß Nationalist!

T. Schneegaß / 29.01.2022

So, wie es die Deutschen 16 Jahre gehandhabt haben und die Abrissbirne immer wieder wählten, wird auch dieser Kerl wiedergewählt. Die Franzosen finden einfach keinen Schlechteren. Die Deutschen haben allerdings einen Schlechteren gefunden, aber nur, weil die Abrissbirne nicht mehr die Schlechteste sein wollte.

Frank Schneider / 29.01.2022

Woher der Haß kommt? Dumme Frage!

Carlo Mayer / 29.01.2022

@Herr Hechinger, das war aber schon immer so. Die Franzosen haben ein masochistisches Verhältnis zu ihren eigenen Eliten. Ganze Zeitschriftensparten leben davon, den ehrgeizigen Eltern die rankings von Gymnasien, Prépas und Grande écoles unter die Nase zu reiben, nennt sich classement. Da sind Eltern total heiß drauf und beten dieses Zeug hoch und runter. Weil die Chance besteht, dass die eigenen Kinder es über die Eliteschulleiter ganz nach oben schaffen könnten, lässt dieses völlig verknöcherte System nicht wirklich wanken. Wer es dann nicht geschafft hat, schimpft auf die miesen Eliten, wer es geschafft hat, macht sich die Taschen voll. Übrigens stammt Macron keineswegs von „reichen Eltern“ ab, das waren Ärzte. Reiche Leute in Frankreich sind was ganz anderes.

STeve Acker / 29.01.2022

Das Wort “emmerder” bedeutet etwas soviel wie ärgern, im Sinne von jemand anderem absichtlich ärgern. Sagt man zb. wenn ein Kind seinen Bruder ärgert. Es enthält, wie manche Poster hier richtig schreiben das Wort ” merde” = Scheisse, und ist somit viel vulgärer. Insofern gibt es nicht wirklich ein deutsches Wort dafür. Für einen französischen Präsidenten einfach unmöglich, so ein Sprachgebrauch. Zumal Macron kurz davor in einem Interview Besserung in seinem Umgang gelobt hatte. Macron ist dermaßen abgehoben. Und die Art wie er an die Macht kam, total eingefädelt. ich fürchte nur leider dass er wiedergewählt wird.

Richard Kaufmann / 29.01.2022

Herr Kerber,  selten habe ich so einen kurz und bündig aber aufschlussreich gehaltenen Abriss der neuen französischen Wirklichkeit gelesen. Wunderbar. Besten Dank. Allerdings sehe ich Macron als dritten Taugenichts. Die anderen haben aber nicht gegen das Volk regiert. Uns hat eine gereicht, um das Land kaputt zu machen.

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