Dirk Maxeiner / 20.04.2007 / 14:19 / 0 / Seite ausdrucken

Woher kommt das „Gutmenschentum“?

Achse-Leser Alexander Schertz hat sich gründliche Gedanken zu einer Erscheinung unserer Zeit gemacht:

“Die Autoren dieser Website setzen sich täglich mit einem Phänomen auseinander, für das es noch keinen passenden Namen gibt. „Political Correctness“ und „Gutmenschen“ sind schwammige und abgedroschene, aber leider wohl die einzig geläufigen Bezeichnungen. Auf die Namensgebung kann man aber nur um den Preis verbaler Verrenkungen verzichten, wenn man das Phänomen analysieren möchte. Ich habe mich für „Gutmenschen“ entschieden, immer in Anführungsstrichen, um zu betonen, dass ich das Wort nicht als verbale Keule einsetzen will, um Menschen herabzusetzen, mit denen ich Meinungsverschiedenheiten habe.

Ähnlich Religionen und säkularen Heilslehren wie Nationalismus und Sozialismus befriedigt das „Gutmenschentum“ geistige und soziale Bedürfnisse seiner Anhänger. Die Rolle des Göttlichen übernimmt ein Ensemble von Wertvorstellungen, die quasireligiös übersteigert werden: „Natürlichkeit“, „Soziale Gerechtigkeit“, Gleichberechtigung der Frau, Toleranz, kulturelle Vielfalt und Friedfertigkeit. Die Einhaltung selbst auferlegter Verpflichtungen gemäß diesen Idealen (Beispiel: die „persönliche CO2-Bilanz“) gibt Lebenssinn und ein Gefühl moralischer Überlegenheit, allerlei Organisationen bieten wichtige Rollen bei der Besserung und Rettung der Welt an, die das Selbstwertgefühl erhöhen können.

Diese Weltanschauung bildete sich spontan und ungeplant seit Mitte der Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Westeuropa, den USA und anderen Ländern des westlichen Kulturkreises heraus. Die Studentenbewegung, die feministische und die ökologische Bewegung gingen voran. Das Verbreitungsgebiet des „Gutmenschentums“ gibt einen wichtigen Hinweis auf die möglichen Ursachen seiner Entstehung. In Westeuropa verlief seine Ausbreitung parallel zu einem dramatischen Bedeutungsverlust der christlichen Kirchen. In den USA, wo Religion und Staat schon lange getrennt waren und Glaube nicht Sache theologischer Spezialisten war, kam es nur bei Teilen der Bevölkerung zu einem Rückgang der Religiosität und einem Ersatz durch das „Gutmenschentum“. Nationalismus und radikaler Sozialismus, die „traditionellen“ Konkurrenten der Religion, verloren überall an Einfluss.  Eine Abwehrhaltung gegen die schnelle technologische Entwicklung förderte zusätzlich das Aufblühen des „Gutmenschentums“. Durch die Befreiung vom Kampf ums Dasein sank die Wahrnehmungsschwelle für Probleme von Umwelt und Gesellschaft, verstärkt durch mediale Vermittlung.

In Europa erwies sich das Verhältnis zu den USA als weitere Triebkraft. Der Verbündete wurde zunehmend als politisch und militärisch übermächtiger Konkurrent, sein kultureller Einfluss als ein ständiges Ärgernis wahrgenommen. Europa versuchte, seine Identität durch Abgrenzung vom bisherigen Bundesgenossen zu finden. Die vermeintlich erzkapitalistischen und aggressiven USA erschienen vielen Westeuropäern immer mehr als Gegenpol zu ihren Idealen, sein aktueller Präsident sogar als eine Art „Anti-Gutmensch“. Der Antiamerikanismus wurde so zu einer eigenständigen Komponente dieser Ideologie in Europa.

Durch die Übersteigerung an sich begrüßenswerter Ziele hat das „Gutmenschentum“ äußerst negative Konsequenzen, von den Ängsten vor den weit überschätzten Risiken von Gen- und Nukleartechnik, „Waldsterben“ und „Klimakatastrophe“ und entsprechenden Fehlinvestitionen über mangelnde Tatkraft gegen den radikalen Islam bis hin zur Distanzierung von den „natürlichen“ Verbündeten USA und Israel. Es ist aber auch mit echten zivilisatorischen Fortschritten für Naturschutz, soziale Sicherheit, Frauen- und Minderheitenrechte und der Bemühung um friedliche Konfliktlösungen verbunden. Seiner irrationalen Feindbilder beraubt, in seinen Wertvorstellungen auf ein vernünftiges Maß zurechtgestutzt und um einige vernachlässigte Werte bereichert (vor allem: persönliche Freiheit) könnte aus dem „Gutmenschentum“ noch eine ganz passable Weltsicht werden.”

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