Bernhard Lassahn / 27.07.2011 / 12:45 / 0 / Seite ausdrucken

Woher kommt das Böse?

Das fragen wir uns jetzt. Das hat sich Georg Kreisler, der 2010 den Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg erhielt, schon lange gefragt. Es ist die große Frage hinter seinen „bösen Liedern“, in denen es beispielsweise heißt: „ ... krieg ich statt Trinkgeld einen Eimer Blut, dann geht’s mir gut“. Wie sollen wir das verstehen? Und wie ist es gemeint, wenn er in einer Schaufensterauslage große Messer sieht und der Anblick einen Tagtraum auslöst: „Wie schön wäre Wien ohne Wiener?“

Das Böse ist bei ihm nicht nur modische Marotte wie etwa in den Büchern von Ute Erhardt, die über „böse Mädchen“ schreibt, die angeblich „überallhin kommen“, wohingegen die guten nur in den Himmel kommen. Kreisler meint es ernst. Das Böse ist – so wie der Tod – sein großes Thema, das man schon in seinen frühen Chansons, die er in den USA aufnahm, heraushören kann: ‚I Hate You’ und ‚Please, Shoot Your Husband’ heißen zwei seiner ersten Aufnahmen. Und die unangenehme Frage, die sich dabei auftut, lautet: Warum ist der Mensch böse?

Er fragt sich, warum ausgerechnet diejenigen, die gesellschaftlich ganz weit oben sind, nicht „gut“ sind. „Warum können führende Menschen auf Erden nicht freundlicher, selbstloser, menschlicher werden? Ich hab drüber sehr lange nachgedacht, und jetzt weiß ich die Lösung, geben Sie acht: Diese führenden Menschen: Die sind so mies. Ja, die sind so mies.“ Sie sind böse. Durch und durch. „Sie schrauben dir die Blumen und die Bäume ab und treten dich voll Freude in den Bauch. Sie sind so mies, ach, so schrecklich mies, und sie glauben, alle andern sind es auch.“

Doch wir sollten uns nicht täuschen. Es sind nicht allein die Herrschenden, also die Großen dieser Welt, die das Böse in sich tragen. Erinnern wir uns an sein wohl bekanntestes Lied vom ‚Taubenvergiften im Park’. Was waren das für Zeitgenossen, die heiter losgezogen sind, um Tauben zu vergiften? Leute wie du und ich waren es. Und wer hat an der Stelle im Publikum so verdächtig laut gelacht? Es sind weder die Karriere-Hengste, die auf dem steilen Weg nach oben alle Hemmungen ablegen mussten und eigentlich erst durch ihren Aufstieg so niederträchtig geworden sind, und es sind auch nicht die Armen, die nur Opfer ihrer Umstände sind. Also: Wer ist böse? Und woher kommt es?

Von innen. „Draußen, alles ist so draußen, alles kommt von außen, nur das Böse bleibt im Inneren versteint“, heißt es im Lied ‚Ich kann tanzen’. Jesus sagt es uns das auch – wie jedenfalls Markus berichtet: „Von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen.“

Das hören wir gar nicht gerne. Wir halten uns für unschuldig. Wir halten uns für gut; wir glauben, dass wir eigentlich auch nur „edle Wilde“ sind – wie es uns Jean-Jaques Rousseau eingeflüstert hat –, weil die Natur als das „zweite Buch Gottes“ grundsätzlich gut ist, und so müssen auch die Menschen gut sein und können höchstens durch widrige Umstände – quasi versehentlich – böse werden. So denken wir gerne. Es hat sich längst die Auffassung durchgesetzt, dass alles Böse nur eine Reaktion auf erlittenes Unrecht ist. Deshalb müssen wir das Unrecht bekämpfen; denn wenn erst das Unrecht aus der Welt ist, dann gibt es auch das Böse nicht mehr. So lautet auch die simple Lehre, die wir von Karl Marx abgeleitet haben: Der Mensch ist „entkernt“; er ist geprägt von seinen Umständen, vom „Sein“ - neuerdings von Rollenbildern, von Klischees und von stereotypischen Vorstellungen vom Geschlecht.

Wir sind aber böse. Wenn keiner hinguckt. Überwachungskameras haben es ans Licht gebracht. Einen Moment lang haben die „jugendlichen Gewalttäter“ nicht an die Kameraüberwachung gedacht, die sie später identifizieren konnte und bei der Gelegenheit die Fratze des Bösen offenbarte. Die deutschen Soldaten dagegen konnten 1943 nicht wissen, dass sie abgehört werden. Das wurden sie aber. Es wurden geheime Abhörprotokolle erstellt, meist von U-Boot-Fahrern, oder von Gefangenen, von denen sie sich militärische Geheimnisse versprachen. So kam es raus. Die Soldaten verplapperten das Ungeheuerliche: Sie haben gerne getötet. Sie nutzten die „Chance der unbestraften Unmenschlichkeit“, wie es Günther Anders nennt.

Eugen Sorg sieht es in seinem Buch ‚Die Lust am Bösen’ so: „Die meisten Menschen berauschen sich nicht an Ideen, sondern sie benutzen Ideen, um ihren Rausch zu legitimieren “. So dachte auch Sigmund Freund, der ebenfalls vermutete, dass in vielen Fällen ein ideelles Motiv den destruktiven Gelüsten nur als Vorwand dient. Doch das Böse ist nicht „wegfinanzierbar“. Es ist die „tragische Bedingung der menschlichen Freiheit“ – ein Gedanke, der auch in dem Prozess um John Demjanjuk formuliert wurde. Der Mensch hat die Freiheit, sich gegen das Böse zu entscheiden. Je weniger wir dem Menschen diese Freiheit zugestehen, je weniger wir ihn für seine Taten verantwortlich machen, desto größer ist die Gefahr, dass wir vom Bösen überrumpelt werden. Das Böse nistet sich da ein, wo eine Verantwortungslücke entsteht, da wo die Ausreden schon vorformuliert sind.

Der Böse aus Norwegen musste sich richtig Mühe geben für seine Ausrede: 1500 Seiten Text. Der Mörder von John Lennon hat sich einfach auf Salinger berufen und aus dem ‚Fänger im Roggen’ zitiert. Darauf kommt es überhaupt nicht an.

Georg Kreisler stellte sich seinem künstlerischen Konzept stets quer zum Ideal vom Gutmenschen und er könnte sich Goethe - der damit einen Seitenhieb auf das Menschenbild von Campe und anderen Philanthropen, die an Rousseau orientiert sind, austeilt -, aus vollem Herzen anschließen und die Zeile aus den ‚Xenien’ mit seiner Musik unterlegen: „Schwärmer, wie bist du getäuscht, nimmst du die Menschen für gut!“

Wir aber sind getäuscht. Wir meinen, es besser zu wissen. Wir wissen, woher das Böse kommt, Goethe hin, Goethe her. Unser aktueller Erkenntnisstand sagt uns: Das Böse kommt von außen. Alle, die Harry Potter kennen (und wer kennt ihn nicht?!), wissen das und haben es mit eigenen Augen im Kino gesehen: Das Böse steht außerhalb vom Menschen und wird verkörpert durch Lord Voldemort.

 

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