Wir erinnern uns: Im Januar 2019 besiegelte eine sogenannte Kohlekommission im Namen der Klimarettung den Ausstieg Deutschlands aus der preiswerten Kohleverstromung. Das Gremium war im Sommer 2018 vom Merkel-Kabinett eingesetzt worden. In gerade mal sechs Monaten beschlossen die 31 handverlesenene Mitglieder – darunter CDU, CSU, SPD und Grüne – den Ruin einer in Jahrzehnten gewachsenen Wertschöpfungskette, bestehend aus Tagebauen, Kohlekraftwerken und Zulieferbetrieben. Den vom ideologischen Hauruck-Ausstieg betroffenen Regionen versprach die Merkel-Regierung großspurig 40 Milliarden Euro Staatshilfen (unsere Steuergelder), angeblich, um die Folgen „abzufedern“. Euphemistisch betitelte die Politik den von ihr beschlossenen Niedergang der deutschen Kohleverstromung (und den damit verbundenen Abbau von Arbeitsplätzen) als „Strukturwandel“. Aber wo stecken die Steuermilliarden? Ein Blick nach Sachsen in das Lausitzer Revier.
Sichtlich begeistert von sich und seinem Job beschwor Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) den Bundestag 2020 in seiner Rede, dem Kohleausstiegsgesetz zuzustimmen. Der CDU-Politiker wörtlich:
„Zum allerersten Mal in der langen Geschichte des Strukturwandels in der Bundesrepublik Deutschland … federn wir diesen Strukturwandel so ab, dass wir neue Arbeitsplätze schaffen, bevor die alten Arbeitsplätze alle wegfallen. Wir werden bis zu 40 Milliarden Euro investieren, um den Menschen in den Braunkohlerevieren … eine Zukunftsperspektive zu geben.“
Am 8. August 2020 trat das Gesetz in Kraft. Der Niedergang der modernen deutschen Kohle-Industrie ist auf 50 Seiten akribisch festgehalten.
Wie eine Stecknadel im Heuhaufen
Die beiden wichtigsten Städte im sächsischen Teil des vom Kohleausstieg betroffenen Lausitzer Reviers sind Weißwasser und Hoyerswerda. In der Region befinden sich Tagebaue sowie das Kraftwerk Boxberg. Wie viele neue Arbeitsplätze wurden dort geschaffen, bevor die alten Arbeitsplätze alle wegfallen, so wie es Altmaier versprochen hatte? Die findet man selbst mit einer großen Lupe nicht. Der Autor fragte nach beim Landkreis Görlitz, bei allen Fraktionen im Sächsischen Landtag, beim sächsischen Wirtschaftsministerium, der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung – SAS – (eigens für den Strukturwandel gegründet), der Sächsische Aufbaubank – SAB – (Mitgesellschafterin der SAS) sowie der Sächsischen Staatskanzlei (der Freistaat Sachsen ist zusammen mit der SAB Gesellschafterin der SAS). Einer wird es ja wohl wissen. Die Auflösung: Niemand weiß es! Das ist kein Witz.
Der Landkreis Görlitz, zu dem Weißwasser gehört, teilte per E-Mail mit, er habe keine Kenntnis davon, wie viele wertschöpfende Arbeitsplätze im Zuge des Strukturwandels neu entstanden sind. Von den Fraktionen im Sächsischen Landtag meldeten sich nur AfD und Linke, die auf ihre bisherigen Anfragen verwiesen. Von CDU, SPD und Grünen, die den Kohleausstieg auf Bund- und Länderebene beschlossen hatten – kein Pieps. Die SAB – Sie erinnern sich, Achgut berichtete: Steuergeld verschleudern mit Schleuderbeton – antwortete ebenfalls nicht (obwohl es hier um mögliches Verschleudern von Steuergeldern geht), die Sächsische Staatskanzlei ging auch in Deckung. Die SAS verwies auf das Sächsische Staatsministerium für Infrastruktur und Landesentwicklung. Von dort kam nach vier Wochen eine Antwort per E-Mail. Darin hieß es u.a.:
„Das Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) zielt nicht darauf ab, Arbeits- und Ausbildungsplätze unmittelbar zu fördern. Die geförderten Projekte verfolgen andere Ziele, wie zum Beispiel die Förderung einer vielfältigeren Wirtschaftsstruktur. Zudem können Projekte auch dazu beitragen, die vom Kohleausstieg betroffene Region attraktiv zu machen bzw. zu halten, damit es auch in Zukunft lohnenswert bleibt, dort zu leben und zu arbeiten. Auch dadurch wird die Region für Investoren interessant, die dort Arbeitsplätze schaffen möchten – sei es für Unternehmen oder für wissenschaftliche Einrichtungen u.ä.“
Das hatte Herr Altmaier aber noch ganz anders gesagt: „… federn wir diesen Strukturwandel so ab, dass wir neue Arbeitsplätze schaffen, bevor die alten Arbeitsplätze alle wegfallen.“ Keiner Behörde, keinem politischen Entscheidungsträger in Sachsen ist anscheinend bekannt, wie viele und ob überhaupt neue, wertschöpfende Arbeitsplätze im Zuge des steuerfinanzierten Strukturwandels entstanden sind.
Wo sind die Strukturwandel-Gelder geblieben?
Kurz gesagt: Die versickern seit Jahren kontinuierlich in diversen Projekten und steuerfinanzierten, perspektivlosen Jobs. Zutage traten diese Informationen dank Kleiner Anfragen von AfD und Linken im Sächsischen Landtag. In der vorangegangenen Legislaturperiode (1.10.2019 bis 30.9.2024) gab es 94 solcher Anfragen zum Strukturwandel. In der aktuellen Legislatur (seit 1.10.2024) gibt es bisher drei Anfragen, auf die hier genauer eingegangen wird.
Um die Strukturwandel-Gelder zu verteilen, wurde eine gewaltige Bürokratie geschaffen. In einem aufwändigen Beantragungsprozess wird das Geld aus verschiedenen Töpfen ausgereicht. Zum Beispiel aus dem sogenannten STARK-Programm. Die Abkürzung steht für „Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten“. Laut der Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 8/514 wurden bisher im Lausitzer Revier 17.174.033,42 EUR für Förderungen ausgegeben (Seite 3). Die Begünstigten: Vereine, Hochschulen, kommunale Träger und ein wenig die Wirtschaft. Wofür wurden die Steuermillionen ausgegeben? Das steht in der fünfseitigen Anlage 1.1. Zum größten Teil wurden Projekte mit wohlklingenden Titeln gefördert. Im Lausitzer Revier z.B.:
- Genossenschaften als Impuls und Anker in der Lausitz, 6 Arbeitsplätze, 448.875,02 EUR
- Koordinierungsstelle Kultur und Kulturentwicklung Lausitz, 4 Arbeitsplätze, 821.321,99 EUR
- Vitalisierung der Innenstadt Bautzen, 360.000 EUR
- Länderübergreifende Investorenbetreuung, 4 Arbeitsplätze, 725.110,90 EUR
- Aufbau eines Flugerprobungs- und Testzentrums, 6 Arbeitsplätze, 2.037.120,66 EUR
- Aufbau und Operationalisierung einer außeruniversitären Forschungs- und Transfereinrichtung für digitalisierte Bau-, Baumaschinen-, Automatisierungstechnologien – Construction Future Lab, 15 Arbeitsplätze, 3.451.576,96 EUR
- Förderung des regionalen unternehmerischen Handelns in der Region Görlitz durch DIGITAL SPACE, 5 Arbeitsplätze, 1.446.178,18 EUR
- Cultural Fit Mitarbeiter:innen finden, binden und zurückgewinnen – Weiterbildungen für Change Agents, 7 Arbeitsplätze, 477.897,60 EUR (Anm. d. Autors: Ich beantrage hiermit eine Landtagsdebatte zum Thema: Was ist ein Change Agent?)
- Gründung und Betrieb einer Flächenentwicklungsgesellschaft durch Umfirmierung einer bestehenden Gesellschaft unter Beteiligung der kreiseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft ENO und der perspektivischen Beteiligung der Kommunen im Landkreis Görlitz, 3 Arbeitsplätze, 1.252.087,20 EUR
- Sächsisches Kompetenzzentrum nachhaltige Landwirtschaft, Fischwirtschaft und Klima – Kohleregion Lausitz, 9 Arbeitsplätze, 3.158.784,12 EUR
- Task-Force von 10 Mitarbeitern, die ein koordiniertes Vorgehen bei der Entwicklung, Beantragung und Umsetzung von Strukturwandel-Projekten ermöglicht. Sie bindet alle Akteure (Kommunen, Wirtschaft, Forschungseinrichtungen und auch Bürger in die Prozesse mit ein (Landkreis Görlitz), 10 Arbeitsplätze, 5.966.033,21 EUR.
- InnoCarbEnergy: Carbon, Systems and Mobility Solutions Saxony, TU Chemnitz, 26 Arbeitsplätze, 5.865.751,36 EUR
Die sozialistische Planwirtschaft lässt grüßen. Der Steuerverschleuderkatalog ist noch lang. Früher nannte man solche Maßnahmen schlicht ABM: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. STARK-Gelder wurden anscheinend besonders denen zugeschustert, die die blumigsten Anträge schreiben konnten. So verschleudern Bund und Freistaat unter dem Deckmantel des Strukturwandels Steuergelder für Maßnahmen, die gut klingen (irgendwas mit Transformation und Nachhaltigkeit), mit denen die hochverschuldeten sächsischen Kommunen irgendwie am finanziellen Leben erhalten werden und Bildungseinrichtungen Drittmittel erhalten, wenn sie etwas erforschen, das in der Beschreibung irgendwie irgendwas mit Innovation zu tun hat.
Wie auf Seite 3 der Antwort des Ministeriums zu lesen ist, stehen für das Lausitzer Revier noch 313,04 Millionen Euro im STARK-Programm zur Verfügung. Immer schön raushauen die Penunzen. Es sind ja nur unsere Steuergelder.
Was hat das Teichwiesenbad in Ottendorf-Okrilla mit Strukturwandel zu tun?
Eine weitere Option, wie Strukturwandelgelder verschwendet werden, sind Projekte, die durch einen sogenannten Regionalen Begleitausschuss (RBA) beschlossen und von der Sächsischen Aufbaubank bewilligt werden. Im RBA sitzen verschiedene Interessensvertreter, Politiker, Bürgermeister und Vereine. Ein RBA-Mitglied berichtete dem Autor einmal, dass es vorkomme, dass sich Beteiligte vorher absprachen, nach dem Motto: Wenn Du nachher meinem Projekt zustimmst, stimme ich auch Deinem zu.
Welche Strukturwandelprojekte sind so weit beschlossen und bewilligt worden? Eine aktuelle Auflistung offenbart die 9-seitige Anlage 1 zur Kleinen Anfrage Drs.-Nr.: 8/513:
- Touristische Erschließung Teichwiesenbad Ottendorf-Okrilla, 1.292.992,27 EUR (Anlage, Seite 2)
- Schloss Seifersdorf – Erlebnisschloss mit Besucherzentrum, 6.030.812, 00 EUR (Anlage, (Anlage, Seite 2)
- Sicherung Abwasserbeseitigung Lauta, 11.159.763,96 EUR (Anlage, Seite 2)
- Kommunal- und Kulturzentrum Bischofswerda, 30.120.106,00 EUR (Anlage, Seite 1)
- Kreismusikschule Bautzen, 14.544.451,00 EUR (Anlage, Seite 1)
- Neubau Kindertagesstätte Rablitz, 9.302.340,96 EUR, (Anlage, Seite 2)
- Wander- und Skiareal Sohland, 3.458.649,00 EUR, (Anlage, Seite 3)
- Umweltbildungszentrum Fischereihof Kleinholscha, 2.742.879,00 EUR (Anlage, Seite 3)
- Verwaltungszentrum 4.0 Landkreis Görlitz, 37.806.783,00 EUR (Anlage, Seite 5)
- Aufbau der Gesundheitsregion Lausitz – innovative Medizintechnik als Antriebsmotor, 6.570.000,00 EUR
- Errichtung einer Experimentierwerkstatt zur Energieeffizienz, 93.921,78 EUR (Anlage, Seite 5)
- Ausbau und Umbau der Infrastruktur des Tierparks Görlitz – "Parkplatz inkl. Besucherlenkung", 565.881,00 EUR (Anlage, Seite 5)
- textile Kreativwerkstatt in der ehem. Oberlausitzer Webschule Großschönau, 806.764,60 EUR (Anlage, Seite 6)
- Schaffung der infrastrukturellen Voraussetzung für Bildungsmaßnahmen zur beruflichen Neuorientierung und Integration, 442.000,00 EUR, (Anlage, Seite 8)
- Umbau einer historischen Dampflokomotive der Zittauer Schmalspurbahn für Leichtölfeuerung, 1.902.440,00 EUR, (Anlage, Seite 8)
- GreenSpace for Coworking and Consulting Rietschen, 3.264.874,28 EUR (Anlage, Seite 8)
Auch hier: Unter dem Deckmantel „Strukturwandel“ werden per Gießkanne Steuergelder für Infrastruktur-Projekte verteilt, die eigentlich zur normalen Daseins-Vorsorge der Kommunen gehören sollten. Die aber stecken bis zum Hals im Schuldensumpf (Achgut berichtete) und sind deshalb für jeden finanziellen Krümel dankbar. Teilweise landete das Geld in Forschungseinrichtungen, Universitäten oder Eigenbetrieben des Freistaates, die mit dem Kohleausstieg überhaupt nichts zu tun haben.
Kostenintensiver Behörden-Umzug zum Strukturwandel erklärt
Ein echter Strukturwandelkracher ist der geplante Umzug der sächsischen Landesuntersuchungsanstalt (LUA) samt 260 Mitarbeitern von Dresden nach Bischofswerda. Siehe Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Landtag unter Drs.-Nr 8/371. Was genau hat diese Behörde, die in Dresden ansässig ist, mit dem Kohleausstieg zu tun? Nichts. Trotzdem laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. 2,2 Millionen EUR Steuergelder wurden bereits ausgegeben. Die Förderungen des Freistaates Sachsen im Rahmen des Kohleinvesitionsgesetzes sollen 226 Millionen EUR betragen. Die Gesamtbaukosten seien noch nicht abschätzbar. Das nächste Mal werde ich meiner Bank sagen, dass ich für einen Hausbau dringend einen Kredit benötige, dass die Gesamtbaukosten aber nicht abschätzbar seien. Meine Bank wird sicherlich hocherfreut sein.
Wie Puderzucker werden Strukturwandelgelder (unsere Steuergelder) von schwer ideologisierten Politikern über die sächsische Landschaft geblasen. Ohne Wirkung, ohne Nachhaltigkeit. Da hilft nur: Den Strukturwandel-Irrsinn sofort stoppen!

Deutschland herrscht Ochlokratie auf allen Ebenen. Es wird sich mit diesen Leuten nichts ändern.
Wo die Kohle-Strukturwandel-Milliarden geblieben sind? Ganz einfach: im linksgrünen Funktionärs-, Bürokratie- und NGO-Sumpf.
Kifferparadies Görlitz.
Kein raus geschmissenes Geld wäre ein Seminar mit Praktikum in der Werte schöpfenden Industrie oder besser noch Landwirtschaft. Damit jeder der vom Steuergeld lebt einmal wahre Wertschöpfung erleben darf.
"Um die Strukturwandel-Gelder zu verteilen, wurde eine gewaltige Bürokratie geschaffen. "
Genau! Und wenn die ganzen "Strukturwandelprojekte", die ja nicht unbedingt für die Wirtschaft taugen, da sie ja auch meist von Steuergeld abhängig sind, nicht mehr aufrecht erhalten werde können, weil keine Wert schöpfende Arbeit dahinter steht, werden sie halt zu gemacht und fallen gelassen. Das Geld ist weg versumpft. Jeder kleine Handwerker der so mit seinem Betrieb umgeht, geht alsbald Pleite.(oder hört einfach auf zu arbeiten?)
Strukturwandel ohne Wert Schöpfung. Das können nur Bürokraten.
Tja, und mit der analogen Effektivität und Effizienz werden die mehr als 900 Mrd. Euro des jüngsten "Sondervermögens" demnächst "investiert" werden - ob in Deutschland oder vermutlich mehrheitlich ausserhalb Deutschlands. Der Staat hat sich aus ökonomischen Themen herauszuhalten, denn er versteht schlichtweg nichts davon. Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, z.B. Infrastruktur, Bildung, Energie, innere Sicherheit, darum sollte sich der Staat kümmern. Dass er selbst dies nicht schafft, steht leider auf einem weiteren Blatt.
"Wir werden bis zu 40 Milliarden Euro investieren, um den Menschen in den Braunkohlerevieren … eine Zukunftsperspektive zu geben.“ Nicht nur in der Lausitz leben findige Antragschreiber, die wissen, wie man an Kohle kommt. Auch im Leipziger Raum wurden zu Beginn, ich hatte einmal auf die Seite der Landesregierung zum Thema geschaut, Kindergärten modernisiert etc. Sicher ist das alles notwendig. Aber jeder, der investieren will und keinen guten Onkel mit dem großen Geldsack hat, muss zusehen, ob sich das refinanzieren lässt. Und zwar aus eigenen Mitteln. Wenn nicht, dann nicht. Die Fördermittel gehören generell abgeschafft. Sie verleiten zur Verschwendung, nicht nur weil labile Figuren, die mit Geld nicht umgehen können, wie süchtig an der Nadel hängen, auch weil damit oft - vorrangig bei Bauwerken - die extreme Ausreizungen von Normen und normalerweise unrentable Konstruktionen gefordert sind, weil es schön ist oder weil gerade Mode. Niemand macht sich die Mühe, die Effizienz des Fördermitteleinsatzes wirtschaftlich zu bewerten. Kostenüberschreitungen bei Bauwerken werden so regelrecht provoziert. Man beobachte in Zukunft immer einmal den geplanten epischen Bauablauf der Carolabrücke in Dresden und verfolge bis 2031 die Meldungen über die Entwicklung der Kosten. 20 % der geplanten Kosten sind derzeit als Fördermittel eingeplant. Die Brücke ist allerdings auch 20% breiter als erforderlich.