Stephan Kloss, Gastautor / 19.05.2025 / 06:00 / Foto: K.I / 84 / Seite ausdrucken

Wo sind 45.000 Stimmen der sächsischen Wähler?

Bei der Auszählung der Landtagswahlen im September tauchte am Ende ein bislang geheimnisvoller Ergebnis-Sprung auf, der u.a. den Grünen über die Fünfprozent-Hürde half. Der Wahlprüfungsausschuss kann den zwar auch nicht erklären, will entsprechende Einsprüche aber abweisen lassen.

Achgut hatte vor einiger Zeit über mutmaßliche Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung am Abend der Landtagswahl in Sachsen (1. September 2024) berichtet. Eigentlich müsste man davon ausgehen dürfen, dass alle Institutionen in „unserer Demokratie“ den allergrößten Eifer an den Tag legen, um jeden – auch nur allerkleinsten – Verdacht der Wahlmanipulation sofort und vorbehaltlos aufzuklären. Doch bei der Aufklärung von Ungereimtheiten am Abend des 1. September krochen die beteiligten sächsischen Institutionen wie eine Schnecke, die sich schließlich im eigenen Haus versteckte. Mehr als acht Monate nach der obskuren Wahlnacht sind mutmaßliche Unstimmigkeiten noch immer nicht aus dem Weg geräumt.

Wir erinnern uns: Im September 2024 war auf Substack ein Artikel über rechnerische Auffälligkeiten beim Zusammenzählen der abgegebenen Stimmen zur Landtagswahl am 1. September erschienen. Der Verfasser ist ein IT-Spezialist aus Dresden. Er hatte Screenshots der vom Landeswahlleiter in der Wahlnacht veröffentlichten Auszählungsstände gesehen und gespeichert.

Es ging um den Anteil der Listenstimmen der sächsischen Grünen. Laut Screenshots waren ausgezählt:

  • um 22:48 Uhr 412 Wahlgemeinden. Die Grünen kamen auf 3,7 Prozent
  • um 23:20 Uhr 431 Wahlgemeinden. Die Grünen kamen auf 3,7 Prozent
  • um 23:33 Uhr 429 Wahlgemeinden. Die Grünen kamen auf 4,5 Prozent 

Nach Auszählung aller 435 Wahlgemeinden kamen die Grünen plötzlich auf einen Listenstimmenanteil von 5,1 Prozent. Upps. Der Dresdner Informatiker rechnete mit einem selbstgeschriebenen Programm durch, ob der überraschende Stimmenzuwachs unter den gegebenen Bedingungen mathematisch nachvollziehbar sein kann. Sein Ergebnis: Nein. Das Fazit: Möglicherweise haben die sächsischen Grünen die 5-Prozenthürde überhaupt nicht erreicht. Die fragliche Diskrepanz bezogen auf die Grünen beträgt anscheinend 5.518 Stimmen. Insgesamt beträgt die errechnete Diskrepanz sogar 45.069 Stimmen über alle Parteien hinweg. Nachzulesen in einem weiteren Substack-Artikel hier.

Die Verschiebungen der Stimmen wären mandatsrelevant. Im Worst-Case-Szenario könnten die Grünen im Sächsischen Landtag bis zu sechs Mandate verlieren und damit auch ihren Fraktionsstatus, andere Parteien würden Mandate hinzubekommen. Die genauen Berechnungen sind ebenfalls im o.g. Artikel nachzulesen. 

Der Wahlprüfungsausschuss des Landtages winkt ab

Acht Monate nach der Landtagswahl will der Wahlprüfungsausschuss des Sächsischen Landtags nun einen Schlussstrich ziehen. Insgesamt gab es 13 Einsprüche gegen die Landtagswahl. Zehn wurden bereits zurückgewiesen, was der Landtag bestätigt hat. Nun sollen die verbleibenden drei Einsprüche ebenfalls zurückgewiesen werden, darunter die Anfechtung des Dresdner Informatikers. In einer Pressemitteilung, in der die Anfechtung des Informatikers explizit erwähnt wird, heißt es unter anderem:

„… Darunter ist auch ein Einspruch, der mit etwaigen Diskrepanzen bei den Veröffentlichungen der Zwischenergebnisse am Wahlabend auf der Website des Landeswahlleiters begründet wird. Das Ergebnis der Landtagswahl basiert auf den Niederschriften in den Wahlbezirken und den Feststellungen der Kreiswahlausschüsse, hier bestehen keine Zweifel an einer korrekten Ermittlung des Wahlergebnisses. Deshalb empfiehlt der Wahlprüfungsausschuss dem Plenum des Sächsischen Landtags die Zurückweisung dieses Einspruchs. Die Darstellungen von Zwischenständen auf der Website des Landeswahlleiters hatten keinen Einfluss auf das im amtlichen Verfahren korrekt festgestellte Wahlergebnis“.

Noch schwächer könnte eine Begründung nicht sein. Ob der Wahlprüfungsausschuss eigene Ermittlungen aufgenommen hat – dazu wäre er befugt und verpflichtet –, ist unklar. Bei seiner nächsten Sitzung am 21./22. Mai 2025 soll der Sächsische Landtag die Zurückweisung der verbliebenen drei Einwendungen beschließen.

Soll damit die Kritik kurzerhand beerdigt werden? Wo sind die Beweise des Wahlprüfungsausschusses, dass die Stimmendiskrepanz nicht existiert? Der Landeswahlleiter veröffentlichte offizielle Zwischenstände, die aber sollen plötzlich nichts mehr wert sein? Warum wird nicht neu ausgezählt, um jegliche Zweifel auszuräumen?

In seinem neuen Podcast „Berger will’s wissen“ hat sich der unabhängige und fraktionslose Landtagsabgeordnete der Freien Wähler Sachsen und ehemalige Oberbürgermeister von Grimma, Matthias Berger, mit den Merkwürdigkeiten jener Wahlnacht beschäftigt.

Inzwischen hat der Dresdner Informatiker beim Dresdner Verwaltungsgericht Klage gegen den Freistaat Sachsen eingereicht. Unterstützt wird die Klage von der Atlas-Initiative. Es geht trivial darum, herauszufinden, wer in Sachsen die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Ablauf der Landtagswahl trägt. Offenbar schiebt die sächsische Bürokratie die Verantwortung hin und her. Siehe auch unter Ziffer 2e des Schreibens im X-Post. Dass man im besten Sachsen aller Zeiten vor Gericht gehen muss, um herauszufinden, wer für die Sicherstellung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Landtagswahl verantwortlich ist, das ist schon krass. Der Landeswahlleiter jedenfalls scheint es nicht zu sein, der ging – mehr oder weniger – auf Tauchstation.

Unabhängiges Gutachten bestätigt den Kläger

Ein Kurzgutachten des Diplom-Informatikers Prof. Dr. Raphael Volz von der Hochschule Pforzheim bestätigt inzwischen ebenfalls die Ergebnisse des Dresdner Informatikers. Im Gutachten heißt es unter anderem:

„Die Analyse ergibt, dass der veröffentlichte Zwischenstand zum Zeitpunkt 23:20 Uhr mathematisch nicht mit dem amtlichen Endergebnis in Einklang gebracht werden kann“ (fett hervorgehoben durch Gutachter, Anm. d. Autors).

Der Anfangsverdacht, dass es bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September 2024 in den späten Abendstunden zu Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung gekommen sein könnte, hat sich offenbar erhärtet. Wenn den 120 Abgeordneten im Sächsischen Landtag an der Glaubwürdigkeit ihrer demokratischen Legitimation gelegen ist, sollten sie die Beschlussvorlage des Wahlprüfungsausschusses zurückweisen. 

 

Stephan Kloss ist freier Journalist. Er lebt bei Leipzig und absolviert nebenberuflich ein Bachelor-Studium im Fach Psychologie.

Foto: K.I

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Victor o’Hare-Niemeyer / 19.05.2025

Sturm im Wasserglas: Die 5%-Hürde war für die Grünen nicht entscheidend, da sie durch die Grundmandatsklausel bereits ab 2 Direktmandaten überwunden ist. Fraktionsstatus gibt es ab 6 Mandaten. Je zwei Direktmandate haben die LINKEN in Leipzig 1 und 4 sowie die Grünen in Leipzig 6 und Dresden 2 erreicht. Diese Wahlkreise sind erheblich atypisch (Wahlbeteiligung, Briefwahlquote bis zu 52%, sehr geringe Anzahl ungültiger Stimmen etc.), jedoch gab es eine offensichtlich sehr erfolgreiche „Leihstimmen“-Kampagne „gegen die AfD“ (die in diesen Wahlkreisen ohnehin kein Direktmandat geholt hätte), so dass LINKE und Grüne dort teilweise doppelt so viele Erststimmen wie Zweitstimmen holten und die Wahlkreise mit großem Abstand zu gewannen. Das Ergebnis ist plausibel, wenn man sich die Matrix der Stimmenzahlen (Excel-Datei unter wahlen-sachsen-de) in den Wahlkreisen insgesamt anschaut. „Aus dem Landtag fliegen“ könnten Linke oder Grüne nur, wenn in einem der beiden gewonnenen Wahlkreise nachgewiesen würde, dass Tausende Stimmen gefälscht oder falsch verbucht waren – was jedoch zu Neuwahl führen müsste, siehe Berlin 2021. Wenn es außer den hier irrelevanten Screenshots des Webservers (ungleich der „Wahlsoftware“!) bisher keine weiteren harten Indizien für einen Wahlbetrug oder erhebliche Fehler gibt, sollte man keine falschen Verdächtigungen äußern. Da hilft auch kein „Kurzgutachten“ zu einer „Pappkamerad-Fragestellung“. Da es im Schnitt rund 18.000 Zweitstimmen für ein Mandat brauchte, hätte z. B. eine Verschiebung von 5.000 Stimmen von Grünen zu anderen Parteien wohl keine Mandatsänderung zur Folge. Worauf der pseudonyme Informatiker „Freigeist“ und der Autor nicht eingehen: Wie ist zu erklären, dass die angeblich seit Juni 2024 fehlerfrei laufende neue Wahlsoftware in der Wahlnacht die Sitze plötzlich wieder nach D’Hondt statt Sainte-Laguë berechnet hat? So etwas muss ausgeschlossen sein. Beide Methoden führten jedoch nur zu einem Sitz Unterschied zwischen CDU und SPD.

W. Renner / 19.05.2025

Wählerstimmen haben in „unserer Demokratie“ keine wirkliche Bedeutung und können deswegen beliebig vernachlässigt oder vervielfältigt werden.

Ralf.Michael / 19.05.2025

Upps, schon wieder ! Betrüger allerorten ! Seit der Regentschaft Madame M.`s wird nur noch ( nach Unten ) manipuliert…..

R. Bunkus / 19.05.2025

Ist doch schön, wenn der Beklagte selbst über die Klage entscheiden kann. [ironie]

Thomas Schmidt / 19.05.2025

Linksgrün ist doch im Prinzip Fleisch gewordene Lüge, warum sollten die keine Wählen fälschen?

Wolfgang Richter / 19.05.2025

“Wenn den 120 Abgeordneten im Sächsischen Landtag an der Glaubwürdigkeit ihrer demokratischen Legitimation gelegen ist, sollten sie die Beschlussvorlage des Wahlprüfungsausschusses zurückweisen.” - Nein - in dem Fall würden sie den “Laden dicht machen” und Neuwahlen “ausrufen. Aber soweit geht die Vaterlandsliebe sicher nicht.

O. Ganser / 19.05.2025

Die Macht des Parteienkartells schwindet. Sie würden dann in zunehmendem Maße nicht darum herum kommen, sehr undemokratisch zu handeln, wenn sie an den Machthebeln bleiben wollten. Und es hat für mich den Anschein, dass sie den absoluten Willen dazu haben, sonst würden sie an vielen Stellen anders reagieren und ihre Abwahlen akzeptieren. So jedenfalls mein Eindruck. Die Demokratie dürfte damit ziemlich am Ende sein, denn wenn es doch noch einmal zu einem Machtwechsel kommen sollte, werden “die Neuen” dank der gemachten Erfahrungen vermutlich alles tun, damit sich das nicht wiederholt. Vermutlich alles in grün nur anders herum.

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