Linke Musikerin wird von Linken ausgeladen, weil sie den neuesten linken Trend verpasst hat.
„Fridays for Future“, oder kurz „FFF“ möchte einmal mehr „vong Klimer her“ verzweifeln, vorzugsweise freitags. Damit das nicht so eine öde Herumsteherei mit kindlich gebastelten Wasserfarbenplakaten wird, hatten die Klimahüpfenden dazu ein Konzert organisiert, unter anderem mit der Musikerin Ronja Maltzahn. Sie würde engagiert für besseres Wetter musizieren, die jungen Hüpfer würden sich weinend und mit Masken in den Armen liegen und alle hätten ganz dolle Angst ums Klima und vor dem Sterben. Sie würden im guten Gewissen heimgehen, mit einer Konzertanlage jede Menge Strom zur Klimarettung verbraucht zu haben. Kurz: Die Welt wäre von Hannover aus schon wieder ein bisschen besser geworden. So war der Plan.
Bis, ja bis sich einer der guten Klimatechniker ein Bild der guten Ronja angesehen hat und festgestellt hat: Sie hat DREADLOCKS! Ja, Sie haben richtig gelesen. Dreadlocks. Blond. Auf weißer Hautfarbe. Schockierend, erniedrigend, diskriminierend. Denn, man lese und staune, die Handyladegerätbettler und Autobahnkleber möchten „bei diesem globalen Streik auf ein antikolonialistisches und antirassistisches Narrativ setzen“, weswegen es die hoffentlich letzte Generation „nicht für vertretbar hält, eine weiße Person mit Dreadlocks auf unserer Bühne zu haben“. Denn leider, achtungachtung, sind „Dreadlocks bei weißen Menschen eine Form der kulturellen Aneignung, da sie mit der Identität von schwarzen Menschen und es in Zeiten von Sklaverei von weißen Menschen als ein Zeichen der Unterdrückung genutzt wurde.“ Aha. Und das soll also der Grund sein? Ja. „Aus diesem Grund sollen weiße Menschen keine Dreadlocks tragen, da sie sich einen Teil einer anderen Kultur aneignen ohne die systematische Unterdrückung dahinter zu erleben“ (Text mit Fehlern übernommen). Na gut, wenigstens ein bisschen von der Unterdrückung bekommt die gute Ronja ja jetzt ab, aber das nur am Rande.
Ultimatum bis Freitag
FFF Hannover betont, dass es ihr ausdrücklich nicht um Ronja aus Maltzahn geht, sondern nur um ihre Frisur, denn wenn „sie sich auseinandersetzt“ und „bis Freitag dazu entscheidet, ihre Dreadlocks abzuschneiden“ (im Original sind anscheinend Kommata ebenfalls ein verbotener Fall von Interpunktionsregelaneignung), dann darf sie – FFF lässt da gerne mal „FFFünfe gerade sein“ – „natürlich auf der Demo begrüßt werden“ und FFF würde sie spielen statt spülen lassen. Aber dafür soll sie kein schlechtes Haar an sich lassen.
Ich will hier keine Abhandlung über Dreadlocks schreiben. Wer sich über die (auch europäische!) Geschichte jener verfilzten Haartracht informieren will, mag dies hier gerne tun. Sie spielt auch keine Rolle, denn die Swastika als historisches Glückssymbol hat ja seit Hitlers Hakenkreuz ebenfalls ein Imageproblem. Gehen wir also für den Moment davon aus, dass ausschließlich weiße Sklavenhalter ausschließlich schwarzen Sklaven Dreadlocks geflochten haben, um sie besser unterdrücken zu können. Wobei ich als Unterdrückungsinstrument die Peitsche nach wie vor für sinnvoller halte.
Ich frage mich etwas anderes: Wenn wir doch liberal sein wollen – ist es dann nicht sogar ein gutes und schönes Zeichen, wenn jemand Dreadlocks trägt? Was, wenn Frau Maltzahn ein Kopftuch getragen hätte? Und was, wenn es auf „islamische Art“ gebunden wäre? Würde es helfen, wenn die Dreadlocks verdeckt wären? Beispielsweise auch durch einen lustigen Hut? Oder einen Stahlhelm? Oder wäre das eine sexistische Aneignung von toxisch-männlicher Kopfbedeckungstragekultur? Und warum behauptet Frau Maltzahn nicht einfach, sie FÜHLE sich als PoC? Immerhin darf sie sich ja auch als Mann fühlen? Oder wäre es eine gute Idee, Ronja Maltzahn flechtet sich Zöpf… Obwohl… Nein, doch keine gute Idee! Das wäre ja erst recht eine kulturelle… Obwohl… Egal. Und warum muss ich das vorschlagen und nicht FFF oder Frau Maltzahn? Sind die doof und kennen sie die eigenen Narrative nicht? Es herrscht zwar allenthalben Fantasie, warum und wie die Welt nächste Woche Dienstag untergeht, aber nicht, wie solch eine läppische „Straftat“ aus der Welt geschafft werden kann.
Dirndl nur für Bayerinnen
Und was bedeutet eigentlich „kulturelle Aneignung“? Vielleicht sollten wir Touristen am Oktoberfest verbieten, Karohemden und Lederhosen oder Dirndl zu tragen? Dirndl nur für Bayerinnen? Und warum fühle ich mich nicht beleidigt, wenn sie im Nahen Osten in Jeans und T-Shirt herumlaufen, wenn doch eigentlich Kaftan und Burka oder, in Afrika, je nach Region, Walleklamotten und Baströckchen angesagt wären? Wenn wir schon über „kulturelle Aneignung“ sehr dringend reden müssen, dann wirkt diese doch in beide Richtungen? Warum soll ich also Hawaiianerinnen Bikinis gönnen, wenn es doch auch ein Palmröckchen, zwei halbe Kokosnüsse und eine Blumenkette tun? Unterdrückt jede westliche Frau Hawaiianerinnen, wenn sie zu Fasching genau solche Klamotten trägt? Was soll der – Entschuldigung – Shice denn? Sollten wir nicht froh sein, dass jeder tragen kann, was er möchte? Selbst eine Burka, so lange sie nicht physisch oder psychisch auf den Körper geprügelt wird? Begeht eine weiße Frau „kulturelle Aneignung“, wenn sie eine Burka trägt und man damit gar nicht sieht, ob sie weiß ist oder nicht? Und wo hört „weiß“ auf und fängt „farbig“ an?
Die wenigen woken Leser mögen mir meine Fragen nachsehen, ich bin nur ein alter weißer Mann, der noch nie eine farbige Frau hat weinen sehen, weil eine weiße Frau Dreadlocks trug. Aber selbst wenn es farbige Frauen gäbe, die ob blonder Dreadlocks (wobei sich z.B. farbige Frauen gerne auch mal blond färben und sich so westliche Stereotype „kulturell aneignen“) in Schockstarre fallen – hey, wenn Ihr so ein wenig kulturelle Vielfalt nicht verkraftet, dann seid Ihr falsch in diesem Land.
Anders: Ich stelle mir vor, ich gehe zu einem Länderspiel der „männlich gelesenen Schaft“ ins Stadion und habe aus Identifikationsbegeisterung (ich höre das, wenn Sie beim Lesen spöttisch lachen!) ein DFB-Trikot mit der Aufschrift „Thomas Müller“ an. Am Eingang weist mich dann die Security mit dem Hinweis ab, dass ich ja wohl weder Fußballspieler noch Nationalspieler noch Thomas Müller sei und mir gefälligst deren Treiben nicht „kulturell aneignen soll.“ Würden wir nicht alle fragen, ob die da einen Fiebrigen an den Eingang gestellt haben?
Die abgezopfte und angezupfte Ronja kommentiert ihre Abladung so: „Schade, dass wir aufgrund von äußerlichen Merkmalen davon ausgeschlossen werden. Wir möchten keinen Menschen aufgrund von seiner/ihrer kulturellen Herkunft diskriminieren, sondern vielmehr kultureller Vielfalt eine Bühne geben, sie wertschätzen und zelebrieren.“ Tja, da haste sie, Deine „kulturelle Vielfalt“! Die wirkt nämlich bei Deinen Auftraggebern nur in eine Richtung und da bist Du die Geisterfahrerin. Ronja Maltzahn tröstet sich in der „Bild“ damit, dass „wir mit dem Ukraine-Krieg aktuell ganz andere Themen haben, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.“ Wolle vielleicht doch nochmal über einen solidarischen Zopfhaarkranz nachdenken? Oder steht „FFF“ neuestens für „Fucking Friendly Fire“?
(Weitere haarige Geschichten des Autors gibt´s unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.