Ich habe die AfD unter Lucke anfangs mit Neugierde und Interesse betrachtet, nach seiner Exekution durch Frauke Petry durchaus noch mit Respekt und mit wenigstens möglicher Neutralität, wenngleich es hier dann erste Ausfälle und Zersetzungserscheinungen gab. Jede Partei hat ja auch ihren Depp, das ist bei der AfD nicht anders als bei anderen Parteien. Wenngleich sich wenigstens bei den GrünInnen die Zahl der Nichtdeppen im überschaubaren Rahmen halten dürfte.
Nachdem sich Petry dann selbst entparteit hat, wurde die AfD zur Höcke´schen Spielwiese und seiner Interpretation von „konservativ“ in den Grenzen von 1941. Aber gut, so lange eine Partei nicht verboten ist, ist sie erlaubt. So ist das nun einmal in der Demokratie. Wenn die Verwirrten von der „Marxistisch-Leninistischen-Arbeiterpartei-aber-ohne-Trotzki-und-Stalin-dafür-mit-Breschnew“ ohne ärztliche Betreuer durch die Gegend turnen dürfen, dann steht dieses Recht eben auch der „Alternative für Großdeutschland“ zu.
Ob mir das gefällt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Ich mag Höcke nicht, ich mag seine völkischen Kameraden nicht, aber „jetzt sind sie nun einmal da“ und gar nicht so flüchtlingsmonothematisch, wie man sagt. Sie sorgen sich schließlich auch um Chemtrails und Waffenbesitz für Arier. Wählbar für alle, die sich im sonstigen Parteienspektrum eben nicht wiederfinden. Ich hätte der AfD auch einen Höcke oder Gaulandleiter verziehen, aber eben ist endgültig Schluss.
Schlecky Silberstein ist Satiriker und Initiator des „Bohemian Browser Ballett“, und ich habe ihm und seiner Truppe das größte Kompliment gemacht, das ich machen kann: Ich habe über seine kritischen bis zynischen Beiträge gelacht, die zwischen Genialität und Wahnsinn mäandern. Silberstein teilt gerne nach allen Seiten aus, eine Art wandelnder Watschenbaum, so, wie ich das liebe. Unkorrekt, respektlos, fies – aber nie unter der Gürtellinie oder zotig.
Fotos vom Klingelschild
Silberstein hat einen satirischen Rundumschlag über Chemnitz gedreht, bei dem sämtlichen Seiten ihr Fett wegbekamen, sozusagen „eine auf die Fünf-vor-Zwölf“ ohne Ansehen von Personen oder Parteien. Im Zuge der Dreharbeiten hatte Silberstein einen gefakten AfD-Stand aufgebaut und diesen Fake auch den Anwohnern am Drehort erklärt. Lange erklärt. Wie man das „Menschen mit Inselbegabung“ eben erklären muss. Langsam und mit einfachen Worten.
Leider war das für den AfD-Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses Frank-Christian Hansel immer noch zu kompliziert, denn er tauchte nach einem Facebook-Aufruf der Gattung „Ey, ich weiß wo Dein Haus wohnt“ im Hausflur von Silberstein auf und machte Fotos vom Klingelschild von Silbersteins Firmenpartner.
Anschließend veröffentlichte der Herr Hansel die Adressdaten über den Facebook- und Youtube-Kanal der AfD Berlin, wohl wissend, dass es ein paar Kameraden aus dem alternativen Bodensatz geben würde, die sich schon „kümmern“ würden. Natürlich liefen die aufrechtsextremen Deutschen zuerst einmal verbal Amok wegen der jüdisch klingenden Nachnamen, wo sie doch sonst so besorgt um Juden sind, die in Kreuzberg spazieren gehen... Da gab es dann kein Stellung-Halten mehr und der „es-schon-immer-gewusst-habende“-Teil der AfD-Freakshow schob dem virtuellen Trommelfeuer dann auch noch gleich eine reale Morddrohung hinterher.
Hätte ich auch nur den leisesten Zweifel gehabt, dass die AfD eine rechtsradikale Partei ist – und bei Gott! – die hatte ich, dann hat dieser charmante Besuch des krawattierten Hansels mich eines Schlechteren belehrt. Ich akzeptiere zuerst einmal jeden als Menschen und als Politiker oder auch Partei, bis er mir stichhaltig belegt, dass er ein (hier justiziablen Ausdruck der eigenen Wahl einsetzen) ist. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank, Adressfilmer Hansel, dass Sie mir die Augen geöffnet haben.
Die investigative Tätigkeit eines AfD-Abgeordneten
Ich hatte hier auch schon die ganze Palette von Morddrohungen und zwei Anschläge von ganz links, ganz rechts und ganz islamisch. Das ist so, wenn man sich exponiert. Den einen oder anderen habe ich dann vor Gericht wiedergesehen, wo er dann zu Zwergengröße zusammenschrumpelte. Aber niemals – niemals – war das von einer politischen Partei getriggert worden. Das waren die berühmten „Einzelfälle“, die eigentlich eher psychiatrischer als juristischer Behandlung bedurft hätten. Die investigative Tätigkeit eines AfD-Abgeordneten gegenüber einem Satiriker hat eine neue Qualität. Und solch ein Bedrohungsszenario schafft ausgerechnet eine Partei, die ganz dringend die Kunstfreiheit dadurch verteidigt sehen will, dass überall Mohammed-Karikaturen hängen...
Sollte die AfD je irgendeine Mehrheit im Lande erreichen, dann ist klar, was mit Satirikern wie Silberstein oder Autoren wie mir und unbotmäßigen Kollegen der Achse passieren wird. Wenn sich ein laut Wikipedia „Mitglied des liberalen Flügels“ bereits derartiger Handlungsweisen bedient, dann möchte ich nicht wissen, wie sich die „Mitglieder des illiberalen Flügels“ verhalten. Aber ich habe so eine dumpfe Ahnung, dass ich dann nicht alt in meinem Bett sterben werde. Diese Aktion hat deutlich gemacht, wofür die AfD eben nicht (mehr) steht und wo sie ganz im Gegenteil strammsteht.
Jetzt, Herr Hansel, habt Ihr einen Gegner mehr. Die Fahrt nach Aschaffenburg, damit Sie mein Klingelschild fotografieren können, erspare ich Ihnen. Schicken Sie mir eine Email, dann erhalten Sie gerne auch ein Foto meines Klingelschildes. Solange Sie nicht Leiter der Reichskulturkammer sind oder Ihre Möchtegern-Landser mir den Lebenssaft abschneiden, werde ich schreiben. Und Sie können sich sicher sein, dass Ihre Kameradschaft namens AfD dabei nicht so wirklich positiv ’rüberkommen wird. Word. Können Sie schon einmal die Haken im Bendlerblock polieren.
Und falls es Ihnen gelingen sollte, die Schlecky Silbersteins dieser Republik außer Landes zu treiben, bevor sie sehr alte Gewohnheiten wieder aufnehmen, dann hoffe ich nur, Schlecky nimmt mich mit. In IHREM Deutschland will ich nicht leben. Aber werde ich dann ja auch nicht lange. So oder so. Falls Sie der „liberale Flügel der AfD“ nicht sofort einer „Anschlussverwendung“ auf dem freien Arbeitsmarkt zuführt. Wenn sich jemand über sein Unternehmen von Ihnen beraten lassen möchte. Sie können ja bei der Korrektur von Firmen- und Klingelschildern anfangen.
Nachtrag: Frank-Christian Hansel hat eine Replik zu diesem Beitrag verfasst. Sie finden Sie hier.