Thilo Schneider / 21.09.2018 / 06:20 / Foto: Timo Raab / 184 / Seite ausdrucken

Wo die AfD doch sonst so besorgt um Juden ist

Ich habe die AfD unter Lucke anfangs mit Neugierde und Interesse betrachtet, nach seiner Exekution durch Frauke Petry durchaus noch mit Respekt und mit wenigstens möglicher Neutralität, wenngleich es hier dann erste Ausfälle und Zersetzungserscheinungen gab. Jede Partei hat ja auch ihren Depp, das ist bei der AfD nicht anders als bei anderen Parteien. Wenngleich sich wenigstens bei den GrünInnen die Zahl der Nichtdeppen im überschaubaren Rahmen halten dürfte.

Nachdem sich Petry dann selbst entparteit hat, wurde die AfD zur Höcke´schen Spielwiese und seiner Interpretation von „konservativ“ in den Grenzen von 1941. Aber gut, so lange eine Partei nicht verboten ist, ist sie erlaubt. So ist das nun einmal in der Demokratie. Wenn die Verwirrten von der „Marxistisch-Leninistischen-Arbeiterpartei-aber-ohne-Trotzki-und-Stalin-dafür-mit-Breschnew“ ohne ärztliche Betreuer durch die Gegend turnen dürfen, dann steht dieses Recht eben auch der „Alternative für Großdeutschland“ zu.

Ob mir das gefällt oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Ich mag Höcke nicht, ich mag seine völkischen Kameraden nicht, aber „jetzt sind sie nun einmal da“ und gar nicht so flüchtlingsmonothematisch, wie man sagt. Sie sorgen sich schließlich auch um Chemtrails und Waffenbesitz für Arier. Wählbar für alle, die sich im sonstigen Parteienspektrum eben nicht wiederfinden. Ich hätte der AfD auch einen Höcke oder Gaulandleiter verziehen, aber eben ist endgültig Schluss.

Schlecky Silberstein ist Satiriker und Initiator des „Bohemian Browser Ballett“, und ich habe ihm und seiner Truppe das größte Kompliment gemacht, das ich machen kann: Ich habe über seine kritischen bis zynischen Beiträge gelacht, die zwischen Genialität und Wahnsinn mäandern. Silberstein teilt gerne nach allen Seiten aus, eine Art wandelnder Watschenbaum, so, wie ich das liebe. Unkorrekt, respektlos, fies – aber nie unter der Gürtellinie oder zotig.

Fotos vom Klingelschild

Silberstein hat einen satirischen Rundumschlag über Chemnitz gedreht, bei dem sämtlichen Seiten ihr Fett wegbekamen, sozusagen „eine auf die Fünf-vor-Zwölf“ ohne Ansehen von Personen oder Parteien. Im Zuge der Dreharbeiten hatte Silberstein einen gefakten AfD-Stand aufgebaut und diesen Fake auch den Anwohnern am Drehort erklärt. Lange erklärt. Wie man das „Menschen mit Inselbegabung“ eben erklären muss. Langsam und mit einfachen Worten.

Leider war das für den AfD-Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses Frank-Christian Hansel immer noch zu kompliziert, denn er tauchte nach einem Facebook-Aufruf der Gattung „Ey, ich weiß wo Dein Haus wohnt“ im Hausflur von Silberstein auf und machte Fotos vom Klingelschild von Silbersteins Firmenpartner.

Anschließend veröffentlichte der Herr Hansel die Adressdaten über den Facebook- und Youtube-Kanal der AfD Berlin, wohl wissend, dass es ein paar Kameraden aus dem alternativen Bodensatz geben würde, die sich schon „kümmern“ würden. Natürlich liefen die aufrechtsextremen Deutschen zuerst einmal verbal Amok wegen der jüdisch klingenden Nachnamen, wo sie doch sonst so besorgt um Juden sind, die in Kreuzberg spazieren gehen... Da gab es dann kein Stellung-Halten mehr und der „es-schon-immer-gewusst-habende“-Teil der AfD-Freakshow schob dem virtuellen Trommelfeuer dann auch noch gleich eine reale Morddrohung hinterher.

Hätte ich auch nur den leisesten Zweifel gehabt, dass die AfD eine rechtsradikale Partei ist – und bei Gott! – die hatte ich, dann hat dieser charmante Besuch des krawattierten Hansels mich eines Schlechteren belehrt. Ich akzeptiere zuerst einmal jeden als Menschen und als Politiker oder auch Partei, bis er mir stichhaltig belegt, dass er ein (hier justiziablen Ausdruck der eigenen Wahl einsetzen) ist. Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank, Adressfilmer Hansel, dass Sie mir die Augen geöffnet haben.

Die investigative Tätigkeit eines AfD-Abgeordneten

Ich hatte hier auch schon die ganze Palette von Morddrohungen und zwei Anschläge von ganz links, ganz rechts und ganz islamisch. Das ist so, wenn man sich exponiert. Den einen oder anderen habe ich dann vor Gericht wiedergesehen, wo er dann zu Zwergengröße zusammenschrumpelte. Aber niemals – niemals – war das von einer politischen Partei getriggert worden. Das waren die berühmten „Einzelfälle“, die eigentlich eher psychiatrischer als juristischer Behandlung bedurft hätten. Die investigative Tätigkeit eines AfD-Abgeordneten gegenüber einem Satiriker hat eine neue Qualität. Und solch ein Bedrohungsszenario schafft ausgerechnet eine Partei, die ganz dringend die Kunstfreiheit dadurch verteidigt sehen will, dass überall Mohammed-Karikaturen hängen...

Sollte die AfD je irgendeine Mehrheit im Lande erreichen, dann ist klar, was mit Satirikern wie Silberstein oder Autoren wie mir und unbotmäßigen Kollegen der Achse passieren wird. Wenn sich ein laut Wikipedia „Mitglied des liberalen Flügels“ bereits derartiger Handlungsweisen bedient, dann möchte ich nicht wissen, wie sich die „Mitglieder des illiberalen Flügels“ verhalten. Aber ich habe so eine dumpfe Ahnung, dass ich dann nicht alt in meinem Bett sterben werde. Diese Aktion hat deutlich gemacht, wofür die AfD eben nicht (mehr) steht und wo sie ganz im Gegenteil strammsteht.

Jetzt, Herr Hansel, habt Ihr einen Gegner mehr. Die Fahrt nach Aschaffenburg, damit Sie mein Klingelschild fotografieren können, erspare ich Ihnen. Schicken Sie mir eine Email, dann erhalten Sie gerne auch ein Foto meines Klingelschildes. Solange Sie nicht Leiter der Reichskulturkammer sind oder Ihre Möchtegern-Landser mir den Lebenssaft abschneiden, werde ich schreiben. Und Sie können sich sicher sein, dass Ihre Kameradschaft namens AfD dabei nicht so wirklich positiv ’rüberkommen wird. Word. Können Sie schon einmal die Haken im Bendlerblock polieren.

Und falls es Ihnen gelingen sollte, die Schlecky Silbersteins dieser Republik außer Landes zu treiben, bevor sie sehr alte Gewohnheiten wieder aufnehmen, dann hoffe ich nur, Schlecky nimmt mich mit. In IHREM Deutschland will ich nicht leben. Aber werde ich dann ja auch nicht lange. So oder so. Falls Sie der „liberale Flügel der AfD“ nicht sofort einer „Anschlussverwendung“ auf dem freien Arbeitsmarkt zuführt. Wenn sich jemand über sein Unternehmen von Ihnen beraten lassen möchte. Sie können ja bei der Korrektur von Firmen- und Klingelschildern anfangen.

Nachtrag: Frank-Christian Hansel hat eine Replik zu diesem Beitrag verfasst. Sie finden Sie hier.

Foto: Timo Raab

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D. Kempke / 21.09.2018

Sehr geehrter Herr Schneider, es ist bedauerlich dass Ihnen das Handeln des AfD Abgeordneten nicht gefallen hat. Ich kann dazu nichts sageb, weil ich die Hintergründe nicht kenne. Ich weiß aber aus erster Quelle, dass die AfD sehr konsequent Rechtsextreme Kandidaten beim Parteieintritt ausfiltert. Dennoch ist es natürlich nicht ausgeschlossen, dass das ein oder andere NPD - UBoot mit wohlfeiler Unterstützung des CDU gesteuerten Verfassungsschutzes durchkommt. Dennoch scheinen Sie und viele andere immer noxh nicht begriffen zu haben, was hier los sein wird, wenn unsere muslimischen Freunde dereinst das Ruder übernehmen. Dagegen werden die 12 braunen Jahre für Juden nur Kindergeburtstag gewesen sein. Um das zu verhindern, sehe ich leider aktuell nur eine politische Alternative. Da muss man leider auch den einen oder anderen ungeliebten Mitstreiter ertragen…

Frank Stricker / 21.09.2018

Och Herr Schneider ,  wie soll man denn ihren Beitrag zusammenfassen ?  “Erst hatte er kein Glück , dann kam auch noch Unvermögen dazu” !  Wie sie auf den Trichter kommen , dass die AFD generell “rechtsradikal” ist , bleibt wohl ihr Geheimnis.  Ich vermute mal , demnächst werden sie vom Bundespräsidenten zusammen mit Campino und “frische Sahne Fischfilet” zum nächsten Sommerfest eingeladen !  Ach ja , und Herr Prantl vom “Süddeutschen Beobachter” wird ihnen sicher ein tolles Jobangebot machen für die Rubrik ; Hashtag “wir sind ganz viel mehr”.

A. Witzgall / 21.09.2018

Kann vielleicht daran liegen, dass halt aus allen Rohren nur in eine Richtung gefeuert wird. Da sehen die womöglich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Könnte ja auch wieder mal ein Meisterwerk für die Heute Show werden. Mein Eindruck in der letzten Zeit war gar nicht mal so schlecht. Nicht zu jedem Furz gab es auch einen Reflextweet von B.v. Storch und Kollegen. Auch die AfD sollte lernfähig sein. Personal für plötzlich fast 20 Prozent der Wähler zu organisieren ist ein gewaltiger Kraftakt. Dabei kann man doch auch hoffen, dass die Erkenntnisse aus der letzten Zeit, manche Kandidaten ausschließen und manche Last aussortiert wird. Wer will sich schon engagieren, wenn er sofort als Nazi abgestempelt wird und um seine Existenz fürchten muss?Außerdem bin ich der Meinung, dass bei steigender Zustimmung für die AfD auch der “braune” Bodensatz mehr an Bedeutung verschwindet. Dies ist nach meiner Meinung auch schon im Gange.  Es gibt halt kein weiteres Angebot im konservativen Bereich. Wo soll ich denn, als bekennender “Spießer”, mein Kreuzlein setzen? Wenn ich daheim bleibe wähle ich automatisch diejenigen, welche ich auf keinen Fall will. Selbst der Wahl-O-mat (Spiegel sei Dank :)) verordet mich zu 73 % bei der AfD, zu 71 % bei der CSU und dann kämen schon die Freien Wähler. Da wäre ich auch schon bei der Mehrheit der bayerischen Wähler. Weiß denn der Herr Söder, dass sich CSU und AfD so ähnlich sind *grübel* ?

Andreas Rühl / 21.09.2018

Mich wundert das alles gar nicht. Wer glaubt, man könne den Teufel mit dem beelzebub austreiben, lag schon immer falsch. Und dennoch macht der Mensch in seiner Einfalt immer denselben Fehler. Wenn dann auch noch Kommentatoren der Meinung sind, man duerfe nazischlaegertrupps auf Satiriker hetzen, dann schlaegt das dem Fass den Boden aus. Geht’s noch? Die Achse war und ist kein echoraum für ewiggestrige und Spinner und ich bin froh, dass das so ist. Die afd werde ich nicht wählen, weil sie bis auf einen gemeinsamen Gegner keine einzige Idee verfolgt, die ich gutheißen kann. Ich verteidige mit dem Nationalstaat die Freiheit. Ich bin gegen gruene Ideologie, gegen linke Ideologie, gegen Merkels impulsautokratismus und gegen hoeches grossdeutschen Faschismus gleichermaßen. Das ist mir alles wesensfremd und ich verabscheue es. Und die Tatsache allein, dass es keine liberale Partei mehr gibt, zwingt mich keineswegs eine Partei zu wählen, die im braunen Sumpf watet, nazimethoden anwendet und faschistische zuege traegt, zumal die afd ohnehin eine Episode sein wird. Hoffentlich. Antisemiten haben wir links der mitte nämlich schon genug.

Thomas Weidner / 21.09.2018

In diesem Klima der ständigen, absolut indiskutablen Hetze gegen die AfD ist diese Satire schlicht unangebracht. Wäre der Umgang mit der AfD in Deutschland ein “normaler”, wie es in rechtsstaatlich-demokratischen Staaten üblich sein sollte, wäre diese Satire anders zu sehen. Dass Sie Sie diesen Unterschied nicht sehen können oder wollen, disqualifiziert Ihren Kommentar völlig, Herr Schneider!

H.Kaiser / 21.09.2018

Sehr verehrter Herr Schneider, die AfD auf einen Grenzgänger zu reduzieren,nämlich Höcke,der in seiner Partei auch umstritten ist,das spricht nicht für ihren objektiven Journalismus.Mich freut es von Herzen,wenn Siberstein Ihren humoristischen Geschmack voll trifft und Sie auch mal endlich lachen konnten,ich kann da nicht mitlachen. Diese Videoaktion ist geschmacklos und unverschämt und trägt weiterhin dazu bei,mit AfD-Wählern und Parteimitglieder nicht in Dialog zu treten,sondern diese zu unerwünschten Personen zu erklären.Was für ein Problem Sie mit der Ablichtung einer öffentlichen Firmenadresse haben erschließt sich mir nicht.

Steffen Lindner / 21.09.2018

Audiatur et altera pars : Der Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski, stellt auf seiner Facebook-Seite die Sache deutlich anders dar als im Artikel beschrieben.Ausserdem wurde der Filmbeitrag vom SWR ausgestrahlt-und die ÖR-Sender haben sich bisher nicht gerade durch Neutralität in ihrer Berichterstattung gegenüber der AfD ausgezeichnet. Hier haben wohl eher persönliche und parteipolitische Animositäten dem Autor die Feder geführt.

Rudolf Dietze / 21.09.2018

Keine Partei hat einen Freifahrtschein! Wo Fehler gemacht werden, müssen diese angesprochen werden. Aus reiner Sympathie die Augen zu schließen, ist sträflich.

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