Rainer Bonhorst / 16.12.2019 / 06:20 / Foto: Pixabay / 68 / Seite ausdrucken

Wo bleibt unser Boris?

Nach Boris Johnsons gewaltigem Wahlsieg, darf man die Frage stellen: Wo bleibt unser Boris? Wo versteckt sich in Deutschland der Politiker, der seine Wähler wirklich mitreißen kann? Oder die Politikerin, die mal wieder große Mehrheiten fesselt? Ich fürchte, die verstecken sich nicht. Die sind einfach verschwunden. Früher hatten wir Kaliber wie Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl. Angela Merkel? Tüchtig vielleicht, aber mitreißend war sie nie.

Wir in Deutschland haben so was wie den Londoner Struwwelpeter einfach nicht auf Lager. Wir haben unsere Pärchen-Politiker, das grüne Original und neuerdings die sozialdemokratische Kopie. Das hat die Grünen zur schicksten Partei des Landes gemacht und die SPD zur traurigsten. Aber neben dem mitreißenden Johnson wirken die beiden Grünen wie Laien-Darsteller vom Studententheater. Über die beiden Sozialdemokraten schweigt des Sängers Höflichkeit. Und unsere Kanzlerin wirkt, stellt man sie neben den wilden Londoner, wie Mütterchen Germany.

Wie kommt es, dass die Briten immer wieder deutlich abenteuerlichere Spitzenpolitiker hervorbringen als wir? Ich erinnere an Margaret Thatcher, die ja auch nicht in die Nadelstreifen-Norm der alten Konservativen passte. Und an Tony Blair, der seiner Labourpartei eine heftige Modernisierungs-Kur verpasste, von der sie längst wieder zurückschreckt. (Da gibt es eine Parallele zu unserem Gerd Schröder, dessen Partei auch wieder andere Wege geht und damit ein ähnliches Desaster erlebt wie Jeremy Corbyns Labour.)

Von einem Butler gezogener Präzisionsscheitel

Auch Boris Johnson ist eine Art Revoluzzer in seiner Partei. Er musste ja erst aus der zweiten Reihe den leichtsinnigen David Cameron und die arme Theresa May abservieren, um an die Spitze zu kommen. Wie damals Margaret Thatcher, als sie eine zögernde Männerriege auf die Plätze verwies. (Was ihr den Titel einbrachte, sie sei der einzige richtige Mann im konservativen Herren-Klub.) Auch als Typ unterscheidet sich der knuddelige Johnson deutlich von Tory-Klassikern wie Jacob Rees-Mogg, der in seinem Saville-Row-Anzug und mit seinem vermutlich von einem Butler gezogenen Präzisionsscheitel die alte Schule repräsentiert. 

Persönlichkeit ist ein Schlüssel zum britischen Thatcher-Blair-Johnson-Phänomen. Bei uns zählt eben oft die Ochsentour mehr als die Persönlichkeit. Ein Friedrich Merz kommt in der CDU nicht hoch, weil er zu viel Persönlichkeit und zu wenig parteiinterne Anpassungsqualitäten hat. Und vom Publikum bekommt er schlechte Noten, weil er zu viel Verstand, und den damit verbundenen Karriereerfolg hat, und zu wenig Herz zeigt.

Boris Johnson hat beides, Herz und Verstand. Herz vor allem im Sinne von Mut. Und ein Publikum, das nicht übermäßig von deutschem Gemüt geplagt ist. Man hatte genug vom ewigen Brexit-Hin-und-Her und hat den Mann gewählt, der die Sache endlich über die Bühne bringt. Basta.

Dass das einfach so geht, hat auch mit dem britischen Wahlsystem zu tun. Es gibt nicht unsere parteiinterne Listenmauschelei. Jeder Unterhaus-Sitz wird direkt ausgefochten. Aufgestellt wird, wer die besten Chancen hat. Und wer gewinnt, bekommt den Preis, und wenn er nur mit einer Stimme vorn liegt. Der Verlierer geht leer aus. Das ist hart, aber weil der Sieger oder die Siegerin direkt gewählt ist, müssen sie sich viel intensiver um ihre Wähler kümmern als deutsche Listen-Politiker. Die Mehrheit ist ebenso schnell verloren wie sie gewonnen ist. In diesem sportlichen Wettkampf kann ein bisschen Persönlichkeit und Mumm durchaus von Nutzen sein. 

Ein blaues Meer von Konservativen

In diesem politischen Umfeld hat sich Boris Johnson grandios durchgesetzt und steht nun vor einer interessanten Aufgabe. Er hat seinen Sieg unerwartet vielen Leuten zu verdanken, die ihr Leben lang Labour gewählt haben und jetzt mit Magengrimmen erstmals die Konservativen. Sie haben es aus Angst vor dem Venezuela-Freund Jeremy Corbyn getan und weil sie endlich den Brexit erledigt sehen wollten. So hat Johnson den englischen Norden, der bisher so sicher für Labour war, dass man von einer roten Mauer sprach, in ein blaues Meer von Konservativen mit ein paar Labour-Inseln verwandelt.

Will der Eroberer des englischen Nordens seine so gewonnene 60-Personen-Mehrheit dauerhaft erhalten, muss er die Konservativen auch attraktiv für die kleineren Leute machen, deren Herz eigentlich für Labour schlägt. Kann er das? Zum Charisma dieses Mannes gehört, dass er kein Ideologe sondern ein Pragmatiker ist. Er wird nicht den befürchteten Rechtsruck einleiten sondern seinen eher links gestrickten Wählern ausreichend Soziales bieten, um sie an sich zu binden. Keine leichte Aufgabe in einem Rees-Mogg-Verein, aber er muss es versuchen.

Auch in Sachen Brexit wird der verbissene Kämpfer wohl eine neue Rolle finden. Denn jetzt geht es darum, schnellstens ein frisches, möglichst gutes Verhältnis zur Europäischen Union auszuhandeln. Das kann er mit breiter Brust tun. Seine Mehrheit im Unterhaus hilft ihm aber auch, mit einem Ergebnis nach Hause zu kommen, das nicht jeden Rule-Britannia-Nationalisten zufriedenstellt. So dürfte am Ende England dort landen, wo schon Winston Churchill das Königreich sah: eng mit Europa verbunden, aber nicht Teil Europas. 

Allerdings meinte Churchill die ganze Insel, einschließlich Schottland. Heute aber schlagen die Herzen der Schotten, die ja die Bayern Britanniens sind, ganz anders. Ihre Nicola Sturgeon hat Labour fast komplett ausgeschaltet und die Johnson-Partei halbiert. Auch sie ist eine spannende Persönlichkeit von der Insel und ein energischer Widerpart Johnsons. 

Zum Schluss erlaube ich mir die Frage: Wie sieht es auf der Suche nach robusten Persönlichkeiten eigentlich in unserem Schottland, also der Freistaat Bayern aus? Lässt sich aus dem Voralpenland vielleicht die deutsche Gemütlichkeit aufmischen? Immerhin: Markus Söder kann sich als einziger einer halbwegs intakten Volkspartei rühmen. Könnte er unser Boris Johnson werden? Oder unsere Nicola Sturgeon? In beiden Fällen müsste er noch heftig an seiner Frisur arbeiten.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Dr. R. Möller / 16.12.2019

Meine Güte - Merz ? So ein Weichei. Duckt sich weg wenn’s hart wird. Typischer Möchtegern und kann doch nicht - typischer moderner Politiker: Karriere ja - politische Ziele: Zero.

HaJo Wolf / 16.12.2019

Merz findet keine Zustimmung, weil er eben keinen Mut hatte und hat. Er hat sich vor Merkels Säuberung weggeduckt statt aufzustehen und zu kämpfen. Er hat sich vor AKK weggeduckt statt aufzustehen und zu kämpfen. Ein Mensch, der nicht mutig für seine Überzeugungen einsteht, findet kein Vertrauen. Zu Recht. Mir würde schon ein Kurz genügen.

Richard Rosenhain / 16.12.2019

„ Markus Söder kann sich als einziger einer halbwegs intakten Volkspartei rühmen. Könnte er unser Boris Johnson werden? Oder unsere Nicola Sturgeon? In beiden Fällen müsste er noch heftig an seiner Frisur arbeiten.“ Wie bitte? Der Bäumeknutscher, Kreuz-in-die-Gegend-Recker und Islam-Appeaser? Der sollte sich als erstes so eine Art Persönlichkeit zulegen. Wenn ich sehe, was von jenseits des Weisswurstäquators für Flachpfeifen, Mega-Versager und Oberbullshiter in die Bundesregierung entsandt werden, scheint es geradezu Programm zu sein, die allerübelsten Vorurteile (overreligious and narrow-minded)  gegenüber diesem seltsamen Völkchen tagtäglich zu bestätigen.

Ruedi Tschudi / 16.12.2019

Söder? Auf keinen Fall! Er will Bayern zum Energiesparriesen aufbauen. Ein grüner MP. Strauß wird in seiner Gruft rotieren!

Matthias Braun / 16.12.2019

Weit und breit keiner in Sicht.Alle von Merkel entsorgt. Der einzige der wirklich etwas getaugt hätte- Karl Theodor zu Guttenberg- ist über seine Doktorarbeit gestolpert bzw. gestürzt worden.

Steffen Schwarz / 16.12.2019

Im Laufe der Zeit kann man sich mit dem britischen Wahlrecht durchaus anfreunden. Wie ist das bei uns? Von Splitterparteien wie den Roten oder zumindest im Osten auch den Grünen müssen sich etwa 80- 90 Prozent der Leute auf der Nase herumtanzen lassen. Leider ist die Inhaltsleere der CDU dem weiter koalitionär zuträglich. Und über die je nach Region 15- 25 Prozent Afd regt man sich auf. Klar sind da z.T bedenkliche Positionen dabei, aber definitiv sind da 50 % rechte cCDU Wähler und 50% Nichtwähler die Wähler.

A.R. Aerne / 16.12.2019

Die Bayern sind die Schotten Deutschlands? Vielleicht in Sachen Rustikalität. Wenn man aber den Länderfinanzausgleich bzw. Kapitalfluss betrachtet, ist Bayern das Gegenteil von Schottland. Dort ist Nehmen seliger denn Geben.

Klaus Schmid / 16.12.2019

Wie kann man nur im Artikel den Wendehals Söder mit Johnson vergleichen! Als tief frustrierter Bayer reicht mir die Erfahrung mit dem Bettvorleger Seehofer.

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