Wissenschaftsfreiheit-Abschaffungsplan

Nun, da sich die SPD mühsam zur Durchführung von Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU gequält hat, lohnt es sich, einen vertieften Blick in das verabschiedete und bereits wieder in dem zu erwartenden Zerredungsprozess befindliche Sondierungspapier zu werfen. Vorher wäre dies entbehrlich gewesen, denn wer liest gerne in Altpapier...

Ich weiß, es ist einfach, die niedrig hängenden Trauben zu pflücken, aber wer macht diese Drecksarbeit sonst? Da ich kein Fachmann für Migration bin (obwohl ich dazu eine Meinung habe, die möglicherweise von der der Sondierer abweichen könnte), ich aber im Sinne einer Erhaltung von Restglaubwürdigkeit politischer Versprechen auch für eine Abschaffung des Soli votiere, von der Pflege wenig Ahnung habe (ich hoffe, irgendwann bei vollen Galopp durch einen gnädigen Infarkt aus dem Sattel geschossen zu werden, wie Jack Nicholson in „The bucket list“ über den „Glückspilz, der da draußen gerade an einem Herzinfarkt“ stirbt, als er eine Krebstherapie machen muss).

Ich will auch selbst über mein Ableben bestimmen wollen, ohne dass EKD-Funktionäre oder in merkwürdige Kleider gehüllte Weihrauchschwenker mir das verbieten können, denn ich bin Humanist, also weder durch eine Taufe oder Genitalverstümmelung mit einem „höheren Wesen“ verkuppelt, bin ein fröhlich lebender Heide und: Ich war und bleibe, solange ich lebe und die Ganglien funktionieren, Wissenschaftler.

Ich war Jahrzehnte in dem Bereich „grüne Gentechnik“ aktiv, vor allem mit dem Ziel, diese Technologie zur selbstbestimmten Umsetzung in Entwicklungsländer zu tragen. Ich war also all den Menschen, die naturwissenschaftliche Bildung für entbehrlich gehalten haben, suspekt, weil fakten- und problemorientiert, und widme somit diesen Beitrag daher dem, was die schwarzroten Sondierer zu unserer Zukunft – so sie die Wissenschaft betreffen kann – „final“ verfasst haben.

Nichts außer evidenten Widersprüchen

Man erkennt sehr schnell, dass dieses Papier – nicht nur, was Bildung und Wissenschaft angeht – mit heißer Nadel von intellektuell möglicherweise überforderten oder ihrem Bildungshorizont anderweitig verpflichteten Sondierern gestrickt wurde. Dieser Text ist in vielen Bereichen in sich extrem widersprüchlich, was vermutlich in der Hektik niemandem aufgefallen ist.

Auffallend sind allerdings die vielen Worthülsen in den Anfangskapiteln, die sich dann, wenn es konkret wird, in nichts außer evidenten Widersprüchen auflösen („unser Land erneuern, in die Zukunft investieren und Innovationen fördern“) in der Präambel, oder weiter auf Seite 11:

Bildung, Wissenschaft und Forschung sind die Schlüsselthemen für Deutschlands Zukunft. Es gilt, technologische, wissenschaftliche und soziale Innovationen zu fördern, gerechte Bildungschancen für alle zu gewährleisten und ein hohes Qualifikationsniveau zu sichern. Die Freiheit der Wissenschaft ist für uns konstitutiv.“ Oder auf S. 12: „Die Hightech-Strategie wird weiterentwickelt und auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen fokussiert. Dabei werden wir neue Instrumente zur Förderung von Sprunginnovationen und des Wissenstransfers in die Wirtschaft entwickeln. Umfassende Technologieoffenheit in der Forschungsförderung ist ein wichtiges Grundprinzip unserer Forschungspolitik“.

Haben die, die sich unter dem Stichwort „Digitalisierung“ vermutlich die bessere Bedienung ihres Dienst-iPads vorstellen, eigentlich bis Seite 23 gedacht, wo im Bereich der Forschung all die hehren Worte zu Forschungsfreiheit et cetera mit dem Satz „Ein Gentechnikanbau-Verbot werden wir bundesweit einheitlich regeln (Opt-Out-Richtlinie der EU)“ ad absurdum geführt werden?  

Im Gnadenhof der Berliner Hinterbank

Diese Passage geht offenbar zurück auf eine Initiative von Ute Vogt, einst als motorradfahrende Hoffnungsträgerin der baden-württembergischen SPD gestartet und jetzt für ihren Wahlkreis mit 12,8 Prozent an Erststimmen knapp im Gnadenhof der Berliner Hinterbank gelandet. Ute Vogt auf ihrer Website:

Wir lehnen – wie 80 Prozent der Bevölkerung – den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen ab, denn die Grüne Gentechnik darf den Menschen nicht aufgezwungen werden. Damit sie wirklich die Wahl haben, setzen wir uns ein für eine EU-Kennzeichnungspflicht für Produkte von Tieren, die mit genveränderten Pflanzen gefüttert wurden. An der Nulltoleranz gegenüber nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebensmitteln halten wir fest – ebenso wie an der Saatgutreinheit. Das entspricht dem Vorsorgeprinzip und ist zudem Voraussetzung dafür, dass auch künftig Lebensmittel erzeugt werden können, die den Bedürfnissen der Verbraucherinnen und Verbraucher entsprechen: ohne Gentechnik.“  

Frau Vogt will sich mit dieser Initiative, wohl angesichts ihrer schwindenden Bedeutung in der Bundespolitik, noch einmal grün profilieren, obwohl die Grünen in Baden-Württemberg die SPD durch gemeinsame Regierung weiter verzwergt haben. Sie offenbart zu diesem Behufe offenbar eine von ihr als zeitgeistschlüpfrig interpretierte Denke, die hinter dem Antrag der SPD-Fraktion vom 24. Oktober 2017 steht, mit dem die SPD ein „Verbot der Grünen Gentechnikfordert. Kennen diese Volksvertreter nicht das Grundgesetz, welches in Art. 5 Abs. 3 fordert: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“

Wo, verdammt nochmal, ist eigentlich der Verfassungsschutz, wenn man ihn mal wirklich braucht, weil Volksvertreter die Verfassung aus Gründen der eigenen Profilierung mit Füßen treten? Dass eine Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende hier nicht durchblickt, ist ja nachvollziehbar, denn ihre Hauptaufgabe bleibt ja die Vermittlung an die treue Wählerschaft „wir in der SPD können auch prollig“ („auf die Fresse“ und „Bätschi-bätschi“). Das fordert alles heraus, was sie intellektuell zu bieten hat, man soll sie ja nicht überfordern.

Ohne erkennbaren inneren Wertekompass

Aber dass Thomas Oppermann, ihr Vorgänger als Fraktionsvorsitzender, als Jurist, der ja als niedersächsischer Wissenschaftsminister mal eine sehr sachbezogene, gute Politik gemacht hat, hier nicht einschreitet, zwingt doch zum Grübeln.

Was soll also aus den nun anstehenden „Koalitionsverhandlungen“ rauskommen? Wohl wenig Erbauliches. Was den Gegenstand der Forschung zu der notwendigen Anpassung unserer Kulturpflanzen an den nicht zu leugnenden, aber in zu hinterfragender Weise angeblich auf den vom „bösen Menschen“ allein verursachten Klimawandel angeht, wohl wenig Sinnvolles: Man verbietet einfach technologisch vielversprechende Ansätze wie Gentechnik als Methode in der Züchtung trocken- und hitzeresistenter Kulturpflanzen oder „Genome Editing“, weil man keine früheren Fehleinschätzungen zugeben kann.

Eine ohne erkennbaren inneren Wertekompass chargierende Kanzlerin nickt all dies ab, um an der Macht zu bleiben und vertraut auf „Weiter so“? Einfach „so“ nach dem – wohl verfassungswidrigen – Maas’schen „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ mal einfach ein "Wissenschaftsfreiheit-Abschaffungsplan" in den parlamentarischen Prozess einzufüttern, macht mir Angst.

Verantwortungsvolle Umsetzung eines wissenschaftlich begründeten „Vorsorgeprinzips“ sieht anders aus, aber diese Skrupel sind denen, die jetzt in Berlin verhandeln, wohl zu weit weg, weil: sachbezogen, nicht machtbezogen. Also werden weiter Worthülsen abgelaicht und so die AFD gestärkt (die übrigens auch gegen Gentechnik ist und die auch keine Lösungen anbietet, sondern – zusammen mit GRÜNSPDMERKELCDUCSULINKE – in einem wissenschaftsfeindlichen Mainstream dümpelt).

Professor Hans-Jörg Jacobsen war Leiter der Abteilung Pflanzenbiotechnologie am Institut für Pflanzengenetik der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover. 

Ach so, auf Seite 23 wird auch darauf verwiesen, daß Glyphosat auch verschwinden soll.

Henri Morgenthau würde sich freuen.

Foto: Orren Jack Turner Library of Congress via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Jeve R. Huels / 26.01.2018

AfD ist NICHT gegen Gentechnik - siehe Grundsatzprogramm ab Seite 87.

Udo Schreck / 25.01.2018

Sehr geehrter Herr Jacobsen, die Welt dreht sich weiter, auch ganz ohne den Wissenschafts-Standort Deutschland. Während die anderen Länder mutig voranschreiten, versinken wir eben in selbstgewählter Einfalt. Die Deutschen wählen eben lieber die sichere Armut. Viele Menschen lernen nur durch Schmerz.  Und der wird uns noch heimsuchen. In Form von religiösem Fanatismus, Kulurkrieg und eben technologischem Zurückfallen gegenüber dem Rest der zivilisierten Welt. Wir schaffen das!

Helmut Driesel / 25.01.2018

Sehr geehrter Herr Professor, bitte seien Sie nicht so betrübt. Wissenschaftliche Erkenntnis generiert Macht, Metaphysik generiert Verwirrung, Ideologie generiert Ohnmacht, das kann keine noch so ignorante Politik weg regieren.

Detlef Wilke / 25.01.2018

zu @armin wacker: Natürlich können und dürfen die Landwirte ihr Saatgut weiter selbst produzieren - wenn’s funktioniert selbst unter Verletzung des Patentschutzes - denn wer hat schon Lust, den Kunden zu verklagen. Meistens funktioniert aber die Eigenvermehrung von Hochleistungssorten nicht, und deshalb müssen die Landwirte von Zeit zu Zeit oder sogar jährlich neues Saatgut von den bösen Konzernen kaufen. Aber niemand zwingt sie, die Hochleistungssorten anzubauen. Sie haben die freie Wahl. Nur bei den Kartoffelsorten gab es da ein bißchen Tamtam, aber das ist typisch deutsche Bürokratitis, gekoppelt mit ein bißchen Lobbyismus, aber von den kleinen Kartoffelzüchtern, die gar keine internationale Position haben und daher auch gar nicht böse sein können. Das Thema ist auch schon zig mal durchgeorgelt worden mit den armen kleinen indischen Baumwollpflanzern, die unter der Knute von Monsanto stehen, Mißernten haben und sich dann aufhängen. Zynisch könnte man jetzt sagen “Das sind Einzelfälle”. Aber der Punkt ist, der story fehlt die ökonomische Kausalität, und die Empathie muß den leidenden Menschen gelten und nicht den NGO-Propagandisten.

Anders Dairie / 25.01.2018

Die Forschungsförderung der BRD zwingt die Hochschulen durch Geld in eine politisch genehme Richtung.  Deshalb hat Deutschland das Rennen gegen die USA längst verloren.  Das erkennt man schnell durch das Mißverhältnis errungener Preise, die aufgrund der Vorschläge, aus der Wissenschaft selbst.  vergeben werden.  Die Medien freuen sich, wenn ein Nobelpreisträger mit deutscher Abkunft genannt werden kann.  In Göttigen liegen mindestens ein Dutzend—- Verstorbene von Format.

N. Müller / 25.01.2018

Sehr geehrter Herr Jacobsen, so sehr es mir auch widerstrebt etwas - in Bezug auf die Bundesregierung - relativerendes zu sagen, muss ich Ihnen doch bei dieser Abhandlung mehrfach widersprechen. Von dem Verbot der “Grüne Gentechnik” auf ein Ende der Forschungsfreiheit zu schließen halte ich doch für sehr (!) weit hergeholt. Zumal Sie in dem Artikel nicht belegt haben, dass ein gefordertes Verbot auch die Forschung mit einschließen würde. Der Zweifel wird noch verstärkt durch die von Ihnen zitierte Aussage, dass Saatgutreinheit und Kennzeichnung von gentechnisch manipulierten Produkten verpflichtend gemacht werden sollen. Dies spräche sogar gegen ein generelles Verbot der “Grünen Gentechnik” und ließe nicht mal im Entferntesten den Rückschluss auf eine Einschränkung der Forschungsfreiheit zu. Auf das hinterhergeworfene “Glyphosat auch” möchte ich jetzt nicht eingehen, es gab bereits unzählige Artikel und Meinungen dazu auf der Achse zu lesen. MfG

Andreas Rochow / 25.01.2018

Ohne Wahrheit keine Wissenschaft. Das Gift der öffentliche Meinung hat auch unter Universitätsprofessoren ein Ausmaß von Resignation erzeugt, das sie schwächt, sich noch gegen politisch korrekten Aufregungen aus dem Studentenmilieu (ASTA) zu wehren. Wenn Rektoren ihr Hausrecht nicht mehr wahrnehmen und sich von Fake Science oder durchgeknallten Politaktivisten an der Nase herumführen lassen, die womöglich noch - wie Gender Studies - das akademische Klima dominieren wollen, dann ist das das Ende von Wissenschaft und der offizielle Beginn der Entintellektualisierung. Die Spiegelstriche zur wissenschaftlich unbegründeten Ächtung der Gentechnik und zum wissenschaftlich unbegründeten Glyphosat-Verbot werden bei einer vitalisierten Parlamentsarbeit mit Sachargumenten von Experten zu überwinden sein.

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