René Zeyer, Gastautor / 28.06.2020 / 15:30 / Foto: N.I.S.T / 17 / Seite ausdrucken

Wirtschaftsprüfer: Placebo für Dummies

Die Finanzmärkte, Firmen, vor allem, wenn ihre Aktien an der Börse gehandelt werden, brauchen Aufsicht. Kontrolle. Brutalstmögliche Aufklärung, wenn es zu Unregelmäßigkeiten kam. Von kompetenten Buchprüfern, die sich fleißig durch Gigabyte von Daten graben. Der Investor braucht eine unparteiische Einschätzung von kompetenten Bewertungsagenturen, die das Unternehmen schonungslos auf den Prüfstand legen und es bewerten.

Wie gut, dass es die Big Four gibt. So werden die vier größten Wirtschaftsprüfer der Welt ehrfürchtig genannt. KPMG, Deloitte, EY (vormals Ernst & Young) und PricewaterhouseCoopers teilen sich in 67 Prozent des Prüfungsmarkts. Weltweit. Sie testieren die Bilanzen von fast allen im S&P 500 verzeichneten US-Aktiengesellschaften. In Deutschland werden von den rund 160 wichtigsten Aktiengesellschaften 142 von den Big Four geprüft.

Vor 40 Jahren waren es noch die Big Eight. Aber dann wurde fusioniert, und Arthur Andersen musste nach dem Enron-Skandal selber die Bücher deponieren. So entstanden vier Prüfungsmonster mit zusammen über einer Million Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von fast 150 Milliarden US-Dollar weltweit.

Bei so viel geballter Fachkompetenz kann man doch froh sein, dass selbst die größten internationalen Konzerne scharf auf Herz und Nieren überprüft, alle in den Bilanzen versteckten Leichen ausgebuddelt werden und der Aktionär beruhigt auf sein Investment schauen kann. Meint der Laie, aber der Fachmann schüttelt sich vor Lachen.

Kurze Pause, um uns die Lachtränen abzuwischen

Erklären wir es dem Laien an einem Beispiel. Aus dem Dampfkessel-Revisionsverein entstand der deutsche TÜV. Er überprüft nach staatlichen Vorgaben die Fahrtüchtigkeit von Autos, unter anderem. Bezahlt wird diese Tätigkeit von den großen Automobilherstellern. Hä? Nein, Scherz, natürlich nicht.

Die Tätigkeit der Big Four wird von den geprüften Firmen bezahlt. Das ist kein Scherz. Selbstverständlich tut das der gnadenlosen Objektivität der Prüfung nicht den geringsten Abbruch. Sagen die Big Four. Niemals würde man das Prüfsiegel unter eine Bilanz klatschen, wenn es auch nur die geringsten Zweifel an deren Korrektheit gäbe. Noch viel weniger würde man Beeinflussungsversuchen nachgeben, wenn ein lukrativer Kunde damit droht, zur Konkurrenz abzuwandern, wenn Scherereien gemacht werden. Sagen die Big Four.

Wir machen eine kurze Pause, um uns die Lachtränen abzuwischen. Denn der Scherzmarathon geht weiter. Die Big Four haben nämlich nicht nur Buchprüfung im Angebot, sondern auch Beratung in jeder Beziehung. Steuerberatung, Unternehmensberatung, sogar forensische Beratung, wenn es interne Unregelmäßigkeiten oder Klauereien geben sollte.

Nun fragt sich der Laie vielleicht, wie denn das funktioniert, wenn zum Beispiel Advisory herausfindet, dass die Bude demnächst ungebremst gegen die Wand klatschen wird, während die Buchprüfer noch emsig am Prüfen sind, ohne dafür bislang Rechnung gestellt zu haben. Hoho, sagen da die Big Four, wir sind uns dieses Problems bewusst. Deshalb haben wir Chinese Walls innerhalb der Firma hochgezogen, damit genau das nicht passiert.

Natürlich passiert das nie. Nur bösartige Geister können sich vorstellen, dass der Leiter der Beratung mal kurz im Büro des Leiters Buchprüfung reinschaut, den Leiter Rechtsberatung zufällig auf dem Gang getroffen hat, und dann während der Verabredung zur nächsten Golfrunde fallen lässt, dass es vielleicht keine schlechte Idee wäre, mal Rechnung für die bisherigen Bemühungen zu stellen. Asap, so schnell wie möglich. Und es wurde nur über das Golf-Handicap der Beteiligten gesprochen, versteht sich.

Nichts gefunden außer blütenweißen Westen

So erklärt sich vielleicht auch, was in Deutschland schon mehrfach stattfand, gerade wieder bei Wirecard. Die Firma vermisst bekanntlich schlappe 2 Milliarden Euro. Die sollten auf einem Treuhandkonto bei der philippinischen BDO liegen, und das steht schließlich für Banco de Oro, Goldbank. Aber BDO gab bekannt, dass außer ein paar gefälschten Unterschriften auf einem Briefbogen der Bank überhaupt nichts vorhanden sei, was Wirecard gehöre.

Das hielt aber KPMG nicht davon ab, noch Ende April wunschgemäß einen Prüfbericht abzuliefern, dass es angesichts des rasanten Wachstums vielleicht ein paar Strukturprobleme gebe, aber so böse Worte wie Bilanzfälschung absolut fehl am Platz seien, da habe man nichts gefunden außer blütenweißen Westen.

Etwas mehr Skrupel hatte dann aber ein anderer der Big Four. EY hatte noch den Jahresbericht 2018 fröhlich durchgewunken und testiert, dass "der beigefügte Lagebericht insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft vermittelt". Es gäbe da zwar ein paar böse Gerüchte aus Singapur, aber aufgrund des aktuellen Wissensstands und Blabla...

Längere Zähne bekam EY dann aber, was die Bilanz für 2019 betrifft. Wobei es ein recht seltener Vorgang ist, dass öffentlich viermal die angekündigte Bilanz verschoben werden muss. Offensichtlich war EY hin und her gerissen, zwischen Testat und Rechnung einreichen oder Verweigerung des Testats. Um sich dann offensichtlich viermal zu einer Verweigerung durchzuringen.

Obwohl EY ja hätte sagen können, dass die Kollegen von KPMG auch nichts Anrüchiges gefunden hätten, und schließlich gehe es ja nur um die Bestätigung, dass die per 31. Dezember 2019 eingereichten Unterlagen und Bilanzen auf den ersten und zweiten Blick keine Auffälligkeiten gezeigt hätten. Wer könnte denn ahnen, dass es zu solchen Schweinereien wie gefälschte Bankschreiben über 2 Milliarden Euro kommen könne. Eine Prüfungsgesellschaft doch nicht.

The shit hits the fan

Aber inzwischen – um ein brutal-schönes Sprachbild auf Englisch zu verwenden – ist es offenbar so, dass the shit hits the fan. Die Kacke ist am Dampfen, sie fliegt bereits zum Ventilator hoch. Womit sich unter anderem die Frage erhebt, wieso KPMG das kleine Problem auf den Philippinen nicht gesehen hat. Und ob das denn 2018 wirklich noch nicht existierte. Dann könnte es, theoretisch, um Haftungsfragen gehen.

Allerdings nur sehr theoretisch. Das gilt in erster Linie auch für die drei großen Rating-Agenturen der Welt. Moody’s, Standard & Poor’s und, schon etwas abgeschlagen, Fitch bewerten weltweit alles, was nicht schnell genug davonläuft. Und alles ist alles. Sie bewerten Firmen, Finanzprodukte und ganze Staaten. 1975 erhielten sie den Ritterschlag durch die US-Regierung, indem sich jede Firma, bevor sie zum US-Kapitalmarkt zugelassen wird, zumindest von zweien dieser drei einem Rating unterziehen muss.

Die Wahrnehmung dieser öffentlich-rechtlichen Aufgabe wird nun doch sicher nicht von den geprüften Firmen bezahlt. Oder doch? Richtig geraten, natürlich wird das Rating, von AAA bis D, also von erstklassiger Bonität bis Schrott, von den geprüften Unternehmen bezahlt. Aber auch hier wäre es ein unverschämter Angriff auf die Ehre der Prüfer, wenn man vermuten würde, dass Bezahlung und Rating in irgendeinem Zusammenhang stünden.

Obwohl das Rating sogar ziemlich unangenehme Auswirkungen hat. Denn viele institutionelle Anleger, also beispielsweise Pensionskassen, sind verpflichtet, aus Unternehmen auszusteigen, wenn die den sogenannten Investment Grade verlieren, also in der Bewertung unter ein definiertes Niveau sinken. Dann stoßen diese Anleger ihre Papiere ab, was häufig zu einer Massenbewegung führt und das Unternehmen in den Untergang reißt.

Bewertungen – vornehmer: Zertifizierungen – stempeln die großen Drei auch auf Finanzinstrumente. Notorisch wurde das in der Finanzkrise eins von 2008. Denn wie am Fließband wurde Triple-A auf noch so komplizierte Derivate gestempelt, deren Beschreibung oft mehrere hundert Seiten umfasste. Was aber die Prüfer nicht daran hinderte, nach 15 Minuten die Bestnote zu erteilen.

Nichts anderes als Meinungsäußerungen

Als diese Wettscheine dann reihenweise absoffen und die bislang größte Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg auslösten, erhob sich natürlich nicht nur Geschrei, sondern auch die Forderung, dass die Rating-Agenturen haftbar für ihre Bewertungen gemacht werden sollen. Dieser Verantwortung entzogen sie sich mit einem geradezu diabolisch-banalen Argument. Ihre Bewertungen seien nichts anderes als Meinungsäußerungen. Schließlich herrsche Meinungsfreiheit, und man könne doch auch mal eine falsche Meinung haben.

Eine Bewertung führen die Agenturen allerdings umsonst durch. Die Bewertung von ganzen Staaten. Auch das hat dramatische Auswirkungen. Sinkt die Bewertung eines Staates, muss der für Schuldpapiere mehr Zinsen zahlen, unter Umständen gilt das auch für alle Firmen, die in diesem Staat wirken. Noch fataler ist es, wenn Finanzspritzen, wie beispielsweise durch die Europäische Notenbank (EZB), von einem gewissen Minimal-Rating eines Staates abhängig gemacht werden.

Da begab es sich, dass Portugal zwar dringend Kohle brauchte, aber leider bei keinem der drei Großen ein Rating hatte, das der EZB eine solche Unterstützung erlaubt hätte. Blöd, was tut man da? Ganz einfach, die EZB zauberte eine vierte Rating-Agentur aus dem Hut, von der außerhalb Kanadas noch nie jemand etwas gehört hatte. Aber die ist, versteckt im Kleingedruckten, auch zulässig als Bewertungs-Agentur für die EZB. Welch ein Zufall dann aber auch, diese Agentur gab Portugal den dringend benötigten Investment Grade, Problem gelöst.

Wir haben also das kitzelige Problem im Wirtschaftsleben allgemein, in der Finanzwelt im Besonderen, dass die Polizei, die Aufseher, diejenigen, die für die Einhaltung von Spielregeln sorgen sollen, allesamt im Sold derjenigen stehen, die sie zu prüfen oder zu bewerten haben. Schlimmer noch, da neben Prüfen auch Beraten zum Kerngeschäft gehört, gibt es unzählige Schnittstellen, die von keiner noch so hohen chinesischen Mauer abgetrennt werden können.

Die großen Rating-Agenturen hingegen haben eine lange und trübe Vergangenheit, in der sie eins ums andere Mal großartige Noten für Firmen oder Finanzprodukte gaben, die kurz nach einwandfreier Bonität oder Triple-A-Qualität absoffen, Bankrott gingen, schlagartig ihren Wert verloren. Das war dann selbstverständlich immer und ausnahmslos unvorhersehbar. Oder noch schöner: Aus heutiger Sicht kann nicht bestritten werden, dass diese Bude pleite ist. Aber vor einer Woche konnte man das aufgrund des damaligen Wissensstands doch nicht ahnen.

Bislang gab es nur einen einzigen Fall, bei dem eine große Prüf- und Beratungsfirma selber die Bücher schließen musste. Das war Arthur Andersen nach dem Enron-Skandal. Aber das ist schon 20 Jahre her, und die vier Riesen – übrigens genauso profitorientierte Privatunternehmen wie die großen Rating-Agenturen – werden sicherlich auch den Wirecard-Skandal überleben. Und auch die weiteren, die noch kommen werden. So wie sie in Deutschland schon SolarWorld, FlowTex oder Jürgen Schneider überlebten. Um eine lange Liste abzukürzen.

Foto: N.I.S.Tvia Wikimedia Commons

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René Zeyer / 28.06.2020

Sehr geehrter Herr Althoff, es macht sich immer gut, zuerst zu lesen, dann zu verstehen, dann zu kommentieren. Am Schritt zwei müssten Sie noch etwas arbeiten.

P. F. Hilker / 28.06.2020

Also ich muss meine Steuerberater auch selbst bezahlen.

Andi Nöhren / 28.06.2020

Wer er einen Auftraggeber bezahlt hat ein Anspruch darauf, dass er auch das bekommt, so wie er das haben will. dafür bezahlt er ja auch. Das gilt für Firmen die Wirtschaftsprüfer beauftragen, für Auftraggeber von wissenschaftlichen Studien und ebenso für Schüler (bzw. für deren Eltern), die Privatschulen besuchen. Deshalb ist es auch selbstverständlich, dass Unternehmen das Prüfungsergebnis erhalten, das sie brauchen, Studien das belegen, was der Auftraggeber damit belegen will und Schüler von Privatschulen und privaten Unis den Abschluss erhalten, den sie angestrebt haben.

Andi Nöhren / 28.06.2020

Sehr guter Artikel. Wieder einmal ein Beleg dafür, wie perfekt und weitestgehend reibungslos das Zusammenspiel zwischen den Eliten aus Politik und den Eliten aus der Wirtschaft funktioniert, und da hackt selbstverständlich keine Krähe der anderen ein Auge aus.

Jürgen Althoff / 28.06.2020

Das Problem ist nicht, dass die Bewerteten für die Dienstleistung zahlen. Wer sollte es denn sonst tun? Etwa die Steuerzahler? Entscheidend ist eine unparteiische, aber fachlich hoch qualifizierte Aufsicht mit Durchgriffsbefugnissen. Und mehr echter Wettbewerb. Bei der vom Verfasser fälschlicherweise als Negativbeispiel genannten Technischen Überwachung ist das schon seit Jahrzehnten Realität.

Jürgen Althoff / 28.06.2020

Sehr geehrter Herr Zeyer, es macht sich nicht gut, einen Artikel mit einer Falschbehauptung (“fake news”) zu beginnen. Ich habe etwa ein Viertel Jahrhundert bei der deutschen Technischen Überwachung gearbeitet, und unsere Rechnungen wurden immer von den Empfängern unserer Prüfdienstleistungen (vulgo: Kunden) bezahlt, und das gilt ebenso für die mittlerweile große Schar der übrigen anerkannten Prüfgesellschaften.

HaJo Wolf / 28.06.2020

Was möchten Sie denn? Dass der Staat, aus STEUERGELDERN!, die Prüfungsunternehmen bezahlt? Dann kann die Politik ja gleich selbst die Testate erstellen. Natürlich ist das aktuelle System der Wirtschaftsprüfer angreifbar und wackelig, ein Rundumschlag, auch versteckt, jedoch unseriös. Die WP, die ich kenne, und das sind einige, sind allesamt seriöse, kompetente, integre Persönlichkeiten. Konstruieren Sie aus den Einzelfällen Wildcard usw. bitte keinen allgemeinen Rundumschlag. Und nur nebenbei, vielleicht hatte s sich ja nicht bis in die Schweiz rumgesprochen: die Schuldigen an der causa Schneider waren nicht (nur) die WP, sondern hauptsächlich die Banken, die in ihrer Gier den Hals nicht voll genug bekommen konnten. Für SolarWorld und FlowText gilt ähnliches. Unbstritten völlig überflüssig sind diese Rating-Agenturen, sie richten mehr Schaden an als sie nützen. Das ist die Pervertierung des freien Marktes. Was mir in Ihrem Beitrag fehlt ist ein Vorschlag, wie es besser geht. Ich habe keinen, bin also offen für gute Ideen.

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