Wirkungsgrad? Es sind die Kosten, stupid!

Die Pionierarbeit des Physikers Sadi Carnot zur Thermodynamik wird gerne als Argument in Energiewende-Debatten hergenommen. Sein "Wirkungsgrad" feiert gerade 200. Geburtstag. Zeit, um mit einem großen Missverständnis aufzuräumen.

„Viel Erfolg für Ihre Veranstaltung in Stuttgart!“ – ruft Carnot im September 2024 den Teilnehmern des Jubiläumskolloquiums „Von der Dampfmaschine zur Carnot-Batterie – 200 Jahre Carnotscher Wirkungsgrad“ in seiner Videobotschaft zu. Olivier Carnot ist Ur-Ur-Ur-Urenkel von Lazare Carnot, Kriegsminister unter Napoleon Bonaparte und Vater des Begründers der Thermodynamik Sadi Carnot (1796–1832). Carnot-Nachfahre Olivier residiert im Schloss seiner Vorfahren in Presles bei Paris. Dort pflegt er gemeinsam mit seiner Frau Alix das Erbe seiner prominenten Familie. 

Im Jahr 1824 veröffentlichte Sadi Carnot sein Hauptwerk „Réflexions sur la puissance motrice du feu et sur les machines propres à développer cette puissance“. Daraus wurden später der Carnot-Wirkungsgrad von Wärmekraftmaschinen sowie die Carnot-Leistungszahlen von Kältemaschinen und Wärmepumpen abgeleitet. Der Wirkungsgrad gibt an, wie viel mechanische oder elektrische Energie man aus einer Kilowattstunde Wärme gewinnen kann. Die Leistungszahl beschreibt die Menge an Kälte und Wärme, die man aus einer Kilowattstunde mechanischer oder elektrischer Arbeit erzeugen kann. Die weitere Entwicklung der Thermodynamik über Robert Mayers Energieerhaltungssatz 1842 und Rudolf Clausius‘ Entropiebegriff 1865 bildete die theoretische Grundlage für die industrielle Revolution. Dank der Berechnungsmethoden für thermodynamische Kreisprozesse wurde die systematische Entwicklung von Kohlekraftwerken, Verbrennungsmotoren, Flugzeugturbinen, Klimaanlagen und Wärmepumpen möglich. 

Der Einfluss von Carnots Arbeiten reicht bis in die aktuellen Energiewendethemen hinein, speziell in die Energiespeicherforschung zu Carnot-Batterien. Dabei handelt es sich um kraftwerksgroße Systeme, bei denen Strom aus Sonne und Wind mittels Elektroheizer oder Wärmepumpe in Wärme umgewandelt, in preiswerten Materialien wie Salzschmelzen oder Natursteinen gespeichert und bei Bedarf mittels Dampf- oder Gasturbinen in elektrische Energie zurückverwandelt wird. Carnot-Batterien werden zur Zeit weltweit intensiv erforscht und könnten künftig zur preiswerten Stromspeicherung im Gigawattstundenmaßstab beitragen. 

Verbotsphantasien unter Berufung auf die Thermodynamik

Doch es wäre zu einfach, die Würdigung von Carnot auf technische Aspekte zu verengen. Das Carnot-Jubiläum bietet Anlass, vor thermodynamischem Populismus zu warnen.

Bei Diskussionen über Energiepolitik ist oft zu hören, aus Effizienzgründen seien das Elektroauto dem Verbrennungsmotor und die Wärmepumpe der Gasheizung vorzuziehen. Diese Argumente werden dann als Begründungen für eine angebliche wissenschaftliche Notwendigkeit von Verbrennerverbot und Heizgesetz herangezogen. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um Energiewendemärchen. Selbstverständlich steht es jedem Bürger frei, sich alles im Rahmen des Grundgesetzes Denkbare zu wünschen – vom Verbrennungsmotorenverbot über die Verbannung von Schlabberhosen aus Hörsälen bis hin zum Ausstieg aus der Windenergie. Es ist jedoch ganz und gar inakzeptabel, Verbotsphantasien unter Berufung auf die Thermodynamik in den Rang der Alternativlosigkeit zu erheben. 

Der thermodynamische Wirkungsgrad ist tatsächlich eine wichtige Kenngröße, um die  Verbesserung einer einzelnen Technologie zu beziffern. So lässt sich der technische Fortschritt bei Flugzeugtriebwerken an Sprüngen im Wirkungsgrad im Verlauf der Jahrzehnte ablesen. Die Aufwärtsbewegungen sind mit Innovationen wie neuen Materialien, höherem Nebenstromverhältnis und numerischer Strömungssimulation verknüpft. Ähnliches gilt für Dampfkraft- und Gasturbinenprozesse in Kohle-, Kern- und solarthermischen Kraftwerken. 

Das Carnot-Jubiläum ist der richtige Moment, um eine unbequeme Wahrheit auszusprechen: Der Wirkungsgrad ist für die praktische Anwendung in einer Marktwirtschaft bedeutungslos. Über den Markterfolg einer Technologie entscheiden nämlich weder Politiker noch Kennziffern aus dem akademischen Elfenbeinturm, sondern Kosten! Kosteneffizienz wird ausgedrückt in Euro pro Kilowattstunde oder Cent pro Passagierkilometer. Würde es beispielsweise morgen gelingen, klimaneutrales synthetisches Kerosin zu erzeugen – mit einem grottenschlechten Wirkungsgrad, aber zu einem sensationell niedrigen Preis von weniger als 50 Cent pro Liter, wäre das Problem der Dekarbonisierung der Luftfahrt übermorgen auf einen Schlag gelöst. Kosten sind das beste Maß für den zusammengefassten gesellschaftlichen Aufwand einer Technik. Deshalb gehören sie und nur sie ins Zentrum der politischen Debatte. Der Wirkungsgrad sollte hingegen bleiben, wo er wirklich gebraucht wird: in Tüftlerstübchen und Forschungslaboratorien. 

Die Unwissenschaftlichkeit des EU-Funktionärslateins

Die Schwäche des Wirkungsgrad-Arguments gilt im Übrigen auch umgekehrt für Energiewendeskeptiker bei deren Kritik an der Idee einer Wasserstoffwirtschaft. Sie führen gern ins Feld, die geringe Effizienz der Wirkungskette Strom-Wasserstoff-Strom sei ein Killerkriterium für eine „hydrogen economy“. Doch auch hier ist nicht der Wirkungsgrad, sondern der Preis entscheidend. Würde es morgen gelingen, grünen Wasserstoff zu einem Preis von deutlich unter einem Euro pro Kilogramm herzustellen, würde der Markt dem Hersteller dieses Produkt trotz schlechten Wirkungsgrades aus den Händen reißen. Danach sieht es freilich weder heute noch in absehbarer Zukunft aus. Heute kostet grüner Wasserstoff über sechs Euro pro Kilogramm. 

Die Unwissenschaftlichkeit des EU-Funktionärslateins „efficiency first“ war übrigens schon lange vor Carnot offensichtlich. Glücklicherweise musste Thomas Newcomen im Jahr 1712 für den Bau der ersten Dampfmaschine kein Fördergesuch bei der EU einreichen. Hätte er im Antragsformular den Wirkungsgrad wahrheitsgemäß auf ein bis zwei Prozent beziffert, so wäre das Projekt mit Verweis auf efficiency first abgelehnt worden. Die erste industrielle Revolution wäre ausgefallen. 

Das wichtigste Vermächtnis von Sadi Carnot für die heutige Energie- und Klimadebatte könnte somit lauten: „Vergesst den Wirkungsgrad, schaut auf die Kosten!“

 

André Thess ist Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart und Autor des Buches „Sieben Energiewendemärchen?“ (Springer-Nature 2021) Der Beitrag erschien zuerst im Magazin Cicero.

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Leserpost

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Dietmar Herrmann / 29.11.2024

Als Newcomen die erste atmosphärische Dampfmaschine startete, wurden in irgendwelchen deutschen Käffern noch Hexen verbrannt und auch ihm hätte dort als vermeintlichem Zauberer ein solches Schicksal drohen können, in England lediglich Technikskepsis. Mal sehen, wann es hierzulande wieder so weit ist, daß Leugnern diverser Narrative der Tod droht, vorerst begnügt man sich noch mit Existenzvernichtung. Einmal Aufklärung und wieder zurück in die Dark Ages.

Karl-Heinz Böhnke / 29.11.2024

Es herrscht verbreitet Unwissen über Energie. Zum einen ist diese nicht endlich, für uns auf der Erde zumindest nicht, so lange die Sonne noch scheinen kann, was sie noch Millionen Jahre lang tun wird, wobei auf lediglich einem einstelligen %-Betrag der Fläche der Sahara die Energiemenge niedergeht, die dem zeitgleich gesamten Verbrauch auf der Erde entspricht. Zum anderen ist auch die Materie, die schon in der Erde vorhanden ist, in gänze Energie in einer Menge, die wir uns bei weitem nicht vorstellen können, wovon zwar mit zurzeit möglicher Technik nur ein Bruchteilchen gewinnbar ist, das allerdings in Form von spaltbarem Kernmaterial hinsichtlich des Verbrauchs zeitlich in der Größenordnung mit der Sonne mithalten könnte. Energie ist die Quelle allen Wohlstands und steht uns geradezu unmittelbar üppigst zur Verfügung, weswegen ihre Bereitstellung wohl eher verhindert als gefördert wird, vielleicht weil dunkle Kräfte in ihr den Himmel auf Erden sehen.

M.Blume / 29.11.2024

Aber man kann mit dem Wirkungsgrad vergleichen. Wenn eine Luftwärmepumpe eine Arbeitszahl von 3 hat (im Winter ) so erzeugt sie 3x soviel Wärme wie elektrische Energie hineingesteckt wird. Klingt toll,wenn aber der Strom mit Gaskraftwerken erzeugt wird die einen Wirkungsgrad von 33% haben, kann man das Gas auch direkt verbrennen. Und da kommen die Kosten ins Spiel die natürlich völlig unterschiedlich sind und ausschlaggebend seien sollten.

Karl-Heinz Böhnke / 29.11.2024

Da nur die Kosten entscheidend sind, ist ja der Klimawandel hinzugezogen worden, dessen jeweils vermutete Folgekosten jede Rechnung zugunsten der gewünschten Maßnahmen ausfallen lassen.

Jochen Lindt / 29.11.2024

Hmm…  tatsächlich hat die Kostenfrage die industrielle Revolution verhindert,  sonst hätte sie schon zu Zeiten der Römer stattgefunden, also schlappe 2000 Jahre vorher.  Nur war Sklavenarbeit in der Antike so billig, dass die Entwicklung alternativer Antriebe unterblieb - Dampfkraft kannten Römer, Griechen und Chinesen sehr wohl.  Apropos Dampfkraft: Die hanseatischen Kaufleute - kostenbewusste Kapitalisten - liessen ihre Rohstoffe aus Südamerika bis in die 1910er Jahre mit Segelschiffen nach Hamburg befördern. Grund waren die geringen Löhne der Matrosen. Dampfschiffe waren teurer. Der erste Weltkrieg machte diese Rechnung zunichte, da die billigen Matrosen anderweitig “verheizt” wurden.  Das Denkmal ihres Geizes liegt heute als Museumsschiff Rickmer Rickmers an den Hamburger Landungsbrücken.

Peter Hermann / 29.11.2024

Der Carnot Prozess hat was mit Wärme-Kraft-Maschinen oder auch Kältemaschinen zu tun und damit zunächst nichts mit Ökonomie. Wenn man isoliert Verbrennungsmotoren betrachtet, so ist es zunächst sehr sinnvoll, Kraft - Wärme-Maschinen mit einem Hohen Wirkungsgrad zu bauen. Rudolf Diesel gelang es einen Motor zu bauen mit einem optimalen Wirkungsgrad. Große Schiffe können nach wie vor nur mit riesigen Dieselmotoren angetrieben werden und wenn man den Kraftstoffverbrauch betrachtet auch mit geringsten Kosten. Den deutschen Autobauern gelang es, die besten kleinen Dieselmotoren zu bauen bis das politisch unterbunden wurde. Wie jeder weiß, sind die Kraftstoffkosten auch da die niedrigsten. Man sollte aber Technik und Ökonomie nicht vermengen.

Gerhard Schweickhardt / 29.11.2024

Besten Dank. Mit einer kleinen Erweiterung. Der finanztechnische Wirkungsgrad lässt sich auch darstellen. Mit welchem Geld Aufwand, Gerätschaft, Installation und Bewirtschaftung,  Erhaltung, Wartung Reparatur erhält man welchen Geld Betrag in welcher Zeit zurück. Mit welcher Verfügbarkeit bei welcher Kapital Rendite muss gerechnet werden. Bei PV ist das ca 1.5% pa ohne Wartung, Reiniging von Schnee oder Saharastaub. Der Zeitraum ca 20 Jahre Falls ungehindert eingespeist und bezahlt wird. Grundsätzlich führt eine Steigerung vom technischer Wirkungsgrad zu einem ökonomischen Vorteil gegen Wettbewerber und niedrigere Preise für die Kunden.

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