Oswald Metzger, Gastautor / 29.12.2014 / 07:00 / 5 / Seite ausdrucken

„Wird’s besser? Wird’s schlechter?

....fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.“ (Erich Kästner)

Die Welt scheint in kolossaler Unordnung. Fast überall drohen Terror und Gewalt, nicht sel-ten im Namen der Religion. In Europa leben Konfliktrituale wieder auf, die man nur noch aus der Erinnerung an den Kalten Krieg kennt. In den USA wird im Namen der Freiheit staatlich gefoltert und ausgehorcht, als ob es nie eine Unabhängigkeitserklärung mit ihrer urliberalen Präambel gegeben hätte. Offener Rassismus herrscht im amerikanischen Alltag, auch wenn der amtierende Präsident schwarz ist. In Japan mit seiner astronomischen Verschuldung er-leben wir das kapitale Versagen jeglicher politischen Verantwortung. Trotzdem wählte das Volk die „Abenomics“ erneut mit Erdrutsch-Mehrheit. Im saturierten Deutschland gehen Zehntausende auf die Straße, um ihre diffusen Ängste vor (islamischer) Überfremdung und ihre Verachtung für das politische Establishment zu bekunden. Wenn Flüchtlingsdomizile in Bayern angezündet und Hakenkreuze gesprüht werden, dann lassen einen die Erinnerungen an geschürte Pogromstimmungen in früheren deutschen Landen unwillkürlich schaudern.

Die Irrationalität in vermeintlich kultivierten Gesellschaften und der fanatische Hass auf Minderheiten, seien sie nun schwul, andersgläubig oder andersfarbig, machen sprachlos. Was rollt da erst auf uns zu, wenn sich der soziale Absturz der Massen manifestiert, weil kein Staat dieser Welt sich auf Dauer schuldenfinanzierte Wohlfahrt leisten kann? Doch genau diese fatale Schuldenillusion nähren in unruhigen Zeiten selbst renommierte Ökonomen. Nicht nur Paul Krugmann, der vor Jahren mit dem Wirtschaftsnobelpreis geadelt wurde, pre-digt diese Voodoo-Ökonomie. In internationalen Institutionen wie dem IWF oder der OECD wird inzwischen expansiver Fiskalpolitik das Wort geredet. Konsolidierung oder gar das alt-deutsche Sparen sind passé. Von notwendigen Strukturreformen wird immer seltener ge-sprochen. Geld muss in den Wirtschaftskreislauf gepumpt werden – durch die Notenbanken und kreditfinanzierte Investitionsprogramme der Staaten. Wie das Modell, dem der „Starökonom“ Krugmann huldigt, in der japanischen Praxis seit bald 25 Jahren scheitert, wird geleugnet oder verdrängt.

Heute hängen die Finanzmärkte wie Fixer an den Liquiditätsinjektionen der Zentralbanken. Die Fieberkurven der Kurse korrespondieren mit erfüllten oder enttäuschten Erwartungen in die Geldpolitik. Eine Aktienhausse bildet immer seltener realwirtschaftliche Fundamentalda-ten oder konkrete Geschäftserwartungen ab. Viel wichtiger für steigende Kurse an den Bör-sen sind Notenbankbeschlüsse. Im Januar wird die Europäische Zentralbank (EZB) voraus-sichtlich ihr Staatsanleihen-Kaufprogramm starten. Damit wird sie endgültig ihr geldpoliti-sches Mandat brechen und direkt Staatsschulden monetarisieren. Frankreich und Italien werden jubeln, wenn die Mehrheit für Mario Draghis Kurs im EZB-Rat steht – gegen das Vo-tum von Jens Weidmann von der Deutschen Bundesbank.
Gespannt sein darf man auf den Verfassungsgerichtskonflikt zwischen dem Europäischen Ge-richtshof (EuGH) und dem Bundesverfassungsgericht, falls der EuGH die EZB-Anleihenkäufe als zulässig erachtet, die deutschen Verfassungsrichter aber nicht. Ob Karlsruhe wohl willens und in der Lage wäre, der EZB-Mehrheit die rote Karte zu zeigen, einen kapitalen Verfas-sungskonflikt mit den europäischen Institutionen zu riskieren und die Finanzmarkterwartun-gen zu sabotieren?
Bei aller Unübersichtlichkeit angesichts der Fragilität unserer Welt: Einer Herkulesaufgabe werden sich die Politiker auf diesem Globus nicht entziehen können, auch wenn sie sich noch so sehr aus der Verantwortung herauswinden wollen. Sie müssen Arbeitnehmern wie Unternehmern, Rentnern wie Schülern, Fremden wie Einheimischen überall erklären, dass realer Wohlstand nicht aus permanenter Schuldenpolitik entsteht. Dass dauerhafter Wohl-stand für alle auf Anstrengung und Leistung beruht – des Einzelnen wie gesamter Volkswirt-schaften. Und dass kein Staat auf Dauer mehr ausgeben kann, als er aufgrund der wirtschaft-lichen Leistungskraft seiner Bürger an Einnahmen erzielen kann.

Wenn die Politik diesen Mut nicht aufbringt, dann schlagen Intoleranz und Vorurteile nicht mehr nur vereinzelt, sondern wie ein Flächenbrand in blanken Hass um. Dann sucht sich das Volk (und bestimmte Politiker) die Sündenböcke, die man für den sozialen Abstieg verant-wortlich machen kann. Dann wird das Volk zum Mob und die Demokratie zur Diktatur. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem INSM-Ökonomenblog

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Leserpost

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Klaus Kalweit / 30.12.2014

Schade, Herr Metzger, bisher hatte ich Sie für einen respektablen, weitsichtigen Menschen gehalten. Diese Sicht haben Sie spätestens mit den Worten Pogromstimmung, Irrationalität und fanatischer Hass unwiederbringlich zerstört.

Ralf Schmode / 29.12.2014

Schade, dass auch auf der ACHSE mittlerweile kaum ein Artikel ohne das “ceterum censeo” des PEGIDA-Bashings auskommt. Wenn Herr Metzger hinter PEGIDA Pogromstimmung wittert und - besonders perfide - eine Verbindung zu Hakenkreuzschmierereien und brennenden Asylbewerberheimen konstruiert, dann sollte er sich erstens einmal das Positionspapier von PEGIDA zu Gemüte führen und sich zweitens an den Sommer erinnern, in dem von Demonstrationen tatsächlich Pogromstimmung ausging - die Demonstranten waren damals allerdings keine “Angstbürger”,“Rechte” oder “Nazis in Nadelstreifen”, sondern zum Töten entschlossene Anhänger dessen, was PEGIDA völlig zu Recht kritisiert. Zum ökonomischen Aspekt des Beitrags sei angemerkt, dass die Politiker und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, die die Schuldenpolitik der letzten Jahrzehnte besonders vehement vertreten und zu verantworten haben, zumindest in Europa mit denen identisch sind, die im gleichen Zeitraum der völlig unkontrollierten Zuwanderung kulturell Inkompatibler massiv Vorschub geleistet und die Kritiker dieser Politik wahlweise als Rechtspopulisten, Sozialdarwinisten oder gleich als Nazis diffamiert haben. Man könnte übrigens der angeblich so falschen Verknüpfung von ungezügelter Zuwanderung und wirtschaftlichem Niedergang mit Leichtigkeit den Boden entziehen, indem man die positiven und negativen ökonomischen Effekte der Zuwanderung endlich einmal statistisch erfasst und auswertet. In einem Land wie Deutschland, in dem es für jede Lächerlichkeit eine Statistik gibt, wird jedoch dieses zentrale Thema nicht einmal mit spitzen Fingern angefasst, und jeder weiß, warum. Das “Warum” auch nur anzusprechen ist aber auch schon wieder “Rechtspopulismus” und wird mit gesellschaftlicher Ächtung und immer öfter auch mit wirtschaftlicher Vernichtung bestraft.

Hein Tiede / 29.12.2014

Ich sehe keinen Hass auf Minderheiten in unserer Gesellschaft. Dass die Politik Begehrlichkeiten schafft und den Sozialstaat immer weiter ausufern lässt, ist eine bedauernswerte Tatsache. Dass die Mehrheit der Gesellschaft dies will, lässt sich nicht aus dem Wahlverhalten ablesen. Die Mehrheit bilden allmählich die Nichtwähler. Aber auch wer SPD, die Linke etc. wählt, tut dies aus den verschiedensten Gründen. Eine Partei die nur verspricht, die Schulden zurückzufahren, hätte wahrscheinlich großen Zulauf.

Jürgen Althoff / 29.12.2014

Liest Herr Metzger vielleicht nur seine eigenen Beiträge in der Achse oder wohnt er in einer Gegend, wo es weder No-Go-Areas noch Scharia-Paralleljustiz noch Schulklassen mit hohen muslimischen Anteilen und den entsprechenden Konflikten gibt? Die “(diffusen) Ängste vor muslimischer Überfremdung” sind für immer mehr Menschen längst nicht mehr diffus, sondern sehr konkret.

Herbert Manninger / 29.12.2014

,,Diffuse Ängste” vor einer Islamisierung, Herr Metzger? Konkrete Ängste, Herr Metzger. Augen auf!

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