Sahra Wagenknecht ist eine Katastrophe für die Juden, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden, hat sich mit ihr angelegt. Eine Kampfansage und eine späte Versöhnung.
Wir sind der gleiche Jahrgang, Josef Schuster und ich. Und beide Juden. Und damit endeten bisher die Gemeinsamkeiten. Ich habe Schuster und den Zentralrat der Juden in Deutschland mehrmals scharf kritisiert. Tacheles. In aller Öffentlichkeit, auch hier, auf der Achse des Guten. Und was man mir wahrscheinlich noch mehr verübelt: auf einer Veranstaltung der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Das Video steht bis heute im Internet. Ich habe darüber gesprochen, dass der Zentralrat am Tropf der Bundesregierung hängt und in serviler Demut deren Politik auch dann noch vertritt, wenn sie nachteilig ist für die deutschen Juden. Beispiel: die peinliche Unterwürfigkeit gegenüber Angela Merkel, die den deutschen Juden mehr geschadet hat als alle Bundeskanzler zuvor.
Seitdem bin ich für den Zentralrat eine Unperson. Ich darf nicht mehr in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung, dem Organ des Zentralrats, publizieren, meine Bücher werden nicht mehr besprochen, mein Name wird dort gemieden, wie der eines Aussätzigen (Gott sei Dank gibt es ein privat finanziertes Konkurrenzblatt, die Jüdische Rundschau), ich werde nicht mehr in jüdische Gemeinden in Deutschland eingeladen, ich wurde sogar, zum Beispiel 2022 in Bonn, auf Druck des Zentralrats nachträglich wieder ausgeladen, nachdem man mich bereits eingeladen hatte. Wie es halt zugeht heute in Deutschland. Und der Zentralrat der Juden in Deutschland macht da keine Ausnahme: Man ist schneller denunziert, als man den anstößigen Satz ausgesprochen hat.
Also zunächst: Mein Respekt.
Aber nun lese ich in deutschen Zeitungen (ich lebe in Israel, wir haben hier eigentlich andere Sorgen), dass sich Josef Schuster mit einer der mächtigsten Frauen Deutschlands angelegt hat, mit Sahra Wagenknecht. Und das setzt mich in Bewegung, denn dazu gehört Mut. Also zunächst: Mein Respekt. Ganz allgemein gesagt, auch unabhängig von der Sache, um die es geht.
Sahra Wagenknecht ist im Aufstieg, sie steht, nachdem sie die Linkspartei ruiniert hat (um die es mir nicht leid tut), vor Triumphen bei den Landtagswahlen in mehreren Bundesländern, sie gilt als kommende Größe in der deutschen Politik, zudem als gut aussehend (Geschmackssache), als hinreißend klug (kein Kommentar), eloquent, charmant, mit einem Wort: als unwiderstehlich. Ihre auf Figur geschneiderten Complets und effektvoll zur Schau gestellten eleganten, langen Beine haben einigen Anteil an ihrem Zauber, ihr eher konservativer Stil in Kleidung und Auftritt kontrastiert gekonnt mit ihren revolutionären Ansichten.
Doch ich kenne die ideologische Geisteswelt, aus der sie stammt, und ich kenne die Frau, die das Magazin Der Spiegel ihre „Ziehmutter“ nennt, die Genossin Ellen Brombacher, eine unbelehrbare Alt-Kommunistin, in Moskau geschult, Zeit ihres Lebens Funktionärin der FDJ, der SED, dann der PDS und der Partei der Linken, zuletzt Sprecherin der „Kommunistischen Plattform“, bis heute treu der Sowjetunion ergeben, eine – um nochmals den Spiegel zu zitieren – „Ikone der Linken“ vom alten Schlag. Wir haben, Genossin Brombacher und ich, an der gleichen Schule Abitur gemacht (sie ein paar Jahre vor mir), an der Alexander-von-Humboldt-Schule in Berlin Köpenick (ja, wo die Funktionäre wohnten und die DDR-Prominenz), heute Gymnasium, am Wasser gelegen, romantisch, nahe der Schlossinsel, kurz vor der Mündung der Dahme in die Spree.
Eine seltsame Freiheit, über sie zu sagen, was ich denke
Ellen Brombacher ist sich immer treu geblieben, sich und „der Sache des Kommunismus“, da war keine geistige Bewegung, kein Zur-Kenntnis-Nehmen veränderter Realitäten, nur Starrheit und Nibelungentreue. Mich hält sie ohnehin für einen „Verräter“, auch Sahra Wagenknecht muss mich dafür halten – das gibt mir eine seltsame Freiheit, über sie zu sagen, was ich denke. Eine Freiheit, die sich offenbar auch Josef Schuster genommen hat, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er wirft Sahra Wagenknecht „Populismus“ vor und einen „Hang zur Verschwörungsideologie“, weil sie dem um seine Existenz kämpfenden Staat Israel einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die Bevölkerung in Gaza unterstellt. Weil sie von der notorisch lügenden Hamas verbreitete Opferzahlen als Wahrheit präsentiert und noch von sich aus hinzufügt, Israel wäre schuldig am Tod von zwanzigtausend Kindern.
Derlei entbehrt zwar jeder Grundlage, ist aber heute en vogue. So wie Sahra Wagenknecht selbst. An sich nichts Besonderes. Bei Sahra Wagenknecht allerdings etwas besorgniserregend, weil sie so viel Macht hat. Und bald noch mehr haben wird. Was Josef Schuster zu Recht beunruhigt. Denn inzwischen hat ihr aus der Stalin-Zeit überlieferter Hass auf den „Zionismus“ auch die westdeutsche Klientel fasziniert, Dr. Michael Lüders etwa, einen als „Nahost-Experten“ gehandelten, lang gedienten Israel-Gegner, Berater des deutschen Auswärtigen Amtes, Fachgutachter der von der Bundesregierung finanzierten Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ); seit Januar 2024 gehört er zum Parteivorstand des – ganz im stalinistischen Stil – nach der allmächtigen Parteivorsitzenden benannten „Bündnis Sahra Wagenknecht“.
Die ideologische Schule der Sahra Wagenknecht, Genossin Brombacher und die „Kommunistische Plattform“, waren immer gegen Israel. Die ganze DDR hindurch und auch die 35 Jahre danach. Wie gesagt, diese Leute bleiben sich und ihrer „Sache“ treu und sind noch stolz darauf. Immerhin gesteht uns Wagenknecht „ein Existenzrecht“ zu, das hätte die Genossin Brombacher nie getan. Dennoch würden Wagenknechts populäre Positionen „den Israelhass in Deutschland befeuern“, erklärte Josef Schuster gegenüber der Tageszeitung Die Welt. Er hätte ihr damit, so Der Spiegel, „indirekt Judenhass“ vorgeworfen. Sahra Wagenknecht kontert eiskalt: „Die Äußerung von Josef Schuster hat mich sehr erstaunt. Wenn jeder, der die Netanyahu-Regierung und deren brutale Kriegsführung im Gazastreifen kritisiert, ein Israelhasser ist, dann wäre ein erheblicher Teil der Israelis Israelhasser.“
Inkompetenz, gepaart mit einem anmaßenden, glamourösen Auftritt
Nun, sie kann es nicht besser wissen. War sie jemals hier? Sie weiß nicht, dass die große Mehrheit der Israelis, vor allem der größte Teil der israelischen Jugend, mit diesem Krieg einverstanden ist. Weil uns, in unserer Existenz bedroht, von den Milizen des iranischen Mullah-Regimes an mehreren Grenzen angegriffen und Tag und Nacht mit Raketen beschossen, nichts anderes übrig bleibt. Ejn lanu brirah, heißt es hebräisch, wir haben keine Wahl.
Sahra Wagenknecht weiß nichts über Israel, sie ist so naiv, die Opferzahlen der Hamas zu glauben (der Spiegel wiederholt sie gleich noch mal, zwecks besserer Gehirnwäsche), Zahlen, die inzwischen sogar von der UN für „unkorrekt“ erklärt wurden. Das ist es, was mich am meisten an Sahra Wagenknecht stört: diese Inkompetenz, gepaart mit einem anmaßenden, glamourösen Auftritt. Es ist ihr Erfolgsrezept. Deshalb gehe ich noch einen Schritt weiter als Josef Schuster und rate dringend davon ab, dieses hübsch verpackte neu-stalinistische Bündnis zu wählen. Anders als Wagenknecht weiß ich, wovon ich rede. Ich kenne die Leute. Sie haben sich nicht geändert.
Und Josef Schuster mein Respekt. Er ließ es bei Angela Merkel an Courage und aufrechter Haltung fehlen, doch jetzt, mit siebzig, nimmt er seinen Mut zusammen und tritt der kommenden Gefahr entgegen, der kommenden Dame des deutschen Verrats an den Juden. Wie sagen die Rabbiner? Zur Umkehr ist es nie zu spät. Möge es ihm angerechnet werden in der kommenden Welt.
Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.
Ellen Brombacher: Meine Kritik am Zentralrat (u.a.):
https://www.achgut.com/artikel/der_zentralrat_fuer_juden_wenig_hilfreich
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