Im gedruckten „Spiegel“ dieser Woche (Ausgabe Nr. 20) ist eine hochinteressante vierseitige Reportage zu lesen, die mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufräumt. Autor Johann Grolle beschreibt darin, wie er mit dem Geologen Stefan Kröpelin mitten durch die Sahara reist und dort Spuren einst weit verbreiteter blühender Landschaften findet, die dort vor sechs- bis achttausend Jahren vorgeherrscht haben. Wohlgefüllte, Leben spendende Flüsse aus den Bergen haben dort Seen gespeist, die von sattem Grün umgeben gewesen sein dürften. Immer neue Hinterlassenschaften einer einst reichhaltigen Fauna und Flora fand der Forscher.
Auch der Mensch schien sich dort, wo heute die totale Dürre herrscht, wohl gefühlt zu haben: Grolle schreibt: „Vielerorts zeugen hier, in der lebensfeindlichen Trockenheit der Wüste, Klingen und Pfeilspitzen aus Quarzit oder ringförmige Siedlungsspuren von der einstigen Allgegenwart des Homo sapiens.“ Nur noch Rudimente dieser einstigen Paradiese sind noch vorhanden, kleine, verstreute Oasen, Miniaturen der einst paradiesischen Sahara-Landschaft.
Was Kröpelin heute grundlegend erforscht, ist für die Geowissenschaftler eigentlich nichts Neues. Sinnvoll ist die Arbeit dennoch, als Grundlagenforschung und vor allem zur Zerstörung unhaltbarer wie hartnäckiger Mythen: Viel zu häufig nämlich wird in den Medien noch immer behauptet, eine globale Erwärmung werde gerade den südlich der Sahara liegenden Sahel-Gürtel besonders hart treffen, die Wüste werde ihn verschlingen, alle Menschen dort vertreiben und als Klimaflüchtlinge nach Europa aufbrechen lassen. Die These war sogar Grundlage ganzer Bücher, zu unrecht viel beachteter Werke (Harald Welzer: “Klimakriege”), obwohl sie sich eigentlich nie auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufen konnten. Das Gegenteil ist der Fall.
Tatsache ist, dass die Region der heute größten Wüste der Welt gerade vor sechs- bis achttausend Jahren in ihrer größten Blüte der geschichtlichen Zeit stand, als zumindest auf der nördlichen Erdhabkugel Temperaturen von zwei bis drei Grad über den heutigen herrschten. Es war die Zeit des „Holozänen Klimaoptimums“, nach dem Ende der letzten Eiszeit die wärmste Periode der derzeitigen Zwischeneiszeit, wie es die Paläoklimatologen ausdrücken. Ein wärmerer Kontinent dynamisierte den Monsun, der reichlich Niederschläge von den Meeren herbeiführte. Die Menschen profitierten damals davon. In den 90er Jahren schon machte der Abenteuer-Reporter Uwe George nach ausführlichen Feldforschungen in einer episch langen „Geo“-Reportage über die großen Sahara-Reiche aus jener Epoche von sich Reden.
Auch Klimamodelle gehen davon aus, dass eine eventuelle erneute globale Erwärmung die Wüste eher zurückdrängen als sie ausbreiten würde. Bekannt ist die sogenannte „Sahara-Studie“, die Martin Claußen vor zehn Jahren an seinem damaligen Arbeitsplatz erstellte: dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, seither eher bekannt für Katastrophenszenarien pur. Satellitenbilder bestätigen auch, dass die grüne Savanne von Süden her in die Sahara hinein auf dem Vormarsch ist. Einziger Hinderungsgrund: Die Übernutzung durch den Menschen, die Abholzung des neu gedeihenden Grün für Brennholz oder für die Gewinnung von Ackerboden für saisonale Landwirtschaft, was jeweils die Bodenerosion fördert, den wiederkehrenden fruchtbaren Humus von den stärkeren Monsunregen hinwegschwemmen lässt.
Satellitenfotos bestätigen, dass diese Entwicklung tatsächlich einsetzte in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, als die globale Erwärmung auf ihren letzten Höhepunkt zusteuerte. Der Zusammenhang ist im Grunde State of the Art. Auch Kröpelin selbst arbeitet seit vielen Jahren an dem Thema. Dass höhere Temperaturen die Sahara ergrünen lassen könnten, ist für ihn nicht neu.
Als gäbe es diese Erkenntnisse nicht, muss die Sahelregion dennoch herhalten für die schlimmsten Katastrophenszenarien, einfach weil sie dafür geeignet ist. Der Begriff Sahel ist ein Code für Hunger und andere Nöte, die den satten Europäern seit den 70er Jahren stets auch schlechtes Gewissen beibrachten. Um so passender, wenn nun behauptet wird, die Industriestaaten raubten den armen Afrikanern durch ihre Kohlendioxid-Emissionen auch noch die letzten Lebensgrundlagen. Nur zu gerecht also, dass wir alle Afrikaner aufnehmen müssen, wenn wir uns nicht mäßigen – so lautet die Botschaft.
Niemand weiß, ob es in den nächsten Jahrzehnten oder Jahrhunderten tatsächlich wieder so kommen wird, wie es einst war. Ist doch nicht einmal klar, wann und ob und wenn ja in welchem Ausmaß die globale Erwärmung, die seit eineinhalb Jahrzehnten mehr oder weniger zum Stillstand gekommen ist, wieder in Gang kommt. Und was dann passieren würde.
Spiegel-Reporter Grolle schildert einen nachdenklichen Kröpelin: „’Wird eine Rückkehr jemals möglich sein? Wird die Sahara irgendwann wieder ergrünen?’ Auch Kröpelin weiß, dass er sich hier in den Bereich der Spekulation begibt. Doch er sammelt Indizien. Ein Jahrhundertregen, der im Jahr 1988 im sonst so trockenen Sudan niederging, weckte erstmals seinen Verdacht. Wenn alle vom Klimawandel sprachen, warum sollte sich dann nicht auch der Monsun in Afrika verändern? Vielleicht könnte die globale Erwärmung ihn ja wieder in jenen Zustand zurücktreiben, in dem er sich nach der Eiszeit schon einmal befunden hatte?“ Genau, warum nicht?
Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT