Gastautor / 02.05.2025 / 06:00 / Foto: Montage achgut.com / 85 / Seite ausdrucken

Wir wollten unserem Staat etwas zurückgeben

Von Martin Toden.

Der Gastautor ist ein Kind der Boomer-Jahre und hat in den frühen 1980ern seine Wehrpflicht absolviert. Wir stellen heute zwei ganz unterschiedliche Sichtweisen zur Diskussion.

„Du sollst nicht springen, du Wichser!“ – mit dieser liebevollen Zurechtweisung quittierte unser Fahrlehrer Feldwebel Samuel unsere ersten Versuche, das Krad Hercules 125K über kleine Erdhügel auf dem Schulungsgelände ein winziges Stückchen weit hüpfen zu lassen. Gerne fügte er eine offene Rechte hinzu: Die mit dem Krad-Handschuh geschützte Hand klatschte gegen den Helm. Heute wäre so ein Erlebnis sicher ein Fall für die Knetgummitherapie – wir lachten darüber. Mit dem dicken Samuel zusammen, der ein guter Kerl war – wenn auch ziemlich ungehobelt.

Am 4. Juli 1983 bezog ich mit meinen 7 Kameraden (von denen ich nur noch die Nachnamen weiß – bis auf Günther, außer mir einzige Abiturient im Zug) die Stube 126 in der Scharnhorst-Kaserne in Northeim. Wir gehörten zum Panzergrenadierbataillon 12 in Osterode im Harz, und unser Brigadekommandeur war Oberst Hanno Graf von Kielmansegg, Sohn des bekannten Generals Johann Adolf Graf von Kielmansegg. 

Volles Programm

Wir bekamen die volle Dröhnung: 3 Monate PzGren-Grundausbildung, dann 6 Wochen MKF (Militärkraftfahrer)-Fahrschule. Auch wenn viele über die damals in Teilen recht beschauliche Bundeswehr die Nase rümpften und den „Gammeldienst“ beklagten – das war bei uns alles andere als ein Zuckerschlecken. Danach 9 Monate in der Stammeinheit, die ich mehr auf dem „Hobel“ saß als auf Stube und ständig mit den Kolonnen der Panzerbrigade 3 unterwegs war. Das Lager Siebensteinhäuser auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne war in dieser Zeit mein zweites Schlafzimmer, und ich kannte jedes Wildschwein beim Vornamen.

Kamen wir nach tagelangem Manöver wieder in die Kaserne zurück, fielen wir Kradmelder schlammbedeckt von unseren Hobeln, während sich beim Leo die Kommandantenluke öffnete und Kamerad Benedikt, im tadellosen, trockenen und sauberen Panzerkombi meiner ansichtig werdend, säuerlich kommentierte: „Alter, du siehst ja scheiße aus!“

Die Erlebnisse dieser 15 Monate bewegten mich endgültig dazu, Zeitsoldat werden zu wollen, womöglich später Berufssoldat. Mit dem Gedanken gespielt hatte ich schon während meiner letzten Jahre in der Oberstufe. Ich war bei Weitem nicht der Einzige. Warum waren junge Männer in nicht geringer Anzahl bereit und willens, den soldatischen Eid abzulegen, der ihnen doch abverlangte, im Fall des Falles die Freiheit des deutschen Volkes mit ihrem Leben zu verteidigen?

Der Wert der Freiheit

Meine Generation war wohl die erste, die von sich behaupten konnte, vollumfänglich in absolutem Frieden, Freiheit, Sicherheit, Gesundheit und Wohlstand aufgewachsen zu sein. Und wir waren auch die erste Generation, die beigebracht bekam, dass diese paradiesischen Zustände keine Selbstverständlichkeit waren. In meiner Schule wurde uns der Wert der Freiheit im Geschichtsunterricht (und in anderen Fächern nicht minder) nachhaltig beigebracht. Das lag vor allem auch an vielen grandiosen Lehrern, die das Ideal der Freiheit aus ihrer eigenen Lebensgeschichte ableiteten und uns weitergaben. Über diese wichtige Grundlage bei der Vermittlung von historischem Wissen und ihre Auswirkung auf die Gestaltung unseres schulischen Umfelds wurde sogar ein Buch geschrieben.

Für mich (und viele meiner Altersgenossen) war es darum im Grunde selbstverständlich, dass wir unserem Land, unserem Volk und unserem Staat etwas zurückgeben wollten, konnten – ja: mussten. Wir hatten dazu das Glück, dass unsere Vorgänger-Generation – Eltern, Lehrer, Ausbilder, Vorgesetzte – aus einer Zeit stammten, in der man noch wirklich hart beißen können musste. Wenn das Abendbrot bei uns daheim mal wieder etwas trocken geworden war und ich mich beschwerte, das Brot sei hart, antwortete mein Vater: „Altes Brot ist nicht hart. Kein Brot ist hart.“ Sowas prägt.

Dienstgeil am G3

Und darum lag ich nun Anfang Juli 1983 mit Günther und den anderen sechs auf dem Exerzierplatz im Halbkreis, den Stiefelbeutel über dem Kopf, und versuchte unter den lauten Anweisungen eines missgelaunten Unteroffiziers, das Sturmgewehr G3 blind zu zerlegen und wieder zusammenzusetzen. Ich hatte offenbar eine gewisse Affinität zu Waffen (was daran gelegen haben mag, dass mein Vater Jäger war und ich mich mit Schusswaffen schon das eine oder andere Mal befasst hatte), und ich war immer der Erste, der „seine“ Knarre fertig und funktionsüberprüft vorweisen konnte. Das brachte mir den Spitznamen „Kamerad Dienstgeil“ ein und war für mich eine gewisse Auszeichnung. Die eher handfesten Kameraden auf Stube 126 fanden dafür dann auch Anerkennung, was bei einem Abiturienten schon was bedeutete. „Mein“ G3 war übrigens Baujahr 1963 und damit ein Jahr älter als ich.

Die „Grundi“ bei den Grenadieren bot ansonsten alles, was man an Geschichten vom „Bund“ so kennt. Saufereien auf der Stube, Schlägereien im Mannschaftsheim, Anschisse vor der angetretenen Kompanie, Ehrenrunden um den Ex-Platz und viele Liegestütze. Sehr viele. 

Freibad, Pluto und das Mannheim

Wenn es auf unseren Standortübungsplatz ging (liebevoll „Pluto“ genannt), dann geschah das immer im Laufschritt, und zwar in vollem Gepäck. Das Fiese an der Sache war, dass wir nicht nur 1,5 km bergauf (über 100 Höhenmeter) laufen, sondern auch jedes Mal am Freibad vorbei rödeln mussten – unter dem aufmunternden Gejohle der weiblichen Dorfjugend. Das war ein echter Antrieb für uns, da wir natürlich nach Dienstschluss sofort wieder dorthin liefen – in Badehose, 300 Meter. Außerhalb der Badesaison war dann unser Mannschaftsheim („Mannheim“) der Ort der Wahl. Das Bier war billig, die Pommes lecker und die Bedienung die Tochter vom Spieß (für den einen oder anderen Kameraden eine Entdeckung mit dienstlichen Konsequenzen). Unser Leben war grandios.

Aus Pflicht wird die Kür – und der Ernst

Wie erwähnt, waren meine 15 Monate ein letzter Stein im Bauwerk meiner Berufswahl – ich wurde Soldat. Für mich war der Dienst eine Mischung aus Dank, Stolz und Identität. Ich zeugte Kinder, Birne war Kanzler, und ein Cowboy saß im Weißen Haus. Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, war ich junger Leutnant, zufällig gerade diensthabender Kampfbesatzungsführer und hatte Schicht. In den Stunden vor der Öffnung der Mauer an der Bösebrücke hatte sich die militärische Bereitschaftsstufe Stück für Stück verschärft und in der Stunde des Mauerfalls saß ich mit meiner Crew in höchster Alarmbereitschaft im Feuerleitstand, und im Bunker zählte der Crew Chief seine nuklear bestückten Raketen. Uns ging die Düse 1 zu 1.000.

Die Angelegenheit verlief bekanntlich friedlich. Als wir aus dem Alarmstatus entlassen wurden und die ersten Bilder im Fernsehen die ausgelassenen Szenen an der Bornholmer Straße zeigten, habe ich zum ersten Mal altgediente Oberstabsfeldwebel heulen sehen. Wir schickten den KaEff (Kraftfahrer) zu Tankstelle, Bier holen. Spätestens zu dieser Stunde wusste ich, dass meine Entscheidung, Soldat zu werden, die richtige gewesen war.

Identifikation mit dem Größeren

Das war im Grunde das ganze Geheimnis: Wir wussten, was auf dem Spiel stand, und das, was dort womöglich hätte untergehen können, bedeutete uns viel. Unsere Heimat, unser Zuhause. Unser Land, Familien, Freunde. Unsere Freiheit. Dinge, die größer und wichtiger waren als wir selbst.

Wenn sich heute jemand fragt, warum die Wiedererlangung der Wehrfähigkeit unserer gebeutelten Bundeswehr womöglich etwas schwieriger werden könnte, als Herr Pistorius sich das so vorstellt, der findet im historischen Vergleich die Antwort. Womit soll sich Malte-Torben Wurstfrisur identifizieren? Woher soll Rosmarin-Leander Jammerlapp wissen, was Freiheit ist? Wie soll Laura-Sophie Problempony erahnen, dass es eigentlich nicht die Aufgabe der Bundeswehr ist, vielfältig, tolerant, bunt und fair zu sein?

Ende nach 40 Jahren

Das Land, in dem wir leben, ist nicht mehr das Deutschland, für das ich einst den Eid schwor. (Das zu sagen, ist heute schon fast ein Fall von „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ angesiedeltem Hass und Hetze.) Wer will sich noch für unsere siechende Heimat den Arsch aufreißen? Wer sieht noch so etwas wie Heimatgefühl, Traditionsempfinden und Wertekanon in der polit-medialen Kakophonie des woken Wahnsinns?

Für mich endete die innere Identifikation mit meinem ehemals so geliebten Beruf am 7. Juli 2023, exakt 40 Jahre nach meinem Dienstantritt bei den Grenadieren. Mit schönem Gruß an den IBuK.

Lesen Sie heute zum gleichen Thema: Kein Pflichtsterben für diesen Staat

Martin Toden (60) ist studierter Personalentwickler, Reserveoffizier der Bundeswehr und blickt auf 40 Jahre zivile und militärische Führungserfahrung zurück. Er schreibt hier unter Pseudonym.

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

netiquette:

Markus Viktor / 02.05.2025

Auch wenn viele für dieses Land nicht - mehr - kämpfen wollen, so gibt es doch auch viele mit Wohlstand, den sie ungern etwa an die Russen verlieren wollten. Insbesondere Immobilieneigner und vom Staat überdurchschnittlich Alimentierte, und unter ihnen etliche, die dafür gerne andere in den Krieg schicken würden. „Du sollst nicht springen, du Wichser!“ Nein danke. Derartige Sprüche bei der Bundeswehrmacht finden nur solche gut, die den Fronteinsatz verdient haben.

Emma W. in Broakulla / 02.05.2025

@L.Luhmann - Diese Debatte hat hier aber nicht statt gefunden sondern nur in Ihrer Fantasie. Niemand hat das in Erwägung gezogen.

Heinrich Bleichrodt / 02.05.2025

@Jörg Müller - Volltreffer, so ist es - und schlimmer.

Dr. Guido Scherer / 02.05.2025

Ich bin älter und leistete nur Wehrpflicht 1979-1980. Aber aus genau der gleichen Überlegung bzw. Idee wie Sie. Meine Eltern hatten den Nationalsozialismus erlebt, mein Vater war in der Hölle des 2. Weltkrieges. Viele meiner Lehrer am “Humanistischen (!) Knabengymnasium” auch. Ich war christlich erzogen worden. Natürlich musste dieser beste Staat, der jemals auf dieser Erde stand, die Freiheit, die Chancengleichheit (ich komme aus sehr einfachen Verhältnisse: rein wirtschaftlich!), verteidigt werden. Verteidigungsrmee und das alte römische Wissen: “Vice pacem: para bellum!”. Allerdings war meine Identifikation mit diesem Staat mit einem Schlag vorbei, als Merkel mit dem Adjektiv “alternativlos” für eine politische (!) Entscheidung die Republik in ein totalitäres System überführte und dafür nicht (außer der AFD später) kritisiert und sogar wieder gewählt wurde. Ich war neben vielem Anderen (ich wurde Arzt: An der Front) auch an Geschichte immer explizit interessiert. Und ich wusste: “Alternativlose” politische Entscheidungen gab es nur beim GröFaZ, Josef Stalin, Mao Zendong, Pol Pot oder Idi Amin et. al. Nach meiner Vorgeschichte war diese Erkenntnis zu “Alternativlos” sofort da: Ein Reflex.

Günter H. Probst / 02.05.2025

Wenn man die Massenvergewaltigungsorgie am 2. Mai in Berlin und die Vertreibung von 12 Millionen D aus Ostdeutschland vergißt, kann man nicht zu einer korrekten Einsicht von Verteidigung kommen. Man verteidigt auch nicht seinen Staat, sondern man verteidigt seine Familie, die wehrlosen Großeltern und Kinder, und die Frauen. Nicht umsonst beruhte alle Verteidigung auf dem Mann und seinen Söhnen, die bewaffnet auf der Hausschwelle standen. Die heutige staatliche Struktur der Verteidigung beruht auf den Massenarmeen und den industriellen Waffen, wie sie nur Staaten organisieren können. Diese Struktur hat auch die Einbindung von Frauen in die Armeen möglich gemacht. Daß die Verteidigung in D, im Gegensatz etwa zu Finnland, so umstritten ist, hat mit der Erfahrung eines verlorenen Angriffskriegs zu tun, der gerade zum Schluß die Verteidigung unmöglich machte, aber Millionen das Leben kostete. Die daraus im GG geronnene Erfahrung, den Angriffskrieg zu verbieten, ist wichtig, und gibt dem Wehrpflichtigen Entscheidungsfreiheit. Zudem fällt es jeder Gesellschaft mit nur einem Sohn schwer, dessen Kriegstod zu verkraften. Was passiert, wenn man denkt, es gäbe keinen Krieg mehr, oder man müsse sich nicht verteidigen, haben die F 1940 bitter erfahren. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, daß den Einzelnen, der sich zum Töten für unfähig hält, schützen soll, ist im bürokratischen Alltag zum Recht geworden, sich im Krieg nicht töten zu lassen. Das gilt jetzt für Alle.

Christiane Neidhardt / 02.05.2025

@Hans Joachim Gille: Bei der NVA der DDR wurde allerdings auch trainiert, wie man Angriffe mit Messern abwehrt. Die NVA der DDR hat dazu auch “Lehrfilme” produziert, die erhalten geblieben sind und heutzutage den schon länger hier Lebenden bei der Bewältigung des Alltags behilflich sein können: “YouTube Lehrfilm NVA Messerangriff.”

Emma W. in Broakulla / 02.05.2025

Es ist schon erstaunlich das hier fast allen Kommentatoren nicht ansatzweise der Gedanke kommt das ein Land auch angegriffen werden könnte? Der liebe Russe würde es ja niemals tun selbst wenn man ihn durch komplette Entwaffnung quasi einladen würde, oder auch kein anders Land welches militärisch hoch gerüstet ist. Kriege können aber nur vermieden werden wenn kein Land der Welt über Militär verfügt - etwas das leider niemals eintreffen wird. Also bleibt nichts übrig als das die Länder über soviel Militär verfügen das ein kriegerischer Angriff für den Angreifer ebenfalls sehr unangenehme Folgen haben würde. Und zum Militär gehören zwangsläufig nun auch mal Soldaten.

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