Jesko Matthes / 19.10.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 31 / Seite ausdrucken

„Wir sprechen hier von Inländerrecht!”

Zugegeben: Mit der Administration kann man lustige Erfahrungen machen. Im Jahre 1991 steuerte ich, frisch examinierter Arzt, das Approbationsbüro der Berliner Innenverwaltung an. Es befand sich am Fehrbelliner Platz, der wegen seiner architectura tertii imperii eine Zeitlang so verpönt war, dass der SPD-geführte Berliner Senat in seine Mitte einen knallrot gefliesten U-Bahnhof setzen ließ, als baupolitischen Kontrapunkt. Ich legte meine Examensurkunde vor und meinen Personalausweis, dazu das polizeiliche Führungszeugnis: ohne Einträge. Das genügt nicht, wurde ich beschieden, wir benötigen ihren Staatsangehörigkeitsnachweis. Hier, sagte ich, steht im Personalausweis: deutsch. Nee, Sie brauchen eine Staatsbürgerurkunde. Okay, sagte ich, dann lassen Sie sich das aus dem Einwohnermeldeamt kommen. Das müssen Sie selber machen, wir haben da ein Merkblatt. Ich las: Nach dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1916... haben Sie als Antragsteller den Nachweis ihrer deutschen Staatsangehörigkeit zu führen, dessen Mindestvoraussetzung die deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters des Antragstellers bzw. dessen Anerkennung als Volksdeutscher…

Moment mal, was ist mit meinem Kommilitonen N., der in Riga geboren ist, das zu Lettland gehörte, aber Teil der Sowjetunion war, als er zur Welt kam, und der lettisch-jüdische Eltern hat? Was mit meiner Kommilitonin F., die in Damaskus geboren ist? Sie haben beide einen deutschen Personalausweis und ihre Approbation bereits erhalten. Da gilt Ausländer- bzw. Einbürgerungsrecht. Wir sprechen hier von Inländerrecht.

Unverrichteter Dinge zottelte ich zurück in die rote U-Bahn und fuhr zu meinem Vater, der mich mit 65 Jahren in zweiter Ehe gezeugt hatte. Er war 90 Jahre alt. Rüstig. Kernig. Kein Problem, Junge, sagte er, stand auf und griff hinten rechts in den Kleiderschrank. Hinter seinen Unterhosen lag eine braune Tasche, die wir nach Altberliner Tradition nur die „Katze“ nannten. Darin befanden sich die Postsparbücher und Notgroschen, das wusste ich. Vater zog eine postkartengroße, in Pergamentpapier steckende schwarze Folie hervor und sagte: Damit gehst du zum Mikrofilm-Center Klein in der Bundesallee und lässt es negativkopieren und vergrößern. Da steht alles drin.

Immer die gleichen Duftmarken

Ich ging zu Fuß, es war nicht weit. Im Mikrofilmcenter nahm ein Mitarbeiter routiniert den Auftrag an, für zwölf Mark konnte ich die Vergrößerungen am nächsten Tag abholen. Es waren ca. zwanzig Seiten Papiere, größtenteils aus dem Jahre 1935. Sie bezogen sich auf das Reichsgesetzblatt I, S. 1146 vom 15. September 1935. Es folgten mehrere Seiten einer beglaubigten Ahnentafel. Wilhelm Matthes, Sohn des Paul und der... (für ehelich anerkannt), Paul Matthes, Sohn des Albert und der..., Albert Matthes, Sohn des... und der… Paul Matthes zuletzt wohnhaft Hufelandstraße 31… und so weiter. Das Ganze war mehrfach abgestempelt mit Reichsadler und Hakenkreuz und endete mit einem zusätzlichen Schriftstück aus Vaters Entnazifizierung: Mitläufer. - Damit soll ich zur Senatsinnenverwaltung? Ja, sagte Vater, das ist ein amtliches Dokument. Und nimm den Mikrofilm mit, sicherheitshalber, er gilt als Original. Was heißt, „für ehelich anerkannt“? - Mein Vater hat mich zur linken Hand gezeugt, mit einer Minderjährigen, damals also unter 21, sagte Vater. Unwillkürlich leise fuhr er fort: Es heißt, mit einem jüdischen Mädchen, Name unbekannt. Wenn das aktenkundig geblieben wäre, dann hätte ich jede Menge Schwierigkeiten bekommen. Halbjude. Mir reichte, dass ich bei meiner bösen Stiefmutter aufwachsen musste, wie im Märchen. Lassen wir das. Vaters Augen waren feucht, und ich nahm in kurz in den Arm. Ein Jahr später starb er.

So von ihm ausgerüstet fuhr ich wieder zum Fehrbelliner Platz. Angesichts der Hakenkreuze erhellten sich die Gesichter sofort. Binnen einer Viertelstunde erhielt ich meine Staatsbürgerurkunde, gegen eine Aufwandsgebühr von fünfzehn Mark. Man war zufrieden: Die Approbationsurkunde geht Ihnen postalisch zu. Ich dankte und schrieb einen bitterbösen Brief an den Innensenator. Ich hackte ihn in Vaters mechanische Triumph-Adler: Es sei lächerlich, auf einen Personalausweis „deutsch“ zu schreiben und dann das Lächeln der Behörde bei der Vorlage von Hakenkreuzen durchleben zu müssen. Ich erhielt nie eine Antwort.

Wie sehr sich ein Land verändern kann, dachte ich neulich. Aber es hat sich überhaupt nicht verändert. Überall, wo man auch nur „rechts“ wittert, meint die Linke weiter, rote Duftmarken setzen zu müssen. Schon Glockenspiel und Turm der Garnisonkirche in Potsdam sind Ärgernisse, obwohl der „Tag von Potsdam“ für die Nazis ein ziemlicher Reinfall war. Der Gefreite Hitler im Frack in tiefer, liebedienerischer Verbeugung, süßlich lächelnd vor dem greisen Reichspräsidenten in Uniform. Aufnahmen, die die Nazis ungern zeigten. 

Immer der gleiche geistige Kurzschluss

Heute läuft es ähnlich, nur anders. Wo Linke brandschatzen, Bilder, die nie gezeigt werden, wird der gescheiterte Erste Bürgermeister einer Hansestadt zum Finanzminister befördert und kandidiert für den SPD-Vorsitz; wo Rechtsradikale morden, trägt „Rechts“ die Schuld, ungefähr so, als trüge Willy Brandt die Schuld am Terror der Gudrun Ensslin und des Andreas Bader. Wo Linke Baustellen anzünden, so wie einst die RAF Kaufhäuser, fällt es unter den Tisch. Dafür sind die Hakenkreuze im Darknet verschwunden, werden sporadisch auf Herrentoiletten geschmiert und zuweilen auf jüdische Grabsteine, immer noch, immer wieder. Bis in Berlin Synagogen und in Halle Juden angegriffen werden. Den Zustand, der den Islamisten auf freien Fuß setzt und sich beherzt dem Kampf gegen rechts widmet, nennt man „Rechtsstaat“ respektive „innere Sicherheit“. Die Administration hat allerdings aufgehört, über Hakenkreuze zu lächeln und widmet sich ihrerseits dem Kampf gegen rechts. Dazu ruft sie nicht sich, sondern die Gesellschaft auf, ergötzt sich an Demonstrationen und Lichterketten. Die inhaltliche Auseinandersetzung, die sie im Bundestag verweigert, verlagert sie auf die Straße und nennt es „Mut“. Diese Sorte Mut kenne ich auch von einer ganzen Reihe evangelischer Kirchentage seit 1983. Konservative haben selbstverständlich ein Zuhause in der evangelischen Kirche, in etwa so, wie Antisemitismus keinen Platz hat in unserer Gesellschaft. 

Und noch eins hat sich nicht geändert. Bin ich Deutscher, dann lege ich meinen rechten Zeigefinger auf einen Scanner, wenn mein neuer Personalausweis die Innereien der Bundesdruckerei erfolgreich verlassen soll, und ich darf auf dem Foto nicht lächeln, wozu auch. Bin ich Migrant, dann werfe ich meine Papiere spätestens in Österreich in den Müll und berufe mich in Kiefersfelden auf das Asylrecht. Erwähne ich das, bin ich ein rechter Hetzer. Geschenkt, das ist meine übliche Rolle. Ich bin der Typ, der den Ariernachweis seines Vaters einen intelligenten Witz findet, mit gutem Grund, und gerade deshalb so gern in die bunte Suppe spuckt, die mir die Politik tagtäglich anrührt. 

Das Seltsamste aber: Das, was an den Grenzen meines Landes seit 2015 nicht geht, das funktioniert im Inländerrecht problemlos: Kontrolle. Ich habe die falsche Meinung? - Ich muss vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Ich bin Soldat und für law-and-order? - Der MAD muss mich beobachten, denn ich wäre am Ende gar im Stande, AfD zu wählen. Ich poste einen Kommentar in den „sozialen“ Medien, der sich auf Verfehlungen von Migranten bezieht, und spreche sachlich von unnötiger zusätzlicher Kriminalität? - Facebook muss das sofort löschen und mich sperren! Die Speicherfristen für solche schlimmen Hassverbrechen müssen verlängert werden. Meine einschlägigen Verbindungen nach Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Thüringen müssen überprüft werden. Aha. Ich habe doch tatsächlich einen Freund in Michendorf, der Sportschütze ist und leere Patronenhülsen selbst wieder lädt. Er hat mir auf dem Schießstand schon einmal seinen Vorderlader, Baujahr 1832, überlassen. Ich habe ihn abgefeuert. Daneben. Fahrkarte. Das ist ja sehr verdächtig.

Wie formulierte doch der jetzige Bundespräsident, als er noch Außenminister war, offenbar im direkten Blick auf mich: Häme, Hass und Härte dürften sich nicht durchsetzen. Selbst romantische Ironie: verboten. In der Regel begründet er das irgendwie mit Hannah Arendt. Verflixt, wie romantisch, wie ironisch muss ich schon geworden sein, wenn ich immer den gleichen geistigen Kurzschluss erleide. Antisemitismus hat hier bekanntlich keinen Platz! Ich sehe ihn, meinen Bundespräsidenten, wie er einen Kranz niederlegt am Grabe Yassir Arafats. Ich lese ihn den Ayatollahs gratulieren zum Jubiläum ihrer mörderischen theokratischen Diktatur. Ich greife ins Bücherregal, zu Raul Hilberg und danach zu Hannah Arendt und lese ihren Bericht von der Banalität des Bösen. Ich versuche, mich zu beruhigen. Alles easy, alles Antifaschisten, wie ich. Ich entkorke ein Bier, gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516. Prost! Stop thinking! Verbietet uns endlich etwas!

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Robert Jankowski / 19.10.2019

Ich bin mittlerweile gespannt, wie sich meine häufigen Kommentare auf Achgut.com auf meine berufliche Situation auswirken werden und ob ich nicht bereits auf einer “Liste” gelandet bin, zusammen mit den anderen Rechtsterroristen, die sich hier herumtreiben. Da brauchts dann den Fingerabdruck nicht, es reicht der Abdruck, den man im Netz hinterläßt.

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