Roger Letsch / 12.11.2019 / 06:20 / Foto: Zumutungen / 116 / Seite ausdrucken

“Wir sind Rechtsstaat”

Betrachten wir mal Folgendes als „Regel der Vernunft“ im Marketing: Man gibt nicht hunderttausende Euro für eine Kampagne aus, wenn das beworbene „Gut“ so alternativlos ist wie die Luft zum Atmen. Haben Sie jemals davon gehört, dass das Landwirtschaftsministerium für die Verwendung von Erde für den Ackerbau wirbt? Oder ein Wasserwerk uns darum bittet, es beim Duschen doch mal mit Wasser zu versuchen? Oder dass eine Kfz-Zulassungsstelle mit „Zieh Dir da mal Eine“-Plakaten auf ihre Wartenummern hinweist?

Auf solche Ideen kann eigentlich nur kommen, wer bedenkenlos das Geld anderer Leute ausgeben kann, weil man es für einen nachwachsenden Rohstoff hält. So auch unsere geliebte Bundesregierung. Das Bundesministerium für Justiz macht mit seiner Imagekampagne „Wir sind Rechtsstaat“ nämlich genau das. Auf der Homepage des BMJV wird die Kampagne wie folgt angeteasert:

Mit einer bundesweiten Kommunikationskampagne wollen wir den Rechtsstaat sichtbarer und verständlicher machen und das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Wir zeigen die Bedeutung, Vorteile und Errungenschaften des demokratischen Rechtsstaats für den Einzelnen.“

Sichtbar machen kann man nur, was unsichtbar und Stärke hat nötig, was schwach ist. Nun ist unser Rechtsstaat und die Gewaltenteilung zumindest theoretisch eine feine Sache, praktisch funktioniert sie leider nur mangelhaft, wie erst neulich auch der EuGH feststellen musste. Aber egal, wie funktional oder dysfunktional unser Rechtsstaat auch sein mag. Die Kommunikationskampagne zu seiner „Sichtbarermachung“ stellt – sicher ohne dass ihre Macher sich dessen bewusst sind – den Status quo in Frage. Offenbar sieht das BMJV unter der SPD-Ministerin Christine Lambrecht bin unserem Land Kräfte am Werk, die gerade nicht auf Rechtsstaat und Gewaltenteilung setzen, weshalb man um sie werben und ihnen erklären muss, worin die Vorzüge liegen. Aber Vorzüge im Vergleich wozu?

Aufmunterung für die Polizisten?

Haben die Bürger dieses Landes die Möglichkeit, den Rechtsstaat abzulehnen? Gibt es alternative Angebote? Oder alternative Nachfrage? Hat der Rechtsstaat nicht eigentlich Verfassungsrang und jede Kraft, die versucht, ihn abzuschaffen oder zu schwächen, ist ein Auftrag für Verfassungsschutz und Justiz? Falls dies so ist, an wen mag sich die Kampagne wohl richten? An alle, die im „besten Deutschland leben, das es je gab“ doch sicher nicht. Wozu etwas Selbstverständliches sichtbarer machen, wenn es so toll funktioniert, ohne dass es „sichtbarer“ sein müsste.

Vielleicht richtet sich die Aktion an jene, denen aufgefallen ist, dass dem Staat das ihm zugesprochene Gewaltmonopol allmählich aus den Händen gleitet, auf dass die Opfer dieses Versagens ihr Leid besser annehmen? Entschuldigt man vielleicht kulturelle Rabatte bei der Bewertung einer Straftat und dem Strafmaß damit, dass die „Sichtbarkeit” des Rechtsstaates eben von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann? Möglicherweise soll es ja auch eine Aufmunterung sein für die Polizisten, denen die undankbare Aufgabe zufällt, geltendes Recht immer häufiger mit Macht und zahlenmäßiger Überlegenheit durchzusetzen, weil immer mehr Menschen die Grenzen dieser Macht austesten? Wenn Grenzen nach außen fehlen, werden sie offenbar nach innen umso leichter überschritten.

Ein Merkmal des Rechtsstaates und einer funktionierenden Demokratie ist es, dass sich die überwiegende Mehrheit der Bürger freiwillig, aus Einsicht und ohne Zwang an die aufgestellten Regeln hält. Je geringer diese Einsicht, umso mehr nähert man sich einem Polizeistaat oder einer überlasteten, ineffizienten Justiz. Wenn die Kampagne etwa auf die Frage „Warum dauern manche Gerichtsverfahren so lange?“ antwortet, „Komplexität, Personalmangel, Beweisaufnahmen und Gutachten“ zögen Verfahren in die Länge, lässt man die tieferen Ursachen völlig aus dem Blick. Zwar leidet die Justiz tatsächlich unter Personalmangel, doch liegt das vor allem daran, dass Art und Anzahl der Fälle durch eine Vielzahl bisher fast unbekannter Delikte geradezu durch die Decke gingen oder manche Politiker mit ihrer Anzeigefreudigkeit ganze Heerscharen von Ermittlern beschäftigen können. Und natürlich dürfen wir den allen ins Stammbuch geschriebene „Kampf gegen rechts” nicht vergessen, der neuerdings aus jedem Bürger einen Bürgerermittler und Bürgerrichter macht.

Aber mit der Unabhängigkeit der Justiz ist es nicht weit her, wenn deren Urteile von der Legislative unterwandert und von der Exekutive nicht durchgesetzt werden. Ich erinnere nur an den Fall „Miri“ in Bremen, wo ein rechtskräftig Abgeschobener nach seiner illegalen Wiedereinreise erst erneut Behörden und Gerichte beschäftigte und nun zum zweiten Mal mit dem Privatjet abgeschoben wird. Wieviele Luxus-Abschiebungen man wohl für den Preis einer Rechtsstaat-Image-Kampagne durchführen kann? Oder man denke an die politische Entscheidung, willkürliche „Kontingente“ von Migranten per Ukas und damit unter Umgehung rechtsstaatlicher Verfahren ins Land zu holen, dort ihre mangelnde Asylberechtigung festzustellen und sie dann dennoch so gut wie nie wieder abschieben zu können.

Friedliches Miteinander?

Die Gewaltenteilung sorge, so die Macher der Image-Pflegeserie, „seit Jahrzehnten für eine Machtbalance, für ein friedliches Miteinander“ und „schütze die Menschen vor staatlicher Willkür“. Nur dass der Staat diese Willkür gegenüber dem Bürger heute nicht mal selbst ausüben muss, sondern an NGOs auslagert, die ganz in seinem Sinne handeln. Egal ob Dieselfahrverbote, Netz-Zensur oder Klimanotstände – die Gerichte nickten regelmäßig Maßnahmen im Namen der „Allgemeinheit“ ab, was man überall, nur nicht in Deutschland, wahlweise als staatliche Willkür oder Ohnmacht bezeichnen würde.

Auf mich wirkt die staatlich bestellte Kampagne „Wir sind Rechtsstaat”, als solle der Eindruck erweckt werden, die Regierung sei es, die dem Volk den Rechtsstaat „schenkt“. Dabei gehört er ihm schon immer, wird aber schlampig verwaltet. Wie sonst käme ausgerechnet das Justizministerium auf die Idee, die teure Werbetrommel für den Rechtsstaat zu rühren, anstatt ihn einfach wirksam durchzusetzen? Wozu also Geld in diese sinnlose Kampagne stecken? Angesichts dieser Verschwendung kommt es einem vor, als säße man wartend auf den Fluren eines Amtsgerichts, dem zwar Richter, Staatsanwälte und Angestellte fehlen, wo der Putz von der Decke rieselt und vorbeihastende Bedienstete Disketten in den Händen haben, den Wartenden aber Sekt und Häppchen mit der Aufforderung gereicht werden, bei Tripadvisor eine gute Bewertung abzugeben.

Handelt es sich hier etwa um eine besonders subtile Art des Humors oder wird hier Online simuliert, was Offline längst auf Knirsch und Verschleiß gefahren wird? Und was sollen uns Motive wie die knutschenden Breschnew und Honecker unter dem Slogan „Wir sind Einigkeit und Recht und Freiheit“ wohl sagen? Dieses Motiv würdigt nicht einen wichtigen historischen Jahrestag dieses Jahres: 30 Jahre Mauerfall“, wie es auf der Webseite der Kampagne heißt, sondern gibt ihn der Lächerlichkeit preis. Da hilft es auch nicht, das dieses Bild im Mauermuseum zu finden ist. Die Kollaboration und der Austausch von Körperflüssigkeiten zweier Diktatoren hat im Kontext „Rechtsstaat” schlicht nichts verloren.

Hatte das Justizministerium ganz andere Zielgruppen im Sinn?

Es kann natürlich sein, dass ich das alles völlig falsch verstehe. Vielleicht ist die Zielgruppe der Imagekampagne ja gar nicht der Bürger, der sich geräuschlos und meist instinktiv an die Regeln des Rechtsstaates hält, wodurch er das System überhaupt erst ermöglicht, weil er selbst dessen Durchsetzung nicht bedarf, weil er gerade nicht ständig und mit Nachdruck an die Regeln erinnert werden muss. Vielleicht soll die Kampagne aber auch Politiker wie den Berliner Grünen Dirk Behrendt zur Ordnung rufen? Der ist nämlich Justizsenator in ausgerechnet jenem Bundesland, in dem die Justiz im denkbar grauenhaftesten Zustand ist – was man am Krankheitsstand von teilweise über 40 Prozent gut ablesen kann. Ausgerechnet Behrendt bescheinigte nun dem Bundesland Hessen, dass es dort mit dem Rechtsstaat „nicht weit her“ sei. Ruft da jemand „Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken.“? Eigenartig, oder?

Bleiben noch zwei weitere mögliche Adressaten. Einerseits jene „Kreise“, die unsere Justiz eher als Mitbewerber bei der Rechtsfindung und die Polizei als eine Gewalt ausübende Partei unter vielen betrachten – eine Partei, die sich besser „raushalten“ solle. Jene Kreise, die Dinge „unter sich“ regeln, die Scharia für „mit dem Grundgesetz kompatibel“ halten und der Polizei und den Gerichten nur zu gern „Arbeit abnehmen“ würden, oder aber mit der Selbstermächtigung nach der Art eines „anarchistischen Manifests“ nicht über, sondern anstelle geltenden Rechts schalten und walten wollen, wie es ihnen beliebt.

Die andere Gruppe, welche die eher dürftigen Inhalte der Imagekampagne mit Gewinn lesen könnte, ist ein recht bunter Haufen. Dieser besteht aus Politikern, die glauben, juristisch gültige (Wert-)Urteile über ihre Mitbewerber aus der Hüfte abfeuern zu dürfen. Darunter sind aber auch stolze Haltungsträger, die glauben, von ihnen gefällte Werturteile auch gleich vollstrecken zu dürfen, oder „Medien- und Kulturschaffende“, die glauben, der Exekutive deren Arbeit erklären zu müssen und gern mit brennenden Fackeln zur Stelle sind, wenn irgendwo ein Scheiterhaufen aufzurichten ist. Jener Gruppe sei ein Spruch aus der überflüssigen Kampagne empfohlen, der sich unter dem Punkt „Was habe ich vom Rechtsstaat“ versteckt: „Schuld muss nachgewiesen werden. Bevor die Strafverfolgungsbehörden [und nur diese] einer beschuldigten Person die Schuld nachgewiesen haben, gilt sie als unschuldig – unabhängig davon, was ihr zur Last gelegt wird.“

Die Betonung liegt auf Schuld – von Haltung, Gesinnung, Freundlichkeit, Nützlichkeit oder Opportunität ist nirgends die Rede.

Dieser Beitrag erscheint auch auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Das Aufmacher-Mem stammt von Zumutungen. Mehr Zumutungen hier.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Peter Reindl / 12.11.2019

Das Bundesjustizministerium kann machen, was es will. Gern auch das 20igfache an Geld ausgeben. Bei dieser Karikatur von Chef bringt das nichts.

Werner Liebisch / 12.11.2019

Rechtsstaat ist, wenn dir beim Kölner Karnevals-Auftakt jemand einen Kabelbinder um den Hals legt, dann zuzieht, und die Staatsanwaltschaft Köln das Geschehen als gefährliche Körperverletzung einstuft…

Wolfgang Nirada / 12.11.2019

5000 Euro Strafe für einen stinkbesoffenen Todraser der ein junges Leben ausgelöscht hat. Für die Vernichtung von Wespen ist dagegen ein Bußgeld von bis zu 65.000 Euro vorgesehen. Über 100.000 verurteilte Straftäter die eigentlich längst im deutschen Luxusknast sitzen sollten - aber sich mitten unter uns befinden. Straftäter mit 640 Straftaten die ebenfalls immer noch auf freien Fuß sind. An jeder zweiten Hauswand werden Polizisten als Bastarde beleidigt (ACAB) was anscheinend niemand stört - aber Gerichte sofort hellhörig werden bei “Goldstück” oder “Mörder” statt “mutmaßlicher Mörder” (siehe Martin Sellner)... Toller Rechtsstaat!! Waaahnsinnig toll!!!

B. Ollo / 12.11.2019

Und schon wieder platzen alle meine Illusionen. How dare you? Wenn wir schon keinen funktionierenden Rechtsstaat haben, bin ich doch froh, dass wir wenigstens seit Jahrzehnten mit Milliarden Euros im Alleingang das Klima gerettet haben. Der Klimaschutz wird ja auch massiv beworben. ... Ach? Das ist auch totaler ‘*#+*#; ? Wir haben das Klima gar nicht gerettet? Kein bisschen? Nicht einmal geändert?

Gabriele Klein / 12.11.2019

PS: Auch die Betonung auf “Umweltschutz” ist nur ein Verweis auf das Gegenteil. Nämlich, sich türmende Laub und Müllberge und damit einhergehende Rattenplage, sowie Dieselskandal, überlasteter Straßenverkehr wegen nicht funktionierender öffentlicher Verkehrsmittel und Straßenwartung. Auch der Service den jeder Anlieger im Auftrag der Stadt für das von ihm zu betreuende Straßensegment bestellt für das er voll haftet obwohl er es nicht voll nutzen darf, dürfte für ein signifikantes “Mehr” an Abgas, Staub und Staus sorgen. Im Dienste der privaten Straßenwartung müssen Privatunternehmer nun in alle Himmelsrichtungen ausrücken um Fleckchen weise die vom Staat nicht erledigten Infrastrukturarbeiten im Dienste einzelner Anlieger zu machen. Auch hier wird das “Mehr” an Energie, Ressourcen, Abgasgestank gerade von den Umweltfreunden in Deutschlands Amtsstuben billigend in Kauf genommen. Dem Ganzen verdanken wir das “Wirtschaftswachstum” unserer Regierung…. allerdings kein gesundes. wenn für 10.000 Quadratmeter Straße so 500 bis Tausend Diensteinsätze mit extra Anfahrt erforderlich werden anstatt 1-2.  Von der Büroarbeit ganz zu schweigen…. (pardon, jetzt hab ich was falsch gemacht,die könnte auch weniger werden, zumindest in den Stuben der “Genossen” in der kommunalen Verwaltung….......

Matthias Kaufmann / 12.11.2019

Wer für etwas Selbstverständliches Werbung macht, hat genau damit ein Problem. Wenn ich z.B. lese “Schule ohne Rassismus” schrillen bei mir alle Alarmglocken.

Gertraude Wenz / 12.11.2019

“Wir sind Rechtsstaat” ist in seiner Formulierung schon unterstes Niveau. In Kleinkindsprache, die wohl frech, flott, modern und griffig daherkommen will, entlarvt sich das BMJV selbst. Wir wissen doch, was ein Rechtsstaat ist, verdammt nochmal, wir wollen ihn doch nur eingehalten wissen!!!

Gerdlin Friedrich / 12.11.2019

Ja, der Rechtstaat wird klammheimlich durch Jene geschwächt, ausgehölt,  die ihn auf diese Weise bewerben. Wie eine Ware die man an den Mann bringen will, soll uns verkauft werden, es gäbe ihn uneingeschränkt noch. Wobei Werber und Verkäufer, wie immer bei Werbung, wissen, dass es sich um ein Geschäft handelt, das gemacht werden soll. Schon allein die Formulierung zeigt, mit welcher Münze der Käufer zahlen soll, mit dem Verlust des Denkens, der vollständigen Sprache,  und es scheint doch genau das zu sein, worauf es zielt: Hört auf zu denken, ihr braucht keine vollständigen Sätze, kauft einfach, kauft,

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com