Thilo Schneider / 17.07.2020 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 25 / Seite ausdrucken

Wir Privilegierten

Immer wieder und immer mehr wird ja über den „alten privilegierten weißen Mann“ geklagt und darüber hinaus wird er in Diskussionen ja gerne einmal mit einem „OK, Boomer“ kaltgestellt. Aber dabei stimmt das ja auch! Wir, meine Altersgenossen von 1955 bis 1975 sind ja tatsächlich alte privilegierte weiße Männer (und Frauen). Und warum sind wir das? Weil wir uns das verdient haben!

Wir sind in einer Zeit aufgewachsen, in der Leistung noch etwas galt und einen Wert hatte. In der es solche heute schon anachronistisch anmutenden Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit und den Willen, etwas im Leben zu erreichen, tatsächlich gab und auch von den Elternhäusern (in denen es die klassische Vater-Mutter-Kind Rollenverteilung gab) vermittelt wurde. Wir wuchsen in gepflegten Einfamilien-, Mehrfamilien- oder Hochhäusern auf und hatten jede Menge Spielkameraden. Und nicht jeder dieser Spielkameraden war nett. Jeder von uns wurde auf die eine oder andere Weise gemobbt, wir haben uns gegenseitig verprügelt, aber wenn jemand am Boden lag, war der Kampf entschieden und die Sache erledigt. Kein Nachtreten gegen den Schädel und das belustigte Filmen der Umstehenden. Wer verloren hatte, hatte verloren, wischte sich den Rotz von der Nase und wusste, wen er lieber meiden sollte – oder bei wem er sich revanchieren würde. Unsere Kindheit hat uns auf unser Leben vorbereitet. 

Ich wurde beim Fußballspielen auf der Gasse immer gemeinsam mit Andreas als Letzter gewählt. Andreas hatte eine spastische Behinderung und ich konnte nicht gut spielen. Das hat mich zwar jedes Mal geärgert, aber ich habe mich dann mit Andreas, der immer im Tor herumstand, unterhalten, während bei den anderen Knie und Fetzen flogen. Das war eben so. Natürlich hat Andreas den einen oder anderen Spruch gesteckt bekommen, wie ich auch, aber keiner unserer offensichtlich heterosexuellen Eltern wäre auf die Idee gekommen, jetzt die anderen Kinder oder deren Eltern zu verklagen. Andererseits war Andreas Profi in Mathehausaufgaben und ein wandelndes Latein-Lexikon – naja, und Diskussionen mit mir wurden meist dadurch beendet, mir eine auf die Nase zu geben, weil das Gegenüber an die Wand am Ende seiner Argumentationskette geklatscht war und sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Wenigstens konnte ich schnell rennen – solange ich nicht dabei nach einem Ball gucken musste. Es war, wie es war. 

Tausende von kleinen Glücksmomenten

Uns alle aber einte und eint noch heute der Optimismus darauf, dass der nächste Tag besser als der heutige Tag sein wird, wenn wir nur die magischen zwei Worte „ich will“ aufsagen und uns dann ins Zeug legen. Deswegen hatten wir tausende von kleinen Glücksmomenten: Wenn endlich das in schwerer Freizeitarbeit zusammenverdiente Geld unserer Ausbeuterjobs in Form eines Mofas oder einer Achtziger vor uns stand und wir nicht mehr auf Bus, Bahn und Mama angewiesen waren, um von A nach B zu kommen.

Wir hatten ihn in der Nase, den Geruch von Freiheit, der nach Trockeneis in der Disco, nach Kettenspray und Diesel und nach dem Innenraum vom nagelneuen Auto roch. Unsere Kinder, also Ihr, sollten es nicht besser haben als wir, es genügte und genügt, wenn Ihr es genauso gut haben werdet oder habt, wie einst wir. Deswegen sind wir ja mit Euch verreist und die meisten von Euch haben mit Zwanzig mehr von der Welt gesehen als Eure Großeltern mit Sechzig. Denn die haben ihre Lebenszeit damit verbracht, die Häuser zu bauen, die wir dann geerbt haben und an Euch weitervererben werden. Und hatten die Bürden ihrer Eltern zu tragen, die frisch aus dem Krieg zurück in die verwüsteten Städte kamen. 

Ja, die vermeintlichen und tatsächlichen Privilegien, die wir haben – wie beispielsweise eine geringere Rente, die Besteuerung unserer betrieblichen Altersvorsorge, eine auf der Welt (außer Belgien) einmalig hohe Steuerlast und das Privileg, in einem friedlichen Land mit friedlichen Nachbarn aufzuwachsen – ja, die haben wir verdient. Wir waren allerdings auch keine besserwisserischen Arschlöcher, die dem Rest der Welt erklärten, dass er es gefälligst wie wir machen soll, wenn er es zu etwas bringen will.

Wir haben uns die Welt angesehen und erkannt, dass in anderen Ländern eben andere Sitten herrschen und in unserem Land eben unsere Sitten. Das übrigens auch ziemlich wertfrei. Und wir hielten es irrigerweise für selbstverständlich, dass, wer in die Bundesrepublik kommt, sich auch gemäß den Werten dieser Bundesrepublik verhält und das Land und seine Menschen nicht als einen einzigen großen Bankautomaten betrachtet. Wir hatten und haben, in einem Satz, Wertschätzung für das, was wir erleben durften und was uns ermöglicht wurde. Und niemand hat erwartet, von Mama in die Schule gefahren zu werden.

Wer austeilte, der steckte auch ein

Ich war 1984 in Moskau, wo wir zwecks Studienreise mit Jungs und Mädels aus der DDR im Hotel „Molodjoschnaja“ eingepfercht waren – und die waren wie wir. Im Gegenteil – sogar noch angstfreier. Wie die sich aufgeführt haben, zeigt, wie entspannt sie gegenüber ihrem Regime waren, als wir noch Angst hatten, falsch zu gucken und sofort vom KGB oder der Stasi abgeführt zu werden. Wir tauschten F6 und Marlboro, Musikkassetten und Pali-Tücher gegen Orden und FDJ-Hemden, was in unseren Discos dann riesig einen her machte! Danke an die fleißigen Rostocker, die ihren „SERO“-Wettbewerb gewonnen hatten!

Über Schwimmunterricht für Muslime oder extra Gebetsräume wurde in unseren Tagen überhaupt nicht diskutiert. Entweder machten die „Neu-Hinzukommenden“ mit oder sie waren draußen. Sie hatten die Wahl. Niemand bekam eine verdammte koschere oder halale oder vegane Extrawurst oder extra-Streicheleinheiten präsentiert. Allerdings war das auch nicht nötig. Wer da war, wurde mitgenommen. Ende, aus, Gelände. 

Dieses „Mitnehmen“ wurde uns auch von niemandem oktroyiert, das taten wir ganz allein von uns aus, und nur so und exakt so hat unsere Integration funktioniert. Und wer austeilte, der steckte auch ein. Für wohlige Empfindsamkeiten hatten wir schlicht keine Zeit, da gab es hinter der nächsten Ecke schon etwas Neues zu entdecken. Die CD und die ersten Computer, beispielsweise. Wir wussten, wenn Breschnew oder Andropov heute schlechte Laune haben, dann ist morgen unsere Party vorbei. Also nahmen wir mit, was da war und was uns Freude machte.

Und Grüne in ihren hässlichen Pullovern und den hennagefärbten Haaren fanden wir auch schon 1980 kreuzblöde. Das waren besserwisserische Miesepeter und pseudointellektuelle Dummschwaller, und ihre Kinder, die in unsere Schulklassen gingen, outeten sich als großmäulige Minderleister, verwöhnt und faul und ideologieverstempelt – und daran hat sich bis heute auch nichts geändert. Die Lehrerkinderbrut hat mittlerweile selbst Lehrerkinderkinder in die Welt gesetzt. Natürlich mussten die mit „Mein Freund ist Ausländer“-Buttons herumlaufen. Andere Freunde hatten sie ja nicht, und auch die „Ausländerfreunde“ haben die Flucht ergriffen, sobald sie der deutschen Sprache mächtig waren. 

Ja, wir waren Hedonisten und waren frei – und frei sind wir heute auch noch. Vielleicht nicht immer finanziell, aber in unseren Gedanken. Und so haben wir uns das Privileg geschaffen, glücklich zu sein. Mit dem, was wir aus eigener Kraft erarbeitet und erreicht haben und was wir aus bereits Vorhandenem gemacht haben. Wir alten weißen Männer und Frauen waren und sind wirklich gut!

(Weitere Glücksmomente des Autors unter www.politticker.de

Foto: Timo Raab

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Dirk Jäckel / 17.07.2020

Ich denke, Ihre Beobachtung über den Umgang mit Diktaturen ist richtig. In meiner Zeit als junger Erwachsener (zweite Hälfte 80er) war es gerade unter sächsischen Großstädtern nicht unüblich, illegal in die Sowjetunion zu reisen. So bereiste ich die tadschikischen Berge und die usbekischen Märchenstädte Samarkand und Buchara, deren Namen ich bis dahin nur aus 1001 Nacht kannte. Moskau und Kiew nahm man auf der Rückreise mit, wenn es sich ergab. Wir wussten nämlich nicht, wie wir zurückkommen würden - ja nachdem, welchen (damals in der UdSSR sehr billigen) Binnenflug man wann ergatterte. Wenn es sein musste, machte man eben einen Schlenker über Nordkaukasien. Dabei jedesmal Sorge, ob einem Polizisten auffallen wollte, dass man kein gültiges Visum hatte. An der polnischen Grenze zahlte man dann die überschaubare Strafgebühr für das gnadenlose Überziehen des Transitvisums. Wenn dann Wessis in der DDR zu Besuch kamen, hörte man ab und an ängstliches Gejammer über die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze an. Manches klang, als ob man den Zoll nur knapp überlebt hätte. Wir wunderten uns derweil über den westlichen Angsthaushalt.

Tom Walter / 17.07.2020

Ja, das waren schöne Zeiten. Danke für die freundlichen Erinnerungen. Leider taugen sie nun nur noch für die Erzählungen, die beginnen: Es war einmal ...

Fritz kolb / 17.07.2020

Ja Herr Schneider, wir sind gut und oft genug sogar die besten. Denn wir machen Wertschöpfung, altmodisches Wort, das heute immer mehr in Verruf gerät. Ein ganzes Arbeitsleben lang haben wir genug Steuern abgedrückt, als Rentner unlogischerweise auch noch, soviel, daß davon sämtliche Politlemuren und beamtete Dienstleister ein wohldotiertes Auskommen hatten und haben. Neben vielen anderen Ausgaben, die mit dem Wohlergehen der Bürger im Land nicht das geringste zu tun haben.  Doch die wohlstandsverwahrloste Brut kapiert ja nicht, daß sie an dem Ast Sägen, auf dem sie selber sitzen. Wählen die Grünen Khmer und fühlen sich super dabei. Erst wenn M und P nicht mehr da sind, dann wird sie die raue Wirklichkeit einholen. Ist mir aber sowas von egal, habe keińe Brut in die Welt gesetzt, zumindest weiß ich davon nichts. Und selbst unsere Generation ist bereits mutiert. Einige Exemplare zumindest. Habe gestern zwei ältere Damen beim Nordic Walking gesehen. Nicht nur, daß sie mit diesen lächerlichen Stöcken rumliefen, sie trugen dabei, in freier Natur am Ammersee Maske, Brille, Handschuhe und, man mag es nicht glauben, jeweils einen Fahrradhelm. Wischmeyer hat’s schon in den 90-gern geahnt, als er das Buch „im Land der Bescheuerten und Bekloppten“ verfasste.

B.Jacob / 17.07.2020

Der Grünen Borkenkäfer Schutzpartei verdanken wir zahlreiche sterbende Wälder, was über lang oder kurz unsere Trinkwasserressourcen verknappen könnte. Ach wie hat sie doch geheult, die gute Claudia Roth, nachdem der letzte Baum vom Schlosspark daran glauben musste für Stuttgart 21, da die Grünen keine Planfeststellungsverfahren machen, wo man den Raubbau an der Natur verhindern hätte können, hat doch unsere Claudia geschluchzt, wegen einem kleinen Schluchtenkäfer. Dann kommt bei den GRÜNEN immer was kommen muss, EIN INSEKTIZID WELCHES DEN BORKENKÄFER DER GANZE WÄLDER FRISST, DIESEM ALS MEDIZIN HELFEN KÖNNTE; WURDE VON DEN DEUTSCHEN GRÜNEN VERBOTEN: In Wahrheit sind die Grünen eine Natur und Ökologiekillerpartei. Eine weitere Ursache für sterbende Wälder, IST DAS TOTHOLZ; ALS NISTPLATZ IM WALD VERBLEIBEN, WO DIE BORKENKÄFER FRÖHLICH BRÜTEN KÖNNEN UM DANN DEN WALD KAHL ZU FRESSEN. Die GRÜNE BORKENKÄFER SCHUTZPARTEI, glaubt DIE ERHALTUNG DER WÄLDER IST NICHT WICHTIG UND SO LASSEN SIE IN HESSEN IM REINHARDSWALD GESUNDE BÄUME FÜR WINDRÄDER FÄLLEN: Wenn eines davon brennt, dann gute Nacht schöner Wald. Wer wirklich Naturliebhaber ist, der wählt niemals die GRÜNE BORKENKÄFER SCHUTZPARTEI .Hauptsache unsere Claudia muss nicht wieder um einen Schluchtenkäfer trauern.

Frank Stricker / 17.07.2020

Ich find den Begriff “Minderleister” ganz interessant, hört sich irgendwie so an wie “er, sie, es hat sich bemüht”. Wenn man im Ranking also ganz hinten steht, ist man kein Looser, sondern ein “Minderleister”. So wie aktuell die Wertung von Sat 1, wer ist die Frau in Deutschland, mit der man(n) am liebsten Sex hätte. 15 Frauen standen zur Auswahl, u.a. auch (kein Witz) Ursula von der Leyen. Ich glaub, sie hat Position 16 erreicht…......

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