Peter Grimm / 16.03.2017 / 10:40 / Foto: Rudolf Stricker / 12 / Seite ausdrucken

„Wir lieben Oranje“ - Der Jubel nach dem feigen Schweigen

Ein allseits gefürchteter Kandidat hat zwar Stimmengewinne erzielt, ist allerdings weit hinter dem erwarteten oder befürchteten Ergebnis zurückgeblieben. Die wichtigen Regierungsparteien haben Verluste erlitten, aber die Parteifreunde des Ministerpräsidenten bleiben trotz der Einbußen stärkste Kraft im Parlament. Allein der Umstand, dass das politische Establishment nicht krachend zusammengebrochen ist, reicht für Europas Granden inzwischen schon, einen großen Sieg zu feiern.

"Niederlande, oh Niederlande, du bist ein Champion! Wir lieben Oranje für sein Handeln und sein Tun! Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Ergebnis!", jubelte der deutsche Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU).  Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) freute sich über den "Erfolg für Europa". Als der jetzt gefeierte Ministerpräsident trotz wüster Drohungen und Beschimpfungen konsequent dabei blieb, die Propagandaauftritte zu unterbinden, mit denen türkische Regierungspolitiker in den Niederlanden für Erdogans „Verfassungsänderung“ genanntes Ermächtigungsgesetz werben wollten, hielten sich diese Jubler auffällig zurück. Weder unterstützte der deutsche Außenminister den Nachbarn, noch liebte der Kanzleramtsminister „Oranje für sein Handeln“.

Dabei war es diese konsequente Haltung, mit der Ministerpräsident Mark Rutte den prognostizierten Durchmarsch von Geert Wilders verhindern konnte. Viele niederländische Wähler haben es honoriert, dass sich die Regierung gegenüber der türkisch-islamistischen Führung in der Türkei nicht unterwürfig gezeigt hat. Wer als Holländer zwar islamistische Unterwanderung fürchtet, aber deshalb nicht gleich den Koran verbieten oder Moscheen schließen lassen will, der konnte Rutte wählen und musste seine Stimme nicht Wilders geben, um ein Zeichen seines Unmuts zu setzen. Das lässt sich, was die jetzigen Jubler übersehen, nicht auf die Länder übertragen, in denen sich schon des Rechtspopulismus verdächtig macht, wer die Gefahren des politischen Islam und der ungeregelten Massenzuwanderung vor allem junger Männer, die genau von ebendiesem politischen Islam geprägt wurden, offen diskutieren möchte.

"Schade, dass es nicht geklappt hat, jetzt müssen wir auf das nächste Mal warten. Wir haben auch nicht verloren, sondern vier oder fünf Sitze dazu bekommen. Ich garantiere Ihnen, der patriotische Frühling beginnt jetzt. Die anderen Parteien haben unsere Standpunkte übernommen. Damit haben wir sogar vielleicht mehr Einfluss“, kommentierte Geert Wilders sein – verglichen mit den Erwartungen – schlechtes Abschneiden. Ob nun ein „patriotischer Frühling“ beginnt, ist ungewiss. Aber manche Debatte im neuen Parlament könnte Wilders bestimmt nutzen. Dazu werden ihm womöglich ein paar bislang nicht ausreichend beachtete Wahlsieger dieser Wahl verhelfen.

Die Immigrantenpartei wird erstmals im Parlament vertreten sein

Die noch recht junge Immigrantenpartei Denk wird erstmals  im Parlament vertreten sein. "Die neue Niederlande haben heute eine Stimme im Parlament bekommen“, jubelte Parteiführer Tunahun Kuzu. Kuzus Partei wurde bei ihrer Gründung vor drei Jahren in den Medien, auch in vielen deutschen Medien, mit viel Wohlwollen begleitet. Allerdings scheint es sich mitnichten um eine spontane Parteigründung aus der bunten Gesellschaft heraus zu handeln. Kuzu und sein Mitstreiter Selcuk Öztürk gelten als Gefolgsmänner Erdogans. Für die deutsche Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke) ist Denk eine von „Erdogans fünften Kolonnen“ in Europa:

Als erstes setzte Ankara in den Niederlanden 2014 an. Dort verließen zwei türkeistämmige Abgeordnete, Tunahan Kuzu und Selcuk Öztürk, Ende 2014 die sozialdemokratische Partei (PvdA) im Streit um die Integrationspolitik der Regierung und gründeten die Partei DENK, die sich als Gegenmodell zur rechtspopulistischen, islamfeindlichen PVV von Geert Wilders sieht. Unmittelbarer Anlass war der Beschluss von Sozialminister Lodewijk Asscher (PvdA), türkische Organisationen wie Milli Görüs, die als Arm der Muslimbruderschaft und willfährige Unterstützerin der AKP in Europa gelten, in den Niederlanden schärfer zu überwachen.

Die beiden Abgeordneten waren mit dieser Maßnahme entschieden unzufrieden. Mit ihrer neuen Partei DENK vollziehen sie jeden Schritt Erdogans unkritisch nach und sprechen folgerichtig auch nicht vom Völkermord an den Armeniern. DENK hat bereits 2.600 Mitglieder und könnte bei den nächsten Parlamentswahlen 2017 bis zu fünf Abgeordnetensitze erlangen.“

Fünf Sitze sind es zwar nicht geworden, doch die Präsenz im Parlament dürfte gelegentlich für Aufsehen sorgen, Aufsehen, das Wilders nützen dürfte. Oder bleibt Rutte auch nach dem Wahlkampf so konsequent gegenüber islamistisch-türkischen Anmaßungen?

Der Denk-Abgeordnete Kuzu wird jedenfalls kein Parlamentsneuling sein. Sein letztes Parlamentsmandat hatte er, wie schon erwähnt, noch mit der PvdA gewonnen. Für allgemeine Aufmerksamkeit sorgte Kuzus demonstrative Weigerung, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu bei einem Besuch im niederländischen Parlament die Hand zu geben. Bei seinen Wählern kommt so etwas sicher gut an. Und Wilders wird es zu nutzen wissen.

Der Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier

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Leserpost

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Gerd Scheiber / 16.03.2017

Nein, Rutte wird gegenüber den islamisch-türkischen Aggressoren überhaupt nicht konsequent bleiben, es war lediglich ein günstiger Moment den niederländischen Wahlbürgern ein wenig Sand in die Augen zustreuen. Nun, da das Wahlergenbnis noch gar nicht amtlich, aber doch eindeutig ist, hat Herr Rutte die Rolle rückwärts und die Wiederversöhnung mit der Türkei angekündigt. Warum sind Wahlbürger nur immer so leicht zu täuschen, warum wählt man nicht das Original ? Dazu dann noch die Antiintegrationspartei erstmalig im Paralament, in Rotterdam hat sie die PvdA massiv geschlagen. Nein nicht Wilders profitiert davon, vielmehr werden die Weichen gestellt für die Unterwanderung der niederländischen Freiheitskultur.  Man muss nur das “Programm” dieser Leute lesen, dann weiß man wohin der Zug fahren soll. Nein Europa hat nicht gewonnen, sondern steht weiterhin im Begriff alles zu verlieren.

Hermann Neuburg / 16.03.2017

Herr Rutte möchte jetzt gleich nach der Wahl wieder versöhnliche Töne mit der Türkei anschlagen, keine Aufforderung an die Türkei, dass sie sich zu entschuldigen hätte oder den ausgewiesenen Botschafter wieder in Land lässt. Also die Härte nur populistische Wahltaktik?

Uta-Marie Assmann / 16.03.2017

Wenn man sieht, wie Rutte heute, also einen Tag nach der Wahl, gegenüber der Türkei bereits verbal zurück rudert, dann weiss man auch, was man von seiner Konsequenz zu halten hat: Wahlkampfmanöver. Kann man im übrigen auch hervorragend bei Herrn Schäuble und Konsorten beobachten.

Petra Wilhelmi / 16.03.2017

Die paar Sitze mehr sind kein Erfolg für Wilders. Rutte hat sich Erdogan zu Nutze gemacht oder beide haben miteinander gespielt, damit jeder das bekommen kann, was er will. Denken wir daran, dass Rutte ein Merkelfreund ist. Er wird nicht wirklich gegen Erdogan spielen. Wenn man bedenkt, dass den meisten Stimmenzuwachs die Linksgrüne erhalten hat, auf nicht sehr hohem Niveau zwar, sollte man darüber nachdenken. Dazu kommt noch die Muslimpartei. Die Wahlerfolge dieser beiden Parteien - das ist der Umbruch in den NL.

Sepp Kneip / 16.03.2017

Eines hat uns die Wahl in Holland gezeigt. Rutte imitiert Wilders und wird stärkste Partei. Warum man nicht gleich das Original wählt? Dreimal darf man raten. Es ist die Angst vor der Stigmatisierung und er Ausgrenzung. Die “Etablierten” mögen es bejubeln, aber die Demokratie nimmt Schaden. Auf das Gehacke bei der Regierungsbildung darf man gespennt sein. Einen “Erfolg” hat das Ausgrenzen der “Rechten”. Eine Islampartei darf ins Parlament einziehen. Erdogan hat einen Fuß drin.

Bernhard Freiling / 16.03.2017

Das ist ein umwerfender Erfolg der bisherigen Regierungsparteien der Niederlande, der jeden Jubel rechtfertigt. Von ehemals 79 Sitzen (von insgesamt 150) im Parlament, über die die Großkoalitionäre, nämlich die Rechtsliberalen und die Sozialdemokraten bisher verfügten, blieben noch 42 übrig. Die absolute Mehrheit von 51,3% ist auf 27% geschrumpft. Einen solchen Erdrutschsieg wünsche ich den Regierungsparteien des Landes derjenigen, die schon länger dort leben, auch und werde mich mit großer Freude an den dann folgenden ausgegelassenen Jubelschreien der Herren Altmaier und Schulz beteiligen. Mal ehrlich: Kann solch eine Berichterstattung wahr sein? Worüber freuen sich Merkel, Schulz und Altmaier? Ich will ja nicht sagen, die haben sie nicht mehr Alle. Aber Zweifel daran, ob die sie der Reihe nach gebrauchen, sind angebracht.

Wolfgang Richter / 16.03.2017

Ohne Wilders im Nacken hätte Rutte sich möglicherweise gegenüber den türkischen Wahlkämpfern im Lande moderater verhalten. Insofern hat Wilders quasi mit gewonnen, nicht nur an Sitzen für die eigene partei, sondern auch im veränderten Denken zumindest einiger politischer Konkurrenten.

Karla Kuhn / 16.03.2017

Ja so ist das. Die Jubler reden sich den “Sieg schön.  “Viele niederländische Wähler haben es honoriert, dass sich die Regierung gegenüber der türkisch-islamistischen Führung in der Türkei nicht unterwürfig gezeigt hat.” Wenn der Sieg nur darauf beruht, dann frage ich mich wie viel er wert ist, außerdem hat Rutte gegenüber der letzten Wahl viel verloren und Wilders hat zwar nicht gewonnen aber immerhin einige Sitze dazugewonnen. Die Realität sieht nämlich nicht so rosig aus, wie es die Jubler gerne hätten.  Sie sollten mal die Kirche im Dorf lassen und vor allem die Regierungsbildung abwarten.

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