Interview / 16.05.2022 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 50 / Seite ausdrucken

“Wir können den Ukraine-Weizen nicht kompensieren”

Dirk Andresen betreibt zwei Bauernhöfe in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Im Interview bewertet er Cem Özdemirs Pläne zur Eindämmung von Weizenengpässen sowie das Wieselwort Nachhaltigkeit. Das Gespräch führte Ulrike Stockmann.

Cem Özdemir forderte gerade angesichts der Weizenengpässe aufgrund des Ukrainekriegs, EU-Vorgaben für den Wechsel von Ackerpflanzen zu verschieben. Eigentlich sollte ab 2023 der Anbau von Winterweizen nicht zwei Jahre in Folge möglich sein. Stattdessen wären Bauern gezwungen, Raps, Mais oder andere Früchte im Wechsel mit Weizen anzubauen. Was halten Sie von diesem Vorschlag des Landwirtschaftsministers?

Dirk Andresen: In der Debatte ist Cem Özdemirs Position nicht mehr haltbar. Die Debatte um die jetzige Politik ist mehr als nötig und braucht eine Zeitenwende im Berliner Regierungszirkel. Mir fehlt auch die klare Ansprache eines Bauernverbandes, der sich stattdessen von NGOs treiben lässt – die Politik wird sich künftig nach den Märkten richten müssen, sonst versagt sie. 

Ein Anbau nach Plan ist nicht mehr zeitgemäß und daher lehne ich ihn auch ab. Die Märkte müssen über den zukünftigen Anbau entscheiden. Umweltschutz benötigt einen ausgewiesenen Preis, dann kann die Umwelt auch nachhaltig organisiert werden.

Was bedeutet, dass der Umweltschutz „einen Preis braucht“?

Konkret wäre der Umweltschutz umsetzbar, wenn auch entsprechende Maßnahmen preismäßig betitelt würden. Dazu folgendes Beispiel: Ein Hektar Weizen hat aktuell einen Marktpreis von etwa 3.000 Euro. Um diesen dann zu ersetzen, wäre der Umweltschutz eben auch mit 3.000 Euro zu bezahlen, abzüglich der Kosten, die nicht anfallen.

Ist der EU-Beschluss zum Fruchtwechsel aus landwirtschaftlicher Sicht sinnvoll?

Ja und Nein. Fruchtwechsel bringen grundsätzlich mehr Humusanteil im Boden, das ist also positiv. Aber ein Landwirtschaftsminister sollte hier auf keinen Fall Kosten und Nutzen abwägen, um Planwirtschaft zu organisieren und nicht Märkte entscheiden zu lassen.

Wir brauchen nachhaltige Ressourcen – wir können nur mit der Landwirtschaft zusammen ein Konzept entwickeln, das Umweltschutz bezahlbar macht. Konkret bin ich für die Abschaffung der GAP-Mittel (Subventionen der EU), aber dafür brauchen wir einen Preis für die Umwelt, der von allen mitgetragen wird.

Umweltschutz auf Kosten der Landwirtschaft kann nicht das Ziel sein. Unser Beitrag zur Ernährung wird mehr und mehr systemrelevant.

Cem Özdemir gibt an, dass man mit der kurzzeitigen Aussetzung des EU-Beschlusses zum Fruchtwechsel „nicht an die wenigen Flächen für den Artenschutz ran“ gehen müsste. Geht diese Rechnung auf? Wie bewerten Sie das „Grünlandumbruchverbot“, das Wiesen und Weiden vor der Umwandlung in Ackerland bewahren will?

Niemand weiß, wie lange dieser Krieg wirklich dauert, aber es steht zu befürchten, dass die Auswirkungen noch über Jahre zu spüren sind. Daher brauchen wir ein Umdenken und die angemessene Reaktion eines Landwirtschaftsministers. Naturschutz hat einen breiten Raum eingenommen – nur muss die Versorgung mit Lebensmitteln immer noch umsetzbar sein. 

Wir brauchen nachhaltige Landwirtschaft, aber sie muss bezahlbar sein, und wenn wir dem Naturschutz mehr Räume zur Verfügung stellen, hat dieses auch gesellschaftliche Konsequenzen.

Welche Konsequenzen sind das?

Die Konsequenz ist für alle, dass unsere Nahrung teurer wird, wenn man sie nachhaltig produziert. Aber im Sinne der gesellschaftlichen Bewegung beziehungsweise auch dem Gedanken des Arten- und Klimaschutzes müssten wir eine Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung betreiben, die nicht organisiert ist und die nicht mehr von politischen Rahmenbedingungen abhängt, sondern konkret am Erfolg gemessen wird.

Hat Deutschland praktikable Möglichkeiten, um den weltweiten Weizenausfall durch den Ukrainekrieg zumindest in Teilen zu kompensieren? Wenn ja, welche?

Circa ein Drittel des Weizens kommt aus der Ukraine und aus Russland. Diesen können wir aktuell auf keinen Fall kompensieren, wir können lediglich dazu beitragen, dass der Welthunger sich nicht noch potenziert.

Jeder Verbraucher kann weniger wegwerfen. Wir können alle einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der Welthunger nicht so groß ist. Aber unsere Wohlstandsgesellschaft wird auf Wohlstand verzichten müssen, um Klima-, Umwelt-, Artenschutz und auch den Welthunger in den Griff zu kriegen.

 

Dirk Andresen ist Diplom Landwirt und betreibt zwei Bauernhöfe in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Er war Sprecher des Vereins „Land schafft Verbindung“, der die Traktorenproteste Ende 2019 organisierte. Aus diesen Demonstrationen enstand auf Betreiben von Angela Merkel und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bauernverband sowie „Land schafft Verbindung“ die Zukunftskommission Landwirtschaft, dessen Mitglied Andresen ist. Er trifft regelmäßig Politiker wie Friedrich Merz oder Cem Özdemir, um landwirtschaftliche Anliegen zu vertreten. 

Foto: Tim Maxeiner

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Karla Kuhn / 16.05.2022

“Circa ein Drittel des Weizens kommt aus der Ukraine und aus Russland. Diesen können wir aktuell auf keinen Fall kompensieren, Wir können lediglich dazu beitragen, dass der Welthunger sich nicht noch potenziert.”  Vor einiger Zeit konnte ich lesen, (weiß leider nicht mehr wo) daß Russland mit zu den größen Weizenexporteuren gehören soll. Wenn das so sein sollte, WARUM soll dann der Ukraine Weizen nicht von dem Russlandweizen ersetzt werden können ?? DREIßIG Länder der Welt, die bevölkerungsstärksten, haben sich dem EU Diktat nicht gebeugt und treiben weiter Handel mit Russland, sie profitieren enorm davon, daß EU Länder die Russen Importe offenbar drastisch reduziert haben. Sie handeln ZUM WOHLE IHRES VOLKES !  Der WM von Katar hatte es ebenfalls auf den Punkt gebracht, POLITIK und WIRTSCHAFT TRENNEN !!, wobei Katar mit Sicherheit kein lupenreines , demokratisches Land ist. Deutschhland möchte vermutlich mit HALTUNG die Bevölkerung “füttern und wärmen”, na ja , wenn viele solcher “Koryphäen am Ruder sind, wie z.Z., erwarte ich auch keine Änderung. Mit “Haltung”  den Gürtel enger schnallen und den Ar… abfrieren, offenbar war das die Motivation vieler Grünenwähler in NRW ??  “Er trifft regelmäßig Politiker wie Friedrich Merz oder Cem Özdemir, MERZ als Berater? Black Rock läst offenbar grüßen!!

Gerhard Küster / 16.05.2022

Wenn die Schwarmintelligenz im Netz nicht lügt, dann ist Deutschland beim Weizenverbrauch mengenmäßig Selbstversorger, d.h., es wird hierzulande soviel angebaut, wie auch verbraucht wird. Gegen den “Welthunger” werde ich dann auf “Wohlstand verzichten”, wenn die Entwicklungsländer auf ihre Bevölkerungsexlosion verzichten. Quid pro quo.

Claudius Pappe / 16.05.2022

” Jeder Verbraucher kann weniger wegwerfen. Wir können alle einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass der Welthunger nicht so groß ist. Aber unsere Wohlstandsgesellschaft wird auf Wohlstand verzichten müssen, um Klima-, Umwelt-, Artenschutz und auch den Welthunger in den Griff zu kriegen. ” ..................das ist ja das schlimme daran. Wir denken an Klima-, Umwelt-, Artenschutz und Welthunger. Wer denkt an die Deutschen in Deutschland ?...wohl keiner———-ich will keinen Beitrag leisten, auch wenn Frau Lügenbock meint, ich müsse für die Menschenvermehrer in Afrika hungern und für die Ukrainer frieren…....... Ich will das nicht !!!

Boris Kettler / 16.05.2022

Die Stimme eines Funktionärs, mehr gibts nicht zu sagen.

Richard Loewe / 16.05.2022

der Artikel hätte auch auf Locus oder im Spiegel stehen können. Clickbait im Titel und dann Reklame für “Nachhaltigkeit”, “Klimaschutz” und Planwirtschaft (Preis für Umweltschutz kommt wie alles von der Regierung).

Arne Ausländer / 16.05.2022

Das klingt vernünftig und sachorientiert. Was normal sein sollte, aber leider fast Seltenheitswert hat. Gewiß gibt es in vielen Details noch weitere ernste Probleme, aber dies ist ja hier kein landwirtschaftliches Fachforum. Es bleibt zu hoffen, daß die Stimmen der Vernunft wieder mehr beachtet werden, und sei es unter dem Druck aktueller Nöte.

Ralf.Michael / 16.05.2022

Ich verstehe bis Heute immer noch nicht, warum man nich Boris Becker zum Landwirtschaftsminister gekürt hat….......

Jörg Haerter / 16.05.2022

Gibt es in der EU überhaupt Landwirtshaft, die nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktioniert? Ich bin nicht vom Fach, aber alles was ich höre, deutet auf Verzerrungen durch Subventionen hin, ohne diese kann wohl kein landwirtschaftlicher Betrieb überleben. Marktpreise? Wohl kaum.

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